Familien, Feste und Verdrängung: Uta Koschel inszeniert „Das Fest“ am Theater Vorpommern

Ein Theaterbericht von Ferdinand Fantastilius

kolumne 17vierSchon vor dem Fest herrscht etwas Katerstimmung… Ein wenig ermattet, aber auch zufrieden über die Fertigstellung wirkt das Team kurz vor der Premiere… Fest gemacht und losgeworden…

Mit endlos ähnlichen Wortwurstwolken könnte man als Rezensent einsteigen.

Die Verlockung, die prekäre Situation des scheidenden Altensembles am Theater Vorpommern mit seiner letzten gemeinsamen Großinszenierung „Das Fest“ zusammenzujauchen, ist einfach zu groß. Jedoch, man merkt es den drei zum Gespräch Geladenen an: sie scheinen es langsam leid zu sein, auf elends und ewig zum Intendantenwechsel und den Nichtverlängerungen befragt zu werden. In jedem Fall ist es für sie, zwischen den Stühlen stehend, kein Einfaches, über ihren zukünftigen Nicht-Chef Worte zu verlieren, die als kompromittierend oder gar wehleidig ausgelegt zu werden drohen.

PROMOTIONSPROFIS IN DER PROVINZ

Die journalistische Zunft ist bekannthin ja immerstets auf der Suche nach knalligen Aufhängern, emotionalen Türöffnern und punchigen Headlines. Unten den speckigen Berichterstatterjacken kocht sie, die Lust an der Landung eines  publizistischen Riesencoups. In den luziden Träumen eines jeden Journalisten rauscht es wild im Blätterwald.

Stattdessen jedoch: müdes Zettelrascheln fahler Reporter auf der Pressekonferenz. Die anwesenden Presseinfo-Umformulierer sind angetreten, um die letzten Fakten für ihre Setzkastenartikel zu sammeln, klickern fahrig mit Kulis in ihren Schreibtischschreiberlingspranken, bevor die Fest-Macher (punch!) im Raum erscheinen um von – nach Zusammenjauchung jiepernden – Journalisten mit „Ja, erzählt doch mal, wie war das so“-Fragen beworfen zu werden.

Das Fest Inszenierung Uta Koschel Szenenbild

Am runden Tisch im Dachbüro haben sich die Regisseurin Uta Koschel, die leitende Dramaturgin Catrin Darr und der Schauspieler Hannes Rittig eingefunden. Die Regisseurin, ein sanftes, in Augenringe und hennarotes Haar getauchtes Wesen, spricht mit sonorer Stimme und valiumhafter Gelassenheit über ihre letzte Inszenierung als Gastregisseurin am Theater Vorpommern. Von 1996 bis 2003 war sie sieben Jahre fest am Haus. Über das Schauspiel kam sie letztlich zur Regie. Zahlreiche Stücke hat sie bereits inszeniert.

Im Schauspiel sowie in der Öffentlichkeitsarbeit: sie sind Profis. Und doch schwingt eine Melancholie im Raum, wenn sie von den Arbeiten an der letzten gemeinsamen Inszenierung erzählen. Hannes Rittig – er spielt den ältesten Sohn im Stück – kann hinter seiner gefassten Fassade nur schwer einen latenten Unmut über die kommenden Schlussakkorde der aktuellen Spieltruppe verbergen.

ANDOCKUNG AN DOGMA

Klar, der Stoff ist kein unbedingt fröhlicher. Er ist bekannt aus dem gleichnamigen Film von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov (dänisch: „Festen“) aus dem Jahr 1998.  Das Fest ist ein gesellschaftliches und geselliges Drama. Rund ein Dutzend Schauspieler betreten die Bühne.

"Das Fest" - Inszenierung von Uta Koschel, Plakat

Schauplatz ist die Feier des 60. Geburtstags von Familienvater Helge Klingenfeldt-Hansen, einem gut betuchten Bon-Vivant, der den großen Gesten und dem Cognac zugetan ist. Anfangs verläuft die Feierlichkeit, wie man es kennt: großes Hallo und heiteres Händeschütteln. Beim Koffer auspacken erste Pärchenzerrüttungen.

Dann endlich sitzt man beisammen: Kern der Inszenierung ist die Festtafel. Hier ist das Ensemble aufgereiht zu Plausch und Rausch. Doch aus dem Meet & Greet wird zunehmend ein zwischenmenschlicher Krieg. Christian, Helges ältester Sohn, hält eine Festrede. Wie von einer heiteren Kutschfahrt, berichtet er von den Vergewaltigungen durch den eigenen Vater, die er und seine Schwester Linda jahrelang über sich ergehen lassen mussten.

Danach Stille. Der Cognac wird jetzt gekippt statt genippt, das Tischgetuschel wird hysterischer, der nächste Gang wird serviert – nur auf Christians Offenlegung des dunklen Familiengeheimnisses geht niemand ein. Woran man nicht glaubt, ist nie geschehen. Christian habe ja schon immer fantasiert – seine eigene Sippschaft straft Christian Lügen. Nicht sein Vater, sondern er wird verstoßen.

SPLITTERDRAMEN NACH GEHEIMNISSPRENGUNG

Es geht um Verdrängung, um Macht, Missbrauch, Schuld und Sühne. Ist ein Bund der Familie stark genug, perverse Geheimnisse aus der eigenen Vita zu streichen?

Christians Rede — so sehr sie anfangs auch ignoriert wurde — setzt nach und nach familiäre Einzeldramen in Gang. Mehrere Schauplätze tun sich auf, überall auf der Bühne tobt und streitet man, versöhnen und verkrachen sie sich. Manchmal zeitgleich, mal nacheinander, in eingefrorenen Szenen, dann wieder alle durcheinander. Dann wieder — müde vom Zank — zurück an der Tafel. Die Masken der Protagonisten werden löchrig. Ihre munteren Festgesänge schrauben sich zu absurden Übertünchungshymnen hoch. Doch selbst ihr kakophonisches Geplärr kann die Geister auf ihren gescheuchten Seelen nicht vertreiben. Für die Zuschauer ist es makaber und interessant und letztlich unterhaltend zuzusehen, wie sich die Fassaden der Verdängung hier auflösen: beim jüngeren Sohn Michael zerplatzt sie eruptiv, bei anderen gleitet sie herab wie ein viskoser Albtraum.

Das Fest Uta Koschel Inszenierung Hannes Rittig Lutz Jesse Szenenbild

Die Zuschauer wirft es hin und her: der Ernst-Busch-Absolvent Lutz Jesse verleiht dem Familenvater mit wenig Spiel eine Vielschichtigkeit, die es schwer macht, das menschliche Biest zu hassen. Hier eine Geste mit dem einladenden Arm, da ein freundlich schnutiger Mund: Er ist ein Könner im Wahren des schönen Scheins. Man muss hier schon graben, sich durch die Sedimente seiner Seele zum düsteren Kern hindurchschaufeln. Auch die anderen Protagonisten offenbaren mehr und mehr ihre hässlichen, ja geradezu armseligen Seiten. Michael, der jüngere Sohn, ist unter seiner Machomaskerade ein brüllender Kleinling, der um die Anerkennung seines Vaters strampelt. Seine Frau ist eines dieser armen Huschwesen, die immer irgendwie an die Falschen geraten. Helges Frau, die großdamige Familienmutter, ist eine alte Juwelenschachtel, eine ergreifend Überallemstehende. Noch.

WATEN ZUR WAHRHAFTIGKEIT

Das Theaterpublikum knirscht mit den Zähnen. Es ist, ja, wird mitgenommen und fragt sich: wem soll und kann man hier eigentlich Sympathie bekunden? Das Wühlen durch diese Zerrissenheiten ist der Matsch, durch den man waten muss, um letztlich vielleicht so etwas wie Wahrhaftigkeit zu finden. Wahr ist schließlich auch, was war. Die Familie Klingenfelt-Hansen jedoch will das, was war, nicht wahrhaben. Selbstheuchelei und Lüge sind die Schweißnähte im porösen Hause Klingenfeldt-Hansen.

Szenenbild: "Das Fest" - Inszenierung von Uta Koschel (Foto: Vincent Leifer)

So richtig sympathisch sind in diesem Stück erstmal nur die Angestellten des Hauses. Der Koch — als edler Spitzbube von Markus Voigt rauchend in Szene gesetzt — und die Dienstmädchen sind es, die Christian bei seinem familiären Wahrheitsfindungsvorhaben unterstützen, indem sie die Autoschlüssel der aufgewühlten Festgeselligen verstecken und sie so zum Bleiben und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und der Gegenwart der Anderen zwingen.

Das Plakat zum Theaterstück zitiert unverkennbar das Filmposter zur Arbeit Vinterbergs. Die Direktheit und das Unmittelbare des Dogma-Films überträgt Koschel nun mit einem klar — fast monochromatisch in schwarz und weiß — gehaltenem Bühnenbild auf das Theater. Natürlich kann hier keine Handkamera wackelnd ins Mimenspiel der Protagonisten hechten. Die Intensität des Dargestellten muss anders auf das Publikum übertragen werden. Und so brüllen und schreien, winden und wälzen und wuseln sich die Protagonisten umso hingebungsvoller auf der Bühne, um die Festfunken auch rüber, in die Polsterstühle des Publikums, zu schlagen.

Manchmal sind es auch milde Brisen rührender Zärtlichkeit, die in den stilleren Momenten des Stücks Anflüge von Heilsamkeit verströmen. Die Zerbrochenheit Christians wird hierin, im Schatten des unwirklichen Sektduschenüberschwangs der Verwandten, zu seiner eigenen Erhabenheit.

DAS KOMPLETTE ENSEMBLE VEREINT

Auch die Nebenrollen machen Spaß. Jan Holten spielt Bent, einen etwas tapsigen Mitarbeiter des Vaters. Zwischen seinen Ohren geht es sichtbar langsam zu. Während an der Bühnenfront zwischenmenschliche Kriege toben, Verzweiflungssalven geschrien und Haare gerauft werden, stochert er – hinten am Festbankett sitzend – unverwandt in seinem Essen oder stakst starren Blickes zwischen die Raufenden und versucht sich als überforderter Streitschlichter.

Katja Klemt Hannes Rittig Das Fest Uta Koschel

Katja Klemt mimt die suizidal verschiedene Linda in elfenartiger Abwesenheit. Nur selten — als Erscheinung in traumähnlichen Erinnerungssequenzen Christians — taucht sie auf. Der insgesamt trockene, letztlich am Spröd-Skandinavischen des Films angekuppelte Ton der Inszenierung, bricht hier zugunsten einer spielerischen Romantik etwas auf und setzt ein paar buntere Akzente in den Ritus der Streitenden.

Die menschlichen Debakel auf der Bühne sind aufreibend, die festliche Farce zerrt an den Nerven. Potentielle Abschalter und Aussteiger holt Uta Koschel immer wieder mit kleinen Kniffen zurück ins Boot. Videoprojektion (eben also doch eine Handkamera!) kommt zum Einsatz, aus dem Publikum erhebt sich ein Festchor und mit dem von Jörg Krüger gemimten Großvater gibt es einen Running Gag in Form eines schwerhörigen Begriffsstutzigen.

DAS LICHT GEHT AN, DAS LICHT GEHT AUS 

Das Fest ist kein Vergewaltigungsdrama. Hier wird nicht moralzeigefingernd in irgendwelchen Wunden herumgestochert. Das Fest gibt Einblicke in familiäre Strukturen und interne Machtfehden. Kokons und Konstrukte aus Lügen und Verdrängung fallen auseinander. Zurück bleiben seelische Skelette, Menschen mit offenem Rückgrat. Versehrte, die einerseits Abscheu, andererseits Mitleid erwecken. Erlöst und gerichtet wird hier am Schluss keiner so richtig — und doch hat der festliche Krawall etwas Reinigendes.

Am Ende wird Helge verstoßen. Die Festgesellschaft tagwerkt weiter, katerfrühstückt als wäre nichts gewesen. Auch hier ist sie wieder: die Verdrängung. Immerhin: die Wahrheit liegt jetzt auf dem Tisch. Die Spieluhr spielt. Das Licht geht an.

intendant theater greifswaldIn wenigen Wochen wechselt am Theater Vorpommern der Intendant. Sascha Dirk Löschner aus der Altmark hat bereits im Vorfeld für, nunja, unfestliche Stimmung gesorgt. Einhergehend mit dem Beginn seiner Amtszeit müssen einige des altgedienten Ensembles gehen. Auf Wehmutsbekundungen oder Zornessprech über den Auslöschner, wie er von Mitgliedern der Initiative gegen die Entlassungen manchmal auch genannt wird, will sich keiner vom Ensemble so recht einlassen. Darüber befragt, ob sich die Gewissheit, in der nächsten Spielzeit nicht mehr dabei zu sein, in die schauspielerisch aufgetanen Abgründe im Stück hineinträgt, winden sich die Befragten heraus. Und doch: Feststimmung sieht anders aus.

(Foto: Fleischervorstadt-Blog via Flickr)

VERGLEICHSKRÜCKEN UND STIEFELTRENNUNG

Hannes Rittig möchte die beiden Dramen trennen — das seien schon zwei verschiedene Stiefel. Als Zusammenjauchungsjournalist kommt man hier mit wagemutigen Vergleichskrücken also nicht weit. Aus den grindigen Fingern gepunschte Punchlines wie „Sie, feiern, wie sie fallen: das Altensemble vereint zum letzten Fest“ und – noch jauchiger – „Nach dem Fest kommen Lose: gekündigte Ensemblemitglieder bald auf Lottogewinne angewiesen?“ müssen zurück in den Zettelkasten. Material für spätere, zu Wortwürsten gedrehte Setzkastentexte.
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Wer den Film oder frühere Theaterinszenierungen kennt, weiß, dass das Stück selbst ohnehin schon einen überbordenden Katalog an Emotionen bereithält. Eine Verquickung von Stoff und Skandal, vom Feststück und den Nichtverlängerungen wäre nur event-journalistische Sensationshuberei. Der sprichwörtliche Fall des Altensembles, die Causa Löschner, ist hier also doch auszuklammern, nicht aber zu vergessen.  Ein Intendantenwechsel ist schließlich kein Kindesmissbrauch.

Egal, ob zusammengejaucht oder nicht: „Das Fest“ lohnt gefeiert und gesehen zu werden!

(Fotos: wenn nicht anders gekennzeichnet, alle Vincent Leifer, Theater Vorpommern)

NACHTRAG

Natürlich ist es für die treuen und nicht zuletzt zahlenden Theatergäste ein Leichtes, ihren Missmut über die Nichtverlängerungen kundzutun, ohne sich dabei die Zungen zu verbrennen. Und so ließen sie auf der Premiere am Sonnabend die Gelegenheit der Geselligkeit nicht ungenutzt und verteilten Flyer, in denen sie freundlichen, aber bestimmten Schrittes, auf den designierten Intendanten zugehen und ihn — nach vorangegangenen Aktionen — abermals um Überdenkung der Nichtverlängerungen bitten. Der offene Brief ist im Blog der Grünen einsehbar.

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Die nächsten Vorstellungen von „Das Fest“ finden ab dem 11. März statt. Aufführungsorte und Termine können auf den Festseiten des Theater Vorpommerns eingesehen werden. Der Sender Greifswald TV widmet dem Stück in der aktuellen Ausgabe des Regional-Magazins drei Minuten. Sehr anschaulich zeigt sich hier der dem Stück dienliche Minimalismus des Bühnenbildes.

Am Premierentag gab es auf NDR Kultur einen Bericht von Martin Hiller zu hören. Der Beitrag ist hier via Soundcloud nachhörbar und konserviert.

Das Fest – Bericht – NDR Kultur (LF) by 17vier

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17 Gedanken zu „Familien, Feste und Verdrängung: Uta Koschel inszeniert „Das Fest“ am Theater Vorpommern

  1. Eine ellenlange Bewertung mit argumentativem Unterbau des Gelesenen erübrigt sich: Der Federschwingende hat seine Qualität mit diesem Text mal wieder unter Beweis gestellt.

    Da können sich die „Kritiker“ aus dem Hause der Ostsee-Zeitung-Lokalredaktion Greifswald und des Mantelteils genauso eine Scheibe von abschneiden, wie die Nachwuchsjournalisten des http://www.webmoritz.de.

    out-of-topic: Fleischervorstadtblogger (und andere hier lesende Autoren der Universitätsstadt), das Leistungsschutzrecht muß auch in Greifswald bekämpft werden! Mit Suchmaschinen kannst Du ja umgehen und die neuesten Pläne zum #LSR findest Du dazu sicherlich rasend schnell. Nur den Link zu den Ergebnissen der gestrigen Koalitionsrunde sollst Du nicht lange suchen müssen http://docs.dpaq.de/353-koalitionsrundenergebnisse.pdf

  2. Korrektur: der neue Intendant heißt Dirk Löschner, sein Bruder Sascha, den du in der BU zum Intendaten machst, wird sein Chefdramaturg.

  3. Danke an den Fleischervorstadt-Blog und Ferdinand Fantastilius für diesen gelungenen Text. Nicht nur wegen solcher Einträge ist das hier die beste Webseite Greifswalds. Macht weiter mit sowas und gebt nicht auf!

  4. Pingback: webMoritz.de

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