Die Hochschulleitung war „entsetzt“, als sie vor eineinhalb Monaten aus der Presse erfuhr, dass an der Greifswalder Alma Mater ein wegen Volksverhetzung verurteilter Rechtsextremist promoviert wurde. Das Entsetzen legte sich jedoch nach kurzer Zeit wieder so geräuschlos, wie es aufgekommen war, ein bisschen wie auf Knopfdruck.
Den Stein des Anstoßes brachte ein FAZ-Artikel ins Rollen, der von Maik Bunzel und seinem Doktorvater, dem Greifswalder Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Ralph Weber erzählt. Der Promovend Bunzel, Jahrgang 1984, soll bereits als 13-Jähriger Zugang zur Neonazi-Szene gefunden und einige Jahre darauf die Neonazi-Band Hassgesang („Adolf Hitler, im Kampf für unser Land. Adolf Hitler, sein Werk verteufelt und verkannt. Adolf Hitler, du machtest es uns vor. Adolf Hitler, Sieg Heil tönt es zu dir empor“) gegründet haben, die ihm später eine Verurteilung wegen Volksverhetzung einbringen sollte. 2013 zog der Jurist, der einen Teil seines Referendariats beim früheren Bundesführer der 1994 verbotenen Wiking-Jugend absolviert hatte, nach Bayern und wurde dort Zivilrichter auf Probe. Nachdem dort die politischen Ansichten des früheren Burschenschafters bekannt wurden, endete sein Dienstverhältnis vorzeitig und er begann alsbald mit einer Dissertation bei Professor Weber, die er im Februar 2016 erfolgreich verteidigte.
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät (Foto: Christine Fratzke, webMoritz 2010)
Wahrnehmbare Entschlossenheit? Politische Positionierung? Fehlanzeige!
Bei seinem Doktorvater, der seit 2009 den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Medizinrecht, Arbeitsrecht und Rechtsgeschichte bekleidet, muss sich der Jurist in bester Gesellschaft gefühlt haben, denn Prof. Weber sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für Diskussionen an der Greifswalder Hochschule, aber vor allem in den Medien außerhalb der Universität. Konsequenzen hatte das für den erklärten Abtreibungsgegner, der einst dem rechten Flügel der CDU angehörte, nur im Fall der Kleidungsmarke Thor Steinar, die der Jurist während seiner Lehrveranstaltungen trug, bis eine Änderung der universitären Hausordnung diesem Treiben einen Riegel vorschob. Es sollte die stärkste Intervention der Universitätsleitung gegen Weber bleiben, der sich in diesem Jahr auf der Liste der AfD um einen Platz im Landtag bewirbt.
Auch auf den aktuellen Bunzel-Skandal erfolgten keine erwähnenswerten Reaktionen der Hochschulleitung oder des akademischen Senats. Auf Vorschlag der Studierendenschaft konnte man sich in nichtöffentlicher Sitzung nur dazu durchringen, zur stumpfesten Waffe zu greifen, die gerade zur Hand war: ein Plakatwettbewerb für Weltoffenheit, der in einer universitätsinternen Wanderausstellung gipfeln soll. Damit dürfte der legendäre Toleranz-Appell aus dem Januar 2014 nochmal spürbar unterboten worden sein, zumindest, was die wahrnehmbare Entschlossenheit der Universität anbelangt. Ein Machtwort Weber vs. Weber? Fehlanzeige. Eine hochschulöffentliche Debatte? Fehlanzeige. Eine deutliche Positionierung anderer Professorinnen und Hochschullehrer; wenigstens als gesellschaftlich anerkannte Einzelpersonen? Fehlanzeige. Die Studierendenschaft ist derzeit das einzige Organ, das öffentlich über den Fall Weber sprechen will, auch wenn ihr kaum jemand zuhören möchte.
Landtagskandidat Prof. Weber (AfD) auf einer Demonstration seiner Partei in Stralsund, 2016 (Plakatentwurf: Fleischervorstadt-Blog, Foto mit freundlicher Genehmigung von Endstation Rechts)
Ein Enfant terrible für die Freiheit der Wissenschaft
Aus der Pressestelle dringt — abgesehen von einigen Pflichtstellungnahmen — nichts über den Fall nach außen. Man hat dort offenbar aus der Vergangenheit gelernt und festgestellt, dass sich solche Fälle mühelos aussitzen lassen. Aussitzen, weggucken, schweigen, damit hat man in Deutschland seine Erfahrungen gemacht. Die Aufregung wird sich schon wieder legen. Irgendwann brennt eine geplante Flüchtlingsunterkunft — zumindest darauf ist in diesem Land ja noch Verlass — und dann kommt die Wahl in Österreich und die nächste inszenierte Provokation aus den Reihen der AfD. Wo wurde nochmal der Richter mit der rechtsextremen Vergangenheit promoviert?
@blog17vier Eine herrliche Inspiration für die Wanderausstellung der Uni #Greifswald #Webergate pic.twitter.com/4GJiS08vda
— partypooper (@fmnstprtyppr) April 25, 2016
Man könnte den Fall Weber, dessen Stralsunder Stinkefinger (siehe Bild 1) durchaus als Symbol für den Umgang des umstrittenen Professors mit seiner Hochschule taugt, aber auch ganz anders lesen, als es das seit Jahren dahergesummte Klagelied von der rückgratlosen Uni-Führung nahelegt: Als Einsatz für die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre, die an der Greifswalder Hochschule wohl noch nie so ungefährdet war wie in diesen Tagen. Jeder Zweifel an diesem grundgesetzlich verbrieften Freiraum kann nun mit Verweis auf das zottelige Enfant terrible aus der Domstraße erstickt werden. Man leistet sich den unbequemen Kopf, hält das aus und ist ganz zufrieden damit, wie souverän sich dieses Aushalten aushalten lässt.
Weber als Markenbotschafter der Uni, als Testimonial für die Freiheit der Wissenschaft, der — und das sei an dieser Stelle angemerkt — zumindest im Hörsaal offenbar so gute Arbeit leisten muss, dass die von ihm ausgebildeten Spitzenkräfte heute auch unter den Verteidigern im wohl bedeutendsten politischen Prozess seit Stammheim zu finden sind. Beim NSU-Prozess in München vertrat Dr. Maik Bunzel zuletzt den Stammverteidiger des mutmaßlichen Terrorhelfers Ralf Wohlleben.
- Justizirrtum? Amtsrichter mit rechtsextremer Vergangenheit (Spiegel TV, 20.10.2014)
- „Dr. Hassgesang“: Universität Greifswald promoviert als Neonazi enttarnten Ex-Richter (Endstation Rechts, 08.04.2016)
- Wenn der Professor das rechte Auge zudrückt (FAZ, 10.04.2016)
- An der Uni Greifswald wurde ein Neonazi promoviert (Vice, 11.04.2016)
- Greifswalder Studenten wollen keinen Nazi-Doktor (NDR, 13.04.16)
- Parlament positioniert sich gegen Doktoranden (webMoritz, 13.04.16)
- Jura-Professor macht Neonazi zum Doktor (OVB, 14.04.16)
- Professor macht Neonazi zum Doktor (Ostsee-Zeitung, 21.04.16)
- Eine Frage des Willens – verhaltene Positionierung des Senats (webMoritz, 25.04.16)
- Diskussion über Doktortitel für Neonazi (NDR, 27.05.2016)
Zu Gute halten kann der Uni Greifswald, dass er sich hier nicht in einem Besetzungsverfahren durchsetzen brauchte, sondern von seinem Dienstherrn Land Mecklenburg-Vorpommern 2009 nach Greifswald abgeordnet wurde. Damals wurde die juristische Ausbildung in Rostock zusammengestrichen.
Seit seiner Erstberufung – trotz anderslautender Einschätzungen von Webers „wissenschaftlicher“ (ist ja nur Jura; was ist eigentlich die juristische Methode *Ironie aus*) Leistung heute – im Jahr 1996 an die Uni Rostock konnte er sich in keinem weiteren Berufungsverfahren durchsetzen. Dies lässt den Schluss zu, dass er nur einer der im „Westen“ (Trademark) es nicht schaffte und es ihm seitdem auch nicht gelang seine Qualitäten im Wettbewerb nachzuweisen und deshalb nicht zur Creme de la Creme seines Faches gehören kann.
Lasst ihn doch also für den Landtag kandidieren; dann wird er für die Legislaturperiode möglicherweise an der Uni beurlaubt und niemand wird ihn vermissen.
Sehr aufschlussreich war auch, was er zum Straftatbestand der Volksverhetzung auf dem Landesparteitag der AfD zu sagen hatte. Müsste mit etwas Glück noch in der NDR-Mediathek zu finden sein.
Dieser Typ ist zum Kotzen, aber wahrscheinlich einfach eine sehr sehr arme Wurst. Warum sonst hat er dieses Getue nötig, die Provokationen mit Thor Steinar, seine geschichtsrevisionistischen Aussagen und was jetzt noch alles ans Licht kommen wird. Ein privat wahrscheinlich längst gescheitertes Hanswürstchen, jede billige Reibung suchend.
Das legitmiert nix, erklärt aber vielleicht ein bisschen was.
Rumpeldibumm
Ein Professor der Universität Greifswald gibt einem „Reichsbürger“ ein Podium. Der Anhänger der extremistischen Bewegung darf im Hörsaal gegen die Bundesrepublik und Juden polemisieren: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/uni-greifswald-gibt-reichsbuerger-thomas-mann-ein-podium-14298896.html