Jörg Hochheim geht nach der sieglosen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Greifswalder Oberbürgermeisterwahl nicht in Berufung. Der Grüne Gemeinschaftskandidat Stefan Fassbinder bleibt im Amt.
„Ich habe ich mich entschieden, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald keine Rechtsmittel einzulegen.“ Ist das der Anfang vom Ende eines quälend langen Schauspiels, dessen Unterhaltungsradius im vergangenen halben Jahr weit über die Stadtgrenzen hinausreichte und bundesweit für Unterhaltung sorgte? In dem geschachert und spekuliert wurde wie in einer vorpommerschen Mikroausgabe der Politikserie House of Cards, nur halt ohne U-Bahn-Tote?
(Montage: Fleischervorstadt-Blog, Fotos: Fleischervorstadt-Blog, Media Rights Capital, Trigger Street Productions)
Vor einer Woche wies das Oberverwaltungsgericht Greifswald eine Beschwerde des Innenministeriums zurück und entschied, dass das IKUWO sowie das Peter-Weiss-Haus und der Awiro e.V. aus Rostock auch weiterhin nicht im Verfassungsschutzbericht 2011 genannt werden dürfen. Damit bestätigte das OVG Greifswald das Urteil des Schweriner Verwaltungsgerichts aus erster Instanz, das im Januar 2013 zu dem Schluss kam, dass der Verfassungsschutzbericht 2011 nicht mehr in seiner ursprünglichen Form verbreitet werden dürfe.
KRIMINALISIERUNG LINKSALTERNATIVER VEREINE STATT AUFKLÄRUNG DER NSU-VERBRECHEN IN MV
Der Bericht für das Jahr 2011 erschien in seiner ursprünglichen Form erst im Oktober des vergangenen Jahres. Wer über einen Zusammenhang zwischen dieser Verspätung und den inzwischen bekanntgewordenen Erkenntnissen zum rechten Terrornetzwerk Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), das unter anderem für die Ermordung von Mehmet Turgut in Rostock sowie zwei Banküberfälle in Stralsund verantwortlich war, spekulierte, wurde jedoch enttäuscht — das NSU-Kapitel fiel denkbar dürftig aus.
Sehr viel umfangreicher berichtete der Verfassungsschutz indes über die Band Feine Sahne Fischfilet, deren Eilverfügung gegen ihre Erfassung im VS-Bericht ebenfalls vor einer Woche vom OVG Greifswald verhandelt und abgewiesen wurde. Als nachteilig soll sich in diesem Fall ein humoristischer Dankesgruß der Band an die Behörde ausgewirkt haben (mehr dazu im unten verlinkten ND-Artikel).
Kritik am Innenministerium gab es jedoch nicht nur für den Bericht selbst, sondern auch für die Entscheidung, die Beschwerde gegen das Urteil des Schweriner Verwaltungsgerichts nicht den Hausjuristen zu überlassen, sondern damit die Anwaltskanzlei Latham & Watkins zu beauftragen. Diese vertrat 2008 in den USA die ebenfalls von den deutschen Verfassungsschutzbehörden beobachtete Sekte Scientology. Die Landesregierung teilte in Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Grünen mit, dass das Innenministerium über die fragwürdige Mandantenschaft der beauftragen Kanzlei Bescheid wusste. Allein für die Erstellung des Beschwerdeschriftsatzes sollen Latham & Watkins dem Innenministerium 11.391,90 Euro in Rechnung gestellt haben. Ein Antrag der Grünen, das Verfahren gegen die drei Vereine und die Zusammenarbeit mit dieser Kanzlei einzustellen, wurde abgelehnt.
„WIR HOFFEN, AUCH ANDERE EMANZIPATORISCHE VEREINE ERMUTIGEN ZU KÖNNEN, SICH GEGEN REPRESSION ZU WEHREN“
Das IKUWO tauchte im Verfassungsschutzbericht 2011 übrigens an zwei Stellen auf. So hat dort im März 2011 im Rahmen des „Tags des politischen Gefangenen“ eine Vortragsveranstaltung mit Aktivisten aus Belarus stattgefunden, die über die anarchistische Bewegung in ihrem Land erzählten. Sie klärten dabei über die aktuelle politische Situation auf und berichteten über die massiven staatlichen Repressionen des Lukaschenko-Regimes, mit denen politische Aktivisten konfrontiert werden.
Weiterhin soll die Gruppe Antifaschistische Aktion Greifswald (AAG) neben anderen Orten auch Räumlichkeiten des IKUWOs genutzt haben. Der AAG wird zum Vorwurf gemacht, „maßgeblich an der Bildung des Bündnisses ‘Greifswald nazifrei’ beteiligt” gewesen zu sein, das sich im Vorfeld einer NPD-Demonstration am 1. Mai 2011 in Greifswald gründete.
Der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle, der in diesem Verfahren alle drei Vereine vertrat, konstatierte: „Der VS hat versucht unverzichtbare Träger der Zivilgesellschaft und anerkannte Institutionen alternativer Jugendarbeit in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dafür war er bereit die Grenzen dessen was rechtlich zulässig ist zu überschreiten. Es ist wichtig dass das OVG dem einen Riegel vorgeschoben hat“. Der Sieg vor Gericht wurde natürlich auch im IKUWO positiv aufgenommen. Dort liest man das Urteil des OVG als Mutmacher für andere, die gleichsam von der Stigmatisierung durch Verfassungsschützer betroffen sind.
Pressesprecherin Nadja Tegtmeyer hofft, „dass wir mit dem erfolgreichen Verfahren auch weitere emanzipatorische Vereine und Gruppen ermutigen können, sich gegen Repressionen durch den Verfassungsschutz zu wehren und ebenfalls dagegen zu klagen.“
Für das Jahr 2012 liegt bislang noch kein Bericht vor, seine Veröffentlichung ist für den Sommer angekündigt. Dann darf man auf eine Retourkutsche des Innenministeriums gespannt sein.
Pressespiegel:
VS-Bericht: Linke Vereine gewinnen auch in der zweiten Instanz (Kombinat Fortschritt, 11.06.2013)
OVG bestätigt Schweriner Urteil zum Verfassungsschutzbericht (Ostsee-Zeitung, 11.06.2013)