NPD-Plakatflut in Greifswald und schon wieder Opfer rechter Gewalt

Gestern Nacht machten Aktivisten der NPD in Greifswald halt, um im Zuge des begonnenen Landtagswahlkampfes unzählige Werbeplakate an die Laternenmasten der Hansestadt zu bringen. Betroffen von dieser irregeleiteten Verunschönerungsaktion waren unter anderem die Anklamer-, Wolgaster- und Stralsunder Straße sowie der Hansering.

NPD-Wahlkampf: Vermummung, Schlagstock und Pfefferspray

Mehrere Augenzeugen schilderten den Auflauf der NPD-Unterstützer als extrem agressiv und martialisch: Ungefähr 25 Neonazis sollen in zwei Transportern und drei PKWs unterwegs gewesen sein. Die Nummernschilder verrieten die über das ganze Bundesland verteilten Herkunftsorte der demokratiefeindlichen Wahlkämpfer. Bei der NPD ist man sich offensichtlich dessen bewusst, dass man in Greifswald nicht unbedingt willkommen ist, und agiert vermutlich deswegen im Dunkeln und in so einem Aufgebot.

Am Hafen soll es dann auch einen Angriff auf zwei Punks gegeben haben, von denen mindestens einer ins Krankenhaus geprügelt worden sein soll. Ein Augenzeuge berichtet, wie sich plötzlich etwa ein Dutzend Nazis im Laufschritt von den Plakatierern entfernt haben und Richtung Mensa gesprintet sein soll. Dass sie zu diesem Zeitpunkt schon teilweise vermummt waren und unverhohlen Pfefferspray und (Teleskop)Schlagstöcke gezückt haben sollen, überrascht angesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft von Neonazis in den vergangenen Wochen wenig. Das Wort Wahlkampf kriegt im Lichte dieser Vorgehensweise einen völlig neuen Klang.

NSG

(Foto: greifswald-inpo.tk)

NSG: Wieder mutmaßliches Täterwissen

Genausowenig überraschend ist auch die offensichtliche Beteiligung der Nationalen Sozialisten Greifswald (NSG) an diesem Angriff. Bis dato gibt es weder in der Presse noch in den Mitteilungen der Polizei Informationen über den gestrigen Vorfall, dennoch wurde eine bei Indymedia um 0:25 Uhr veröffentlichte Warnung vor umherfahrenden Neonazis in Greifswald nur zwei Stunden später von mutmaßlichen Mitgliedern der NSG kommentiert, die die Gewaltopfer verhöhnten und Antifaschisten empfahlen, sich im Ryck zu ertränken. „NPD-Plakatflut in Greifswald und schon wieder Opfer rechter Gewalt“ weiterlesen

Danke für die Unterstützung, Axel! Wann kommt der nächste Müll?

Die der Atomkraft wohlgesonnene Greifswalder CDU-Fraktion zu den noch immer sichtbaren Spuren des Widerstands gegen die beiden Castor-Transporte, die im vergangenen Vierteljahr durch Greifswald in das nahegelegene ZwischenLager der Energiewerke Nord bei Lubmin rollten: „Seit den Castor-Demonstrationen ist die Stadt mit Aufklebern übersät die gegen den Castortransport aufrufen. An Abfalltonnen, Straßenlaternen und Straßenschildern sind gelbe Aufkleber mit dem Symbol der Anti-Atom Bewegung aufgebracht.“

„Ich rufe die Grünen dazu auf, für die Entsorgung zu sorgen, damit wir wieder eine saubere und schöne Stadt haben“

hochschild axel cdu hgw

In die dazugehörige Pressemitteilung wurden auch ein paar Zeilen des CDU-Bürgerschaftsfraktionsvorsitzenden und stellvertretenden CDU-Kreisverbandsvorsitzenden Axel Hochschild geflochten. Der Malermeister, frisch wiedergewählte Vizepräsident des Bundesverbandes Farbe Gestaltung Bautenschutz und Obermeister der Maler- und Lackierer Innung Greifswald – all dies in Personalunion – brüskiert sich ungewohnt unterrierhaft über den noch sichtbaren Widerstand gegen die Atompolitik:

„Wir freuen uns, dass die Menschen von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen. Was uns allerdings stört ist, dass nach einer solchen Demonstration das Stadtbild unseres schönen Greifswalds mit diesen unzähligen und schwer zu beseitigenden Aufklebern verunstaltet wird […]. Es kann doch nicht angehen, dass die Bürger Greifswalds, welche überwiegend auch gar nicht an den Demonstrationen teilgenommen haben, nun dafür bezahlen sollen, dass der zurückgelassene Schmutz und Unrat beseitigt wird. Wer die Verunstaltungen mit zu verantworten hat, soll diese auch beseitigen! Ich rufe die Grünen und Frau Berger als Mitorganisatorin dazu auf, für die Entsorgung der zahlreichen Aufkleber in der Stadt zu sorgen, damit wir wieder eine saubere und schöne Stadt haben!“

Castor Aufkleber

Machen wir gemeinsam Frühjahrsputz!“

Indes sendet der Literaturverein pom-lit positive Signale an den Malermeister und verspricht eine eigene Säuberungsaktion, wenn sich der CDU-Mann erfolgreich des Atommüllproblems annimmt: „Einverstanden, Herr Hochschild! Sie beseitigen die strahlenden Abfälle, die ohne mein Mittun und Wollen durch Greifswald gekarrt und in der Nähe meines Badeplatzes in Lubmin deponiert wurden, und spätestens am darauffolgenden Wochenende übernehme ich persönlich die Entfernung aller Anti-Castor-Aufkleber. Machen wir gemeinsam Frühjahrsputz! Was halten Sie davon?“ Klingt doch nach einem vernünftigen Vorschlag!

Stadt macht Atomgegner für Streetart verantwortlich

Stadtverwaltung und Ostsee-Zeitung erklären wieder einmal die Welt. In der heutigen Lehrstunde der OZ-Lokalausgabe geht es um Streetart – illegale Graffiti, wie die urbane Kunstform im Verwaltungssprachgebrauch bezeichnet wird.

streetart faceIm Artikel wird besonders eine Arbeit hervorgehoben, die sich seit einigen Monaten an verschiedenen Plätzen der Innenstadt findet: ein trauriges Antlitz, das sich vor allem durch den mit wenigen Strichen hergestellten Minimalismus von anderen Graffiti abhebt.

Die Ostsee-Zeitung zitiert Andrea Reimann, Pressesprecherin der Stadt: „Wir gehen davon aus, dass dieses Gesicht das Symbol von Atomkraftgegnern ist. Das Motto scheint, Greifswald mit einem tränenden Auge zu sein“ (sic!). Sicher, die in den letzten vier Monaten eingetroffenen Castoren sind ein Grund zur Trauer, aber die Wut darüber und der Protest dagegen finden einen anderen, expliziteren Ausdruck – auch in Gestalt von Streetart.

„Qualität statt Penetranz!“

Die traurigen Gesichter werden unter anderem auf dem Flickr-Account der Greifswalder Streetart-Dokumentaristen daklebtwat diskutiert. Eine Nutzerin moniert, dass es schlichtweg zuviele davon gäbe und fordert: „Qualität statt Penetranz!“. In ähnliche Richtung argumentiert auch ein anderer Kommentator, der es unnötig findet, dass auf dem Markt gleich zwei der Gesichter platziert wurden und fragt: „Was soll die Scheiße?“.

castor-maulwurfAuch wenn im Artikel mit Ulrike Berger eine AKW-Gegnerin zu Wort kommt, die die von der Stadtverwaltung angenommene Urheberschaft für dieses Graffito „für eine abwegige Idee“ hält, „keine Verbindung zu Castorgegnern herstellen“ kann und feststellt, dass diese „eine direktere Sprache“ verwenden, so ist diese Verbindung in den Köpfen der OZ-Leserinnenschaft jetzt erstmal trotzdem konstruiert.

Dabei gibt es in Greifswald neben dem Atomlager Lubmin vieles mehr, was Anlass zu Tränen bietet: Sei es das von einer finanziellen Zurechtstutzung bedrohte Theater, die jährlich sinkenden Kulturförderungen, die Sanierungspolitik der Stadt, die an Kriminalität grenzenden Verwicklungen zwischen Verwaltung und Sanierungsträger oder die systematische Ausbeutung von ALG-II-Bezieherinnen durch die ebenfalls im Artikel erwähnte und unter anderem für die Entfernung von Graffiti eingesetzte Gemeinnützige Gesellschaft für Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung mbH (ABS).

Mit ALG-II-Empfängern gegen Graffiti und Anti-Atom-Plakate

Zwangsmitarbeiter dieser Gesellschaft, deren Gemeinnützigkeit gar nicht häufig genug in Frage gestellt werden kann, waren es auch, die im Dezember 2010 durch die Stadt zogen und Plakate, die zur damaligen ersten großen Anti-Atom-Demonstration aufriefen, entfernen mussten. In einem Fall wurden diese Plakate in den Räumen eines Jugendzentrums abgenommen. Die Zwangsmitarbeiter hätten nach eigener Aussage auf Anweisung des Präventionsrats gehandelt, dort wurde diese Darstellung allerdings dementiert.

streetart hakenkreuzDie traurigen Gesichter erfreuen sich also inzwischen einer breit aufgestellten Gegnerschaft: Von der einen Seite gibt es Kritik wegen des inflationären Umgangs mit dem Motiv und der Unbedachtheit, Streetart an denkmalgeschützten Gebäuden anzubringen. Von Seiten der Stadt wird die Illegalität der gesprühten Kunstwerke betont und eine rasche Entfernung durch dazu gezwungene ALG-II-Empfänger versprochen.

Inzwischen haben sich sogar Greifswalder Neonazis dazu hinreißen lassen, das Motiv zu übersprühen und in gewohnter technischer Unversiertheit dem traurigen Gesicht ein paar Hakenkreuze verpasst. Wer hätte diesem Motiv so viel Polarisierungspotenzial zugetraut?

(Fotos: daklebtwat, Jan Metschorin)