Dieser Eindruck drängte sich auf, wenn man zur zweiten Aufführung des Stücks Clerks – die Ladenhüter in den halbleeren Rubenowsaal gekommen war. Ob dies einer andauernden Publikumskrise am Theater Greifswald geschuldet oder Zeugnis der Unkenntnis von 90er-Jahre-Kultfilmen ist, soll und kann hier nicht näher beleuchtet werden.
Um es gleich vorwegzunehmen: Besetzung, Bühnenbild sowie Kostüme waren zeit- und zweckgemäß. Die schauspielerischen Leistungen waren grundsolide, aber eben auch weit entfernt von grandios oder brillant. Josefine Schönbrodt, als Veronica, verkörperte dabei ihre Rolle noch am überzeugendsten. „Clerks – ein Ladenhüter?“ weiterlesen →
Was soll man als Student aus reichem englischen Hause tun, wenn man für ein Rendezvous eine Aufsichtsperson — ja gar eine Anstandsdame — benötigt und ebenjene nicht anwesend ist? Was soll man tun, wenn die Gelegenheit für eine Verabredung nur einmal greifbar ist? Eine ebenso unterhaltsame wie skurrile Antwort auf diese Fragen liefert derzeit die Inszenierung von Brandon Thomas‘ Bühnenklassiker Charleys Tante, welche am vergangenen Samstag in Greifswald vor nahezu ausverkauftem Haus Premiere feierte.
Mitarbeitergespräche – für eine Vielzahl von Arbeitnehmern sind sie ein Schreckensszenario sondergleichen. Bloß nichts Falsches sagen, an der richtigen Stelle die möglichst passende Bemerkung abgeben und vor allem: immer die richtige Haltung einnehmen!
KEINE HALTUNGSSCHÄDEN PROVOZIEREN!
Ingrid Lausunds Stück Bandscheibenvorfall thematisiert eben dieses gesellschaftliche Themenfeld auf zynische, teils makabere Art und Weise, wie der Untertitel verrät: „Ein Abend für Leute mit Haltungsschäden“.
Man fühlt sich benommen, erdrückt und verstört nach dem Besuch des Zweipersonenstückes Nach dem Ende von Dennis Kelly in der Inszenierung von Julia Heinrichs, die bereits das Drama Die Waisen desselben Autors am Theater Vorpommern in Szene gesetzt hat.
Dabei ist die Handlung relativ schnell zusammengefasst: Louise (Frederike Duggen) erwacht in einem Bunker, der – wie sich im Verlauf des Stückes herausstellt – Mark (Sören Ergang) gehört. Dieser gibt vor, sie nach einem Anschlag gerettet zu haben. Dabei bleibt offen, was für ein Anschlag wann, an welchem Ort und vor allem von wem verübt wurde. Louise zweifelt mehr und mehr an Marks Version des großmütigen Retters. Es beginnt zwischen den beiden Akteuren zu brodeln – was als Zweifeln beginnt, endet in einer Spirale aus Macht, Ohnmacht, Gewalt und Unterdrückung.
Den beiden Darstellern kann man ohne Zweifel ein großes Lob aussprechen. Besonders Sören Ergang brilliert als Mark mit seiner Darstellung eines untypisch, ja manchmal beinahe kindlich-naiv wirkenden Psychopathen – und dies, ohne gefühlskalt zu wirken, im Gegenteil: immer wieder durchbrechen Emotionen wie Verzweiflung und Reue seine scheinbar harte Schale. Zudem setzt Ergang ohne Scham auf vollen Körpereinsatz – es gibt keine Grenze mehr für den Darsteller, alles scheint möglich.
Auch Frederike Duggen gelingt es, die Rolle der Louise wunderbar facettenreich zu verkörpern. Mal als pubertär anmutendes Mädchen, das einen Witz – der seine Wirkung zum Glück sowohl bei Mark als auch beim Publikum verfehlt – zu machen versucht, mal als höchst verzweifeltes Opfer, das sich den Wünschen seines Entführers willenlos beugt, um nicht verhungern zu müssen. Und schlussendlich als kämpfende, am Ende selbst zur Täterin gewordene Frau.
Sie wehrt sich nicht gegen ihren Peiniger, nein, sie genießt es, das Messer – und mit ihm die absolute Macht – in den Händen zu halten. Louise beginnt, Mark Befehle zu geben, ehe sie sich entschließt, ihn zu kastrieren. Von diesem Vorhaben lässt sie schlussendlich ab – vielleicht, da sie bemerkt und nachzufühlen scheint, wie zerstörerisch Unterdrückung auf andere Menschen wirken kann.
Am kommenden Sonntag steht am Theater Vorpommern die nächste Premiere auf dem Programm. Nach dem Ende wurde erst 2005 uraufgeführt und entstammt der Feder des britischen Autoren Dennis Kelly. Das Stück wird als „ultimative Parabel auf den 11. September und seine Folgen“ angekündigt und lotet auf individueller Ebene das fragile Verhältnis von Freiheit und Sicherheit aus, das durch die Verabschiedung von Anti-Terrorgesetzen seit 9/11 gehörig ins Wanken geraten ist.
(Foto: Christopher Melching)
Louise (Frederike Duggen) wacht — nachdem sie wieder zu Bewusstsein gekommen ist — im Bunker von Mark (Sören Ergang) auf. Dieser behauptet, sie nach einem terroristischen Atomschlag gerettet zu haben, doch in Louise erwachsen Zweifel an seiner Darstellung. „Es entwickelt sich ein subtiler Beziehungskonflikt auf dem schmalen Grat zwischen verbaler Bedrohung und tatsächlicher Gewalt. Immer deutlicher tritt Marks paranoide Persönlichkeitsstruktur zutage. In seiner Mischung aus Sicherheitswahn, Verlangen nach Gehorsam und Wohlverhalten, verklemmter Sexualität und Fremdenangst repräsentiert er den Typus eines Menschen, für den Freiheit nur noch bedrohlich ist.“
Das von Julia Heinrichs inszenierte Stück wurde aus dem Theater der Altmark Stendal — der früheren Wirkungsstätte des neuen Intendanten Dirk Löscher und Teilen des jetzigen Schauspielensembles — übernommen. Karten kosten zwischen 10,50 Euro und 15,50 Euro und können online auf der Seite des Theaters bestellt werden.