Internetrevolution beim Greifswalder „Dokumentationskollektiv urbaner Kunst“

Da sich heute die zweite Internetrevolution dieser Woche ereignete, eine kleine Randnotiz in Sachen Greifswalder Streetart: Das örtliche Dokumentationskollektiv Daklebtwat, dessen Fundstücke hier seit langem den Fuß der Navigationsleiste am rechten Seitenrand zieren und bereichern, ist ab jetzt auch auf facebook unterwegs und unterhält dort von nun an eine eigene Präsenz.

cdu streetart

 (Abbildung: Arvid & Felix)

Dort geht es etwas interaktiver zu als bei Flickr. Es werden beispielsweise Kochrezepte diskutiert, die seit mehreren Wochen an öffentlichen Plätzen in Greifswald geklebt werden, und das Publikum kann auch selbst mal an der Kaffeemühle stehen und eigene Fotos publizieren. Wer hierorts Streetart fotografiert hat, kann diese dem Dokumentationskollektiv aber auch klassisch per E-Mail schicken. Entsprechende Zusendungen sind an daklebtwas [at] rocketmail.com zu adressieren.

Mehr zu daklebtwat: 

Internationale Radkappen-Ausstellung eröffnet

In den Abendstunden des vergangenen Freitags wurde auf der Ryckbrücke (Stralsunder Straße) die 1. Internationale Radkappenausstellung eröffnet. Von der unbeworbenen Vernissage hat vermutlich kaum jemand etwas mitgekriegt.

Zu sehen ist eine Auswahl gesammelter Radkappen, denen mit Stencils und Farbe anderer Glanz und eine andere Funktion beigebogen wurde. Die Ausstellung ist Tag und Nacht für alle geöffnet.

Radkappenausstellung

Wie lange die Exponate in der Steinbeckervorstadt verbleiben werden, ist noch unklar. Ein Anwohner unterstrich den Lokalbezug der Werke mit seiner Beobachtung, dass in unmittelbarer Nähe zum Ausstellungsort viele Radkappen verlustig gehen würden. Er vermutet hinter dieser mysteriösen Häufung ein Zusammenwirken von Kurvenführung und Bahnschienen.

Weitere Fotos gibt es in der folgenden Bildergalerie.

(Foto: daklebtwat via Flickr)

Stadt macht Atomgegner für Streetart verantwortlich

Stadtverwaltung und Ostsee-Zeitung erklären wieder einmal die Welt. In der heutigen Lehrstunde der OZ-Lokalausgabe geht es um Streetart – illegale Graffiti, wie die urbane Kunstform im Verwaltungssprachgebrauch bezeichnet wird.

streetart faceIm Artikel wird besonders eine Arbeit hervorgehoben, die sich seit einigen Monaten an verschiedenen Plätzen der Innenstadt findet: ein trauriges Antlitz, das sich vor allem durch den mit wenigen Strichen hergestellten Minimalismus von anderen Graffiti abhebt.

Die Ostsee-Zeitung zitiert Andrea Reimann, Pressesprecherin der Stadt: „Wir gehen davon aus, dass dieses Gesicht das Symbol von Atomkraftgegnern ist. Das Motto scheint, Greifswald mit einem tränenden Auge zu sein“ (sic!). Sicher, die in den letzten vier Monaten eingetroffenen Castoren sind ein Grund zur Trauer, aber die Wut darüber und der Protest dagegen finden einen anderen, expliziteren Ausdruck – auch in Gestalt von Streetart.

„Qualität statt Penetranz!“

Die traurigen Gesichter werden unter anderem auf dem Flickr-Account der Greifswalder Streetart-Dokumentaristen daklebtwat diskutiert. Eine Nutzerin moniert, dass es schlichtweg zuviele davon gäbe und fordert: „Qualität statt Penetranz!“. In ähnliche Richtung argumentiert auch ein anderer Kommentator, der es unnötig findet, dass auf dem Markt gleich zwei der Gesichter platziert wurden und fragt: „Was soll die Scheiße?“.

castor-maulwurfAuch wenn im Artikel mit Ulrike Berger eine AKW-Gegnerin zu Wort kommt, die die von der Stadtverwaltung angenommene Urheberschaft für dieses Graffito „für eine abwegige Idee“ hält, „keine Verbindung zu Castorgegnern herstellen“ kann und feststellt, dass diese „eine direktere Sprache“ verwenden, so ist diese Verbindung in den Köpfen der OZ-Leserinnenschaft jetzt erstmal trotzdem konstruiert.

Dabei gibt es in Greifswald neben dem Atomlager Lubmin vieles mehr, was Anlass zu Tränen bietet: Sei es das von einer finanziellen Zurechtstutzung bedrohte Theater, die jährlich sinkenden Kulturförderungen, die Sanierungspolitik der Stadt, die an Kriminalität grenzenden Verwicklungen zwischen Verwaltung und Sanierungsträger oder die systematische Ausbeutung von ALG-II-Bezieherinnen durch die ebenfalls im Artikel erwähnte und unter anderem für die Entfernung von Graffiti eingesetzte Gemeinnützige Gesellschaft für Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung mbH (ABS).

Mit ALG-II-Empfängern gegen Graffiti und Anti-Atom-Plakate

Zwangsmitarbeiter dieser Gesellschaft, deren Gemeinnützigkeit gar nicht häufig genug in Frage gestellt werden kann, waren es auch, die im Dezember 2010 durch die Stadt zogen und Plakate, die zur damaligen ersten großen Anti-Atom-Demonstration aufriefen, entfernen mussten. In einem Fall wurden diese Plakate in den Räumen eines Jugendzentrums abgenommen. Die Zwangsmitarbeiter hätten nach eigener Aussage auf Anweisung des Präventionsrats gehandelt, dort wurde diese Darstellung allerdings dementiert.

streetart hakenkreuzDie traurigen Gesichter erfreuen sich also inzwischen einer breit aufgestellten Gegnerschaft: Von der einen Seite gibt es Kritik wegen des inflationären Umgangs mit dem Motiv und der Unbedachtheit, Streetart an denkmalgeschützten Gebäuden anzubringen. Von Seiten der Stadt wird die Illegalität der gesprühten Kunstwerke betont und eine rasche Entfernung durch dazu gezwungene ALG-II-Empfänger versprochen.

Inzwischen haben sich sogar Greifswalder Neonazis dazu hinreißen lassen, das Motiv zu übersprühen und in gewohnter technischer Unversiertheit dem traurigen Gesicht ein paar Hakenkreuze verpasst. Wer hätte diesem Motiv so viel Polarisierungspotenzial zugetraut?

(Fotos: daklebtwat, Jan Metschorin)

Gegenöffentlichkeit und politische Stencils

Es ist keine vier Monate her, dass der temporäre Greifswalder Kilian Riebes seine Masterarbeit am hiesigen Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaften einreichte. Inzwischen darf er seinen Namen mit einem wohlverdienten M.A. schmücken.

Politische Stencil-Graffiti als Teil von Gegenöffentlichkeit lautet der Titel seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem zeitgenössischen Phänomen, das als urbane Begleiterscheinung gedeutet werden kann und seit einigen Jahren auch in Greifswald Fuß gefasst hat, wie zum Beispiel die Fotodokumentationen von daklebtwat zeigen.

Riebes durchstreifte bei der Erhebung seiner über sechshundert Stencil-Motive allerdings nicht die Hansestadt Greifswald, sondern die deutsche Kapitale Berlin. Er dokumentierte, analysierte und klassifizierte die Ergebnisse einer „unautorisierten Produktion visueller Zeichen im öffentlichen Raum“ und erforschte die Straße als kulturellen Aktionsrahmen.

Von Massenmedien und Kommunikationsguerilla

Der Zuschreibung von Streetart als gegenöffentlich stellt er allerdings eine theoretische Auseinandersetzung mit verschiedenen Konzeptionen von Öffentlichkeit voran. Von Massenmedien und Gate-Keepern über Nachrichtenwerttheorie, Medienaktivismus, Kommunikationsguerilla und störenden Eingriffen in die kulturelle Grammatik wird ein weites kommunikationswissenschaftliches und kultursoziologisches Feld aufgetan.

Bemerkenswert ist neben der thematischen Mannigfaltigkeit der Stencil-Graffiti auch die Auswertung des Datenmaterials und dessen Kategorisierung. Hierbei wird zum Beispiel zwischen ablehnenden und zustimmenden Positionen unterschieden, die durch die erfassten Bilder zum Ausdruck gebracht werden. Sehr erhellend ist auch die Darstellung von Gewalt in Streetart.

Auf dem eigens eingerichteten Blog stellt Riebes nicht nur seine Masterarbeit zum Download zur Verfügung, er bietet außerdem eine am Thema orientierte Literatursammlung an, die zukünftige Netzrecherchen verkürzen soll. Auch in den verlinkten Bildergalerien finden sich Perlen der Eroberung des öffentlichen Raumes.

Wer sich für Streetart interessiert, sollte sich die Arbeit herunterladen, sie ausdrucken und sich in Ruhe zu Gemüte führen. Insbesondere die theoretischen Ausführungen und Überlegungen zum Thema (Gegen)Öffentlichkeit und Aktivismus eröffnen neue Perspektiven auf das zumeist nächtliche Treiben mit Schirm, Charme und Schablone.

(Fotos: Kilian Riebes)

Greifswalder Streetart kartographiert

Schon mehrfach wurde hier auf das selbsternannte Dokumentationskollektiv daklebwas hingewiesen, das kontinuierlich in Greifswald entdeckte Streetart fotografisch festhält und veröffentlicht.

FOTOGRAFIEREN, ARCHIVIEREN, PRÄSENTIEREN

streetart greifswald karteIn der eigens bei der Fotocommunity Flickr angelegten Gruppe streetart greifswald werden die Fundstücke zusammengetragen und es besteht auch für andere Mitglieder des Netzwerks die Möglichkeit, dort eigene Fotos freier urbaner Kunstwerke zu präsentieren.

Vor kurzem wurde auf dem Blog von daklebtwas ein ungewöhnlicher Stadtplan Greifswalds veröffentlicht und damit vielleicht ein Grundstein für die Kartographierung Greifswalder Streetart begonnen. Auf der Karte werden Bilder mit dem Tag Streetart lokalisiert, ein Klick auf die entsprechenden Markierungspunkte öffnet ein Vorschaubild des ausgewählten Fotos und ist mit dem höher aufgelösten Original verknüpft. Bitte unbedingt Ausprobieren!
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GREIFSWALDER BANKSY-ADAPTION

Ein Motiv des wohl berühmtesten Streetart-Vertreters -Künstler Banksy aus Bristol – das zwei küssende männliche Polizisten zeigt, ist auch in Greifswald adaptiert worden.

Banksy Greifswald küssende BurschenAn der Plakatwand gegenüber vom Audimax kann man noch heute die Reste begutachten. Daklebtwas hatten das Bild zum Glück relativ schnell dokumentiert, so dass man die Greifswalder Variante (links) dem Original (rechts) gegenüberstellen kann. Statt den Bobby tragenden, britischen Polizisten sind hier zwei Burschenschafter zu bestaunen, ein herrlicher Beitrag.