In den vergangenen Monaten ist es um die vom Abriss akut bedrohte Straze ruhiger geworden. Der Greifswalder Grundstücksbasar ist jedoch nach wie vor quicklebendig. Ein Gastbeitrag der freien Journalistin Anke Lübbert.
Ein eigenes Grundstück unter seinem Wert zu verkaufen – das ist ziemlich dumm. Noch dümmer, wenn man nicht aus Not oder Unwissenheit seinen Besitz verscherbelt, sondern wider besseres Wissen. Genau so einen Ausverkauf plant aber die Stadtverwaltung. 2007 hatte sie für einen Teil der Fläche rund um das Schwedenkontor am Ryck 70 Euro pro Quadratmeter gezahlt. Ausgerechnet das Petruswerk soll die profitablen Grundstücke nun aber für 25,26 Euro kaufen dürfen.
AKTIONSBÜNDNIS FÜR TRANSPARENZ PROTESTIERT VOR DEM RATHAUS
Am Montag entscheidet die Bürgerschaft über den Verkauf. Ein kurzfristig gegründetes Aktionsbündnis für Transparenz hat bereits am Freitag überall in der Stadt Quadratmeter große Flächen markiert und am Wochenende an die 80 Plakate am Markt, Hafen, Mensa und Europakreuzung aufgehangen, um auf die Entscheidung aufmerksam zu machen. Kurz vor der Bürgerschaftssitzung am Montag gegen 17:30 Uhr will das Bündnis die Aktion mit einer Inszenierung vor dem Rathaus abschließen. „Aktion gegen Ausverkauf“ weiterlesen →
Im Greifswalder Lokalteil der gestrigen Ostsee-Zeitung ist ein sehr erhellender Artikel von Anke Lübbert über das Petruswerk erschienen. So habe sich Erzbischof Georg Maximilian Kardinal Sterzinsky für das Verhalten des hier schon häufig kritisierten Unternehmens entschuldigt.
In einem Brief des Kirchenvertreters an die grüne Bürgerschaftsfraktion heißt es:
„Mit Bedauern nehmen wir den Projektverlauf in Greifswald und für die Stadt Greifswald zur Kenntnis. […] Den Imageschaden, den ein solches Geschäftsgebaren des Petruswerkes mit sich bringt, insbesondere durch die Annahme, es handle sich um eine kirchliche beziehungsweise Bistumseinrichtung, beobachten wir mit Sorge“.
Die Entschuldigung des Erzbischofs mag zwar nur einen geringfügigen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung des Hauses in der Stralsunder Straße haben, aber die Demaskierung des Petruswerkes und seines Geschäftsführers Douglas Fernando ist schon eine Menge wert. Der vollständige OZ-Artikel ist leider nur Abonnenten vorbehalten und hier zu finden.
Das Hausieren mit christlichen Werten, das Spekulieren mit denkmalgeschützten Häusern und andere — auch das Mira betreffende — Immobiliengeschäfte in Greifswald sind Inhalt eines Beitrages, der hier vor etwa sieben Monaten veröffentlicht wurde und auf den ich nochmals hinweisen möchte.
Für viele ist der Kampf um das vom Abriss bedrohte Gesellschaftshaus in der Stralsunder Straße 10 schon verloren und in den letzten Wochen und Monaten wurde es auch um die Bürgerinitiative, die sich mit einem Konzept und den notwendigen Geldern anschickte, das denkmalgeschützte Gebäude zu retten, ruhiger.
Nun steht allerdings ein wichtiger Termin an, dessen Ergebnis Aufschluss über die Entwicklungen um das Haus geben wird. Heute erreichte mich ein offener Brief der BI an die Greifswalder Bürgerschaft, der hier veröffentlicht werden soll und für sich steht.
Sehr geehrte Mitglieder der Greifswalder Bürgerschaft, Am Dienstag den 24.11.2009 wird der Bauausschuss um 14Uhr eine Ortsbegehung in der Stralsunder Straße 10/11 durchführen. Dort wird der Investor, unterstützt vom Dezernenten Herrn Arenskrieger, feststellen, dass Teile des Gebäudes nicht mehr zu retten sind. Dies wird natürlich mit großer Betroffenheit geschehen, und alle werden dankbar sein, dass nur ein Teilabriss vorgeschlagen wird.
Doch genau so ein Vorgehen hat in der Vergangenheit oft dafür gesorgt, dass am Ende gar nichts mehr vom Gebäude übrig bleibt und wird normalerweise „Salami-Taktik” genannt. Die Stralsunder Straße 11 wäre dann die erste Scheibe. Wir können heute nicht sagen, welche Sachverständigen morgen vor Ort sein werden, wir können aber mit Sicherheit sagen, dass das Haus stabil steht und sich nicht weiter setzt. Wichtig ist, dass jetzt das Dach abgedichtet wird und das Haus so gesichert wird, dass es zu keinen weiteren Vandalismusschäden kommt.
Wir möchten Sie bitten, alles Notwendige zu unternehmen, damit das Haus in der Stralsunder Str.10/11 als Ganzes erhalten bleibt. Sollten sie die Möglichkeit haben, an der Begehung teilzunehmen, kommen Sie am Dienstag um 14Uhr in das ehemalige “Gesellschaftshaus Zum Greif”.
Übrigens: Dieser für Arbeitnehmer/innen nicht gerade glückliche Termin ist nicht die Idee des Bauausschusses, sondern kommt von Herrn Arenskrieger.
Mit Dank für ihre Unterstützung und freundlichen Grüßen
Manja Graaf für die Bürgerinitiative Stralsunder Straße 10
Mit illegalen Abrissarbeiten begann das Petruswerk als Eigentümer der Immobilie bereits am 14. Juli 2008. In diesem Sinne wäre es erhellend, morgen um 14 Uhr in der Stralsunder aufzutauchen und sich einmal eindrucksvoll demonstrieren zu lassen, wie Immobiliengeschäfte funktionieren und auch der Denkmalschutz nicht mehr länger zum Problem wird.
Den offenen Brief veröffentlichen übrigens auch die Greifswalder Grünen auf ihrem Blog.
Aus einem Artikel in der Ostsee Zeitung von Benjamin Fischer geht hervor, dass Michael Steiger (Die Grünen) Anzeige wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung gegen den Geschäftsführer des Petruswerks, Dr. Douglas Fernando, erstattet hat.
Ungewohnt deutlich nahm die Lokalzeitung Stellung zum undurchsichtigen Treiben um das Haus. So heißt es in der Bildunterschrift: „Bloß schnell alles wegbaggern, ehe jemand was mitbekommt. Hinter der Stralsunder Straße 10 wurde ein Fachwerkgebäude plattgemacht.“
Gestern Abend fand mit dem Auftritt des WDR-Kabarettisten Jürgen Becker die erste Veranstaltung des Vereins Kultur- und Initiativenhaus Greifswald statt, die aber leider nicht in der Straze, sondern im Fremdsprachen- und Medienzentrum der Universität ablief und somit Exilcharakter aufwies. Der webMoritz hat dazu einen Podcast veröffentlicht.
Das Petruswerk besitzt inzwischen nicht nur die Straze, sondern auch den Komplex in der Anklamer Straße, dessen Sanierung den unter dem Haus befindlichen Club mira sein Obdach kosten wird. Heute Mittag wurde Fernando vor dem Anwesen in der Anklamer Straße in Begleitung eines Kamerateams gesichtet — offenbar interessiert sich jetzt sogar GTV für diese Angelegenheit.
Gestern bewegte sich das erste Abrissfahrzeug auf den Hof der Straze und begann sein zerstörerisches Werk. Getroffen hat es ein altes zweistöckiges Fachwerkhaus.
„Binnen weniger Stunden machte eine Abrissfirma das Gebäude kurz und klein und hinterließ nur noch Schutt und Staub. Zudem wurden durch die Baggerschaufel auch einige Bäume in Mitleidenschaft gezogen. Der Verein Kultur- und Initiativenhaus Greifswald hatte vor in das Gebäude eine Holzwerkstatt zu integrieren.“ (greifkultur.de)
Die untere Bauaufsicht ist von dem Vorgang nicht informiert gewesen, nicht mal ein Abrissantrag lag nach Auskunft der Baubehörde vor. Die Grünen echauffieren sich auf ihrem Blog völlig zurecht:
Wir wünschen uns Menschen, die unsere Stadt entwickeln. Jene sind gerne willkommen. Wir brauchen aber niemanden, der unsere Geschichte ignoriert und an den Bedüfnissen der Greifswalder vorbeibaut. Es gibt kein Sanierungs- und Nutzungskonzept für die Strasunder 10 und der Baubeginn für den Akademiepark ist auf unbestimmte Zeit verschoben! Sieht so ein verlässlicher Investor aus?
Erinnern wir uns nochmal kurz des Investoren, der seine eigene Gemeinde verklagte und dessen Leitmotiv bekanntlich lautet: „“Es ist die soziale Verantwortung, der wir uns verpflichtet fühlen. Unser Ja zum Menschen.”
Wer denkt, das Treiben des Petruswerkes interessiere ihn nicht, weil die potentielle Straze-Klientel doch ohnehin zu alternativ sei, der sei darauf hingewiesen, dass die Baumaßnahmen in der Anklamer Straße, wo der gleiche Investor seine Vorstellungen sozialer Sanierung umsetzt, für eine rasche Schließung des Clubs mira sorgen werden.
Mit besonderem Nachdruck sei abschließend auf die neue Internetpräsenz der Gruppe verwiesen, die sich für den Erhalt der Stralsunder Straße 10 stark machen. Der Verein Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V. wird seine Öffentlichkeitsarbeit hoffentlich intensiver betreiben als die BI Straze und ist unter greifkultur.de erreichbar.
Das Berliner Petruswerk hat sich in den vergangenen Monaten nicht nur Freunde in Greifswald gemacht. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte das Berliner Unternehmen um den Immobilienspekulanten Douglas Fernando durch den Kauf der Stralsunder Straße 10, kurz Straze.
Die Bürgerinitiative zur Rettung des Hauses klagte immer wieder über Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit Fernando, der entgegen seinen Selbstdarstellungen Gespräche blockierte und auf konkrete Anfragen nicht reagierte.
Derweil leidet die Bausubstanz, das Dach wird langsam abgedeckt und auch bei einem Wasserrohrbruch wurde nicht sofort reagiert, ungeachtet der Hinweise der BI. Offensichtlich spielt hier jemand auf Zeit.
ÜBER HUNDERT NEUE ATTRAKTIVE STUDENTENAPARTMENTS
Zeitungsöffentlich wurde Fernandos Bauvorhaben heute nochmal aktualisiert und die OZ frohlockt, dass Greifswald bald um 110 attraktive Studentenapartments reicher werden könne. Die Lokalzeitung orakelt weiter, er hätte „das geschichtsträchtige Haus auf Wunsch der Universität vor zwei Jahren gekauft“.
Nun würde er es erst für den doppelten Kaufpreis (600.000 Euro) veräußern. Involvierte sprechen bei dieser Summe sogar vom Dreifachen des Kaufpreises. Das Preisgefälle begründet Fernando mit Planungs- und Entwicklungskosten von über 300.000 Euro. Das ist ganz schön viel.
Auf der Internetseite des Unternehmens wird die selbstgestellte Frage, was das Petruswerk einzigartig mache, freimütig beantwortet: „Es ist die soziale Verantwortung, der wir uns verpflichtet fühlen. Unser Ja zum Menschen.“
Fernando bietet dem aus der Bürgerinitiative hervorgegangenem Verein Kultur- und Initiativenhaus an, den Saal in der Straze zu mieten, während im restlichen Teil des Hauses Studentenwohnungen installiert werden.
Es ist natürlich klar, dass sich so schallschutzbedingt weder ein Konzerthaus noch eine Theaterspielstätte etablieren kann. Die Vorwürfe, den Abriss des denkmalgeschützen Hauses beantragt zu haben, wies Fernando zurück: „Das war anfänglich nur kurz im Gespräch“
AKADEMIEPARK KOMMT – MIRA MUSS GEHEN
Das Petruswerk ist allerdings auch an anderer Stelle in der Stadt unternehmerisch aktiv. In der Anklamer Straße haben die Berliner ein etwa 9500m² großes Grundstück gekauft. Dazu gehört auch der Gründerbau Ecke Stellingstraße, dessen Keller das mira beheimatet, das sich nun nach einem neuen Standort umsehen muss.
Die Entwürfe auf der Internetseite des Unternehmens sind nicht aufregend und erinnern eher an die architektonischen Albträume von Youniq denn an schönes Bauen.
Laut webMoritz sollen dort 400 Studentenwohnungen, „vor allem Einzimmer-Appartements, aber auch Wohnungen für Paare, für Behinderte und für Wohngemeinschaften, entstehen“.
WIE GEHTS WEITER?
Das Petruswerk pokert in der Stralsunder und schafft Tatsachen in der Anklamer Straße. Es bleibt zu hoffen, dass der Verein Kultur- und Initiativenhaus es doch noch irgendwie schaffen kann, die Immobilie vor dem Tod durch Sanierung zu bewahren und ein neues sozio-kulturelles Zentrum zu schaffen. Aber das wird eine schwierige Aufgabe.
Ein Blick auf die Liste der Gruppen und Initiativen, die früher in der Straze Arbeits- und Lebensraum gefunden haben, mag erhellend dazu beitragen, den Sinn eines sozio-kulturellen Zentrums zu erkennen. Zu den Nutzern des Hauses vor dem Verkauf zählten: das Caspar-David-Friedrich-Institut (Ateliers), das Historische Institut, der Hochschulsport, das Studententheater, GrIStuF, radio 98eins, Greenpeace, HSG UniGryps, die Tanzgruppe „Laribundus“, die Moritz-Gruppe, die BUND-Ortsgruppe, AK Ökologie, die BI Kernenergie und ein Kinderzirkus.
Einige der Gruppen sind heute quasi obdachlos, andere sind in Gebäuden untergebracht, deren Nutzung aus baupolizeilichen Gründen terminiert ist (z.B. Moritz Medien und GrIStuF in der Wollweberstraße).
Der Bedarf für ein Zukunftprojekt Straze besteht offenkundig, eine Betriebsstruktur wurde geschaffen und Gelder für den Immobilienkauf sind akquiriert worden. Jetzt müssten sich nur noch Douglas Fernando und das Petruswerk ihrer sozialen Verantwortung verpflichtet fühlen.
(Bildquellen: Feldweg via Flickr, Petruswerk, BI Straze)