Das vergangene Wochenende nutzte die Greifswalder Sektion der Hedonistischen Internationalen, um am Tag der Befreiung mit einem lebendigen Politrave im Freien aufzuwarten. An dieser Versammlung, die vom Nachmittag bis in den frühen Abend andauerte, nahmen insgesamt etwa 300 Leute teil, die auf der ersten größeren Greifswalder Open Air Veranstaltung dieser Art den anbrechenden Sommer begrüßten.
Die Hedonistinnen haben auf ihrem Flickr-Account derweil die ersten visuellen Eindrücke des Spektakels versammelt und rufen dazu auf, noch mehr Bilder einzusenden. Außerdem wurde auf deren Internetpräsenz der von den lustgetriebenen Aktivistinnen beigesteuerte Redebeitrag zum Tag der Befreiung als Audiodatei veröffentlicht. Als Dreingabe wird auf der gleichen Seite auch noch das Set von verschnibbt & zugenäht angeboten.
Von der mehr als gelungenen Veranstaltung ist inzwischen auch ein Video aufgetaucht – wer nicht feiert hat verloren!
Im November des vergangenen Jahres wurde im Koeppenhaus eine Ausstellung eröffnet, die sich dem Greifswald der Wendezeit und der vorhergehenden Dekade widmete.
Bis Ende Januar wurden einem interessierten Publikum Fotografien zugänglich gemacht, die Momentaufnahmen einer verstörenden Zeit des Umbruchs festhielten und vor Augen führten, wie schnell sich ein Viertel, eine Stadt oder eine Zeit verändert und wie rückstandslos die Erinnerungen versiegen.
Das Koeppenhaus hat inzwischen einen Account im sozialen Foto-Netzwerk Flickr eingerichtet und macht die Bilder so einer größeren Öffentlichkeit zugänglich.
Bis auf die grandiosen Fotos von Torsten Rütz, die bedauerlicherweise nur in winzigstem Format hochgeladen wurden, stehen die meisten Aufnahmen in akzeptabler Qualität zur Verfügung: Die besetzten Häuser in der Wachsmann-Straße, die Luftaufnahme um 1980, die Greifswald aussehen lässt wie nach einem Bombenangriff; Wahlplakate, die vom Einzug eines demokratischeren politischen Systems zeugen, der mit Demonstraten gefüllte Marktplatz einer Anti-Atom-Demonstration 1992, der zum Friedensgebet bis auf den letzten Platz gefüllte Dom, eine Menschenkette in der Gützkowerstraße des Umbruchsjahres 1989; Soldatinnen, die auf dem Marktplatz zu Offizieren ernannt wurden, Rummel und Fahrgastgeschäfte auf dem Nexö-Platz und schließlich ein Schnappschuss aus einer Disko im Jahr 1992.
Nachhaltig-funktionale Ausstellung 2.0
Hier wird vorgeführt, wie eine konzipierte Ausstellung auch nach ihrem Abbau noch wirksam sein kann, wie funktional sich die Archivierung und Veröffentlichung historischer Dokumente mithilfe neuer Medien gestalten lässt und wie man die gezeigten Fotos auch jenen zugänglich machen kann, denen ein Besuch nicht vergönnt war. Jetzt fehlt nur noch das Video, das einst ausstellungsbegleitend gezeigt wurde.
Am 16. September wird übrigens in der kleinen Rathausgalerie die Fotodokumentation Greifswald gestern und heute eröffnet. Hierfür fertigte Zsolt Kemény aus Ungarn, der bis kurz vor der Wende drei Jahre seiner Kindheit in Greifswald verbrachte, Collagen aus damals entstandenen Fotos und Aufnahmen neuerlicher Begehungen der Hansestadt: „In einer ganz eigenen Art stellt er Fotos aus der Vorwendezeit aktuellen Aufnahmen gegenüber, schiebt sie übereinander, gestaltet ein neues Stadtbild.“
Das Resultat dieser Bemühungen sieht auf dem nebenstehenden Bild eher gewöhnungsbedürftig aus, aber vielleicht schlummert auch hier einiges, was sich zu entdecken lohnt.
Fakten: 16.09. – 14.10. | 8-18 Uhr (Mo-Do, Fr bis 15.30) | Kleine Rathausgalerie
Das Berliner Petruswerk hat sich in den vergangenen Monaten nicht nur Freunde in Greifswald gemacht. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte das Berliner Unternehmen um den Immobilienspekulanten Douglas Fernando durch den Kauf der Stralsunder Straße 10, kurz Straze.
Die Bürgerinitiative zur Rettung des Hauses klagte immer wieder über Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit Fernando, der entgegen seinen Selbstdarstellungen Gespräche blockierte und auf konkrete Anfragen nicht reagierte.
Derweil leidet die Bausubstanz, das Dach wird langsam abgedeckt und auch bei einem Wasserrohrbruch wurde nicht sofort reagiert, ungeachtet der Hinweise der BI. Offensichtlich spielt hier jemand auf Zeit.
ÜBER HUNDERT NEUE ATTRAKTIVE STUDENTENAPARTMENTS
Zeitungsöffentlich wurde Fernandos Bauvorhaben heute nochmal aktualisiert und die OZ frohlockt, dass Greifswald bald um 110 attraktive Studentenapartments reicher werden könne. Die Lokalzeitung orakelt weiter, er hätte „das geschichtsträchtige Haus auf Wunsch der Universität vor zwei Jahren gekauft“.
Nun würde er es erst für den doppelten Kaufpreis (600.000 Euro) veräußern. Involvierte sprechen bei dieser Summe sogar vom Dreifachen des Kaufpreises. Das Preisgefälle begründet Fernando mit Planungs- und Entwicklungskosten von über 300.000 Euro. Das ist ganz schön viel.
Auf der Internetseite des Unternehmens wird die selbstgestellte Frage, was das Petruswerk einzigartig mache, freimütig beantwortet: „Es ist die soziale Verantwortung, der wir uns verpflichtet fühlen. Unser Ja zum Menschen.“
Fernando bietet dem aus der Bürgerinitiative hervorgegangenem Verein Kultur- und Initiativenhaus an, den Saal in der Straze zu mieten, während im restlichen Teil des Hauses Studentenwohnungen installiert werden.
Es ist natürlich klar, dass sich so schallschutzbedingt weder ein Konzerthaus noch eine Theaterspielstätte etablieren kann. Die Vorwürfe, den Abriss des denkmalgeschützen Hauses beantragt zu haben, wies Fernando zurück: „Das war anfänglich nur kurz im Gespräch“
AKADEMIEPARK KOMMT – MIRA MUSS GEHEN
Das Petruswerk ist allerdings auch an anderer Stelle in der Stadt unternehmerisch aktiv. In der Anklamer Straße haben die Berliner ein etwa 9500m² großes Grundstück gekauft. Dazu gehört auch der Gründerbau Ecke Stellingstraße, dessen Keller das mira beheimatet, das sich nun nach einem neuen Standort umsehen muss.
Die Entwürfe auf der Internetseite des Unternehmens sind nicht aufregend und erinnern eher an die architektonischen Albträume von Youniq denn an schönes Bauen.
Laut webMoritz sollen dort 400 Studentenwohnungen, „vor allem Einzimmer-Appartements, aber auch Wohnungen für Paare, für Behinderte und für Wohngemeinschaften, entstehen“.
WIE GEHTS WEITER?
Das Petruswerk pokert in der Stralsunder und schafft Tatsachen in der Anklamer Straße. Es bleibt zu hoffen, dass der Verein Kultur- und Initiativenhaus es doch noch irgendwie schaffen kann, die Immobilie vor dem Tod durch Sanierung zu bewahren und ein neues sozio-kulturelles Zentrum zu schaffen. Aber das wird eine schwierige Aufgabe.
Ein Blick auf die Liste der Gruppen und Initiativen, die früher in der Straze Arbeits- und Lebensraum gefunden haben, mag erhellend dazu beitragen, den Sinn eines sozio-kulturellen Zentrums zu erkennen. Zu den Nutzern des Hauses vor dem Verkauf zählten: das Caspar-David-Friedrich-Institut (Ateliers), das Historische Institut, der Hochschulsport, das Studententheater, GrIStuF, radio 98eins, Greenpeace, HSG UniGryps, die Tanzgruppe „Laribundus“, die Moritz-Gruppe, die BUND-Ortsgruppe, AK Ökologie, die BI Kernenergie und ein Kinderzirkus.
Einige der Gruppen sind heute quasi obdachlos, andere sind in Gebäuden untergebracht, deren Nutzung aus baupolizeilichen Gründen terminiert ist (z.B. Moritz Medien und GrIStuF in der Wollweberstraße).
Der Bedarf für ein Zukunftprojekt Straze besteht offenkundig, eine Betriebsstruktur wurde geschaffen und Gelder für den Immobilienkauf sind akquiriert worden. Jetzt müssten sich nur noch Douglas Fernando und das Petruswerk ihrer sozialen Verantwortung verpflichtet fühlen.
(Bildquellen: Feldweg via Flickr, Petruswerk, BI Straze)
Schon mal was von Sterni, dem original Sternburg Bier-Fanmagazin gehört? Das monatlich erscheinende, liebevoll gestaltete und editierte Fanzine spart nie mit Lob, wenn es um das beliebteste Billigbier geht.
Das Cover der aktuellen Ausgabe schmückt ein junger Mann aus Greifswald, der sich auch schon in der Vergangenheit für die Biermarke photographisch engagierte. Dort wird Kevin Neitzel portraitiert, wie er liebevoll leere Bierflaschen, Wäscheleine und Dachboden zu einem Ganzen zusammenführt. Ihm ist auch jener Teil des Zines gewidmet, der unter der Rubrik Fans firmiert. Kevin ist außerdem Gründer zweier interessanter Gruppen im sozialen Photographinnen-Netzwerk Flickr: der 31 Mitglieder starken Gruppe Sternburg Bier und der Gruppe Greifswald.
Dort haben 62 Photographinnen schon 747 Bilder zusammengetragen und darunter ist auch ein wunderschönes Bild des aktuellen Sternburg-Sternchens, das sich (ausschnittsweise) im Header des Fleischervorstadt-Blogs befindet. Mir persönlich gefallen die lässigen Sternburg-Ideen auch besser als unrasierte Mittdreißiger, die sich in die Dünen fallen lassen oder die Skipperfritzen mit den grünen Flaschen.
Im April veröffentlichte ich hier ein Bild von der Kreuzung Gützkower-Neunmorgen-Straße. Der Photograph war damals leider unbekannt, bis er sich vorgestern per Email meldete und auf sein Profil bei der Online-Gemeinschaft Flickr verwies. Was sich dort auftat, war eine unglaublich große Sammlung mit Photographien Greifswalds.
Mittlerweile stehen dort 197 Bilder zur Ansicht bereit, wobei das spannendste daran mit Sicherheit das langfristig beobachtende Moment ist. Wer schon immer mal in das Stadtarchiv wollte, um alte Photographien Greifswalds zu sehen, kann sich diesen Gang sparen und das bequem vor dem Computer erledigen. Frank-2.0 hat hier in den vergangenen Jahren eine regelrechte Kartographie des (baulichen) Wandels in der Hansestadt erstellt.
Ich schrieb schon einmal über die Straze und den Verkauf. Vor zwei Stunden entdeckte ich bei Flickr ein Bild, dass mich stutzig machte und mich durch den Regen trieb, um mir das mit eigenen Augen anzusehen. Da wird einem richtig warm ums Herz und ich kann mir den Aufruf zu Solidarität für diese abgebildete Sache und die AktivistInnen nicht verkneifen.
Hoffentlich steckt mehr dahinter als nur Konfusion der Öffentlichkeit. Und hoffentlich wird die Knappheit von Räumlichkeiten, die verfehlte Jugendpolitik und die absurde Schließung des ehemaligen AJZ am Karl-Marx-Platz wieder zu einem Thema, über das zu diskutieren es sich lohnt und das Menschen dazu motiviert, etwas an den herrschenden Verhältnissen zu verändern.