Am Samstagnachmittag fand in Greifswald die sechste Demonstration von besorgten Bürgern, Rassisten und Neonazis statt. Mehr als 300 Greifswalder protestierten auf dem Markt gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.
Dem Aufruf der rechten Organisation FFDG (Frieden, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit), die vor wenigen Wochen nach dem ersten unangemeldeten Auflauf besorgter Bürger im September gegründet wurde, folgten knapp 100 Personen, die sich ab 14.30 Uhr zunächst an der Europakreuzung / Blum-Straße versammelten. Unter den Demonstranten befanden sich auch Maik Spiegelmacher und andere Anhänger des rechtsextremen Vereins „Deutschland muss leben e.V.“, die alsbald ein Banner der Organisation, die ein bundesweites Unterstützungsnetzwerk für Neonazis schaffen möchte, entrollten und präsentierten.
In die FFDG-Demo reihte sich auch Maik Spiegelmacher mit mehreren Anhängern des rechtsextremen Vereins „Deutschland muss leben“ ein (Foto: Fleischervorstadt-Blog)
Greifswalder überlassen rechten Hetzern nicht unwidersprochen den Markt
Gegen 15 Uhr setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung, passierte die Europakreuzung und zog die Goethestraße hinunter. Obwohl sich etwa 50 Gegendemonstranten in der Fleischerstraße sammelten, hatte die Polizei keine Probleme, den FFDG-Zug unterbrechungsfrei über die Rakower Straße zum Markt zu leiten. Dort hielten sich 200 bis 300 Personen auf, die gemeinsam den Nachmittag auf dem Greifswalder Marktplatz verbrachten, um den Hetzern diesen zentralen Ort nicht unwidersprochen zu überlassen.
In mehreren Redebeiträgen, unter anderem von Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) und der Greifswalder Landtagsabgeordneten Mignon Schwenke (Die Linke), wurden Fluchtursachen und die Situation für Vertriebene vor Ort thematisiert. Eine Liveband der mobilen Musikschule Greifmusic sorgte bei dem in jeder Hinsicht heterogenem Publikum für kurzweilige Unterhaltung und kündigte an, dass man sie im Kontext der antirassistischen Protestaktionen des blutjungen Bündnisses „Greifswald für alle“ in Zukunft noch öfter hören wird.
Gegen 16 Uhr endete die Zwischenkundgebung der FFDG und die Demonstration wurde über den Schuhhagen in Richtung Europakreuzung geleitet. Die Polizei, die mit 140 Beamten im Einsatz war, meldete später in ihrem Abschlussbericht, dass der Einsatz „nahezu störungsfrei“ verlaufen sei. Gegen einen Teilnehmer der FFDG-Versammlung wurde Anzeige wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aufgenommen — er zeigte den Hitlergruß und wurde später vom Versammlungsleiter von der weiteren FFDG-Demonstration ausgeschlossen.
Auf dem Markt fand eine ausgedehnte Zwischenkundgebung statt.
(Foto: Greifswald für alle)
Wer befürchtete, dass der Greifswalder Marktplatz heute Nachmittag von der dominierenden Anwesenheit mehrerer hundert Rassisten und besorgter Bürger bestimmt sein würde, kann für einen kurzen Moment beruhigt sein, denn von Dresdner Verhältnissen ist die Hansestadt Greifswald noch sehr weit entfernt. So sehr die FFDG auch mit Blick auf rechte Großdemonstrationen wie in der sächsischen Landeshauptstadt oder in Erfurt ihr eigenes Wachstum beschwört, so engagiert sie die Teilnehmerzahlen ihrer Veranstaltungen auch in schwindelnde Höhen jazzt — mehr als 200 Personen hat sie in der Universitätsstadt vorerst nicht auf die Straße kriegen können.
Das sind selbstredend zweihundert zu viel und alles andere als ein Grund zur Entwarnung, doch zeigte sich heute auf dem Marktplatz, dass der Protest gegen Fremdenfeindlichkeit und das Engagement für eine herzliche Willkommenskultur von vielen verschiedenen Menschen der Stadt mitgetragen und unterstützt wird — zumindest darauf lässt sich aufbauen.
- Greifswald für alle (Facebook)
- Drei Versammlungen in Greifswald (PM Polizei, 24.10.2015)
Schönen Dank für den informativen Bericht und die fundierte Einschätzung!
… wer nimmt denn den Herrn Spiegelmacher noch für voll :-/
Glücklicherweise noch einige: https://linksunten.indymedia.org/de/node/150641
Und warum lesen wir von dir immer nur Relativierungen und Verharmlosungen, wenn es um so Neonazizeug geht?
Wieso hat mensch von dem Aufzug nichts erfahren? Hier fehlen klare Kommunikationsstrukturen! Vielleicht finden sich ein paar engagierte Leute, die eine entsprechende Infoseite bei fb erstellen und Infos sammeln und über die gängigen portale verbreiten. Wo sind die Zeiten, wo die Nazis durch Kuhscheiße am Ikuwo vorbeilaufen mussten? Wie können die überhaupt durch die Stadt laufen? Kann man nicht mehr Gegenprotestler aktivieren? Platznehmen Greifswald!!!!!
Die Kommunikationsstrukturen sind in der Tat verbesserungswürdig. Die entsprechende FB-Seite von „Greifswald für alle“ gibt es allerdings schon ein paar Tage: https://www.facebook.com/Greifswald-f%C3%BCr-alle-1483839751945097/
Danke für den Link, ist geliked.
Gemeint war aber eher ne Seite für direkte Aktionen. Ergo, wo Aktionskarten veröffentlicht werden und ein Überblick über eventuell angemeldete Veranstaltungen,um das Platznehmen zu erleichtern 😉
Hitlergruß und Dml e. V.-Anhänger?
„Wir sind hier und wir sind laut, weil Merkel uns die Heimat klaut!“
Ich kann das verharmlosende Gerede vom besorgten Bürger nicht mehr hören – eine fragwürdige Reihenfolge in der Aufzählung und am Ende des Tages wohl überflüssige Differenzierung:
Zuallererst und unabhängig von Namensgebung und anmeldenden Veranstaltern marschieren dort gewaltbereite Neonazis. Wer sich von solchen nicht distanziert, macht sich mit der menschenfeindlichen Ideologie gleich und hat den Weg des Dialogs definitiv verlassen.
Es gilt diesen verlorenen Seelen gewaltfrei den Zustrom abzugraben. An dieser Stelle ist Kommunikation i. S. v. Aufklärung wiederum gefragt.
Unabhängig davon möchte ich mich herzlich für die regelmäßig lesenswerte Berichterstattung dieses Blogbetreibers bedanken.