Ein Gastbeitrag von Rosa Gottlieb
Etwa 150 Aktivistinnen aus Greifswald reisten am 12.01. mit Bus, Bahn und Auto zu den Protesten gegen die Mvgida-Demonstration nach Stralsund. Am Treffpunkt „Neuer Markt“ versammelten sich zunächst ca. 200-300 Personen, von denen sich gegen 17.30 Uhr eine Gruppe in Begleitung von Polizeikräften mit dem Ziel in Bewegung setzte, zur ersten Mahnwache am Tribseer Damm — und damit in die Nähe des Mvgida-Versammlungsorts — zu gelangen.
Dort, in Empfang genommen worden von einigen Polizisten, wurden diese angehalten, sich zur angemeldeten Mahnwache zu begeben. Jedoch trafen zur gleichen Zeit die Unterstützerinnen vom Bahnhof ein, sodass man kurzerhand beschloss, die Straßenseite zu wechseln, um sich zusammen gegen die in etwa 100 Metern entfernten „besorgten Bürger“ zu positionieren. Kurz darauf postierte sich die Polizei vor den stehengebliebenen Leuten bei der Mahnwache — vermutlich bestand ein „Solidarisierungsrisiko“. Auch auf der anderen Straßenseite, unweit des Mvgida-Versammlungsorts, bildete sich ein Polizeispalier. Zunächst sollte somit verhindert werden, dass der unmittelbare Blockadepunkt durch weitere Leute gestärkt beziehungsweise unterstützt wird. Mit Bannern und unter Sprechchören (u.a. „Nationalismus raus aus den Köpfen“) begannen die zu diesem Zeitpunkt etwa 200 Gegendemonstranten, auf sich aufmerksam zu machen.
Der bürgerliche Mantel kippt — die geplante Demoroute auch
Allmählich trudelten nun in etwa einhundert Metern Entfernung von der Mahnwache die ersten „besorgte Bürger“ ein, die zum größten Teil aus der Bahnhofsrichtung kamen. Es sammelten sich dort 50-100 Leute und mit ihnen die erste schwarz-rot-goldenen Fahnen. In Anbetracht des Startpunktes war es für einige Mvgida-Interessierte, die aus Richtung Altstadt kamen, unumgänglich, an den Gegendemonstranten vorbeizulaufen. Hierbei kam es zu ersten Provokationen, Beschimpfungen und kleineren Handgreiflichkeiten.
(Foto: Endstation Rechts via Flickr)
Um 18:30 Uhr begann schließlich die Demonstration — zumindest für die ersten hundert Meter, denn schnell strömten Gegendemonstranten auf die Straße und blockierten die geplante Route. Polizisten versuchten vergebens, die Blockade zu verhindern. Die zunehmend frustrierten Wutbürger skandierten: „Wir sind das Volk!“ und machten ihrem Unmut Luft. Es kam zu direkten Konfrontationen, bei denen mehrere Ordner der Mvgida-Demonstration sehr aggressiv auftraten. „Ein kräftiger Mann in grauer Jogginghose ist mir aufgefallen. Der hat immer wieder versucht, einige zu schubsen.“ erinnert sich eine Gegendemonstrantin, die sich im vorderen Teil der Blockade aufgehalten hatte, später. Auch die Polizei versuchte, die Protestierenden und ihre Banner zur Seite abzudrängen, die Blockade konnte aber trotzdem aufrechterhalten werden.
Mit Jubelrufen wurden 200 weitere Gegendemonstrierende begrüßt, die aus Richtung Altstadt auf der kompletten Straßenbreite zur Blockade stießen und das Verhältnis der beiden Demonstrationen zuungunsten von Mvgida entscheidend veränderten. Dies musste auch die Polizei einsehen. Versuche der Beamten, den Weg freizumachen, wurden durch die schnell reagierenden und zahlenmäßig inzwischen überlegenen Gegendemonstranten unmöglich gemacht. Die Mvgida-Demonstration wurde schließlich auf eine andere Route umgeleitet.
Der übergriffige Mob und eine Polizei, die zuschaut
Die Gegendemonstranten machten sich auch auf den Weg in diese Richtung. Am Kreisverkehr an der Ecke Frankendamm stießen dann beide Lage — zum Teil ohne Polizeischutz — aufeinander. Da ein großer Teil der Gegendemonstranten noch auf dem Weg war, standen den etwa 300 Mvgida-Anhängern nur wenige Aktivistinnen gegenüber. Dabei kam es zu direkten Übergriffen seitens der Neonazis, in der Folge auch zwei Zivilpolizisten brachial eingriffen und zwei Antifaschistinnen festsetzten.
Eine Demonstrantin erzählte: „Statt uns zu filmen und die Hunde festzuhalten, hätten sie mal lieber Eingreifen sollen. Es gab keinen Polizeischutz. Die waren überhaupt nicht auf der Höhe und total überfordert.“ Es gab einige Verletzte bei diesem Aufeinandertreffen. „Zieht euch zurück, die sind in der Überzahl!“ war zu hören. Angesichts der Tritte und Schläge, die zum Teil mit Gegenständen vollzogen wurden, kann man von Glück sprechen, dass es keine Schwerverletzten gab. Auf Höhe des Netto-Discounters am Frankendamm trafen dann weitere Unterstützer ein und es wurde mit Hilfe einer Einkaufswagenkette sowie zwei größeren Mülltonnen eine Blockade errichtet. Auch hier war die Situation relativ undurchsichtig: Einige Neonazis kamen an den Seiten durch, andere setzten auf direkte Konfrontation in der Mitte der Blockade. Man musste seine Augen offen halten, da manchmal nicht klar erkennbar war, wer eigentlich zu welcher Demonstration gehört.
Nach minutenlangen Anspannungen und weiteren Konfrontationen sah dann die Einsatzleitung der Polizei offenbar ein, dass es an diesem Abend kein Durchkommen für Mvgida in Stralsund geben wird. Auch bei der Rückkehr der Demonstration am Hauptbahnhof kam es zu kleineren Zwischenfällen und Provokationen. Die Polizei tat sich schwer damit, an diesem Tag mit der Lage fertig zu werden. Man könnte sogar behaupten, dass es an diesem Abend keine Situation gab, die sie umfänglich unter Kontrolle hatte. Sie waren nicht nur unterbesetzt sondern haben die gesamte Situation unterschätzt.
Mvgida: Altbekannte Neonazis in altbekanntem Stil
Immer wieder gab es direkte Konfrontationen entlang des Demozugs, mehrere Neonazis zeigten den verbotenen Hitlergruß. Einige „besorgte Bürger“ filmten und machten Fotos, andere grinsten und provozierten. Man sah Neonazis, die Kleidung der Marken Thor Steinar und Ansgar Aryan trugen. Einer von ihnen schrie eine Frau an: „Pass auf Mädchen, bald wirst du auch eine Burka tragen müssen!“
Im Demonstrationszug der Mvgida marschierten auch zugereiste Neonazis wie der Greifswalder Jura-Student Max B. mit. Der angehende Rechtswissenschaftler lebt in dem Haus der rechten Burschenschaft Rugia, nimmt regelmäßig an landesweiten NPD-Veranstaltungen teil und trat zuletzt bei der Räumung eines besetzten Hauses in der Brinkstraße in Erscheinung, als er – vor den Augen der anwesenden Polizeibeamten – Aktivistinnen mit Pfefferspray bedrohte und schließlich von den Ordnungshütern festgesetzt wurde. Hier zeigt sich ein weiteres Mal, dass aktive Neonazis mehr oder weniger unbehelligt an der Universität studieren und regelmäßig in rechtsextremen Strukturen in Erscheinung treten können, ohne von der übrigen Gesellschaft als solche wahrgenommen zu werden.
#NoMvgida: Rassistische Wutbürger auch in Zukunft stoppen!
Mvgida wurde bei ihrem ersten Auftritt in Stralsund von etwa 500 Menschen erfolgreich blockiert. Nicht nur die Anzahl der Unterstützerinnen, sondern auch die Bereitschaft einiger, sich den um die Islamisierung des Abendlands besorgten Wutbürgern direkt in den Weg zu stellen, waren wichtige Signale dafür, dass man sich in der Sundstadt gegen menschenverachtende Hetze zur Wehr setzt. Die Menschen Mecklenburg-Vorpommerns sollten jetzt an einem Strang ziehen und auch in Zukunft gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gehen. Öffentliche Einrichtungen, Universitäten, Parteien und alle anderen Gruppen und Organisationen müssen sich deutlich positionieren, denn besonders hier in dieser Region ist es wichtig, eindeutige Zeichen gegen rassistische Hetze zu setzen!
(Foto: Rosa Gottlieb)
Mvgida kommt wieder: Schon am 19.01. soll in Stralsund erneut gegen die Islamisierung des Abendlandes demonstriert werden. Zu der einzigen Pegida-Demonstration in Mecklenburg-Vorpommern dürfen am kommenden Montag neben den besorgten Bürgern auch wieder zahlreiche Neonazis und Rechtspopulisten aus dem gesamten Bundesland erwartet werden. Unterdessen mobilisiert das Bündnis Rock gegen rechts Stralsund landesweit zu Protesten gegen die Mvgida-Demonstration und lädt um 17.30 Uhr zur Teilnahme an einer Kundgebung auf dem Neuen Markt ein. Von dort soll später eine Menschenkette entstehen, die die Stralsunder Altstadt symbolisch von den Mvgida-Demonstranten abriegeln soll. Um möglichst vielen Menschen auch aus Greifswald den Protest gegen Mvgida zu ermöglichen, hat das Bündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt! einen kostenlosen Bus organisiert, der um 16.30 Uhr abfahren wird.
Weitere Infos:
- kostenloser Bustransfer Greifswald — Stralsund (Bündnis „Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!“)
- Aufruf zu Gegendemonstration (Rock gegen rechts Stralsund)
- Greifswald fährt zur Mvgida-Gegendemo nach Stralsund (Facebook)
Rosa Gottlieb ist Gründungsmitglied der Initiative „Uni ohne Nazis Greifswald„.
Ein Gedanke zu „„MV tut gut“ — „Mvgida“ nicht“