Schampus gibt’s woanders! lautet der markige Untertitel des kurz vor der Veröffentlichung stehenden Kompilationsmeisterwerkes klein stadt GROSS. Am 12. Oktober ist mit einem Marathon der Veröffentlichungsfeierlichkeiten in Greifswald zu rechnen, immerhin sind nicht nur 18 hiesige Bands, Solokünstler und Musikprojekte auf dem Silberling vereint, ganz nebenbei haben vier (Wahl-)Hanseaten der Lokalvernetzung enormen Vorschub geleistet. Grund genug, sich mit den vier charmanten jungen Herren zu treffen und mit ihnen über das Projekt zu sprechen.
FLV: Wir beginnen unser Gespräch am besten mit einer kleinen Vorstellungsrunde, in der Ihr Euren Bezug zum Projekt klein stadt GROSS erläutern könnt.
MS: Mein Name ist Mathias Strüwing und meine Aufgabe bei klein stadt GROSS war neben dem gemeinsamen Diskutieren und dem Auswählen der Stücke eine technische, sprich: Mastern der Songs und Soundbearbeitung.
NS: Ich bin Nico Schruhl, auch Projektmitglied bei klein stadt GROSS.
Wir haben gemeinsam darüber gesponnen, dass es schön wäre, zu wissen, was genau eigentlich in musikalischer und künstlerischer Hinsicht in Greifswald passiert. Und dass einem der Überblick – selbst in dieser kleinen Stadt – dann doch irgendwie fehlt. Besonders schade ist es, dass gerade diejenigen, die in ihrem Wohnzimmer schöpferisch tätig sind, nicht gehört oder gesehen werden.
SR: Ich bin Stephan und auch in diese Gruppe hineingeraten. Wir haben lange nachts zusammengesessen, erzählt und geschwärmt von Dingen, die man doch mal machen müsste und irgendwann haben wir dann solange darüber geredet, dass wir dachten, wir müssen das jetzt mal probieren: In Greifswald einen Überblick zu schaffen, um auch Leuten, die entweder neu in die Stadt kommen oder neu in der Stadt sind und noch gar nicht für sich selbst den Überblick gewonnen haben, eine Möglichkeit dafür zu geben. Der Bezug zum Projekt besteht natürlich in der Freundschaft zu den drei anderen Leuten und in einem riesengroßen Interesse für Musik im Allgemeinen und für das kulturelle Schaffen in meiner Umgebung, in Greifswald.

NS: Vielleicht kann man das nochmal kurz zusammenfassen: Mathias ist bei Mexicola und Naked Neighbours on TV involviert. Martin ist Lofi Deluxe, Stephan ebenfalls bei Naked Neighbours on TV und ich bin bei Lumières Claires und Naked Neighbours on TV beteiligter Musiker.
Multifunktionalität, kulturelle Transparenz und das große Miteinander
FLV: In der Konzeptbeschreibung von klein stadt GROSS stand, dass es sich dabei um ein multifunktionales Projekt handle und dass ein Ziel die Schaffung kultureller Transparenz sei. Ihr habt alle drei von Überblicken gesprochen. Was bedeutet dieses Konzept für Euch? Mulitifunktionalität und kulturelle Transparenz?
NS: Das hat nicht nur damit zu tun, dass wir anderen Leuten einen Überblick verschaffen wollten, sondern auch damit, den beteiligten Parteien die Möglichkeiten zu geben, einander kennenzulernen und Vernetzung stattfinden zu lassen.
SR: Der Aspekt der Vernetzung ist schon einer der Hauptgründe, warum es überhaupt soweit gekommen ist. Es gibt zwar Bands, die hängen mehr miteinander herum, es gibt bildende Künstler, die miteinander Projekte starten. Aber dennoch lebt man trotz der kleinen Stadt Greifswald recht stark aneinander vorbei, wenn man nicht auch mal ein bisschen zu fördern versucht, dass die Leute näher zueinanderkommen. Das ist die Hauptfunktion.
Es geht darum, auch Räume zu schaffen, in denen die Leute einfach zusammenkommen und sich kreativ austauschen können. Zum Beispiel hat vor kurzem eine offene Jam-Session in der Alten Bäckerei stattgefunden, wo das alles zusammengeführt wurde: Die Ausstellung einer Künstlerin aus Greifswald, Antje Ingber, und dazu einfach zur Verfügung gestellte Verstärker und Instrumente, um Leuten die Möglichkeit zu geben, zueinander zu finden.
Eine andere Funktion des Projekts ist es, der Stadt ein anderes Bild nach außen zu geben, denn das wird oftmals ein bisschen verzerrt dargestellt.
Utopistische Kleinstadtromantiker
FLV: Was habt Ihr für Utopien von einer vernetzen, multifunktionalen, kulturell transparenten Lebensweise in Greifswald? Wie kann sich das in der Realität noch darstellen, außer – wie jetzt geschehen – bei dieser Jam Session?
MS: Es wurde ja schon angedeutet, dass die Idee klein stadt GROSS deutlich größer ist als die CD. Viele der Ideen, über die wir herumgesponnen haben, werden wir versuchen, in Zukunft zu realisieren. Im Klartext soll das heißen, dass wir eine Release-Woche planen, die verschiedene Locations in Greifswald involvieren wird. Dort versuchen wir dann den verschiedenen Künstlern des Samplers eine Plattform zum Auftreten oder Ausstellen zu geben.
NS: Es geht auch vor allem erstmal darum, dass man mit den ganzen schöpferischen Kräften, von denen sowieso jeder schon mal in Greifswald gehört hat, vernetzt wird. Diese ganzen Dinge spielen sich ja sonst nur zufällig ab – und das wollten wir forcieren.
Es geht außerdem darum, dass man sich kennt, dass man die Mitmenschen, denen man tagtäglich in dieser kleinen Stadt begegnet, kennenlernt; dass man auf sie zugehen kann und dass man auch bei ganz lapidaren Sachen, wenn es zum Beispiel um Equipment geht oder so, einander hilft, sich solidarisch gibt. Und das ist natürlich viel leichter wenn man weiß, wer sich hinter diesen ganzen Projekten verbirgt und wen es da überhaupt gibt.
SR: Was diese Utopie angeht, von der du gesprochen hast, das ist vielleicht ein Traum – aber dafür sind Utopien ja da – der durch diese Geschichte angestoßen werden könnte, dass vielleicht eine stärkere Unabhängigkeit der Musiker entsteht. Dadurch, dass sie diese Möglichkeiten der Vernetzung haben und auf diese Weise Potential, Technik, Kreativität, Infrastrukturen entstehen, die es für einige Leute sicherlich leichter macht, kreativ tätig zu sein und ihr Ergebnis nach außen zu tragen. Dinge, die sonst vielleicht einfach untergehen würden, wenn es sich nicht herumspräche, es niemand hörte oder sähe.
Überwindung von Genre-Grenzen als Programm

Ich war unlängst auf einem Konzert von Kein Plan und R!O und erwartungsgemäß war dort wieder nur ein Punkpublikum, bzw. ein erweiterter Freundeskreis. Dieses Konzert war so gut, dass man sich eigentlich fragt, warum es so wenige interessiert. Das kann meines Erachtens nur daran liegen, dass niemand diese Bands und die Musik, die dahinter steckt, kennt. Die hat durchaus einen Appeal für Leute, die sich sonst nicht unbedingt Punk oder Hardcore anhören.
MS: Das ist auch der Grund, warum dieser Sampler sich nicht auf bestimmte Musikrichtungen beschränkt.
MH: Deshalb war für uns ein ganz wichtiger Anspruch, über musikalische Stilgrenzen hinweg die Leute zu vereinen. Die Verbindung zwischen diesen verschiedenen Richtungen haben wir dann versucht, durch Interludes zwischen einzelnen Titeln herzustellen. Eben diese Interludes – es gibt auch noch ein Intro und ein Outro – spielen natürlich mit gewissen kleinstädtischen Romantiken oder auch Sounds, die eine gewissen Kleinstädtischkeit widerspiegeln.
Um nochmal auf diese Utopien zurückzukommen, hängt natürlich die Idee im Hintergrund, dass es auch spannend ist in Hinblick auf die gegenseitige Inspiration, Remixe anderer Bands anzufertigen.
NS: Mein Gedanke ist auch, dass den Leuten, die sich das anhören, das passiert, was mir passiert ist, nämlich dass man davon überrascht wird, was hier eigentlich los ist. Bands, welche ich mir sonst vielleicht niemals angehört hätte, wie zum Beispiel Disembowel. Die machen Metal auf ganz hohem Niveau. Das hat auf jeden Fall seine Berechtigung und muss unbedingt gehört werden, auch von Leuten die sonst vielleicht eher Pop hören.
„Hier kann man sich viel besser ausleben, weil das kulturelle Angebot ja irgendwie begrenzt ist“
FLV: Kleinstadt, Provinz; kleinstädtisch, provinziell. Wie ist das als Künstler oder als Musiker in der Provinz zu agieren? Vielleicht mit Hinblick auf deine Berliner Herkunft, Martin. Du hast da sicher den lebhaftesten Vergleich.

NS: Das, was viele als unangenehme Enge beschreiben, die es in der Kleinstadt gibt, das hat auch seine Vorteile, nämlich dass man hier eine ganz andere Freiheit hat, zu agieren, weil bestimmte Sachen in der Großstadt untergehen würden, die hier gelebt werden können. Das hat sich auch im Gespräch mit den Künstlern, zum Beispiel mit Antje Ingber gezeigt, dass sie das sehr genießt, hier einfach machen zu können, worauf sie Lust hat und das auch entwickeln kann.
Wohingegen man in der Großstadt vielleicht einen Markt zu bedienen genötigt ist. Dass man sich viel eher daran orientieren muss, was gewünscht wird. Und hier kann man sich viel besser ausleben, weil das kulturelle Angebot ja irgendwie begrenzt ist.
MS: Das ist eine Flucht nach vorne. Das hätte auch als Untertitel für die CD gut passen können. Statt Schampus gibt’s woanders eben Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Das ist genau die Geschichte hier in Greifswald. Es gibt viele Leute die sagen, mich ödet die Stadt an, ich fahre lieber am Wochenende in eine große Stadt, Hamburg oder Berlin. Aber wenn man hier was machen will, dann kommt man relativ schnell zu Ergebnissen. Die Wege sind halt kurz und das sehen wir hier als Vorteil.
FLV: Dann macht Ihr den Kästner zur Kampfansage!
An dieser Stelle wurde vorerst und vorfreudig nur der Sinnhorizont der verheißungsvollen Idee klein stadt GROSS! ausgelotet. Aufgrund der lokalen popkulturpolitischen Relevanz des Themas wird im Rahmen der Veröffentlichung des Kompilats ein weiteres Interview stattfinden.






