Unser Plus wird Netto, wir gehen zum neuen Späti!

Seit über acht Jahren zähle ich mich zur Stammkundschaft im Plus-Discounter in der Anklamer Straße. Dieses Verhältnis gleicht einer alten Bekanntschaft: Man weiß, was man aneinander hat, entwickelt ein Faible für bestimmte Produkte und gewöhnt sich an die breite Auswahl von Waren der Marke BioBio.

Diese über Jahre gewachsene Beziehung geriet in den vergangenen Wochen ins Wanken. Immer wieder kam und kommt es dazu, dass man seine Lieblingsprodukte vergeblich sucht. Das kapitalistische Heilsversprechen und die damit einhergehende Verfügbarkeit von Waren lösten sich – zumindest an diesem Ort – in Luft auf.

Anfang des Jahres übernahm Marktgigant Edeka die mehr als 2300 Plus-Filialen und positioniert sich nun im Discounter-Wettbewerb auf Platz zwei, hinter dem Marktführer ALDI und vor Lidl. Die Zukunft wird gelb-rot statt blau-orange, denn seit der Übernahme werden die Plus-Märkte in Netto-Filialen verwandelt. Und genau dieser Wandel wird zum Problem für veränderungsunwillige Stammkunden wie mich.

KAUM NOCH LIEBLINGSPRODUKTE IN DEN REGALEN

Die Liste der Produkte, die man nur noch mit viel Glück – im schlimmsten Falle gar nicht mehr –  erstehen kann, ist lang. Es beginnt beim aus dem Sortiment verbannten Couscous und geht weiter quer durch die Regalzeilen: Bio-Eier, die drei verschiedenen Tofuprodukte, Tortellini, Ciabatta oder aufbackbare Croissants.

Auch der Einkauf von Milch ist im Plus inzwischen zum Problem geworden, da nur noch ESL-Milch (extended shelf life), die auf abenteuerliche Weise hergestellt und entvitaminisiert wird, im Angebot ist. Sie ist am Schriftzug Frischmilch – länger haltbar, leicht erkennbar. Gestern gab es nicht einmal mehr Olivenöl, dafür wurde allerdings mit einem Schild auf die bevorstehende, umbaubedingte Schließung hingewiesen.

UNSER PLUS WIRD NETTO

Es ist also soweit, auch in Greifswald wird Plus zu Netto. Vom 23. November bis zum 03. Dezember gilt es also, alternative Bezugsquellen für Lebensmittel zu erschließen. Dafür ist es auch allerhöchste Zeit.

Bitter nur, dass der Discounter als sozialer Raum seine Funktion einbüßen wird – denn kaum ein Einkauf verging, ohne auf Freunde, Bekannte, Angehörige oder Kollegen zu treffen. Da hatte der Plus wirklich Marktplatzcharakter.

HOFFNUNGSSCHIMMER SPÄTKAUF

Nach der Hiobsbotschaft kommt allerdings ein Hoffnungsschimmer, denn in Greifswald hat vor wenigen Wochen in der Langen Straße 19 ein Späti eröffnet. Neben dem Spätkauf Vollendorf in der Mehringstraße gibt es jetzt also auch eine zentralere Anlaufstelle, welche die klassische Produktpalette solcher Läden anbietet.

Dank des guten Kaffees im Angebot könnte sich hier ein neuer Sozialraum entwickeln, zumindest in den Abendstunden des Wochenendes. Das Ladenlokal ist täglich von 9 bis immerhin 22 Uhr geöffnet (Sonntags erst ab 10 Uhr) und wird in Zukunft sicher manche Tankstellenpilgerei erübrigen.

Absahnen #2: Fanartikel aus Greifswald

Es ist altbekannt, dass sich bestimmte Textilien und Accessoires in der jüngsten Vergangenheit zu Bedeutungsträgern gewandelt haben. Mit ihnen wird zum Ausdruck gebracht, wo man herkommt, was man unterstützt und wen man ablehnt.

uni greifswald beutelDas textilgewordene Bekenntnis zur Hansestadt Greifswald gestaltet sich vielfältig. Naheliegend ist ein Besuch im Uni-Laden, der ein breites Angebot klassischer Fan-Utensilien offeriert. Vom Krawattenfutter, über den Seidenschal bis zu klassischen Produkten wie Buttons, Shirts und Jacken ist alles zu haben. Wer sich mit dem umstrittenen Namenspatron Ernst-Moritz Arndt auf dem Revers zeigen will, wird hier fündig.

Murder City vs. HGWAII

Exklusiver ist dagegen das im Pit/High Voltage-Umfeld kursierende Shirt mit dem murder city-Logo. Das gibt es aber nicht ohne weiteres zu kaufen.

Über persönliches Engagement in einem Verein, Studentenklub oder einer Initiative läßt sich unter Umständen ebenfalls etwas zum Anziehen organisieren. Es wird aber dauern, bis es soweit ist.

hgwaiiDaneben gibt es noch Hgwaii. Hier kann man problemlos Shirts mit dem inzwischen einigermaßen verbreiteten Logo erstehen. Es werden sogar handgemachte Textilien angeboten und in die Werkstatt zur Beiwohnung des Arbeitsprozesses eingeladen. Ganz modern wird jener auch in einem Video erklärt. Das nenne ich Transparenz!

Eine gute Nachricht gibt es noch für diejenigen, die ganz eigenwillig einen lokalpatriotisch bedruckten Regenschirm besitzen wollen, ohne das Logo der Universität mit sich herumzutragen.

In der Greifswalder Stadtinformation wird ein ausgesprochen häßlicher Parapluie mit reichlich Trash-Appeal angeboten. Wer sich damit schmücken möchte und das exzentrische Produkt bis zum 30. Oktober erwirbt, bekommt ein Stadtplakat geschenkt. Die sind wiederum sehr ansehnlich und zeigen Backsteingebäude und historische Aufnahmen der Stadt.

Zombies in der Innenstadt

Heute ist Greifswald auf Konsum geeicht, denn zum wiederholten Mal steht ein temporäres außer Kraft setzen des Ladenschlussgesetzes, kurz Mitternachtsshopping, auf der Agenda. Das komplette Programm des heutigen Spektakels ist hier einsehbar.

flashmob in Zürich

Gegen 23.30 Uhr dürfte es allerdings unterhaltsam werden, oder eben nicht. Der Grund für die Bespaßung wurzelt in einem für diesen Zeitpunkt anberaunten Flashmob. Als Zombies verkleidet und mit Nahrung geschmückt, ist eine kollektive Verwirrungsstiftung in der Innenstadt geplant. Partizipationswillige mögen sich zu besagter Zeit vor dem KLEX einfinden.

So ganz neu ist die Idee allerdings nicht, denn das eingebundene Foto dokumentiert eine vergleichbare Unternehmung in Zürich vom 12. April 2008, auf die an dieser Stelle hingewiesen werden soll. Ebenfalls im April fand in Perth ein Zombie-Flashmob statt, audio-visuell festgehalten:

Man darf gespannt sein, wieivele Untote heute Nacht mobilisiert werden können, in Zürich waren es wohl 30, während in Perth eine Hundertschaft durch die Stadt trottete.

Dompassage in Bedrängnis

Schon 1997, als die Dompassage eröffnet wurde, war ich dagegen. Als verabscheuenswert empfinde ich noch jetzt den Trend in den neuen Bundesländern, Center und Passagen zu bauen, Gewerbeflächen zu akkumulieren und die Städte ihrer Einzelhandelskultur zu berauben.

Die Konsumrennbahn Dompassage sieht sich mit ernsthaften Problemen konfrontiert und das ist auch gut so. Einer schwindenden Zahl von verbliebenen Geschäften steht ein beängstigend großer Leerstand gegenüber. Das Folgeproblem ist strukturimmanent: Leerstand bedeutet für diese Akkumulationsräume Konsumentenschwund und in letzter Konsequenz Leerzug und Insolvenz. Die Pleite eines Geschäfts in der Langen Straßse wird für die anderen Gewerbetreibenden weit weniger spürbar sein, als die Insolvenz eines Nachbargeschäfts in der unglückseligen Passage.
Werbung

„MAN MUSS VISIONEN HABEN, UM DIE ZUKUNFT ZU ERKENNEN, BEVOR SIE BEGINNT“

Alexander Loew ermuntert in seiner Betrachtung zum Wochenende dazu, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um die Passage wieder aufzuwerten. Da ziehe ich mit: am anderen Ende des Strangs. Dieser Zweckbau ist eine ästhetische Beleidigung. Die Probleme des Konzepts Konsumpassage sind nicht nur Greifswalder Natur, sie stehen symptomatisch für eine verfehlte Stadtplanungspolitik, besonders in den neuen Bundesländern. Das Centermanagement hat es versäumt, die ohnehin leerstehende Fläche durch mutige Ideen zu nutzen.

Unkommerzielle Zwischennutzung z.B. in Kooperation mit dem Kunstinstitut, hätte sicher das Bild der Passage und die Besucherzahl positiv beeinflusst. Vielleicht trägt ja auch das Centermanagement eine Mitschuld an der Misere? Die Firma rangiert bundesweit unter den Top 10, bezüglich gemanagter Handelsfläche.

„Man muss Visionen haben, um die Zukunft zu erkennen, bevor sie beginnt.“ Dieser Satz prangert einem Credo gleich auf der Internetseite des Unternehmens. Man muss Visionen haben, und vielleicht sollte man einen Anfang machen und der Dompassage eine Internetpräsenz gönnen. Eine Domain gibt es (http://www.dompassage.de), doch ein Klick reicht um sich klarzumachen, wieso Gewerbefläche in dieser Passage leersteht.

Zukünftiges erkennen, bevor es beginnt, heißt angesichts dieser trüben Aussichten, sich auf einen noch desaströseren Leerstand und schließlich auf die Schließung der Passage exklusive des Kinos, des einen Bäckers und des Geldautomatens einzustellen. Zu guter Letzt sei mir noch der Hinweis gestattet, dass einer der beiden durchgestylten Läden, nämlich Jesske, auch gerade eine Insolvenz hinter sich hat. Style allein reicht nicht.

Frischemarkt Rack gibt auf

Mit Bedauern musste ich vergangenen Freitag zur Kenntnis nehmen, dass der Konsumtempel meines Vertrauens nicht mehr ist. Knappe vier Jahre durfte ich dort die vergessenen Produkte — Salz, Brötchen, Milch usw. — nachkaufen. Trotz des exorbitant hohen Preisniveaus war jeder Einkauf dort ein Vergnügen für sich. Man war wer, gewissermaßen Stammkunde.

supermarkt greifswald

Man hörte geduldig zu, wenn die Angestellten an der Kasse oder an der Frischetheke die persönlichen Geschichten auspackten. Nun musste diese charmante Einrichtung den Nettos, Aldis, Lidls, Rewes, Pennys, Extras und Edekas weichen. Ein Verlust für jene, denen es um den Erhalt und die Entwicklung einer Stadtteilkultur, resp. eines Stadtteilbewußtseins geht. Schade.