Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #11

„So stehen wir vor den Himmelstoren / doch alles schweigt und unser Pochen bleibt ergebnislos / Wir wollten gerade wieder gehen / doch dann kam Lärm aus diesem zwielichtigen Kellerloch / Wir sehen das glühend rote Licht / das unterirdisch flackernd ist / die größte Party der Geschichte / ist scheinbar ohne uns in Gang“

kurze wege lange nächte 11Dieses Wochenende wird von der stadtweiten Kulturnacht dominiert, die nun zum neunten Mal stattfindet und eine Vielzahl von Veranstaltungen offeriert. Besondere Aufmerksamkeit sollte man dabei zwei Veranstaltungen zuteil werden lassen, die auf diametrale Arten mit dem Internet verwoben sind: Franziska Harnisch eröffnet eine Ausstellung, in der sie ihre prokrastinative Facebook-Welt auf die Leinwand hievt, während Huey Walker auf der anderen Gegenfahrbahn einen Ambient-Stream anzettelt und diesen ins Netz jagt.

„R.L. SOLL MAN K.“: VERNISSAGE IN DER NEUEN WIRKSTATT

franziska harnischR. L. soll man k. lautet der Titel, unter dem sich die Greifswalder Kunststudentin Franziska Harnisch mit Fragen von Repräsentation, Privatsphäre und Geschlecht auseinandersetzte. Ihre Arbeitsthese: „Frauen, die Lippenstift tragen, wollen damit nur auf ihre Vagina hinweisen“. Diese Ausstellung soll bereits in den vergangenen Monaten für Zündstoff gesorgt haben.

Die Vernissage wird von einer Lesung des hiesigen Autorens Jürgen Landt begleitet. Mit der Ausstellung wird in den Räumlichkeiten des früheren Malorts die sogenannte Wirkstatt eröffnet.

Fakten:
16.09. | 18 Uhr (Vernissage) | Wirkstatt (Gützkower Str. 83)
16.09. | 20 Uhr (Lesung) | Wirkstatt

Hinweis: In einer früheren Version des Beitrags ging es um eine andere Ausstellung Harnischs, die sich tatsächlich mit den Facebook-Profilbildern auseinandersetzte. Bild und Text wurden verändert.

IMMER IN BEWEGUNG: HUEY WALKER

Genau entgegengesetzt agiert Wunderwuzzi Huey Walker aka Lofi Deluxe aka Fantaghiro Konto, der sich schon am Nachmittag im entschleunigten Ruheraum der Alten Bäckerei einnistet und die aus der behaglichen Abgeschiedenheit herauswachsende Soundkulisse in einen Live-Online-Stream verwandelt.

huey walker cover„Über mehrere Stunden werden Huey und seine Instrumente sich in kontemplativer Einheit üben und in spontanen Rückkopplungen zwischen Mensch und Maschinen ein mehrstündiges Konzert zwischen Ambientmusik, Klangcollage und Geräuschgerumpel spielen.

Mit Loopmachine und Effektschleifen erzeugt Huey Walker ein ausgedehntes Klangland, in dem die Töne mal wild und Haken schlagend in der Gegend herumtollen, mal beharrlich in sich selbst verweilen und als cosmic drone in den Eigendynamiken der schwingenden Frequenzen mäandern.“

Walker wird aus diesen Aufnahmen die Mini-CD Abeamsentpets herausschälen, die kurz darauf veröffentlicht werden soll. Die Performance, die er selbst in der Bewegungsreihe der Alten Bäckerei verortet, findet im Schaufenster des Kunstraums statt. Für diesen Aufruhr gibt es sogar einen Videotrailer.

Der Live-Stream des Konzert wird ab 17 Uhr auf der Website des Künstlers realisiert und kann dort später auch heruntergeladen werden.

Fakten: 16.09. | 17 Uhr | Alte Bäckerei

FRÜH INS BETT: KULTURNACHT

Zur neunten Kulturnacht öffnen nicht weniger als 37 Veranstaltungsorte ihre Türen und bieten die unterschiedlichsten Bildungs- und Zerstreuungsofferten an. Die reichen vom noch immer musizierenden Puhdys-Nachwuchs Bell, Book and Candle („Rescue me“) über die klassische Kneipen-Blues-Band bis zum Kammerchorkonzert im Dom.

Außerdem werden Vorträge, Führungen, Ausstellungen und Lesungen angeboten, zum Beispiel im Erotikfachgeschäft Sarabande, das wie schon im letzten Jahr mit von der Partie ist und wo heute Abend die Kurzgeschichtensammlung Sexlibris vorgestellt wird. Die Geschichten der 30 Autorinnen malen um ein vielfältiges Bild von Erotik und Sexualität, es geht um „verbotene Begierden, Voyeurismus, Transvestiten, Telefonsex, lesbische Beziehungen, Bondage und  käufliche Liebe“.

kulturnacht greifswaldIn den Insomnale-Hallen am Bahnhof entgrenzen ab 18 Uhr die Kunstfreundinnen von Polly Faber den beschränkten Kosmos beliebter Gesellschaftsspiele. Tangoliebhaber kommen im Koeppen auf ihre Kosten, wo sich die Freunde des vollen Mondes ihrer Leidenschaft für sowohl klassisch-argentinische als auch melancholische Spielarten finnischer Schule hingeben werden.

Im Ravic geben sich traditionsgemäß die Hanselunken die Ehre und in der Museumswerft spielen ab 20.30 Uhr Pergünth. Für den Tanz danach sorgen dort die beiden DJs Horst e. und Mr. Burns.  Um Mitternacht wird das Spektakel an den meisten Orten vorüber sein, allerdings nicht in der Kulturbar, wo Silvio Marquardt noch in die Platten greifen wird.

Es ist viel los und irgendwie ist gleichzeitig alles verschlafen — wer gerne etwas später ins Bett geht und nicht auf Hardcore steht, wird sich an diesem Wochenende womöglich langweilen, bis die Beine bluten.

Alte Bäckerei: „Das erste, was bei mir hing, war die Haut unter meinen Augen“

Nur einen Tag nach Eröffnung der Insomnale feiern am heutigen Frühabend zwei Studentinnen des hiesigen Kunstinstituts bereits die nächste Vernissage.

harnisch - das erste was hingIn der Alten Bäckerei präsentieren Franziska Harnisch und Mandy Witt, deren künstlerisches Schaffen sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht oft parallel geschieht, erstmals ihre Arbeiten zusammen. Der Ausstellungstitel Das erste, was bei mir hing, war die Haut unter meinen Auge beschreibt die malerisch-grafische Auseinandersetzung mit Farbe und Zeichnung auf kleinem Format.

Nach der Vernissage ist die Ausstellung vom 11. bis zum 16. Juni jeweils von 15-18 Uhr geöffnet.

Fakten: 09.06. | 18 Uhr | Alte Bäckerei

Vernissage: Sebastian Gürcke „Gute Kinderstube“

Die Alte Bäckerei lädt zur Vernissage und wirbt mit Mashups und Readymades von Sebastian Gürcke. Einige mögen vielleicht vor einem Jahr seine Examensausstellung in der Dompassage besucht und seine Liaison mit der DDR-Plattenromantik gesehen haben. Wem dieses Vergnügen bislang versagt blieb, sollte sich in die Mehringstraße aufmachen, um einen prüfend-neugierigen Blick auf Gürckes Ausstellung Gute Kinderstube zu werfen.

Die Ausstellung „Gute Kinderstube“ ist eine unkonventionelle „Antwort“ bzw. „Reaktion“ auf die zentrale Frage: Wer bin ich & wo komme ich her? Als Teil der „DDR-Kinder-Wende-Generation“ die aktiv mit der DDR in Berührung kam, aber nicht mehr in ihr groß wurde, reflektiert & resümiert Sebastian Gürcke in Form von Collagen & Vorgefundenem über sich selbst, die Post-Wendezeit & eine Art Doppelmoral.“ (Alte Bäckerei)

Nach der Vernissage ist die Ausstellung vom 19. bis zum 25. April, täglich zwischen 17 und 20 Uhr, geöffnet.

sebastian gürcke kinderstube
Fakten: 18.04. | 18 Uhr | Alte Bäckerei (Vernissage)

Alte Bäckerei: Zdeněk Burian „Leben in der Urzeit“

Die Alte Bäckerei geht den jungen Frühling paläontologisch an und präsentiert in einer Ausstellung Skizzen des tschechischen Zeichners Zdeněk Burian.

Mit seinen Illustrationen verewigte sich dieser im wohl verbreitetsten Saurierschinken Zdeněk Špinas: Leben in der Urzeit. Burian wird als signierender Gast angekündigt, umso spannender wird die Auflösung der Frage sein, wer an seiner statt auftreten wird, denn der vielkopierte Mähre ist vor knapp 30 Jahren verstorben.

alte bäckerei burian!

Die Ausstellung ist vom 11. bis zum 15. April täglich von 16-18 Uhr geöffnet.

Fakten: 08.04. | 17 Uhr | Alte Bäckerei

Vernissage: David Reichenbach „Lichtgeburten“

Heute Abend findet in der Alten Bäckerei endlich wieder eine Vernissage statt. David Reichenbach wird mit Lichtgeburten photographische Zeichnungen präsentieren.

photographische Zeichnungen reichenbachAusgangspunkt dieser Arbeiten ist die Photographie in ihrem ursprünglichen Sinne als Zeichnen mit Licht. Um der „Zeichnung“ gerecht zu werden, erfolgt jedoch eine Beschränkung auf die Linie, die sich einerseits als mittels Kamera und Film fixierter Lichtstrahl in der Dunkelheit ergibt.

Andererseits erlaubt jedoch auch  der direkte Einsatz der Chemikalien auf dem Papier unter Lichteinwirkung das Hervorbringen tiefdunkler Linien. Und so ist es hier wie da das Licht, welches am Schnittpunkt von Photographie und Zeichnung Dinge aus dem Dunkel holt und Spuren sichtbar werden lässt.

Fakten: 12.01. | 19 Uhr | Alte Bäckerei