Die Greifswalder Hedonisten in neuem Gewand

Seit etwa zwei Jahren bereichert die Greifswalder Sektion der Hedonistischen Internationalen die Stadt. Der Name M.u.S.i.K. (Mensch und Sound im Kollektiv) ist dabei Programm und die gewählten Aktionsformen verbinden Politik mit subversiver Heiterkeit, bringen Freude in die Drögheit des aktivistischen Alltages.

das kleine rabaukeIn den vergangenen zwei Jahren etablierte sich die HI vor allem dank des kleinen Rabaukens, einem in einem Kinderwagen untergebrachtes mobiles Soundsystem. Es sei

„…unser Licht in der Dunkelheit, die Melodie im Rauschen, die Vernunft des Wahnsinns, Geburtsprodukt eines universalen Orgasmus und vor allem billig & willig. Es lässt uns die Erleuchtung im Strobo erkennen, die Musik im Geräusch hören, es kennt den Sinn von Esoterik und es hält uns im Winter warm.”

Das kleine Rabauke ist inzwischen schon ein bisschen herumgekommen, zum Beispiel war es vor zwei Jahren bei einem konsumkritischen Rave in der Greifswalder Innenstadt (inklusive Dompassage) unterwegs, begleitete die Jubeldemo gegen den geplanten Bau des Steinkohlekraftwerks Lubmin und den Marsch durch die Fußgängerzone am Tag der Befreiung 2008. Daneben wurden viele kleine spontane Feierlichkeiten mit dem kleinen Rabauken beschallt und natürlich die nachhaltigen Loissiner Strandparties.

strahlemannSeit Oktober 2009 hat das kleine Rabauke mit dem Strahlemann einen neuen Begleiter gekriegt.

Der Strahlemann, das ist eine mobile Visualisierungseinheit, die auch dort für Licht und Atmosphäre sorgt, wo es keine Steckdose gibt. Gerade diese Mobilität ist es, die in Verbindung mit dem kleinen Rabauken Freiräume eröffnet.

Er erweitert das Repertoire des Rabauken vor allem in dessen Fähigkeit, Licht zu machen, und strahlt mit Unterstützung seines Helfers Rosi, dem rosa Pony durch die dunkle Nacht. „Die Greifswalder Hedonisten in neuem Gewand“ weiterlesen

Cukunftsmusik und Polska Rootz im IKUWO

Am 25. November spielte die energetische Warschauer Klezmer-Band Cukunft im IKUWO. Davor, danach und auch irgendwie dazwischen schob der polnische DJ Lenart – vermittels eines Bassverstärkers ein Grammophon simulierend – verschrobene und vor allem sehr alte Goldstücke aus seiner Sammlung.

Der PolenmARkT hat damit sein Bergfest hinter sich und das Ende des Kulturfestivals rückt in greifbare Nähe. Am Sonnabend wird ein PolenmARkT-Markt stattfinden, ebenfalls im IKUWO. Dort werden Kulinaria, Bücher, Plakate und Tonträger aus dem östlichen Nachbarland angeboten.

Das händlerische Treiben wird ab 20 Uhr von Trickfilmen für Erwachsene begleitet: „Anknüpfend an die goldene Zeit polnischer Animationskunst präsentieren wir an diesem Abend besondere Filmbeispiele aus den 50er- und 60er-Jahren. Skurrile Geschichten, nicht selten mit einer versteckten Kritik an den damaligen politischen und sozialen Zuständen gespickt, offenbaren sich in Form von avantgardistischen Zeichnungen, begleitet von einer abstrakt nach Jazz anmutenden Musik.“

Anschließend laden dann DJ Mariusz von der polnischen Postergalerie Pigasus in Berlin und Selekta PEhLE vom Zonic Magazin zur Polska Rootz Party.

Polska Rootz. Beats, Dubs, Mixes & Future Folk from Poland ist eine von Zonic zusammengestellte Compilation auf dem Berliner Label Eastblok Music, die einen Einblick versucht in den Umgang mit Roots-Kulturen in Polen: „Vom Folk aus den Masuren oder den Tatra-Bergen, der mittels Elektronik, Dub-Reggae oder Drum´n´Bass ins Jetzt katapultiert wird, über Mutant Klezmer Sounds bis zu weltmusikalischen Adaptionen, wo zum eigenen Erbe globales Kultur-Material tritt, das man sich offensiv angeeignet, zu eigen macht – zu neuen Traditionen, neuen Roots.“

Da verschmelzen urbane Sounds des Hier&Heute mit divers tradierten Klangformen, erwachsen frische Bastard-Formen und bringen sich neu in den weltweiten Klangkosmos ein. Versprochen wird jedenfalls hochprozentiger und hochenergetischer Osteuropatanztumult bis in die Früh!

Etliche der auf dem Sampler vertretenen Bands spielten in den vergangenen Jahren auch in Greifswald, zum Beispiel Zywiolak, Psio Crew, das Joint Venture Soundsystem oder Vavamuffin.

Fakten:
28.11. | 20 Uhr (Trickfilme & Markt) | IKUWO | Eintritt frei
28.11. | 22.30 Uhr Polska Rootz Party | IKUWO | 4 EUR

Alternatives Jugendzentrum abgerissen — ein Rückblick

Wer wird sich daran später noch erinnern? Diese Frage stellte ich vor zwei Wochen mit dem Hinweis auf die Neubauten in der Pfarrer-Wachsmannstraße. So wie mit den Baulücken auch ein einzigartiges Kapitel der jüngsten Greifswalder Stadtgeschichte verschwand, so hat es gestern Mittag völlig überraschend die Ruine des Alternativen Jugendzentrums am Karl-Marx-Platz getroffen. Innerhalb weniger Stunden wurde das Haus dem Erdboden gleichgemacht.

Seit 1991 wurde das ehemalige Kinderheim Hertha Geffke besetzt, anfangs geduldet und sogar kurzzeitig im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt (AgAG) gefördert. 1993 wurde das Haus an seine Hamurger Alteigentümerin rückübereignet. Es blieb besetzt, die Stadt hörte aber auf, mit den Bewohnern des AJZ – später in Café Quarks umbenannt – zu kooperieren. Das Projekt entwickelte sich zu dem mit Abstand legendärsten alternativen Veranstaltungsort Greifswalds. Hier wurden rauschende Feste gefeiert.

AJZ Greifswald

Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an

1999 wurde die Lage für die Besetzer und Besetzerinnen immer dramatischer, im November des Jahres gab es aus diesem Grund eine Demonstration, an der rund 800 Jugendliche mit Transparenten wie „Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an“ teilnahmen. Für den Erhalt des Hauses wurden in wenigen Wochen 1700 Unterschriften gesammelt.

Der kurzfristige Versuch, das Quarks zu kaufen, scheiterte am unangemessenen Kaufpreis und dem Verhandlungsunwillen der Alteigentümerin. Anfang Januar 2000 erhielten die Bewohner des AJZ die Räumungsaufforderung. Das Haus wurde am 4. Februar 2000 von Polizeibeamten geräumt.

Jugendliche tragen AJZ zu Grabe Greifswald

Danach entlud sich in Greifswald eine unvorstellbare Frustration der Jugend. Die plötzlich obdachlosen Hausbewohner indes kamen zeitweise auf dem Dachboden des Cafés Pariser unter.

Die Räumlichkeiten am Karl-Marx-Platz wurden schnell unbewohnbar gemacht, um eine erneute Besetzung zu verhindern. Anschließend überließ man das Haus dem Verfall. Mit dem Abriss des Gebäudes verliert diese Stadt eine Art subkulturelles Denkmal, das – auch wenn es in den vergangenen zehn Jahren leerstand –  an glanzvollere Zeiten erinnerte und dazu motivierte, Freiräume zu erkämpfen.

Parallelen im Umgang mit dem Denkmalschutz

Mit Blick auf die momentanen Entwicklungen um die Straze ist ein weiteres Detail interessant. Dort wird eindrucksvoll vorgeführt, wie leicht man in Greifswald dem Denkmalschutz begegnen kann und seiner ungeachtet ein traditionsreiches Gebäude verfallen lässt beziehungsweise abreißt.

Unter Denkmalschutz stand auch die Fassade des AJZ am Karl-Marx-Platz. Wie ernst es mit der Bewahrung solcher Güter genommen wird, kann man in diesem Video, das die gestrige Zerstörung dokumentiert, nachvollziehen.

Am 4. Februar wird sich die Räumung des AJZ zum zehnten Mal jähren und es sind schon mehrere Veranstaltungen geplant, um der wilden Zeiten zu gedenken. Unter dem Namen we remember cafe quarks wird Ende Januar die Auftaktparty mit einem Balkan-Dancehall-Gypsy-HipHop-Mashup von Las Balkanieras begangen werden.

Es ist weiterhin geplant, eine Ausstellung über das Café Quarks zusammenzustellen. Hierfür wird noch dringend Material gesucht. Wer also noch Fotos, Videos, Zeitungsartikel, Plakate, Fyler etc. besitzt und die Idee unterstützen möchte, sollte nicht davor zurückscheuen, mich per E-mail zu kontaktieren. Ich bin dankbar für jedes Kleinod. Wer mir ein Stück der alten Quarks-Spiegelkugel bringt, kriegt Kaffee und Kuchen!

Blogger lebewesen hat Bilder des  symbolischen Trauerzuges ins Rathaus (Februar 2000) veröffentlicht. Eine chronologische Übersicht der Entwicklung des AJZ offeriert der Likedeeler in seiner vierten Ausgabe.

PolenmARkT: Überall ist es besser, wo wir nicht sind

Der PolenmARkT lädt in Zusammenarbeit mit dem Filmclub Casablanca zur Vorführung von Überall ist es besser, wo wir nicht sind (BRD 1989) ein. Beim anschließenden Filmgespräch wird der Regisseur Michael Klier zugegen sein.

Entweder ist das Gras grüner, oder die Häuser sind höher, oder die Sonne ist wärmer! Warschau 1988. Jerzy will in den Westen. Sein Ziel ist Amerika. Aber sein Geld reicht erst einmal nur für Berlin.

besser-wo-wir-nicht-sindDort trifft er Ewa wieder, die er an seinem letzten Tag in Polen kennen gelernt hat. Die beiden kommen sich näher. Sie nehmen alle Jobs an und haben wenig Zeit für einander. Dennoch gibt es einige Momente des Glücks, bis Ewa verschwindet, ohne eine Adresse zu hinterlassen…
Polnische Flüchtlinge revidieren ihre Utopien vom Westen, West-Berlin erweist sich als Durchgangsstation. Auf beiläufige, dabei fast visionäre Weise nimmt der Film Entwicklungen globaler Migrationsbewegungen vorweg.

[youtube CsoR6R-dr_4]

Fakten: 26.11. | 20 Uhr | Pommersches Landesmuseum | 3 EUR

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Poetry Slam Workshop

Der Jugendmedienverband JMMV e.V. führt vom 11. bis zum 13. Dezember in Greifswald einen Poetry Slam Workshop durch:

Poetry Slams – interaktive und erfrischende Literaturwettstreits auf offener Bühne – sind in den letzten Jahren immer beliebter geworden.

poetry-slamSo mancher Nachwuchsgoethe und Möchtegernschiller sieht da den Wald vor Bäumen nicht mehr, denn die Kunst des erfolgreichen Vortragens will gelernt sein: Versüße deine Zeilen mit Entertainmentzucker, bringe die Gedichteküche zum Brodeln und buhle um die Gunst des syntaxhungrigen Publikums. Ein schmackhaftes Slammermenü für alle Poesiegourmets.

Wie ihr eure Weltbeobachtungen bühnenreif macht und sie unterhaltsam präsentiert, zeigt euch dieser Workshop. Unter der Anleitung des erfahrenen Slammers Björn Högsdal lernt ihr, Stimme, Mimik und Gestik kreativ einzusetzen.

Anbei ein Video Högsdals Einzug ins Halbfinale der deutschen Poetry Slam Meisterschaften 2008.

[youtube 1hZ5vk-4vto]

Der Workshop wird Nichtmitglieder des JMMV 30€ kosten, darin enthalten sind Übernachtung, Verpflegung und Teile der Fahrtkosten. Die Anmeldung läuft noch bis zum 27. November und lässt sich hier organisieren.
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Greifswald zur Fahrradhauptstadt machen!

Sie blockieren nicht den Verkehr, sie sind der Verkehr. Am Freitag wird die schöne Tradition der hanseatischen critical mass weitergepflegt.

Aktueller denn je wird auf die Selbsternennung Greifswalds zur deutschen Fahrradhauptstadt eingegangen und auf das miserable Radwegnetz hingewiesen, natürlich aktiv und auf der Straße.

Zweiradaktivisten wird selten Technikversessenheit unterstellt, die geplante Zusammenkunft wird aber modern über twitter, facebook, studiVZ und verschiedene Blogs beworben. Der gestrige, technisch-vermittelte Informationsfluss bezüglich des NPD-Infostands hat die kommunikative Dichte, die in Greifswald inzwischen zu finden ist, spürbar gemacht.

Zuvor wurde dieses Phänomen schon beim schweren Sturm Ende Juli deutlich. Schon damals rückten die hiesigen Microblogger zusammen und tauschten sich aus. Es eröffnen sich ganz neue Wege, wenn viele miteinander vernetzt sind. Die morgen stattfindende critical mass wird mit Sicherheit nicht die letzte subversive Vergnügung sein, die hier auf Mobilisierung2.0 setzt, aber ohne feste Struktur auskommt:

Wir sind zwar nicht organisiert, fahren aber trotzdem alle auf der Straße!

Fakten: 30.10. | 14 Uhr Bahnhofsvorplatz