Ein Gastbeitrag von Ramon Tobias
Schon nach der Kommunalwahl 2014 ging die Truppe um Egbert Liskow, Axel Hochschild und Sascha Ott eine Zählgemeinschaft mit der AfD ein. Und seitdem machten die hanseatischen Christdemokraten jede Rechtsdrift mit.
Fraktionschef der Greifswalder AfD ist Nikolaus Kramer, der an den Treffen des “Flügels” der AfD um Höcke und Kalbitz teilnahm. Der Flügel gilt als der größte innerparteiliche Zusammenschluss und weist „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ auf, so der Verfassungsschutz.
Der CDU-Fraktionschef trifft sich regelmäßig mit dem Flügel-nahen AfDler Nikolaus Kramer
Die Flügel-Vertreter werden seit März 2020 nachrichtendienstlich beobachtet. 2016 war Kramer Teilnehmer der Greifswalder „FFDG“ und bekundete dort sogar in einer Ansprache seine eindeutig positive Einstellung zu diesem besonders extremistischen PEGIDA-Ableger.
Der FFDG-Organisator Norbert Kühl hatte bereits zuvor zutiefst rassistische und antisemitische Reden gehalten, was Kramer nur allzu gut wusste. Denn die rechtsextreme Positionierung der FFDG war ihm nicht nur über Presseberichte und soziale Medien bekannt, sondern auch in seiner Funktion als Polizist. Er begleitete nämlich vorher in dienstlichen Aufträgen die FFDG-Aufmärsche und konnte so die braunen Ausfälle Kühls direkt mitverfolgen. Offenbar animierte ihn das nur noch, erst Recht sich auch als Privatperson sowie als damaliger AfD-Landtagskandidat zur Kühlschen Agenda von Rassismus und Antisemitimsus zu bekennen.
Dass Kramer also vom Verfassungsschutz aufgrund seiner eindeutigen Positionierung und Verstrickungen nach Rechtsaußen beobachtet wird, kann angenommen werden.
Was meint die Greifswalder CDU dazu?
Kurzer Rückblick: die vorpommersche CDU gründete 2016 mit Philipp Amthor und Sascha Ott den sogenannten „Konservativen Kreis“, einen regionalen Vorläufer der Werte-Union, deren prominentestes Mitglied wiederum der Amthor-Unterstützer Hans-Georg Maaßen ist. Maaßen warb beispielsweise in Thüringen offen darum, auch mit der AfD in Sondierungsgespräche zu gehen.
Passend zur Verortung der Werte-Union trifft sich der Greifswalder CDU-Fraktionschef regelmäßig mit dem AfD-Fraktionschef, wie er wenig geniert gegenüber der Ostsee-Zeitung zugibt. In Bürgerschaft und Kreistag stimmen AfD und CDU fast immer zusammen ab. Auf der letzten Bürgerschaftssitzung verplapperte sich Kramer auch entsprechend und sprach von „unserem Antrag“ und meinte damit eine Danksagung der CDU an die Greifswalder Polizei.
Während die Wahl Kemmerichs mit den Stimmen der Höcke-AfD für eine Welle der Empörung sorgte, gab es für die Wahl des Greifswalder CDU-Bürgerschaftspräsidenten mit den Stimmen der AfD aber bislang erstaunlicherweise nicht mal eine kritische Erwähnung dieses Umstands.
Eine gemeinsame Zählgemeinschaft der Greifswalder Christdemokraten mit den Rechtsaußen gibt es zwar nicht mehr, da die AfD seit 2019 eine eigene Bürgerschaftsfraktion stellt. Aber die neu eingegangene Zählgemeinschaft ist nicht weniger unappetitlich.
Grit Wuschek trat als Einzelkandidatin an und wurde durch ihre offene Zusammenarbeit mit Rechtsaußen, der sie seit 2016 insbesondere auf Facebook nachgeht, bekannt. Dort betreibt sie seit dem Aufkommen der Flüchtlingsdebatte eine nichtöffentliche Diskussionsgruppe mit über 3200 Mitgliedern, in der täglich die widerlichste Hetze zu lesen ist. Für die CDU kein Grund, eine Zählgemeinschaft mit dieser Person abzulehnen. Nein, Wuschek sitzt sogar im Hauptausschuss der Universitäts- und Hansestadt – auf CDU-Ticket!
Hochschild riss die Fassade ein
Das alles wiegt schon schwer genug. In der Bürgerschaftssitzung am 31.08.2020 gab es eine Aktuelle Stunde zur Problematik des Rassismus in Greifswald. Von der AfD kam wenig Überraschendes: das Banner am IKUWO sei “Rassismus gegen Polizisten” gewesen und “Inländerrassismus” gegen Deutsche sei das eigentliche Problem. Die übliche unfassbar wirre Umdeutung von Begriffen, die man bereits aus Wuscheks Facebook-Gruppe kennt. Wuschek selbst fehlte übrigens bei der gesamten Sitzung.
Die Greifswalder Union aber fiel durch nicht minder politische Verwirrtheit auf. Während der CDU-Landtagsabgeordnete Liskow sich einer gemeinsamen Erklärung mit Christian Pegel (SPD) und Mignon Schwenke (DIE LINKE) anschloss, wütete und polterte Fraktionschef Hochschild am Rednerpult. Nein, nicht wegen Rassismus. Sondern weil die linke Mehrheit der Bürgerschaft es wagte, eine Aktuelle Stunde zum Thema Rassismus auf die Tagesordnung zu setzen!
Hochschild behauptete sichtlich erregt, dass kein einziger Mensch im Bürgerschaftssaal rechtsextrem oder rassistisch sei. Obwohl oder gerade weil wenige Meter von ihm entfernt Nikolaus Kramer saß. Und da er vielleicht ahnte, dass es thematisch gar nicht ausschließlich um die Existenz von Rechten im Bürgerschaftssaal ging, führte er weiter aus, dass er enttäuscht sei, dass die linke Mehrheit keinen Fall von Rassismus in Greifswald benennen könnte. Es gäbe also gar keinen Anlass, um über Rassismus in Greifswald zu reden, so seine realitätsfremde, aber auch entlarvende, Behauptung.
Nur wenige Tage zuvor hielt sogar sein Fraktionskollege Liskow anlässlich der rassistischen Vorfälle vor dem islamischen Zentrum eine Rede, in der er beteuerte, dass auch die CDU sich gegen Islamfeindlichkeit und rechte Hetze ausspreche. Natürlich klang das ein bisschen floskelhaft, aber immerhin zeigte er Verantwortung und Präsenz. Axel Hochschild aber riss die Fassade komplett wieder ein.
Nährboden für rassistische Vorfälle in Greifswald
Nicht nur leugnete er die extreme Positionierung von AfD-Kommunalpolitikern. Er streitet auch plump ab, dass es überhaupt Rassismus in Greifswald gäbe. In den folgenden Redebeiträgen von Grünen, Tierschutzpartei, SPD und Linken wurde neben der Problematisierung von strukturellem Rassismus zwar auch mehrfach auf den gefährlichen Aberglauben und die verharmlosende Rhetorik Hochschilds hingewiesen.
Aber keiner erwähnte die gut gepflegte Bekanntschaft zwischen Hochschild und Kramer, niemand nannte überhaupt Kramer beim Namen, um allein schon die Negierung der Anwesenheit Rechter als Realitätsverlust aufzuzeigen. Der AfD-Fraktionschef fiel auch in der Bürgerschaft schon mit stumpfem Rassismus auf, als er beispielsweise 2018 Geflüchtete in Zusammenhang mit Messergewalt brachte.
Unerwähnt blieb auch Kramers Rolle im Höcke-Flügel, seine Nähe zum Nordkreuz-Terrorverdächtigen Haik Jäger oder die Kontakte seiner Burschenschaft zu Martin Sellner und zur Neuen Rechten – auch nicht seine Auftritte bei der FFDG.
Dabei wäre letzteres besonders pikant, denn der lokale PEGIDA-Frontmann Norbert Kühl war früher mal in der CDU aktiv und frühere Bürgerschaftsmitglieder wie Lüer Kühne von der CDU nahmen an dessen Aufmärschen teil. Heute verdient Kühl sein Geld allem Anschein nach mit der Planung von Eigenheimsiedlungen, etwa beim Elisenpark, und tritt sogar als selbst ernannter Fachmann im städtischen Bauausschuss auf.
Kühl verlas beispielsweise 2016 antisemitische Schriften, in denen er Texte zitierte, die den Jüdinnen und Juden die Schuld an den Weltkriegen gab und dass die „Zionisten“ (in Bezug auf die Weisen von Zion) den Dritten Weltkrieg planen würden sowie die Verantwortlichen hinter den Flüchtlingsbewegungen 2015 wären. Das Bild komplettiert sich neben Geschichtsrevisionismus und Verschwörungsideologien durch seine generelle Fixierung auf das Judentum, wozu auch seine an Holocaust-Leugnung heranreichenden Äußerungen während einer politischen Gesprächsrunde passen.
Nicht nur Kühl, sondern etliche andere Akteure in der Stadt wettern seit Jahren gegen Geflüchtete und versuchen gezielt, geflüchtete Menschen ausschließlich im Kontext von Kriminalität oder Krankheiten zu thematisieren. Das ist der von Kühl, Kramer, Wuschek und ihren Mitstreitern bereitete Nährboden für die rassistischen Vorfälle in Greifswald der letzten Monate. Die Radikalisierung schreitet voran und kann auch hier jederzeit Ergebnisse wie in Hanau, Kassel oder Halle mit sich bringen. Denn Rassismus tötet in letzter Konsequenz.
Niemand regte sich auf, als Maik Spiegelmacher sich breit grinsend in die Menschenkette der Pro-Arndt-Demonstrationen einreihte
Greifswald war in den 90-er Jahren bundesweit in den Medien wegen rassistischer Gewalt. Der frühere NPD-Kreisvorsitzende Maik Spiegelmacher wurde wegen versuchten Mordes an einem ausländischen Studenten verurteilt. Seitdem gab es ein breites zivilgesellschaftliches Miteinander gegen Rechts in der Stadt. NPD-Demos hatten hier keine Chance, weil sich tausende Bürgerinnen und Bürger in den Weg stellten. Auch der damalige CDU-Oberbürgermeister beteiligte sich noch demonstrativ.
Dieser breite Widerstand brach aber 2015 zusammen, weil die Rechtspopulisten und Hetzer die mediale Deutungshoheit zu einem gewissen Maße erobern konnten. Soweit, dass sich niemand mehr aufregte, als Maik Spiegelmacher sich an den FFDG-Demos beteiligte oder sich breit grinsend in die Menschenkette der Pro-Arndt-Demonstrationen einreihte, die Wuschek und die lokale CDU 2018 organisierten. Über Rechtsextremisten scheint sich ganz offenbar niemand mehr aufzuregen in Zeiten von Maaßen, Sarrazin und Höcke.
Großen Applaus gab es von der linken Seite auf der Bürgerschaftssitzungen übrigens, als der amtierende grüne Oberbürgermeister stolz verkündete, dass auf den Gegendemonstrationen zur FFDG immer doppelt so viele Menschen anwesend gewesen wären. Das stimmt nicht – und dieses falsche Eigenlob zeigt die ganze Misere auf. Es gab sogar einige Montage, an denen der Gegenprotest kleiner als die von der lokalen Neonaziszene begleiteten FFDG-Aufmärsche war.
Schwere Zeiten für antirassistisches Engagement
Der eigentliche Skandal ist, dass die Rechtsextremen, von FFDG-Kühl über AfD-Kramer bis NPD-Spiegelmacher, nicht mehr tausende Greifswalderinnen und Greifswalder zum Gegenprotest auf die Straße brachte. An den Mahnwachen von Greifswald für Alle nahmen zwar immer bekannte Persönlichkeiten der Stadt teil, aber die tausenden Menschen, die noch 2011 den Neonazis keinen Fußbreit gewährten, blieben weitestgehend zu Hause. Stattdessen ist es der Stadt fast gleichgültig geworden, wenn Rechtsextremisten ihre Ansichten im Internet und auf den Straßen verbreiten. Man nimmt es mittlerweile alles hin.
Verschiebt sich der gesamtgesellschaftliche Diskurs komplett nach Rechts, gilt als normal, was früher viele tausende Menschen in Alarm versetzte. Menschenketten von Groß und Klein, Jung und Alt gegen Nazis in den 90-er und 2000-er Jahren. Gemeinsame Menschenketten pro Arndt und Polizei mit Identitären, AfDlern und NPDlern seit 2015.
Und die Bürgerschaft unserer Stadt veranstaltet 2020 eine Aktuelle Stunde, zu der CDU und AfD in trauter Harmonie Probleme mit Rassismus und Rechtsextremismus leugnen und ihre Redezeit missbrauchen, um gegen linke und antirassistische Politik zu Felde zu ziehen. Es stehen noch schwere Zeiten bevor.
Zwei Punkte: nach der Bürgerschaftssitzung mit der aktuellen Stunde zum Thema Rassismus haben sich nur Hochschild und Kramer in der L’osteria zusammengehockt. Es waren auch Khalil, Ivo S. und ich glaube noch 1 oder 2 andere CDU Männers dabei. Es ist nicht nur Hochschild, der den Abstand zu rechten Kreisen missen lässt.
Der Widerstand gegenüber AfDen in der Bürgerschaft hat mich enttäuscht. Obwohl Kramers rechtsextreme Umtriebe dort offen thematisiert wurden, haben die Linken Fraktionen eine starke Antwort verpasst. Da kam einfach nicht viel. Immerhin hat man in dieser Legislatur aber darauf geachtet, AfDen nicht in Ämter zu wählen, wenn das vermeidbar war. (Dafür ist jetzt aber David Wulff Vorsitzender des Finanzausschusses und der hat ja seine ganz eigenen Abgrenzungsprobleme nach rechts…)