Netzfeministin Anne Wizorek liest am Montag im Koeppenhaus aus ihrem Buch Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Wie sieht er aus, der „Feminismus von heute“?
Im Januar 2013 löste ein Artikel der Journalistin Laura Himmelreich über den damaligen FDP Spitzenkandidaten Rainer Brüderle eine Debatte über das Thema Alltagssexismus aus. Kurz darauf initiierte die Netzfeministin Anne Wizorek den später mit dem Grimme Online Award ausgezeichneten Hashtag #aufschrei, mit dem daraufhin tausende Frauen ihre Erfahrungen mit dieser Diskriminierungsform im Internet teilten und kanalisierten.
Mit dem Vorschlag, sich geschlechtsneutral als „Profx“ ansprechen zu lassen, löste Prof. Dr. Lann Hornscheid (HU Berlin) im vergangenen Jahr eine Lawine der Entrüstung in ihrer unappetitlichsten Art und Weise aus, die von Morddrohungen bis zu Vergewaltigungsankündigungen reichte.
Lann Hornscheidt wird am Dienstag im Greifswalder Audimax einen Vortrag („Von BürgerInnen zu Bürg_erinnen zu Bürgx – was können und sollen solche Sprachveränderungen?“) halten und darin die Geschichte feministischer und antirassistischer Sprachveränderungsvorschläge der letzten 40 Jahre nachvollziehen. Dabei sollen die Logiken, Ziele und die Argumentationen, denen diese in unterschiedlichen Öffentlichkeiten wie Medien, Gesetzen oder Wissenschaft begegnen, diskutiert werden.
Lann Hornscheidt wird im Vortrag die impliziten wie expliziten Vorstellungen zu Sprache, gesellschaftlicher Veränderung, Subjekt, Handlung und Diskriminierung/Gewalt analysieren und Visionen für antidiskriminierende Sprachveränderungen formulieren. Die Formulierung „Profx“ geht auf den von Lann Hornscheidt und der AG „Feministisch Sprachhandeln“ an der HU Berlin entwickelten Leitfaden Anregungen zum antidiskriminierenden Sprachhandeln (PDF, 24,5 MB) zurück und lieferte im vergangenen Jahr das griffige Schlagwort zum Shitstorm.
Der Vortrag wird vom Greifswalder Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Schiewe moderiert. Die Veranstaltung findet in Kooperation zwischen dem Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZfG) und dem Institut für Deutsche Philologie statt.
Mit einem Vortrag über die Situation von Homosexuellen und Transgender in Russland und Kurzfilmen des St. Petersburger Side by Side – LGBT International Film Festival beginnen morgen die Gender Bender Action Days 2015.
Die queer-feministische Veranstaltungsreihe aus Greifswald findet in diesem Jahr zum fünften Mal statt. Vom 28. bis zum 30. Mai werden im IKUWO Vorträge, Workshops und Gesprächsrunden über Geschlechterthemen angeboten, abends stehen Riot Grrrl Punk und die traditionelle Abschlussparty auf dem Programm. „Gender Bender Action Days 2015: Vulven, Tools und Riot Grrrls“ weiterlesen →
Clothes make the man. Naked people have little or no influence on society. (Mark Twain)
Die Greifswalder Studierendenschaft rührt die Werbetrommel: Um medienwirksam auf den klammen Haushalt der Universität aufmerksam zu machen, soll nun mit einem selbstproduzierten Erotikkalender Geld für die Hochschule verdient werden. Diese leidet unter einem millionenschweren Haushaltsdefizit und damit — von Stellenabbau in der Lehre bis zum Renovierungsstau bei den Lehrgebäuden — verschlechtern sich auch die Studienbedingungen zusehends.
VOM LETZTEN HEMD BEFREIT: UNI BLANK
Die Idee für den anregenden Wandschmuck, mit dem auf diesen Missstand hingewiesen werden soll, wurde in den Reihen der Satirepartei Die Partei geboren. Deren hochschulpolitischer Arm verbuchte bei der letzten StuPa-Wahl nicht nur 16 Prozent der abgegebenen Stimmen, sondern stellt mittlerweile auch den Präsidenten des Greifswalder Studierendenparlaments.
Dort wurde Anfang Juli mit knapper Mehrheit ein Beschluss (pdf-Dokument) gefasst, der den AStA mit der Konzeptualisierung eines erotischen Kalenders beauftragte. Maßgabe: stilvoll und nicht billig, feministisch und nicht emanzipatorisch, Kunst statt Porno.
Fotografen und Modelle engagieren sich unentgeltlich für ihre Hochschule, enthüllen sich teilweise ins Adamskleid und protestieren gewissermaßen über Bande gegen die chronische Unterfinanzierung ihrer Universität. Auf einer eigens eingerichteten Website wird das Projekt dokumentiert.
Dort vermitteln Fotos geplanter Schauplätze einen ersten visuellen Eindruck, wohin die Reise gehen wird. Inzwischen soll es bereits 30 Anfragen von interessierten Modellen gegeben haben. Auch ein Name steht bereits fest: Der Erotikkalender wird unter dem eingängigen Titel Uni blank firmieren.
EROTIK FÜR DIE GARTENLAUBE?
Sechs Wochen sind vergangen, seitdem der Kalenderbeschluss gefasst wurde. Die angeworfene PR-Maschine hat Früchte getragen und das überregionale Medienecho reichte vom NDR bis zu Zeit Online. Die Presse bleibt am Ball und trat sich in der vergangenen Woche bei einem Fototermin beinahe auf die Füße. Danach wurde wieder viel über Nacktheit und wenig über die Unterfinanzierung der Universität Greifswald geschrieben.
Doch auf die teilweise euphorischen Presseartikel wird in sozialen Netzwerken mitunter ziemlich negativ reagiert. Kein Wunder, denn die Idee eines erotischen Kalenders trägt einen langen Bart, dessen Traditionslinien schon in den 1990er Jahren ausfransten und die heute höchstens schauderhafte Erinnerungen an unbeholfen grinsende Landwirte, lasziv dreinblickende Volleyballerinnen oder stets einsatzbereite Feuerwehrleute wecken können: Nacktfotos für den guten Zweck, Erotik auf niedrigem Niveau.
Um sich ein mögliches Resultat vorzustellen, verwies einer der Antragsteller zuletzt auf den Kalender Geist ist geil, für den sich 2013 Studierende der TU Dresden ablichten ließen. Doch wer in der dazugehörigen Bilderstrecke eine befriedigende Antwort auf die Frage sucht, wie feministische Aktfotografie in diesem Kontext aussehen kann, wird nicht fündig werden.
Fast so veraltet wie die Idee, Amateure und halbprofessionelle Models in erotischen Posen für einen guten Zweck vor die Kamera zu zerren, ist auch die Vorstellung, dass sanfte Nacktheit in einer — zwischen Werbeindustrie, Youporn und Femenprotest — allgegenwärtig sexualisierten Gesellschaft noch für nachhaltige Eruptionen sorgen kann. Damit füttert man zwar für einen Tag die Newsticker der Online-Magazine, viel mehr ist allerdings auch nicht zu erwarten.
Von dieser Relevanzfrage nicht ganz unberührt ist auch die Finanzierung des Projekts, denn bevor Uni blank Geld generieren wird, muss investiert werden. Wenn alles wie geplant klappt, soll der Erotikkalender zu Beginn der Erstsemesterwoche im Oktober 2014 vorliegen.
Wie der webMoritz berichtete, wird mit Einnahmen von 100.000 Euro gerechnet — Geld, mit dem die Studierenden zwei Stellen erhalten wollen. Angesichts der Ankündigung, dass der Kalender zwischen fünf und zehn Euro kosten würde, mutet diese Kalkulation eher blößenwahnsinnig als durchdacht an und lässt befürchten, dass die Studierendenschaft nicht nur kräftig draufzahlen, sondern später auch ziemlich doof aus der Wäsche schauen wird.
Die Gender Bender Action Days gehen morgen in die dritte Runde und auch in diesem Jahr finden in Greifswald im Zuge dieses queer-feministischen Wochenendes zahlreiche Veranstaltungen statt, zum Beispiel zwei Vorträge über das Verhältnis von Feminismus und Islam und über Frauenbewegung und die Dekonstruktion von Geschlecht.
Praktisch wird es dann in den Workshops, in denen es zum Beispiel um Selbstbehauptung, Upcycling, Autopannenhilfe oder das Reparieren von Fahrrädern geht. Der wohlverdiente Feierabend wird dann ausgelassen gefeiert: am Freitag bei einem Chansonabend mit anschließender DJane-Lounge, am Tag darauf mit einer Party unter dem Slogan Love Techno Hate Lookism!
Über weitere Highlights wie den Gender Bender Art Contest oder die B-Party und eventuelle Zugangseinschränkungen gibt das offizielle Programm Auskunft:
Die Greifswalder Sektion der Hedonistischen Internationale führt ihre edukative Reihe Liebe, Sex und Zärtlichkeit fort und hat die in Berlin lebende Musikerin und Autorin Christiane Rösinger zu einer musikalischen Lesung eingeladen.
„LIEBE IST BALDRIAN FÜRS VOLK“ (LASSIE SINGERS)
Rösinger gründete vor 25 Jahren die für deutsche Indie-Verhältnisse wegweisende Band Lassie Singers, mit der sie damals „vollendete Pilotsongs für ein unverkrampftes Selbstverständnis weiblicher Akteurinnen im männlich dominierten Pop-Geschäft“ schrieb, wie es Martin Hiller 2010 in der bei radio98eins beheimateten Zonic Radio Show Nord auf den Punkt brachte. „Ihre Art von Pop-Feminismus hebelte die maskuline Kerlcoolness ganz ohne winkenden Zeigefinger oder amazonenhafte Female-Power-Exotik, sondern kraft schierer Textesschläue und Quengeleien zum Liebhaben schlicht aus.“
Auf die Lassie Singers folgte Ende der Neunziger Jahre die Gründung der Band Britta. 2008 erschien ihr erstes Buch Das schöne Leben, dem 2010 ihr Soloalbum Songs Of L. And Hate — bei dessen Entstehung Ja Paniks Spechtl Andreas eine tragende Rolle spielte — folgte.
Im Frühjahr 2012 veröffentlichte die inzwischen auch als Kolumnistin tätige Rösinger ihr zweites Buch: Liebe wird oft überbewertet — eine Abrechnung mit Monogamie und romantischer Zweierbeziehung, eine Ode ans Alleinsein, ein sogenannter Anti-Pärchenratgeber. Der Besuch dieser Veranstaltung wird dringend empfohlen, denn die musikalisch begleiteten Lesungen mit Christiane Rösinger sind anders. Anschließend werden bei einer gemütlichen DJ-Lounge Perlen und Raritäten aus Diskurs-Pop und Hamburger Schule ausgegraben.