Arndt als dänische Komödienfigur

Dr. Frithjof Strauß (Universität Greifswald, Skandinavistik)

Im großen Salmonsens Konversationsleksikon, Kopenhagen 1915, steht zu lesen:

«Arndt, Ernst Moritz, deutscher Patriot und Schriftst., geb. 26. Dez. 1769 auf Rügen, gest. 29. Jan. in Bonn. […] Nach der Schlacht bei Leipzig veröffentlichte er die Schrift „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“. Er hatte große Verdienste an der Befreiung Deutschlands von der Fremdherrschaft, aber wurde gleichzeitig ein Vorläufer aller großdeutschen Bestrebungen mit ihren später maßlosen Forderungen nach der Erweiterung Deutschlands „so weit die deutsche Sprache reicht“. Unzufrieden mit der Entwicklung 1814 bis1815, unternahm er eine Reise nach Dänemark, um auch dieses germanische Land kennen zu lernen, und veröffentlichte 1818 den 4. Teil von „Geist und Zeit“, in dem er seinem Zorn über die „Dummheit, Feigheit und Trägheit“ seiner Widersacher Ausdruck verlieh. […] 1845 richtete er einen sehr gehässigen Angriff gegen Dänemark, der den Brief an ihn von Valgerda (d.i. Marie Andersen) in der Zeitung Fædrelandet provozierte. „Arndt als dänische Komödienfigur“ weiterlesen

Arndt als Hochschullehrer und die Wissenschaft von der Geschichte

Prof. Dr. Werner Buchholz (Pommersche Geschichte und Landeskunde)

Die Historikerzunft ist sich weitestgehend einig: Arndt war kein Historiker. In der wissenschaftlichen Literatur sind gebräuchliche Bezeichnungen „Propagandist“ oder „Pamphletist“. Allerdings kursieren auch andere Benennungen. Diese berufen sich auch noch mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wende auf Ausgaben von Arndt-Schriften, die zu DDR-Zeiten herausgegeben und im stalinistischen Sinne manipuliert wurden, indem etwa zentrale Textpassagen herausgestrichen wurden. Auch kommt es immer noch vor, dass Arndt-Schriften verschwiegen werden, die nicht in das gewünschte Bild passen, oder dass der Forschungsstand ignoriert und durch willkürliche (Falsch-)Angaben ersetzt wird. Ein jüngeres Beispiel für diese Art des Umgangs mit Arndt ist das Buch von D. Alvermann/I. Garbe (Hgg.), Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen (Forschungen zur pommerschen Geschichte 46), Köln/Weimar/Wien 2011 (s. Anhang).

Ernst-Moritz Arndt auf dem Rubenowplatz in Greifswald

(Foto: Michael Gratz)

Betrachtet man dagegen Arndt in seiner Zeit, stellt sich Vieles anders dar. Als Pamphletist und Propagandist stand Arndt von 1803 bis 1811 im Dienste des schwedischen Königs, danach fungierte er von 1812 bis 1814 als Chef der Propagandaabteilung des Zentralverwaltungsdepartements für die von den Verbündeten eroberten Gebiete, welches – besonders zu Anfang der russischen Gegenoffensive 1812/13 – weitgehend vom russischen Kaiser dominiert wurde. 1814 wurde Arndt in den preußischen Staatsdienst übernommen, dem er bis zu seinem Tode angehörte.

Arndt und der Vorwurf der Soldschreiberei

1831 und 1834 veröffentlichte Arndt mehrere Schriften, mit denen er seine Abkehr von den Idealen vollzog, die er 1813/15 verfochten hatte. Hatte er damals die Einführung von Verfassungen gefordert, so zog er nun ganz im Gegenteil mit der ihm eigenen Vehemenz und Emotionalität gegen die liberalen Verfassungen vom Leder, die 1830/31 nach der Julirevolution in der Schweiz, in Frankreich und in Belgien eingeführt worden waren. Gleichzeitig erneuerte Arndt die Forderung auf die Nordseeküste von der Eidermündung bis Dünkirchen unter Einschluss der Niederlande, des größten Teils Belgiens, Lothringens, des Elsass sowie von Teilen der Schweiz und deren Angliederung an ein von Preußen geführtes Deutschland. „Arndt als Hochschullehrer und die Wissenschaft von der Geschichte“ weiterlesen

Ich möchte mich nicht schämen müssen…

Von Prof. Dr. Mathias Niendorf (Universität Greifswald, Osteuropäische Geschichte)

… als deutscher Osteuropa-Historiker in Osteuropa. Wenn man aus Greifswald kommt, dann gibt es immer etwas zum Erzählen — wo es liegt, wie schön es liegt, was es dort zu sehen gibt. Und es freut einen, im Anschluss an eine Tagung, wenn die Beiträge im Druck vorliegen, hinter dem eigenen Namen als Arbeitsort „Greifswald“ zu lesen.

Dazwischen aber liegen häufig genug peinliche Gespräche. Immer die gleiche Frage: Was sollen wir denn nun genau schreiben, also wie ist das noch mal mit dem Namen der Universität… Auf Taktgefühl darf man als Deutscher in Polen immer zählen. Es zu müssen, ist eine Belastung.

Arndt als Firmenschild

Wenn die Bundesrepublik sich auf die Traditionen der Paulskirche beruft, jenes ersten frei gewählten Männer-Parlaments in Deutschland, dann wissen geschichtsbewusste Polinnen und Polen, dass damals, 1848 in Frankfurt, auch die Zukunft ihres Landes verhandelt wurde. Dass dort gestritten wurde um die Frage, wie mit den historisch polnischen und sprachlich immer noch mehrheitlich polnischen Gebieten verfahren werden sollte — den Territorien, die Preußen sich Ende des 18. Jahrhunderts einverleibt hatte.

Der Anfang einer verhängnisvollen Traditionslinie

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„Eine drollige Gattung Bluthunde“, oder: Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit

Prof. Dr. Eckhard Schumacher (Universität Greifswald, Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie)

Man müsse, hört man häufig, Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit verstehen. So habe man eben damals gedacht, wir hatten keine besseren Demokraten, wird gesagt. Auch das macht den Streit um den Namenszusatz der Universität Greifswald so befremdlich und so schwer nachvollziehbar. Tatsächlich kann man ohne größere Schwierigkeiten feststellen, dass im frühen 19. Jahrhundert chauvinistischer Nationalismus und wütender Antisemitismus ähnlich weit verbreitet waren wie schöne Märchen und mittelmäßige Dichtung. Die Mahnung, man müsse Arndt in seiner Zeit verstehen, zeugt allerdings häufig doch nur von erkennbar überanstrengten Bemühungen, diese Zeit so zu rekonstruieren, dass sich Fremdenhass und Antisemitismus relativieren lassen (und man im gleichen Zug Mittelmäßigkeit nicht mehr so recht als solche identifizieren kann).

Viele haben wie Arndt gedacht, wenn auch nicht so viele, wie manche es heute gern sehen würden. Viele aber, und das wird gelegentlich ausgeblendet, haben nicht so gedacht. Deutlich wird dies schon, wenn man nur einige der Stimmen aufruft, die Arndt schon insofern „in seiner Zeit“ verstanden haben, als sie selbst in eben dieser Zeit gelebt, gelesen, geschrieben und dabei nicht immer weit von ihm entfernt gestanden haben.

Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit

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Ernst Moritz Arndt aus Sicht der Geographie

Prof. Dr. Helmut Klüter (Universität Greifswald, Regionale Geographie)

Arndt hatte keine wissenschaftlichen und persönlichen Bezüge zu seinem Zeitgenossen Carl Ritter (1779 – 1859), seit 1820 der Inhaber des ersten geographischen Lehrstuhls in Deutschland an der Berliner Universität. Nichtsdestoweniger griff Arndt in seinen Werken, vor allem in seinen späten Bonner Vorlesungen, weit in geographische Inhalte hinein, so etwa im „Versuch einer vergleichenden Völkergeschichte“ (1842) und in „Pro populo germanico“ (1854). Besonders aufschlussreich ist sein Szenario über Deutschlands Zukunft am Schluss der „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ (1840).

Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität GreifswaldAls Zielgröße bestimmte er einen großen deutschen Staat unter Annexion der Benelux-Länder und anderer Territorien. Das Risiko eines großen europäischen Krieges war ihm dabei bewusst, doch er sah ihn als unvermeidlich an. Arndt begründet seine Imperative über Krieg und Frieden mit geographischen Lagebeziehungen. Nicht mehr der Wille politischer Entscheider (polites = Bürger) wird als konstitutiv betrachtet. Stattessen werden die Notwendigkeiten des politischen Handelns aus der Natur abgelesen. Es kommt dann darauf an, dass der Monarch oder ein Führer diese Natur richtig liest.

Dieser Ansatz gelangte über den Arndt-Schüler Heinrich von Treitschke (1834 – 1896) an den Apotheker und späteren Anthropogeographen Friedrich Ratzel (1844 – 1904). Von ihm übernahm der schwedische Staatswissenschaftler und Geograph Rudolf Kjellen (1864 – 1922) jenen Ansatz und prägte dafür den Begriff „Geopolitik“. Diese Geopolitik wird seitdem vor allem von autoritären Regimes und Diktatoren genutzt, um die eigene Aggressivität als naturgegeben aus den räumlichen Verhältnissen abzuleiten. „Ernst Moritz Arndt aus Sicht der Geographie“ weiterlesen

Zur Namensdebatte aus Sicht eines Amerikanisten

Prof. Dr. Hartmut Lutz (Amerikanistik/Kanadistik)

Vorbemerkung

Für die Amerikanistik sind die literarischen Texte und politischen Einlassungen unseres Namenspatrons bedeutungslos, und für die internationalen Beziehungen der Universität Greifswald sind sie eher hinderlich. Aber es waren gar nicht Ernst Moritz Arndts Werke, die mich vor fast zwanzig Jahren dazu bewogen, zusammen mit dem Kollegen Werner Buchholz (Pommersche Landesgeschichte) eine Namensdiskussion mit dem Ziel der Rückbenennung zu initiieren, sondern es war die Bestürzung darüber, dass die Universität, an der ich mit Freude lehrte, einen Namen trägt, den sich der Senat im Jahre 1933 von Hermann Göring hatte verleihen lassen, um mit dieser Namensgebung zu zeigen, dass „Unsere Universität ….alle ihre Arbeit auf völkisch-nationale Grundlage stellen will.“ (Antrag von Rektor und Senat an den Herrn Reichskommissar für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 6. 4. 1933).

Diesen Namen, der zwei totalitäre Systeme in Deutschland überlebte, trug die alma mater gryphiswaldensis auch nach der Wende ohne eine grundlegende Diskussion und scheinbar auch ohne Skrupel weiterhin. Eine Namensbeibehaltung ist jedoch weder mit dem Geist des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland noch mit dem “Bewusstsein gegenüber der Verantwortung aus der deutschen Geschichte” (Präambel der Landesverfassung für Mecklenburg-Vorpommern) vereinbar, und wir plädierten daher für eine Rückkehr zum ursprünglichen Namen der Altehrwürdigen. „Zur Namensdebatte aus Sicht eines Amerikanisten“ weiterlesen