Anmerkungen zur Rechtssicherheit der Namensführung „Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald“

Prof. Dr. Helmut Klüter (Institut für Geographie und Geologie, Universität Greifswald)

Rechtssicherheit

Die Rechtssicherheit staatlicher Entscheidungen stützt sich in Deutschland vor allem auf Art. 20 des Grundgesetzes. Dort heißt es in Satz (3): „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ (www.gesetze-im-internet.de, 2018-01-02)

Diese Norm sollte auch für das Landeshochschulgesetz Mecklenburg-Vorpommern (Gesetz über die Hochschulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern, LHG) gelten. Dort wird in § 1(1)1. die Greifswalder Universität „Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald“ genannt, wobei Satz (3) erläutert: „Der Name der Hochschule und die Bezeichnung der in Teil 9 vorgesehenen Ämter, Gremien und Organisationseinheiten werden in der Grundordnung festgelegt. Namensbestandteil ist der jeweilige Sitz der Hochschule.“ (landesrecht-mv.de, 2018-01-02)

Anmerkungen zur Rechtssicherheit der Namensführung „Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald“

(Foto: Michael Gratz)

2003 wurde die heute gültige Grundordnung der Universität Greifswald beschlossen, in der wie in der vorherigen die Hochschule als „Ernst-Moritz-Arndt Universität“ bezeichnet wird.

Auch wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber durch den Bezug auf die Grundordnung eine gewisse Entlastung erfährt, stellt sich die Frage, ob die zugrunde liegende Namensgebung der Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung und den Rechten und Gesetzen im Sinne des Grundgesetzes genügt.

Zu diesem Zweck wird im Folgenden unter Rückgriff auf die Brandenburger Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ (EK 5/1) das methodische Vorgehen erörtert.

Im dritten Abschnitt geht es um die Vergleichbarkeit der Greifswalder mit anderen Hochschulumbenennungen jener Zeit. Vor diesem Hintergrund werden im vierten Abschnitt die Besonderheiten der Greifswalder Hochschulumbenennung von 1933 akzentuiert. Der fünfte Abschnitt befasst sich mit den Spezifika der Wiederaufnahme des Namens 1954. Danach werden die Versuche erläutert, mit denen man den Namen stabilisieren wollte. Der siebte Abschnitt beschreibt die Situation nach 1990. Zum Schluss werden einige vorläufige Ergebnisse zur Aufarbeitung der Namensgebung zusammengefasst.

Probleme der Grundgesetzkompatibilität von Entscheidungen aus der Zeit der DDR und der Zeit nach ihrer Auflösung

Die Frage, inwieweit zu jenen Zeiten gefällte Entscheidungen heute noch Gültigkeit haben, d.h. als rechtskonform angesehen werden können, wird höchst unterschiedlich und mit widersprüchlichen Konsequenzen beantwortet. Alvermann (2001) zeichnet einige Aspekte der Namensgebung nach, ohne auf die Frage der Rechtmäßigkeit der gefällten Entscheidungen direkt einzugehen. Indirekt wird jedoch derart selektiv und beschönigend vorgegangen (s. u.), dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit quasi implizit ausgeräumt werden.

Im Einigungsvertrag vom 31.08.1990 wurde das Spektrum der akzeptablen Entscheidungen aus der DDR-Zeit wie folgt umrissen:

Art. 9: Fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik

(1) Das im Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrags geltende Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Landesrecht ist, bleibt in Kraft, soweit es mit dem Grundgesetz ohne Berücksichtigung des Artikels 143, mit in dem in Artikel 3 genannten Gebiet in Kraft gesetztem Bundesrecht sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist und soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt wird. Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Bundesrecht ist und das nicht bundeseinheitlich geregelte Gegenstände betrifft, gilt unter den Voraussetzungen des Satzes 1 bis zu einer Regelung durch den Bundesgesetzgeber als Landesrecht fort.

(2) Das in Anlage II aufgeführte Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt mit den dort genannten Maßgaben in Kraft, soweit es mit dem Grundgesetz unter Berücksichtigung dieses Vertrags sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist.
(gesetze-im-internet.de; 2018-01-02)

Unklar bleibt im Einigungsvertrag, wer zu welchem Zeitpunkt die angesprochene Vereinbarkeit von DDR-Entscheidungen vor 1989 prüft und die mit dem Grundgesetz vereinbaren von den damit unvereinbaren trennt.

Der Landtag des Landes Brandenburg richtete unter anderem zu diesem Zweck eine Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ (EK 5/1) ein, die von 2010 bis 2014 insgesamt 40 Sitzungen organisierte. Besonders interessant war die Tatsache, dass die Enquete-Kommission nicht das Jahr 1990 als Ende der rechtsunsicheren Zeit in Ostdeutschland ansah, sondern davon ausging, dass sie in einigen Bereichen weit über ein Jahrzehnt danach andauerte.

In den Sitzungen der Kommission entwickelte sich ein interessantes Miteinander von Abgeordneten und 77 Anzuhörenden, darunter Juristen, Sachverständige aus verschiedenen Fachgebieten, Zeitzeugen und Angehöriger besonders betroffener Berufsgruppen. 29 Fachgutachten – darunter auch eins von mir – wurden eingeholt und diskutiert.

Dies und die 138 weiteren Vorgänge und 95 Dokumente der Kommission stehen im Internet (parlamentsdokumentation.brandenburg.de).

Die für unseren Kontext bedeutsamen Ergebnisse der Enquete-Kommission seien hier wie folgt zusammengefasst:

  1. Das „Kartell des Schweigens“, das sich über die letzten Jahre der DDR und die „rechtsarme Zeit“ von 1990 bis 2005 gelegt hatte, konnte erfolgreich durchbrochen werden. Mit „rechtsarmer Zeit“ soll folgender Sachverhalt umrissen werden: Die neuen Bundesländer konnten ihre Gesetzes- und Regelwerke nicht von einem Tag auf den anderen, sondern erst allmählich entwickeln. Dabei kam es zwangsläufig zu Widersprüchen zwischen den Folgen ostdeutscher Entscheidungen vor 1990, den aus Westdeutschland übernommenen Provisorien und den neu geschaffenen Normen. Erschwerend wirkte, dass weitgehend autonome Strukturen des Bundes wie Treuhand, BVVG, Deutsche Bahn und andere teilweise bizarre Eigenkonstruktionen gebastelt hatten, die weder mit Landes- noch mit normalem Bundesrecht kompatibel waren).
  2. Die Menge an Information, die von der Enquete-Kommission über jene Zeit zutage gefördert wurde, die Anregungen, die sie für weitere wissenschaftliche Arbeiten gab, stellen einen Fundus dar, der in Ostdeutschland einmalig sein dürfte.
  3. In mehreren Einzelbeispielen und Gutachten wurde gezeigt, wie Art. 9 Einigungsvertrag zur Verschleierung von altem DDR-Unrecht und zur Schaffung von neuem Unrecht missbraucht wurde.
  4. Erstmalig dokumentierte die Enquete-Kommission jene Zeit auch aus der Opfer-Perspektive – also aus der Sicht derjenigen, die bei unrechtmäßigen LPG-Umwandlungen ihr Land, bei undurchsichtigen Treuhand-Liquidierungen ihren Betrieb oder ihren Arbeitsplatz und bei rücksichtsloser Umsetzung von „Rückgabe vor Entschädigung“ ihren Wohnraum verloren hatten.

Ausgehend von diesen Befunden wurden Regularien für eine weitere Aufarbeitung akzentuiert:

  1. Die Mitglieder einer Körperschaft sollen der Leitung der Körperschaft gegenüber ein besonderes Informationsrecht genießen, vor allem dann, wenn Entscheidungen und Beschlüsse über Sachverhalte anstehen, die den Zeitraum vor, während und nach der Wiedervereinigung betreffen. Für die Leitung der Körperschaft soll es eine entsprechende Informationspflicht geben.
  2. Die Leitung einer Körperschaft soll ihre Mitglieder vor satzungswidriger Einflussnahme von außen im Vorfeld einer anstehenden Entscheidungsfindung schützen.
  3. Die Ansprüche an Aufarbeitung des SED-Unrechts wurden neu präzisiert.
  4. Die auf Artikel 9 und 19 Einigungsvertrag zurückgehenden und die darauf basierenden Beschlüsse und Regelungen in Körperschaften sollen als vorläufig angesehen werden, wenn ein Körperschaftsmitglied dagegen Einspruch erhebt. Damit wurde die modal-zeitliche Dimension des Wortes „soweit“ in Artikel 9 hervorgehoben:
    „… soweit es mit dem Grundgesetz ohne Berücksichtigung des Artikels 143, mit in dem in Artikel 3 genannten Gebiet in Kraft gesetztem Bundesrecht sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist und soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt wird.“
  5. Die Vorläufigkeit von Beschlüssen und Entscheidungen erfordert eine Aufarbeitung. Eine Vorläufigkeit bleibt eine Vorläufigkeit, auch wenn sie in Gesetze, Verordnungen und andere Regelungen verlängert wird. Erst eine sachgerechte Aufarbeitung kann Vorläufigkeit beenden.
  6. Körperschaftsbeschlüsse, die zustande gekommen sind, ohne dass die Mitglieder über den zugrunde liegenden Sachverhalt informiert worden sind, sind anfechtbar.
  7. Gesetze, Verordnungen und andere Regelungen aus der rechtsarmen Zeit sollen daraufhin überprüft werden, ob sie mit neueren Aufarbeitungsergebnissen vereinbar sind.

Bei den Kommissionsaktivitäten standen zunächst die unrechtmäßig umgewandelten LPG im Vordergrund. In einigen Fällen waren jedoch auch Körperschaften des öffentlichen Rechts vom Vorwurf unrechtmäßiger Nutzung von Grundstücken betroffen, für die weder entsprechende Besitz- noch Vertragsverhältnisse vorlagen. Damit gerieten weitere Aktivitäten öffentlich rechtlicher Körperschaften ins Bearbeitungsspektrum der Kommission. Von ihnen wurde und wird erwartet, dass sie bei der Aufarbeitung und Umsetzung der Neu- und Umformulierung von Satzungen, Gesetzen und anderen Regelungen eine Vorbildfunktion einnehmen. Es bedeutet, dass sie nicht nur Aufarbeitung, sondern „umfassende“ Aufarbeitung liefern sollen.

„Darüber hinaus fordert die Enquete-Kommission 5/1 die Universitäten und Hochschulen des Landes auf, sich auch in Zukunft kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch das Thema „Personelle Erneuerung nach 1990“.“ (Landtag Brandenburg 2014. S. 322).

Formal gelten die Ergebnisse der Enquete-Kommission nur für das Land Brandenburg. In den anderen ostdeutschen Bundesländern hat es derartige Kommissionen nicht gegeben. Geht man von den Befunden in „Land im Umbruch – Mecklenburg-Vorpommern nach dem Ende der DDR“ (Creuzberger et al.; 2018) aus, lässt sich einiges davon für unser Land parallelisieren.

Vergleichbarkeit der Greifswalder mit anderen Hochschulumbenennungen

In der Zeit von 1932 bis 1934 wurden in Deutschland vier Universitäten nach bedeutenden Persönlichkeiten umbenannt:

  • die Universität Frankfurt nach Johann Wolfgang Goethe,
  • die Universität Greifswald nach Ernst Moritz Arndt,
  • die Universität Halle nach Martin Luther,
  • die Universität Jena nach Friedrich Schiller.

Der Namenswechsel der Universität Frankfurt wurde am 16.06.1932 nach den damaligen noch überwiegend rechtsstaatlichen Modalitäten der Weimarer Republik vollzogen. Die Souveränität des genehmigenden Freistaats Preußen wurde erst einen Monat später, am 20.07.1932 durch das Einsetzen einer Kommissariatsregierung weitgehend aufgehoben.

1932 war das hundertstes Todesjahr des Dichters. Die Goethe-Feiern, die in jenem Jahr in ganz Deutschland stattfanden, gerieten vielerorts zu großen Manifestationen der bürgerlichen Demokratie – aus heutiger Sicht den letzten vor der nationalsozialistischen Machtübernahme. Thomas Mann hielt eine deutschlandweit ausgestrahlte Rundfunkrede. Die rechtsextremen Gruppen beteiligten sich weder an den Feiern in Berlin noch in Frankfurt, noch an der Umbenennung der Universität, sondern beschränkten sich auf Störungen und publizistische Fundamentalkritik daran. Ablauf und Genehmigung des Namenswechsels in Frankfurt sind mit dem späteren Greifswalder nicht zu vergleichen, denn am 24.03.1933 wurden mit dem Ermächtigungsgesetz (1000dokumente.de; 2018-01-04) völlig neue, in diesem Falle diktatorische Rahmenbedingungen geschaffen.

Die Universität Greifswald wurde am 16.05.1933 umbenannt. Zum Zeitpunkt der Greifswalder Hochschulumbenennung gab es dafür im Rahmen des damals neuen, ungesetzlichen Regimes von Hermann Göring (Kampfflieger, 1893 – 1946) noch keine Referenz. Göring war am 11.04.1933 nicht vom Landtag gewählt, sondern von Hitler (1889 – 1945) auf Grundlage des verfassungswidrigen Ermächtigungsgesetzes zum Ministerpräsidenten von Preußen ernannt worden.

Die Universität Halle erhielt ihren Namen am 10.11.1933, wobei die Nationalsozialisten – völlig anders als in Greifswald – gegen die Umbenennung stimmten (vgl. Eberle 2003). Die explizite Vereinnahmung Luthers für den Nationalsozialismus durch die Universität Halle unter eindeutigem Rückgriff auf Luthers judenfeindliche Äußerungen erfolgte erst durch den nach der Umbenennung ernannten Rektor Hans Hahne (1875 – 1935) in seiner Hallischen Universitätsrede am 18.01.1934 (Hahne 1934, S. 8-10).

Die Universität Jena wurde am 10.11.1934 anlässlich des Staatsaktes zum 175. Geburtstag von Friedrich Schiller umbenannt. Dafür gab es mit der Umbenennung der Frankfurter Universität 1932 einen Präzedenzfall. Der Staatsakt für Schiller unter Beteiligung Adolf Hitlers fand unter ganz anderem Vorzeichen statt – aber nicht in Jena, sondern in Weimar. Der damalige Jenaer Rektor Abraham Esau (1884 – 1955), der am 1.5.1933 in die NSDAP beigetreten war, regte die Idee an, den Staatsakt zur Umbenennung der Universität zu nutzen – allerdings erst im Oktober 1934. Schon die Bearbeitungszeit von nur einem Monat deutet an, dass weder die Beantragung und Bearbeitung in den Gremien noch die Prüfung durch das Ministerium rechtsstaatlichen Anforderungen genügen konnten.

Bei dem Staatsakt spielte die Umbenennung der Universität eine untergeordnete Rolle. Die Vereinnahmung Schillers durch die Nationalsozialisten hatte bereits außerhalb der Universität stattgefunden. Unter anderem hatte der nationalsozialistische Jurist Hans Fabricius (1891 – 1945) 1932 ein Buch mit dem Titel „Schiller als Kampfgenosse Hitlers“ verfasst. Es wirkte auf die Wissenschaft nicht allzu überzeugend. Schillers Gebrauchswert für nationalsozialistische Ideologie – schon wegen seines Protests gegen staatliche Ungerechtigkeit in mehreren seiner Dramen bis hin zum Plädoyer für den Tyrannenmord in „Wilhelm Tell“ eher zwiespältig – verfiel in der Folgezeit zusehends.

Einige Besonderheiten der Hochschulumbenennung in Greifswald 1933

Vor diesem Hintergrund (Abschnitt 3.) erscheint klar, dass die rechtsextreme Einflussnahme auf die jeweilige Universitätsumbenennung in Halle gering, in Jena mäßig bis stark (manche sprechen von einem „Nebenprodukt“ des Weimarer Staatsaktes), in Greifswald jedoch am offensichtlichsten war: Das erste Schriftstück, in dem um eine Umbenennung der Universität Greifswald gebeten wird, ist der Brief des Theologieprofessors Walther Glawe (1880 – 1967) vom 04.04.1933 an den Rektor Kurt Deißner (ebenfalls Theologie-Professor; 1888 – 1942), abgedruckt in Eberle (2015), S. 69.

Bemerkenswert an diesem Schreiben ist unter anderem, dass es keinen akademischen Adresskopf trägt, sondern den des „Stahlhelms“, der größten paramilitärisch organisierten rechtsextremen Organisation in der Weimarer Republik. Glawe unterschrieb den Brief auch nicht als Hochschullehrer mit seinem Professorentitel, sondern mit „der Kreisführer (des „Stahlhelms“, H. K.) Glawe“. Als solcher war er in der ersten Jahreshälfte 1933 einer der mächtigsten, wenn nicht der mächtigste Mann im damaligen Greifswald.

Mit seiner Unterschrift als „Stahlhelm“-Kreisführer machte Glawe deutlich, dass er keine Diskussion, sondern Ausführung wünschte. Rektor Deißner, als „Stahlhelm“-Mitglied ein Untergebener Glawes, verstand das und machte sich bereits am nächsten Tag daran, die entsprechenden Beschlüsse der Gremien zu beschaffen. Die Untergebenenposition des Rektors ist eines der Details, die in Alvermann (2001) nicht genannt werden. Im Nachhinein wurde behauptet, einige Universitätsangehörige hätten intern bereits vorher über die Umbenennung nachgedacht. Die Beschlüsse dazu wurden aber nicht vor, sondern erst nach dem 04.04. getroffen, so dass in diesem Fall nicht von einer Initiative der Hochschule, sondern von einer satzungswidrigen Einflussnahme von außen auszugehen ist. Eine Entscheidung der Hochschule gegen den Willen des „Stahlhelms“ wäre unter den damaligen Verhältnissen einer Gefährdung für Leib und Leben der Verantwortlichen gleichgekommen.

Welche Programmatik verfolgte der „Stahlhelm“? Auf einer Tagung der Organisationsführung in Fürstenwalde am 4.9.1932 wurde dazu folgendes formuliert:

„Wir hassen mit ganzer Seele den augenblicklichen Staatsaufbau, seine Form und seinen Inhalt, sein Werden und sein Wesen.
Wir hassen diesen Staatsaufbau, weil in ihm nicht die besten Deutschen führen, sondern weil in ihm ein Parlamentarismus herrscht, dessen System jede verantwortungsvolle Führung unmöglich macht.
Wir hassen diesen Staatsaufbau, weil in ihm Klassenkampf und Parteienkampf Selbstzweck und Recht geworden sind.
Wir hassen diesen Staatsaufbau, weil er die deutsche Arbeiterschaft in ihrem berechtigten Aufstiegswillen behindert, trotz aller hochtönenden Versprechungen.
Wir hassen diesen Staatsaufbau, weil er uns die Aussicht versperrt, unser geknechtetes Vaterland zu befreien und das deutsche Volk von der erlogenen Kriegsschuld zu reinigen, den notwendigen deutschen Lebensraum im Osten zu gewinnen, das deutsche Volk wieder frei zu machen, Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Handwerk gegen den feindlichen Wirtschaftskrieg zu schützen und wieder lebensfähig zu gestalten. Wir wollen einen starken Staat, in dem die verantwortungsvolle Führung der Beste hat und nicht verantwortungsloses Bonzen- und Maulheldentum führt.“ (blz.bayern.de, Dokument 8, 2017-11-26)

Bereits vorher war der „Stahlhelm“ als gewalttätige, verfassungsfeindliche Organisation in einigen preußischen Provinzen 1929 bis 1930 verboten worden, musste aber auf Druck der konservativ-nationalistischen Reichsregierung wieder zugelassen werden. Glawe hätte also spätestens 1932 seiner rechtsextremen Aktivitäten wegen vom Dienst suspendiert werden müssen – etwa wie es dem Greifswalder Mathematik-Professor Theodor Vahlen 1925/26 widerfahren war, der 1924 zum ersten pommerschen Gauleiter der NSDAP ernannt und ungesetzliche Aktivitäten entwickelt hatte. Übrigens wurde Vahlen (1869 – 1945) vor dem Hintergrund der am 30.01.1933 erfolgten Machtübernahme der Nationalsozialisten zwei Wochen vor dem zweifelhaften Namensgebungsantrag auf Veranlassung des damaligen Universitätssenats (!) am 16.3.1933 – aus heutiger Sicht unrechtmäßig – rehabilitiert.

Die Frage, ob sich die Universität auch ohne die Initiative des „Stahlhelms“ für eine Umbenennung ausgesprochen hätte, kann nur im Konjunktiv beantwortet werden.

Die Genehmigung der Umbenennung durch die preußische Staatsregierung verlief ungewöhnlich. Nach der Machtübernahme Görings wurden missliebige Fachkräfte aus den Ministerien entfernt, die verbliebenen unter Druck gesetzt, neue, meist unerfahrene Parteimitglieder der NSDAP eingestellt. Der Zeitraum von der „Bitte“ des „Stahlhelm“-Kreisführers am 4.4.1933 bis zur Genehmigung der Umbenennung am 16.5.1933 betrug nur 6 Wochen. Ähnlich wie bei der späteren Umbenennung der Universität Jena war dieser Zeitraum für eine ordnungsgemäße Bearbeitung des Antrags in den Universitätsgremien und seiner Prüfung durch die Ministerien (Preußen und Reich) zu kurz, zumal es parallel dazu im Kultus- und Bildungsbereich Preußens zu mehrfachen Umorganisationen kam.

Einige Spezifika der Wiederaufnahme des Namens 1954

Am 29.05.1945 wurde der Lehrbetrieb in Greifswald eingestellt. Am 15.02.1946 wurde die Hochschule als Universität Greifswald wieder eröffnet. Sie führte diesen Namen bis 1954.

Der Wiederaufnahme des Namens „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ im Jahre 1954 ist juristisch der Akt, der der heutigen Namensführung der Universität zugrunde liegt. Nach Auskunft von Zeitzeugen ging der Wiederaufnahme keine Aufarbeitung der Vorgänge von 1933 voraus. Das war auch kaum wünscht, denn einer der Verfechter der Wiederaufnahme war der bereits erwähnte Walther Glawe, der trotz seiner Vergangenheit als „Stahlhelm“-Kreis- und Gauführer 1951 im erneut zum Theologieprofessor in Greifswald ernannt worden war. Allerdings fungierte er jetzt nicht mehr als NSDAP-Mitglied, sondern als SED-Mitglied.

War die Wiederernennung Glawes eine Art „Betriebsunfall“ im Sozialismus? Es gibt weitere Fälle dieser Art: Erwähnt sei der Schweizer Rechtsextremist Hans Wehrli (1902 – 1978). 1933 wurde er in Köln NSDAP- und SA-Mitglied. 1937 erhielt er eine außerplanmäßige Professur für Geologie und Paläontologie an meiner Heimat-Universität Münster. Im 2. Weltkrieg stieg er zum Gaustudentenführer Westfalen-Nord auf. 1946 wurde er im Zuge der Entnazifizierung entlassen und erhielt Lehrverbot. Einer 1953/54 vorbereiteten Anklage wegen seiner Verbrechen zur Kriegszeit entzog er sich, indem er sich in die DDR absetzte. Direkt danach erhielt er eine Professur in Greifswald und war von 1959 bis 1964 Rektor der Universität.

Mit Glawe und Wehrli wurden hier zwei Personen benannt, die nach den damaligen antifaschistisch geprägten Gesetzen der DDR niemals Hochschullehrer hätten werden dürfen.

Die Frage, wie stark Personen, die für eine Hochschullehrertätigkeit aufgrund ihres Vorlebens ungeeignet waren, das reale Handeln der Universität beeinflussten, ist bisher kaum aufgearbeitet. Das mit 25 Seiten zu kurze Kapitel über die Entnazifizierung von Universitätsangehörigen in Eberles Buch über die Greifswalder Universität im Nationalsozialismus endet folgendermaßen:

„In der Bundesrepublik gelangten 51 ehemalige Greifswalder Dozenten des Jahres 1945 in verantwortliche Positionen. Davon waren 35 ehemalige Nationalsozialisten. 16 hatten der Partei nicht angehört. In der DDR waren es 33, die als Professoren oder Chefärzte in Krankenhäusern wieder an herausgehobenen Positionen tätig waren. Davon waren 14 ehemalige Nationalsozialisten. Sie bestimmten Forschung und Lehre in beiden deutschen Staaten mit, ebenso wie die von ihnen ausgebildeten Studenten und Studentinnen die Gesellschaft in beiden Systemen mitgestalteten.“ (Eberle 2015, S. 619)

In diesen Zahlen sind diejenigen ehemaligen Nationalsozialisten, die wie Hans Wehrli oder Georg Tartler (1899 – 1976) nach 1945 an die Universität Greifwald kamen, nicht enthalten. Einer von ihnen war der Chemiker Hans Beyer (1905 – 1971), der seit 1933 NSDAP- und SA-Mitglied gewesen war. Von 1950 bis 1954 amtierte er als Rektor der Universität und leitete 1953 die Wiederaufnahme des Namens „Ernst-Moritz-Arndt Universität“ ein. Allerdings schickte er den diesbezüglichen Antrag nicht an den Rat des Bezirks Rostock, der nach der DDR-Verfassung von 1949 (http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1949.html ; 2017-11-25) theoretisch für die Genehmigung des Universitätsnamens zuständig gewesen wäre, sondern an das damals im Aufbau befindliche, mit weitgehend unklarem Status und kaum definierten Aufgabenbereich versehene Staatssekretariat für Hochschulwesen. Staatssekretariate ohne Zugehörigkeit zu einem Ministerium waren im Aufbau der frühen DDR nicht vorgesehen.

Der Leiter jenes Staatssekretariats war von 1951 bis 1957 der Physiker Gerhard Harig (1902 – 1966). Zuvor war er Leiter des Statistischen Amtes der Stadt Leipzig und danach erster Professor der DDR für dialektischen und historischen Materialismus gewesen. Als Staatsekretär hatte er u.a. die Aufgabe, Marxismus-Leninismus als Pflichtfach im Hochschulstudium zu etablieren. Wahrscheinlich war dies eines der wichtigeren Motive, das Staatssekretariat als eine Art Zwischenbehörde (zwischen Ministerrat und Hochschulen) ins Leben zu rufen. Harig signalisierte am 13.08.1954 seine Zustimmung zu den Greifswalder Aktivitäten.

Reicht die Korrespondenz zwischen einem früher der NSDAP angehörigen Universitätsrektor und einem Staatssekretär mit zweifelhafter Qualifikation aus, um die Wiederaufnahme des Namens „Ernst-Moritz-Arndt Universität“ rechtsfest im Sinne der Artikel 9 und 19 Einigungsvertrag zu sichern?

Folgende Aspekte müssen bei der Beantwortung dieser Frage Berücksichtigung finden:

  1. Nach der DDR-Verfassung vom 07.10.1949 wären die 1952 aufgelösten Länder für Hochschulfragen zuständig gewesen, und danach als ihre Nachfolger die Räte der Bezirke. Zumindest eine Stellungnahme des Rates des Bezirks Rostock zur Namensfrage hätte eingeholt werden müssen. Das ist aber nicht erfolgt.
  2. Stattdessen wurde ein Staatssekretär auf der Ebene der Republik aktiv, der zu jener Zeit über keinen klaren Aufgabenbereich und nur eine Art provisorischen Stab verfügte. Nach Artikel 112 der DDR-Verfassung von 1949 gehörte das Hoch- und Fachschulwesen nicht zu den Rechtsbereichen ausschließlicher Gesetzgebung durch die Republik.
  3. Ebenso ist zweifelhaft, ob der Status eines Staatssekretärs, der keinem Ministerium zugeordnet war, ausreichte, um einen Universitätsnamen zu sanktionieren. Erst 1967 erhielt das Staatssekretariat den Status eines Ministeriums.
  4. Für die Entscheidung, einer Führung des Namens „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ zuzustimmen und damit implizit der ungesetzlichen Umbenennung von 1933 den Schein einer Rechtmäßigkeit zu liefern, bot das damalige DDR-Recht keinerlei Grundlagen.
  5. Mit der Anerkennung Ernst Moritz Arndts als Namenspatron der Universität verletzte der Staatssekretär außerdem Artikel 6 (2) der damals gültigen DDR-Verfassung von 1949.

Die Vermutung, dass es sich hier um DDR-Unrecht handelt, dürfte schwer zu widerlegen sein.

„Die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der SBZ und in der DDR ist auch über 20 Jahre nach der Wiedergewinnung der Deutschen Einheit eine für Staat und Gesellschaft notwendige Aufgabe. Einen Schlussstrich unter das begangene Unrecht kann und wird es nicht geben. Dies sind wir nicht nur den Opfern, sondern auch den Menschen, die die Friedliche Revolution erst möglich machten, den Politikern, die die Wiedervereinigung durchgesetzt haben, und vor allem unseren Werten Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schuldig.“ (BKM 2013, S. 11: Vorwort von Staatsminister Bernd Neumann).

Gemäß dieser Aussage wird es vorerst keine Verjährung für DDR-Unrecht geben.

Nicht nur formal, auch inhaltlich wäre ein Abstellen auf die Entscheidung der DDR 1954 nicht ratsam:

  • Parallel zu den Anstrengungen zwecks Weiterführung des Universitätsnamens von 1933 versuchte man, Arndt an den Legitimations- und Ideologiebedarf der DDR anzupassen.
  • Dies geschah wohl auch unter dem Eindruck, dass Wilhelm Zaisser (1893 – 1958) und Rudolf Herrnstadt (1903 – 1966; beide Januar 1954 aus der SED ausgeschlossen, 1993 bzw. 1989 rehabilitiert) 1953 für die DDR-Führung ein erhebliches Legitimationsdefizit ausgemacht hatten. Es sollte u.a. durch eine neuartige Selektion deutscher Geschichte gefüllt werden.
  • Die Schablone, mit der Arndts Leben und Werk zurechtgestutzt wurde, war keineswegs originell.
  • Sie weist große Ähnlichkeit mit der Biographie und dem Schaffen von Arndts jüngeren Zeitgenossen Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789 – 1845) auf. Siebenpfeiffer, einer der Organisatoren des Hambacher Festes 1832, präsentierte seinen Patriotismus ohne Rassismus, Völkerhass, Antisemitismus, nationale Hybris und eroberungslüsterner Geopolitik (vgl.: Siebenpfeifer 1832). Arndt nahm an dem Fest nicht teil.
  • Genau diese letztgenannten Elemente wurden nun bei Arndt entfernt. Da Siebenpfeiffer in Nordostdeutschland ähnlich unbekannt war wie Arndt in Südwestdeutschland, gelang die Operation zum „guten Arndt“ nahezu störungsfrei.

Stabilisierung des sozialistischen Arndt-Bildes und des Universitätsnamens nach 1954

Hans Beyer war nicht das letzte ehemalige NSDAP-Mitglied unter den Greifswalder Rektoren. Diese zweifelhafte Ehre gebührt Werner Imig (1920 – 1988), der das Rektorenamt 1970 bis 1978 innehatte. Auch alle anderen Rektoren, die zwischen Beyer und Imig amtierten waren ehemalige NSDAP-Mitglieder. Keiner von ihnen entstammte dem politischen Milieu der bürgerlichen Mitte oder der sozialistischen Linken. Nur einmal war von Widerstand gegen die braune Rektorenherrschaft in Greifswald die Rede, und zwar 1964 zum Amtsantritt von Georg Tartler (1899 – 1976; vgl. Eberle o.J.). Es dauerte noch weitere 14 Jahre, bis nach über einem Vierteljahrhundert mit Dieter Birnbaum der erste Rektor ohne NSDAP-Vergangenheit antrat. Damit ist nichts darüber ausgesagt, ob und inwieweit sich ehemalige Nationalsozialisten in Greifswald zu echten Sozialisten und Demokraten wandelten. Doch möglicherweise bestand die Attraktivität des sozialistisch gewendeten Arndt-Bildes für jene Personengruppe in einer Projektion genau dieser Wandlung: Bis 1945 galt Arndt als Prophet des Nationalsozialismus, nach 1945 als eine Art Vorläufer des Sozialismus (vgl. Teske 1969). Dies ließ sich leicht mit den Biographien der genannten Personengruppe parallelisieren.

Unter derartigen Rahmenbedingungen hatte eine Kritik an der Wiederaufnahme der Bezeichnung „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ bis 1978 wenig Chancen. Bereits in der Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität 1956 wurde – vor allem mit gezielter Selektivität von Zitaten – die Vereinbarkeit von Arndt und Sozialismus behauptet (vgl. Reißland 1956).

Die Reduktion auf das sozialistisch Akzeptable wurde mit der 1969 unter dem Rektorat des Ex-NSDAP-Parteigenossen Werner Scheler (geb. 1923) entstandenen Ernst-Moritz-Arndt-Festschrift zum 200. Geburtstag des Dichters (Schildhauer 1969) fortgeführt.

Darin wurde gezeigt, dass anbiedernde Wissenschaft in der Lage ist, durch Ausblendung, Verschweigen, Versatz mit Lenin- und Engels-Zitaten, haarsträubende Überinterpretation und andere Instrumente in der Lage ist, jeden Reaktionär in eine für den Sozialismus wertvolle Persönlichkeit zu transformieren. Eine zentrale Position nimmt in der Festschrift der Beitrag von Heinz Teske, Mitarbeiter der Bezirksleitung Rostock der SED, ein:

„So wie für Arndt die Existenzberechtigung des Feudalismus nicht mehr gegeben war, die nationale Unterdrückung nach seiner Ansicht unerbittlich bekämpft werden mußte, so ist es wahrlich an der Zeit, daß das westdeutsche Volk im Sinne Arndts sich der doppelten Fessel entledigt, die durch die Knechtung seitens der eigenen Monopolbourgeoisie und der amerikanischen Besatzungsmacht heute noch traurige Wirklichkeit verkörpert….

Die Art und Weise, wie Arndt seine politische Umwelt der Jahre 1802 bis 1808 begreifend, unerschrocken, beharrlich und zäh mit Wort und Tat sich dem gesellschaftlichen Fortschritt verschrieb und dabei mit einigen Ansichten die Grenze seiner bürgerlichen Klasse weit überschritt, das nötigt uns höchste Achtung ab, das verleiht ihm die Würde, einer der großen Vorkämpfer eines wahrhaft guten, eines friedliebenden Deutschlands zu sein. Der Tag kommt, wo das schlichte und würdige Denkmal in Bonn nicht mehr als Symbol des Hasses gegen die besten demokratischen Ideen und Taten, dessen das westdeutsche Volk fähig, mißbraucht wird. Im Sinne unverfälschten Arndttums wird es eines Tages einem sozialistisch geeinten, deutschen Vaterland den Menschen wert und teuer sein.“ (Teske 1969, S. 75)

Es reizt, dieser Karikatur von Sozialismus Aussagen von Arndt gegenüberzustellen:

„Demokraten? Das ist ein Namen, womit man gottlob in Deutschland niemand mehr totschlagen kann, wenn die Dummheit und Bosheit gleich gewohnt ist, in der Weise, wie die Römischkatholischen alle Auswüchse verrückter Ketzereinen den Doktoren Luther und Calvin in die Schuhe zu gießen pflegen, unter dem Titel Demokrat, der ein Schimpftitel sein soll, alle hirnstollen politischen Vagabunden, alles verrückteste und verworfenste sozialistische und kommunistische Gesindel, mit einzuzeichnen.“ (Arndt 1854, S. 133 – 134)

„Jetzt muß ich zu einer dickeren nur zu dicken leibhaftigen und körperlichen Erscheinung kommen, wo zum Teil gräuliche Ketzerväter und Sektierer geweihte Namen und selbst den Namen des Christentums und seines göttlichen Stifters mit einmischen, ja wohl gar an die Spitze ihres tollen und verrückten Unsinns stellen. Ich meine hier die unter vielen verschiedenen Namen laufenden Sozialisten und Kommunisten und alle närrischen oder verruchten Schwärmereien oder Spielereien, die man unter diese Namen stellt.“ (Arndt 1854, S. 202)

Es dürfte klar sein, dass solche Zitate in der Festschrift fehlen – wie überhaupt nur wenig von Arndt selbst zitiert wird. Einige von Arndts Zeitgenossen kommen zu Wort, doch fast ausschließlich in affirmativer Form. Siebenpfeiffer taucht aus verständlichen Gründen nicht auf. Auch über die Art und Weise der Umbenennung von 1933 und der Wiederaufnahme des Namens wird in der Festschrift nichts geschrieben.

Geht man von den Leserbriefen aus, die in der Ostsee-Zeitung 2017 zur Rückbenennung erschienen, hat jene Festschrift trotz ihrer Durchsichtigkeit, ihrer Verzerrungen und Unterlassungen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die meisten Leser hatten bis etwa 2000 kaum Möglichkeiten, die Aussagen in der Festschrift anhand von echten Arndt-Werken zu überprüfen. Seitdem gestattet das Internet einen breiteren Zugang.

Erst 1985 – also 31 Jahre nach der Wiederaufnahme des Namens -, konnte in Greifswald ein Arndt-kritischer Wissenschaftsartikel erscheinen (Fischer 1985).

Zur Situation nach 1990

Mit der Demokratisierung setzte in Ostdeutschland eine Welle von Umbenennungen ein. Die Universität Rostock gab beispielsweise im April 1990 den Namen „Wilhelm-Pieck-Universität“ auf. In Greifswald fand dergleichen nicht statt. Man übernahm stattdessen den von der DDR hinterlassenen Status-quo. Eine Prüfung zur Satzungsgerechtigkeit oder Wissenschaftsadäquatheit des Prozesses der Namensgebung von 1933 und 1954 fand nicht statt. Auch bei der Erarbeitung der 1995 beschlossenen Grundordnung gab es keine Diskussion über den Namenspatron. Vor der Stellungnahme zum neuen LHG gab es im Juni 2001 im Senat den Antrag, den Namen Arndts bei der Universitätsbezeichnung in §1 wegzulassen. Dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt.

Immerhin hatte damit ein Körperschaftsmitglied der Universität Zweifel an der fortgesetzten Vorläufigkeit des Namens geäußert. Spätestens 2001 hätte die Universitätsführung nach den Satz 4 der Aufarbeitungsregularien der Enquete-Kommission – hier in Kap. 2 – eine Analyse der Umbenennungsaktivitäten 1933, 1954 und 1990 bis 2001 einleiten sollen. Eine Abstimmung im Senat ist keine Aufarbeitung. Es muss mit Recht bezweifelt werden, dass einige Abstimmende über die Umstände der Namensgebung 1933 und 1954 ausreichend informiert wurden. Demnach würde für jenen Beschluss Satz 6 der Aufarbeitungsregularien in Kap. 2 gelten.

Am 19.07.2001 erfolgte ein Einspruch gegen den im Referentenentwurf des LHG vorgesehenen § 1 Abs. (1) Punkt 1 vorgesehenen Namen „Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald“, der mit dem damaligen Stand der Erkenntnisse zu Namensgebung begründet wurde. Der Einspruch wurde seinerzeit „nicht bearbeitet“, wie das Ministerium später mitteilte. Der Landtag wurde über die Existenz des Einspruchs vor seiner Abstimmung zum LHG nicht informiert.

Die Enquete-Kommission 5/1 hat in beeindruckender Weise gezeigt, in welcher Intensität Aufarbeitung in unserem Rechtsstaat möglich ist. Ihrer Empfehlung für Körperschaften des öffentlichen Rechts, den angesprochenen Problemen mit „umfassender“ Aufarbeitung zu begegnen, ist die Universität Greifswald bis heute nicht nachgekommen. Dabei sei daran erinnert, dass die Aktivitäten der Senatskommission 2009/10 einer umfassenden Aufarbeitung schon deswegen nicht gerecht werden, weil es Verfahrensfehler gegeben hat: So wurden beispielsweise Stellungnahmen der Fachwissenschaften zur Namensfrage eingefordert, der dafür erstellte und abgelieferte Beitrag der Geographie wurde der Kommission jedoch nicht vorgelegt. Er fehlt auch auf der Website mit den Materialien der Kommission.

Wäre die Universität Greifswald ihrer umfassenden Informationspflicht über die Vorgänge der Jahre 1933, 1954, 1990 bis heute nach Satz 1 der Aufarbeitungsregularien der Enquete-Kommission – hier in Kap. 2 -, die zumindest moralisch besteht, rechtzeitig gefolgt, gäbe es heute nicht dieses Wirrwarr an Information und Desinformation. Die Identifikation mit dem Label Arndt – nicht mit dem realen Arndt – hielte sich in den engen rechtsextremen Grenzen, wo sie am Platze wäre.

Vorläufige Ergebnisse

Im Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur aus dem Jahre 2013 wird festgestellt, dass DDR-Unrecht in bestimmten Bereichen immer noch nicht getilgt ist. Keineswegs darf dies mit Akzeptanz oder „gewachsener“ Rechtmäßigkeit dieser Sachverhalte gleichgesetzt werden. In meinem Beitrag wurde untersucht, inwieweit die derzeitige Namensführung der Universität Greifswald davon betroffen ist. Dabei ist klar, dass diese wenigen Seiten dem Anspruch einer eigentlich notwendigen umfassenden Aufarbeitung nicht gerecht werden können. Als bisheriges Ergebnis sei Folgendes festgehalten:

Sowohl im Jahre 1933, dem Jahre der Namensgebung der Universität, als auch im Jahre 1954, dem Jahr der Wiederaufnahme des Namens wurden Recht und Gesetz durch die nationalsozialistische (1933) bzw. durch die DDR-Diktatur (1954) geschädigt. Die Unrechtshypothese im Falle der Umbenennung der Universität Greifswald 1933 betrifft mindestens drei Punkte:

  1. die Einflussnahme außeruniversitärer, rechtsextremer Gruppen auf Aktivitäten und die Zusammensetzung der Hochschulgremien im Jahre 1933 und die Frage der Gültigkeit der von diesen Gremien gefällten Entscheidungen,
  2. die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der genehmigenden Behörde, da die damalige Regierung Preußens nicht verfassungsmäßig gewählt wurde,
  3. die Kürze des Bearbeitungs- und Genehmigungszeitraums durch Universitäts- und preußische Staatsbehörden von nur 6 Wochen.

Von 1946 bis 1954 trug die Hochschule den Namen „Universität Greifswald“. 1954 kam es zu einer Wiederaufnahme des Namens „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“. Sie ist heute juristisch insofern relevant, als sie als Anfangspunkt der der bis in die Gegenwart reichenden Kontinuität der Namensführung gilt.

Die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme wurde dadurch beeinträchtigt,

  • dass an der Beschlussfassung innerhalb der Universität Personen – darunter der damalige Rektor der Universität – beteiligt waren, die nach den damaligen antifaschistischen Gesetzen der DDR niemals Hochschullehrer hätten werden dürfen,
  • dass der Rat des Bezirks Rostock, einer der Nachfolger des 1952 aufgelösten Landes Mecklenburg, als Adressat der Antragstellung offenbar übergangen wurde,
  • dass stattdessen mit Gerhard Harig ein Staatssekretär mit begrenzter Qualifikation und unklarer Zuständigkeit angeschrieben wurde,
  • dass der Staatssekretär mit der Genehmigung des Namens „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ implizit die ungesetzliche Umbenennung von 1933 anerkannte und somit nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gegen geltendes DDR-Recht verstieß.

Die Führung des wieder aufgenommenen Universitätsnamens wurde nicht zuletzt dadurch stabilisiert, dass keiner der Greifswalder Rektoren von 1950 bis 1978 dem politischen Milieu der bürgerlichen Mitte oder der sozialistischen Linken entstammte. Sie war ausnahmslos ehemalige NSDAP-Mitglieder. In gewisser Weise spiegelte das neue, sozialistisch zurecht gestutzte Arndt-Bild die Biographie dieser Personen von einer Stütze des Nationalsozialismus zu einem Vorläufer bzw. zu Verteidigern des Sozialismus wider.

Die Vorgänge nach 1990 zeigten, dass dieses Bild reversibel war: Das nun installierte Arndt-Bild fungierte als Brücke zwischen Sozialismus und patriotisch angehauchtem Regionalismus, der inzwischen auch Rechtsradikales umfasst (vgl. Leserbriefe in der Ostsee-Zeitung vom 01.03.2017, S. 12). Eine Aufarbeitung der Vorgänge von 1933 und 1954 fand nicht statt.

Sucht man nach Traditionen, die alle drei der hier betroffenen Epochen umfassen, fällt Folgendes auf:

  • Die Namensgebung 1933, ihre Wiederaufnahme 1954 und die Übernahme ihrer Vorläufigkeit sind durch Anbiederung an die jeweils herrschenden politischen Verhältnisse und nicht durch wissenschaftsinterne Prozesse geprägt.
  • Von einem „Kartell des Schweigens“ im Sinne der Brandenburger Enquete-Kommission zu Aufarbeitung kann nicht ausgegangen werden. Aber es schien eine breite Koalition des Verschweigens über die Abläufe der Namensgebung zu geben, die von Teilen der Universität über affirmative Geschichtsschreibung bis in die Ministerialbürokratie des Ministeriums reicht, die eine umfassende Aufarbeitung der Problematik bisher verhindert hat.
  • In Greifswald finden sich seit 1933 immer wieder Hochschullehrer, Mitarbeiter und Studierende, denen die Unterscheidung zwischen Recht und rechts schwer fällt.

Der Ablauf der Namensgebung „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ dürfte dem Image- und dem Marketing der Hochschule ähnlich abträglich sein wie die ausländerfeindlichen, rassistischen und nationalistisch-aggressiven Tendenzen in den Werken Arndts. Unter diesem Aspekt war der Senatsbeschluss zur Rückbenennung der Universität vom 18.01.2017 längst überfällig.

Die Ablehnung der diesbezüglichen Grundordnungsänderung vom 07.03.2017 durch die Bildungsministerin bringt die Landesregierung in eine absurde Situation: Eine sozialdemokratisch geführte Regierung verhindert unter dem Beifall der extremen Rechten (vgl. Presserklärung der AfD vom 07.03.2017; 2017-06-28) die Rückbenennung der Universität.

Immerhin ist zu begrüßen, dass das Ministerium geprüft hat. Hätte es dies früher getan, hätte es wahrscheinlich von sich aus die hier angesprochene Problematik aufgearbeitet und die jetzige Situation vermieden.

Somit hängt die Rechtssicherheit der Namensführung „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ aus heutiger Sicht in weiten Teilen von der Beantwortung der folgenden Frage ab:

„Darf man eine demokratische Institution des Landes Mecklenburg-Vorpommern per (Landes-)Gesetz zwingen oder veranlassen, eine 1933 aus nationalsozialistischem Unrecht erwachsene Namensgebung weiterzuführen, die 1954 unter zweifelhaften Rahmenbedingungen mit nicht verfassungskonformen Maßnahmen wieder aufgenommen wurde, und nach 1990 bei Unterlassung der eigentlich dafür notwendigen Aufarbeitung, einschließlich der Prüfung auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, bis heute fortgesetzt wird?“

Bevor eine solche Frage – etwa als Kleine Anfrage des Landtags – gestellt wird, und die Aufarbeitung quasi von außen initiiert wird, wäre es wünschenswert, dass die Universität sich aus eigenem Antrieb positioniert. Die Geschichte der Namensgebung der Universität Greifswald und die der daran beteiligten Akteure 1933, 1954 und nach 1990 mit ihren Komponenten Gewalt, Anbiederung, Gewalt, rechtsextreme Einflussnahme, Opportunismus, Verzerrung der Berichterstattung, Verheimlichung und Verfälschung ist einer wissenschaftlichen Hochschule zutiefst unwürdig. Auch daher ist es notwendig, dass Senat und Landesregierung sich zur Rückbenennung der Universität bekennen.

Literatur

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  • BKM 2013 – Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien (red.): Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur (PDF, 2017-12-11). Bonn.
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  • Schildhauer, Jan (red.)(1969): Ernst Moritz Arndt. Festschrift zum 200. Geburtstag. Herausgeber: Rektor prof. Dr. med. habil. Werner Scheler. (= Wissenschaftliche Zeitschrift der EMAU Greifswald. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe. Jg. 18. 1969. Nr. 1/2.
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    (2017-11-15), modernisierte Fassung: PDF (2017-11-15)
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