Eine Musikbesprechung von Ferdinand Fantastilius
Das Post-Indierock-Quartett [bro:m] hat fünf Stücke aufgenommen und veröffentlicht diese am 18. Juli auf seiner Vinyl-EP fuse. Die Platte ist ein klassisches DIY-Projekt und vermag mit ihrer Musik, der Klangwucht und den Nichtworten den schon abgeschrieben geglaubten, sogenannten „Indie“ wieder zu rehabilitieren. Im Folgenden möchte ich einen ebenso persönlichen wie ausgiebigen Annäherungsversuch wagen.
[bro:m] spielen einen eleganten Mid-Tempo-Post-Rock mit Ausflügen ins Schwelgerische und Ausbrüchen ins Noisehafte. Die Band, deren personelle Connections und Querverästelungen zu verschiedenen, auch in Greifswald wurzelnden, Bands und Projekten wie Diametral, The Splendid Ghetto Pipers, Krach und Naked Neighbours on TV reichen, hat sich als Quartett im Herbst 2012 zusammengefunden und spielt mit Gong, Synthesizern und einem Gerüst aus ebenso dringlichem wie groovigem Bass und mathrock-melancholischer Gitarre einen verwehten Genreclash — treibend und rhythmisch kühn, Haken mit Breaks und Tempowechseln schlagend.
WUTSCHMELZE IM SCHMERZGEBIRGE
Die Mitglieder von [bro:m] machen nicht erst seit gestern Musik. Das hört man und es gibt ihrem Tun als Band zwischen Indie- und Postrock eine angenehme Allürenfreiheit. Mit vollem Herzen, ohne selbstdarstellerische Nöte, mit Understatement und Andockungen an die Erfahrungswerte eines Nicht-mehr-ganz-so-jung-Seins, legen [bro:m] mit fuse ein versiertes Stück milder Wut vor. Bei aller drucklosen Schnuffelhaftigkeit, die dem totgelatschten Genre „Indie“ heute anhängt wie ein müder Like, tut es gut, mit dem Bonus der tongebrannten Reife eines Um-die-dreißig-Seins mal wieder Musik aus dieser Ecke zu hören.
Hieraus — aus dem Auf-dem-Weg-zum-Altsein-Sein, resultiert eine Art beflügelndes Angekommensein, das nicht mit der Vollverpiefung zu verwechseln ist, die man als junger Mensch vielleicht irgendwann mal dumpf befürchtete. Meint Älterwerden die Aufgabe seines Freakseins? Geht die Zwischenstufe zur Altheit — also die Phase nach der Jugenddeprimiertheit und vor der Midlife-Crisis — mit einem Festgefahrensein in innerer Zufriedenheitslähmung einher? Nein! Im Gegenteil: Im Älterwerden wird man schlicht sachverständiger und kompetenter, auf eine kreativ gerichtete Art und Weise inbrünstiger und leidenschaftlicher, im Sinne von in der Leidenschaft und im Bewältigen innerer Schieflagen begabter, im kreativen Ausdruck derer versierter — kürzer gesagt: gelassener.
Das Freaksein wird Finesse. Was früher noch ein fürchterliches Durchwurschteln-müssen durch ein Durcheinandersein war, ist heute Beflissenheit in Schwermut. Es ist kein Jammern mehr, es ist ein Klagen jetzt! Und aus Klage wird Musik.
EXTENDED PLAY IM EMO-INTERIEUR
fuse — der Titel dieser EP, lässt sich als Nomen übersetzen mit „Zünder“, „Patrone“ aber auch als „Sicherung“ (wohl nicht nur) in einem elektrotechnischen Sinn. Das Wort als Verb trägt gleich noch eine Reihe weiterer Konnotationen in seinen vier Buchstaben: „abschmelzen, anschmelzen, aufschmelzern, durchbrennen, durchschmelzen, einschmelzen“, aber auch „schweißen, vereinigen, zusammenschweißen“ — es wird einem ganz heiß, hier am Langenscheidt!
Doch genug der Wörterbuchwälzerei, gehen wir gleich in die Mitte vom Schmelz: fuse wurde an einem langen Studiowochenende, fernab des Proberaums, eingespielt. Vorgabe war, alles möglichst live, in voller Wucht als eine gemeinsam spielende Band, einzufangen. Herauskommen sind fünf Songs, die als EP — als extended play also — ein ebenso verdichtetes wie auch weit umklammerndes Spektrum einfangen. Debut-EPs sind immer ja ähnlich spannend wie zwischengeschobene EPs ausgiebig albenliefernder Bands: Sie geben Raum zum Experimentieren, ohne der Strenge der Idee eines Albums und dem Diktat einer damit verbundenen erzählerischen Struktur unterworfen zu sein.
Die Musik der fünf Stücke auf fuse kann man sich also, dem Namen nach, vorstellen als einen — aus einem verschmelzflüssigten Bandjetzt in gerilltes Vinyl gegossenen — Status Quo.
(Cover von fuse, Bild: Urs Bumke)
POSTROCK, POSTCORE, POSTKUTSCHE
Der schwermutsbeflissene Spaß beginnt im ersten Stück mit sengenden Feedbacks und ufert von dort sofort los in ein treibendes Akkord-Riffing, das sich im Break zu einer Built-To-Spill-artigen Öffnung der Melodien aufstreut, uns als Hörende hierbei herzig am Schlafittchen packt und hineinzieht, in diesen Fiebertraum von Independentpostrockmusik. Der Gesang schmilzt in sehnig-suchendem Croonen über das kurze Innehalten eines im Harren gehalten Rucks nach vorn. Hier zeigt sich ein Hang zum Hardcore ebenso wie ein Geschultsein an Shoegaze und Postrockmustern: Nachschleppende Rhythmik, das Taumelnde, ein Vorwärtswehen, gebremst nur durch eine schwere See im Herzen.
Obendrüber und drumrum, ach was, mittendrin kreiselt der Gesang, mal allein in den bewusst gelassenen Lücken im So(n)g, dann wieder in vollstem Verve und Werfen von — na, sagen wir es ruhig — Verzweiflung, die als Summe aller Musizierenden hier dann immer wieder ausbricht zu einer flüssigen Ordnung im Lärm und sich als Summen für die nächste Zeit im Ohr als Wühlwurm festsetzt. Genau hier — im Flirren der Dissonanzen — hängt sie, die Verheißung von Mitriss und Abriss: das Versprechen eines guten Songs. Und wir reden hier immer noch vom ersten Stück! Tempowechsel durchhauen dessen zweite Hälfte und geben Mitwippern Futter zum Mitzählen in dieser vertrackten Taktung.
Nummer „2“ — die Stücke sind, in durchbrochener Reihenfolge, von „1“ bis „7“ ohne 4 und 5 benannt — beginnt hager und klar mit zischelnder Rhythmik und einer dieser postrocktypischen Gitarrenfiguren. Der Gesang betritt diesen Raum wie die Melancholia einen teerschwarzen Kupferstich. Diese wüstige Düsternis erhebt sich im linden Raumhall, der die Anschläge des Schlagzeugs so herrlich schnalzen lässt, zu einer, im vielfrequenten Geschepper eines Gongs (ja, eines Gongs!) schillernden Noisewand, die am Ende — wie ein im Schreck verstummter Atemzug — abbricht und wirkungsvolle Leere hinterlässt.
AUS DEM IRGENDWOINNERSTEN HERAUS
Eine vibrierende Leerheit, die — und dies sei nur eine Deutung des Coverartworks — Spiegel ist für ein nacktes und doch existenzialistisch angeschelmtes Sitzen im rieselroten Sirren der immer noch wilden Innenenrichtung von sich selbst. Ein Nachhall, der ein Dösen hochflammt, in einer gerade noch so händelbaren, unbenannten inneren Düsternis. Hierin — in dieser Musik und natürlich auch im Gefühl, das sie hervorzuhebammen im Stande ist — hängt in tiefem Sinn also auch etwas Hochromantisches.
Um dieses Leidenschaftliche als vorworthaftes Aufbegehren und Rumrumpeln im eigenen Emo-Interieur stichhaltig abzubilden, ersparen sich [bro:m] im Gesang auch Worte im herkömmlichen Sinn. Der Sänger singt — in reinem Ton — aus dem Irgendwoinnersten heraus: Phoneme, Laute, Melodien, Elegien in einer Impulssprache, die einer, hinter der Brust pochernden, Grammatik eines vorsprachlichen Gefühls von Klage zu entstammen scheint. Kurz: Man glaubt ihm das, was man als Hörender hier rein rational, im wortverwertenden Sinn, überhaupt nicht versteht, zu tausend Prozent.
Nummer „3“ gießt in diesen mächtigen Nullmoment zwischen den Stücken nun ihre schwirrende Synthesizerlinie, aus der in den nächsten fünf Minuten der heimliche Pop-Hit dieser EP erwächst. Auch auf den folgenden Stücken wirbeln einem — im wavigen Wehen der Tasteninstrumente, dem, von Fragilität berückgrateten, bei aller Düsternis immer doch irgendwie lichtumspulten Gesang, der Liebe zum Arrangieren und der hardcoreaffinen Energetik — die Stranglers ebenso wie dEUS, Interpol oder Fugazi als musikhistorische Referenzgeber entgegen. An das verzärtelt Sinistre von Joy Division denken lassend, dunkelt Song „7“ die Szenerie zum Ende hin in klaustrophober Langsamkeit, schwer und aufgeräumt beginnend, dann schwer und grollend endend, nochmal erdig ab.
RELEASE MIT RAIN, DEAR! RECORDINGS & REVELATIONS
Postrock, Postpunk, Postkutsche — egal wie man das Vehikel nennt, es ist am Ende immer der Faktor des kaum Benennbaren und in Worten nur schwer Vermittelbaren, der der Musik ihr Zünden (sic!) und Glimmern gibt. Den fünf Stücken auf fuse gelingt es, im Oszillieren zwischen spielerischer Verspultheit und wummernder Dichte genau mit diesem Unbestimmten, diesem Schimmern, Räume aufzumachen. Die Dynamik, der Wechsel von Melodischem zu Geschrienem, von Laut zu Leise, ist hier bezeichnend für das Post-Hardcore-Verständnis der Band. Die Art und Weise, Melodien zu bauen, sich von Strophe und Refrain als strukturgebenden Mittel zu trennen, generell Umwege zu nehmen und im Arrangement brückenartig von Part zu Part zu wogen, eine Art Wille zu verwobener Komplexität und heimlicher Hittigkeit — all das lässt wiederum an spätere Radiohead und mittlere Notwist denken.
No Wave, Post Punk, Blumen auf der Parkbank — [bro:m] liefern Verkrachtheit mit Stil, Schwelgen im Schwermut sowie Ort- und Klanggebung innerer Zerrütung. Nicht zuletzt ist schließlich dieses auch eine Qualität von Musik: Glutofen zu sein, für eine individuelle — sowohl eben macher-, als auch hörerinnenseitige — Schmerzverhüttung!
fuse erscheint am 18. Juli 2014 auf Vinyl und als Download beim Greifswalder Label Rain, Dear! Recordings & Revelations. Ihre Veröffentlichung feiern [broːm] mit einem Konzert und anschließender Record-Release-Party im IKUWO — von Northern Soul über Riot Grrrl zu Dispo-Disko und zurück!
Fakten: 18.07. | 20 Uhr | IKUWO | 5 EUR (Release-Konzert)
Links:
(Fotos: [bro:m])
Martin Hiller ist Labelbetreiber (Rain, Dear! Recordings & Revelations), Musiker (Huey Walker, The Splendid Ghetto Pipers) und schreibt in unregelmäßigen Abständen unter dem Alias Ferdinand Fantastilius für den Fleischervorstadt-Blog.
2 Gedanken zu „Pop am Wochenende: Versierte Wutschmelze — [broːm] „fuse““