Der fünzigjährige WDR Kabarettist Jürgen Becker, der seit 1992 die Sendung „Mitternachtsspitzen“ komoderiert, wird heute um 20 Uhr im Fremdsprachen- und Medienzentrum (Bahnhofstr. 50) zu erleben sein.
Der Veranstaltung ist ein gewisser Exilcharakter attestierbar, denn sie wird vom Verein Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V. organisiert. Der Verein kämpft für den Erhalt und die Nutzung des Hauses Stralsunder Straße 10 und wurde an dieser Stelle schon mehrfach erwähnt. In ihm sind nicht nur Einzelpersonen versammelt, auch das Greifswalder Studierendentheater Stuthe ist Mitglied.
Jürgen Becker ist derzeit mit seinem aktuellen Programm „Ja, was glauben Sie denn?“ unterwegs. Der aus dem WDR bekannte Kabarettist wird in der mythischen Ursuppe der Weltreligionen rühren und sie kräftig mit rheinischem Humor würzen. Aufgrund der großen Nachfrage empfehlen die Veranstalter den Voraberwerb der (exorbitant hohen) Eintrittskarten, die man in der Stadtinformation am Markt, im Café Koeppen (Bahnhofstr. 4) und im Weltladen (im St. Spiritus) erwerben kann.
Gestern bewegte sich das erste Abrissfahrzeug auf den Hof der Straze und begann sein zerstörerisches Werk. Getroffen hat es ein altes zweistöckiges Fachwerkhaus.
„Binnen weniger Stunden machte eine Abrissfirma das Gebäude kurz und klein und hinterließ nur noch Schutt und Staub. Zudem wurden durch die Baggerschaufel auch einige Bäume in Mitleidenschaft gezogen. Der Verein Kultur- und Initiativenhaus Greifswald hatte vor in das Gebäude eine Holzwerkstatt zu integrieren.“ (greifkultur.de)
Die untere Bauaufsicht ist von dem Vorgang nicht informiert gewesen, nicht mal ein Abrissantrag lag nach Auskunft der Baubehörde vor. Die Grünen echauffieren sich auf ihrem Blog völlig zurecht:
Wir wünschen uns Menschen, die unsere Stadt entwickeln. Jene sind gerne willkommen. Wir brauchen aber niemanden, der unsere Geschichte ignoriert und an den Bedüfnissen der Greifswalder vorbeibaut. Es gibt kein Sanierungs- und Nutzungskonzept für die Strasunder 10 und der Baubeginn für den Akademiepark ist auf unbestimmte Zeit verschoben! Sieht so ein verlässlicher Investor aus?
Erinnern wir uns nochmal kurz des Investoren, der seine eigene Gemeinde verklagte und dessen Leitmotiv bekanntlich lautet: „“Es ist die soziale Verantwortung, der wir uns verpflichtet fühlen. Unser Ja zum Menschen.”
Wer denkt, das Treiben des Petruswerkes interessiere ihn nicht, weil die potentielle Straze-Klientel doch ohnehin zu alternativ sei, der sei darauf hingewiesen, dass die Baumaßnahmen in der Anklamer Straße, wo der gleiche Investor seine Vorstellungen sozialer Sanierung umsetzt, für eine rasche Schließung des Clubs mira sorgen werden.
Mit besonderem Nachdruck sei abschließend auf die neue Internetpräsenz der Gruppe verwiesen, die sich für den Erhalt der Stralsunder Straße 10 stark machen. Der Verein Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V. wird seine Öffentlichkeitsarbeit hoffentlich intensiver betreiben als die BI Straze und ist unter greifkultur.de erreichbar.
Das Berliner Petruswerk hat sich in den vergangenen Monaten nicht nur Freunde in Greifswald gemacht. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte das Berliner Unternehmen um den Immobilienspekulanten Douglas Fernando durch den Kauf der Stralsunder Straße 10, kurz Straze.
Die Bürgerinitiative zur Rettung des Hauses klagte immer wieder über Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit Fernando, der entgegen seinen Selbstdarstellungen Gespräche blockierte und auf konkrete Anfragen nicht reagierte.
Derweil leidet die Bausubstanz, das Dach wird langsam abgedeckt und auch bei einem Wasserrohrbruch wurde nicht sofort reagiert, ungeachtet der Hinweise der BI. Offensichtlich spielt hier jemand auf Zeit.
ÜBER HUNDERT NEUE ATTRAKTIVE STUDENTENAPARTMENTS
Zeitungsöffentlich wurde Fernandos Bauvorhaben heute nochmal aktualisiert und die OZ frohlockt, dass Greifswald bald um 110 attraktive Studentenapartments reicher werden könne. Die Lokalzeitung orakelt weiter, er hätte „das geschichtsträchtige Haus auf Wunsch der Universität vor zwei Jahren gekauft“.
Nun würde er es erst für den doppelten Kaufpreis (600.000 Euro) veräußern. Involvierte sprechen bei dieser Summe sogar vom Dreifachen des Kaufpreises. Das Preisgefälle begründet Fernando mit Planungs- und Entwicklungskosten von über 300.000 Euro. Das ist ganz schön viel.
Auf der Internetseite des Unternehmens wird die selbstgestellte Frage, was das Petruswerk einzigartig mache, freimütig beantwortet: „Es ist die soziale Verantwortung, der wir uns verpflichtet fühlen. Unser Ja zum Menschen.“
Fernando bietet dem aus der Bürgerinitiative hervorgegangenem Verein Kultur- und Initiativenhaus an, den Saal in der Straze zu mieten, während im restlichen Teil des Hauses Studentenwohnungen installiert werden.
Es ist natürlich klar, dass sich so schallschutzbedingt weder ein Konzerthaus noch eine Theaterspielstätte etablieren kann. Die Vorwürfe, den Abriss des denkmalgeschützen Hauses beantragt zu haben, wies Fernando zurück: „Das war anfänglich nur kurz im Gespräch“
AKADEMIEPARK KOMMT – MIRA MUSS GEHEN
Das Petruswerk ist allerdings auch an anderer Stelle in der Stadt unternehmerisch aktiv. In der Anklamer Straße haben die Berliner ein etwa 9500m² großes Grundstück gekauft. Dazu gehört auch der Gründerbau Ecke Stellingstraße, dessen Keller das mira beheimatet, das sich nun nach einem neuen Standort umsehen muss.
Die Entwürfe auf der Internetseite des Unternehmens sind nicht aufregend und erinnern eher an die architektonischen Albträume von Youniq denn an schönes Bauen.
Laut webMoritz sollen dort 400 Studentenwohnungen, „vor allem Einzimmer-Appartements, aber auch Wohnungen für Paare, für Behinderte und für Wohngemeinschaften, entstehen“.
WIE GEHTS WEITER?
Das Petruswerk pokert in der Stralsunder und schafft Tatsachen in der Anklamer Straße. Es bleibt zu hoffen, dass der Verein Kultur- und Initiativenhaus es doch noch irgendwie schaffen kann, die Immobilie vor dem Tod durch Sanierung zu bewahren und ein neues sozio-kulturelles Zentrum zu schaffen. Aber das wird eine schwierige Aufgabe.
Ein Blick auf die Liste der Gruppen und Initiativen, die früher in der Straze Arbeits- und Lebensraum gefunden haben, mag erhellend dazu beitragen, den Sinn eines sozio-kulturellen Zentrums zu erkennen. Zu den Nutzern des Hauses vor dem Verkauf zählten: das Caspar-David-Friedrich-Institut (Ateliers), das Historische Institut, der Hochschulsport, das Studententheater, GrIStuF, radio 98eins, Greenpeace, HSG UniGryps, die Tanzgruppe „Laribundus“, die Moritz-Gruppe, die BUND-Ortsgruppe, AK Ökologie, die BI Kernenergie und ein Kinderzirkus.
Einige der Gruppen sind heute quasi obdachlos, andere sind in Gebäuden untergebracht, deren Nutzung aus baupolizeilichen Gründen terminiert ist (z.B. Moritz Medien und GrIStuF in der Wollweberstraße).
Der Bedarf für ein Zukunftprojekt Straze besteht offenkundig, eine Betriebsstruktur wurde geschaffen und Gelder für den Immobilienkauf sind akquiriert worden. Jetzt müssten sich nur noch Douglas Fernando und das Petruswerk ihrer sozialen Verantwortung verpflichtet fühlen.
(Bildquellen: Feldweg via Flickr, Petruswerk, BI Straze)
Die Zukunft des Hauses Stralsunder Straße 10 bleibt ungewiss. Nachdem die Bürgerinitiative im vergangenen Jahr mit vielfältigen Aktionen auf die Ungereimtheiten um den Hausverkauf hinwies und mit der Stralsunder Straße 10 GmbH eine Struktur geschaffen wurde, über die der Hauskauf abgewickelt werden könnte, stocken nun die Verhandlungen.
Der momentane Eigentümer Dr. Douglas Fernando, der die Immobilie im Januar 2008 kaufte, fordere nach wie vor das Dreifache des Kaufpreises. Doch damit nicht genug. In einer Pressemitteilung weist die Bürgerinitiative darauf hin, dass der Vorentwurf zum städtischen Bebauungsplan 105 das Haus zwar als „Initialprojekt zur zukünftigen Entwicklung des Stadtteils“ hervorhebt, allerdings keine Auskunft darüber gäbe, wie das geschehen soll.
Der Verein Kultur- und Initiativenhaus, der als einziger ein derartiges Konzept vorgelegt hätte, sei zu den Planungen nicht befragt worden. Der Vorentwurf zum Bebauungsplan sei aufgrund fehlender Freifläche mit den Sanierungsabsichten des Vereins inkompatibel.
In der Pressemitteilung heisst es weiter: „Da niemand sonst einen Plan zur Rettung und zum Betrieb des denkmalgeschützten Hauses vorgelegt hat, fürchtet die Bürgerinitiative einen eklatanten Rückschritt bei den Bemühungen das Gebäude zu retten. Vandalismus und Verfall schreiten seit Monaten fort, obwohl alle Beteiligten ihr Interesse am Erhalt bekundet hätten und der Verein sofort mit der Gebäudesicherung und der Sanierung beginnen könnte.“
Die Bürgerinitiative lädt nun alle Interessierten zu einer Bürgerversammlung am 28. Mai um 19.00 Uhr in der Stralsunder Straße 46 ein. Hier soll nochmal ausführlich über die Entwicklung des Stadtteils und der Straze gesprochen werden. Laut Bürgerinitiative könne nur ein Gegenentwurf die Rettung des Hauses garantieren, der „eine inhaltliche Integration der Gebäudenutzung in der Stralsunder Straße 10/11 mit dem Stadtteilleben sicherstellt“.
Diese Entwicklungen sind nicht unbedingt überraschend. Gestalteten sich die ersten Aktivitäten zur Rettung des Gebäudes scheinbar unkompliziert und vor allem vergleichsweise rasant, sieht sich der Verein inzwischen mit ganz anderen Kräften konfrontiert.
Das schlimmste Übel ist dabei sicherlich die Stagnation. Tag für Tag schreitet der Verfall des Hauses voran und schließlich wird es nicht mehr zu retten sein. Und am Ende darf es dann doch abgerissen werden, ehe es zusammenfällt.
Hier könnte sich ein düsteres Stück Stadtgeschichte wiederholen. Ich erinnere an die Entwicklung des ehemaligen AJZ am Karl-Marx-Platz, das nach der Räumung vor nunmehr neun Jahren leersteht und dessen Bausubstanz vermutlich weitestgehend unbrauchbar ist. Das sich Geschichte immer wiederholen muss.
Die Quereleien und die sich abzeichnende Rettung des Hauses Stralsunder Straße 10/11 – bekannter als Straze – waren schon häufiger Thema auf diesem Blog. Am Montag wird im Pommerschen Landesmuseum ein Vortrag von Felix Schönrock und Anke Köppe zur Geschichte des Hauses stattfinden.
Fleischervorstadt-Blogleser Feldweg hat diesen absolut empfehlenswerten Termin glücklicherweise im Uniforum gepostet.
In der Ankündigung heißt es:
In den letzten Monaten rückte ein imposantes, aber lange vernachlässigtes Haus in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Die Stralsunder Straße 10/11. Das stadtbildprägende Gebäude war während des 19. Jahrhunderts eines der wichtigsten Zentren des gesellschaftlichen Lebens in Greifswald.
Ab 1922 gehörte es der Greifswalder Universität und ist daher auch mit deren Geschichte im 20. Jahrhundert eng verbunden. Als dem in der Region wohl letzten erhaltenen Konzert- und Gesellschaftshaus kommt ihm ein hoher Denkmalwert zu.
Felix Schönrock und Anke Köppe werden in einem reich bebilderten Vortrag die Ergebnisse der jüngsten Recherchen zur Geschichte dieses markanten Bauwerks vorstellen und dabei auch neu erschlossenes Material präsentieren.
Das Pommersche Landesmuseum und die Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst laden herzlich zu Vortrag „Die Geschichte des Konzert- und Gesellschaftshauses in der Stralsunder Straße 10/11“ am Montag, 23. März, um 19.00 Uhr ins Pommersche Landesmuseum ein.
Im Rahmen der Greifswalder Kulturnacht stellte die BI Straze einige interessante Dokumente, die mit dem Haus zusammenhängen, aus. Hervorhebenswert sind die mitunter schon sehr alten Bilder des Hauses und Photographien klassizistischer Fresken, deren Erhalt durch die Pläne des neuen Eigentümers gefährdet ist.
Wer die Ausstellung noch nicht gesehen hat, kann sich an dieser Stelle alle Tafeln als pdf-Dokument gebündelt herunterladen und ansehen. Es lohnt sich!