Polyform: Mehr Queerness in Greifswald!

Sichtbare (sub)kulturelle Impulse einer Szene, die sich im weitesten Sinne als queer verstehen lässt, sind in Greifswald rar und die Suche nach entsprechenden Veranstaltungen gestaltet sich häufig frustrierend und wenig vielversprechend. Die einzige feste Institution dieser Art stellt die Gender Trouble Partyreihe dar, die regelmäßig im Kontorkeller stattfindet, aber von vielen Leuten als lieblos und uninspiriert kritisiert wird.

polyformMit der neuen Veranstaltungsreihe Polyform wird nun ein neuer Akzent in dieser Sache gesetzt. Am Sonnabend findet in der Tschaika der Auftakt statt – die Zusammenkunft wird explizit als „queere Elektroparty“ beworben und ist an alle „Queers, Gays, Lesbians, Transgender, Genderbender, Kings and Queens and all their friends“ adressiert.

Das deutliche Label dieser Party ist ein feiner Zug und zeigt, dass der offensichtliche Bedarf an – im weitesten Sinn – queeren Angeboten in der Stadt erkannt wurde und man sich anschickt, diesen auch zu bedienen. Spannend bleibt natürlich die Frage, was und vor allem wieviel über die bloße Zuschreibung queer hinausgeht und damit diese Party von anderen Elektroparties unterscheidet.

In diesem Sinne hoffnungsfroh: Für mehr Queerness in Greifswald!

Fakten: 14.05. | 23 Uhr | Tschaika (Keller Slawistik) | 1,50 EUR

Meinungskampf im Netz — die Nationalen Sozialisten Greifswald

Montagabend startete die vom AStA Greifswald organisierte Aktionswoche gegen Homophobie und Sexismus mit einem Vortrag über Genderfragen in der tschechischen Literatur, gehalten vom Dekan der Philosophischen Fakultät, Prof. Wöll.

„Gendermainstreaming ist krank!“

Leider wurde die Auftaktveranstaltung von einem Graffito überschattet, dass vor dem Audimax auf den Gehweg gesprüht wurde. Bis gestern Abend befanden sich die Botschaften Homosexuelle=Volkstod und Gender-Mainstream ist krank auf dem Trottoir und wurde noch nicht entfernt. Es ist nicht das erste Mal, dass Greifswalder Neonazis ein sehr gutes Gefühl für den richtigen Augenblick haben, so wurden zum Beispiel in der Nacht vor der Erstsemesterbegrüßung der Mensa-Bereich großflächig besprüht.

(Fotoausschnitt: Patrice Wangen / webMoritz)

Antifa: „Anstieg neonazistischer Aktivitäten in Greifswald“

Die Antifa Greifswald informierte unlängst in einer Pressemitteilung darüber, dass rechte Schmierereien zunähmen:

„In der Vergangenheit konnten wir Mitglieder der „Nationalen Sozialisten Greifswald“ dabei beobachten, wie sie ihre Parolen an Wände schrieben. Da diese sich mit den zahlreichen Sprühereien der vergangenen Monate im Schriftbild und der Farbe gleichen, gehen wir von denselben TäterInnen aus. Dafür spricht auch, dass immer häufiger die Internetseite der Gruppierung gesprüht wird.“ (Pressemitteilung)

Diese Beobachtung bestätigt zum Beispiel das vor etwa zwei Monaten in der Mehring-Straße beschmutzte Banner der Verkehrswacht:

Nazischmiererei: Greifswald Info

Doch was steckt hinter dieser ominösen Webseite, auf die die Neonazis immer und immer wieder hinweisen müssen?

Andere Sachen mit dem Gegnere machen (Ihr wisst schon…)

Auf der Weltnetzseite greifswald-inpo.tk werden Themen lokaler und überregionaler Relevanz verhandelt, seien es die angekündigten Flüchtlinge, die dieser Tage in Greifswald ankommen werden, die Abgrenzung von anderen hiesigen rechten Gruppen oder die von Halloween ausgehende Gefahr für die Wehrhaftigkeit eines wie auch immer beschaffenen Volkes:

Wahre Nazionalisten reden nicht mit „GAYs“ sondern machen andere Sachen mit denen (ihr wiSSt schon).

Mann wehrt sich vehement und auf flachem Niveau gegen die Negertivierung von Stärke und Stolz.

Demonstration Greifswalder Neonazis

(Foto: greifswald-inpo.tk)

Verweise auf Arndt und die Schulhof-CD der NPD

Daneben erstrahlt die Sidebar des Blogs im üblichen Bilde des Spektrums, wird über die Schulhof-CD der NPD genauso infomiert wie über den umstrittenen Namenspatron der Greifswalder Universität, Ernst Moritz Arndt. Neben einer Selbstdarstellung ist dann auch noch Platz für ein Fotoarchiv mit Graffiti und Paste-Ups.

Außerdem steht auf der Webseite ein Terminenplan bereit, um stets über aktuelle Zusammenkünfte informiert zu sein. Dort wird zum Beispiel auch auf die beiden Infostände der NPD am 10. November hingewiesen.

NPD Plakat

Verrückterweise legen die Nazis inzwischen nicht nur die Scheu vor Anglizismen ab (Gendermainstream), sondern verweisen mit den entsprechenden Buttons auch noch gleich auf das soziale Netzwerk Facebook, um dort die publizierten Inhalte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine deutsch-nationale Alternative mit vergleichbaren Nutzerinnenzahlen gibt es eben nicht.

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob die Macher der Seite weiterhin so emsig ihre Webadresse in der Stadt verbreiten, ob sie ihre Publikationsfrequenz halten werden und welche Themen sie zukünftig verklären. Spaß macht das Lesen in diesem speziellen Fall ungemein und gäbe es ein funktionierendes RSS-Feed, ich hätte es bereits abonniert.

Hier findet man die Seite der Nationalen Sozialisten Greifswald. Das komplette Programm der Aktionswoche gegen Homophobie und Sexismus ist beim AStA zu finden.

Greifswald ist in MV Hauptstadt der „Kreativen Klasse“

Die Ostsee-Zeitung ließ heute einmal wieder eine dpa-Durchhalteparole im Netz verlauten, die sicher auch Eingang in die morgige Printausgabe finden wird. Der abschwungs- und wirtschaftskrisengebeutelten Seele ist es Balsam – wir sind jetzt nämlich nicht nur Fahrradhauptstadt sondern außerdem die kreativste (kreisfreie) Stadt Mecklenburg-Vorpommerns!

Greifswald kreativste Stadt in MV

Gewonnen hat diese bahnbrechende Erkenntnis das rheinländische Beratungsunternehmen agiplan. Genau genommen wird die Stadt Greifswald weder in der Pressemitteilung des Unternehmens noch in der veröffentlichten Studie auch nur erwähnt. Kein Wunder, denn unter die besten Zwanzig kam die Hansestadt in keiner der durch die drei Indizes Technologie, Talente und Toleranz bestimmten Disziplinen.

Aufbauend auf den Arbeiten des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Richard Florida sind demnach die wesentlichen Elemente der Wettbewerbsfähigkeit einer Region Technologiekompetenz und die Ausstattung mit Talenten, aber „erst ein tolerantes Milieu, das dem Einzelnen ermöglicht, seine Individualität mitunter abseits des Mainstreams auszuleben, sowie ein internationales Flair, führen dazu, dass eine Stadt ein urbanes Klima entwickelt, das kreative Menschen anzieht.“

Ein lebendiger Eindruck dieser toleranten Atmosphäre ist wahlweise und in regelmäßigen Abständen in den Leserbriefen der Lokalzeitung und in den Pressemitteilungen der Greifswalder CDU-Fraktion erhaschbar.

(Bild: Shutterstock)

Wir alle sind Kreative, irgendwie

Die von Florida sogenannte Kreative Klasse umfasst dabei nicht allein die kultur- und kreativwirtschaftlichen Erwerbstätigen, sondern alle kreativen Tätigkeiten im weitesten Sinn, also zum Beispiel auch Zahn- und Vermessungstechniker, Krankenversicherungsfachleute, Unternehmensberater, Rechtsvollstrecker, Polizeibedienstete, Krankengymnasten und Diätassistenten. Langsam wird die Schwemme der Kreativen nachvollziehbar.

Technologie und Talente ausblendend, soll an dieser Stelle insbesondere auf den Toleranz-Index etwas ausführlicher eingegangen werden. Er setzt sich gleichgewichtet aus dem – mit Daten der Künstlersozialkasse errechneten –  Bohemian-Index (KSKler/Erwerbstätige) und einem Integrationsindex, welcher aus dem Ausländeranteil der Bevölkerung und den Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien bei der Europawahl 2009 abgeleitet wurde, zusammen.

In den kreisfreien Städten wurde der Toleranzindex unter Einbezug eines Gay Index erneut berechnet. Dieser fließt zwar gleichberechtigt in die Rechnung ein, hat aber jenseits der geographischen Verteilung männlicher Homosexueller, die im sozialen Netzwerk GayRomeo angemeldet sind, keinerlei Aussagekraft.

Homohölle statt Gay-Community

All die Dinge, die nach Ansicht Floridas die Kreative Klasse zum Herzug beziehungsweise zum Hierbleiben bewegen könnten, sind in Greifswald mehr recht als schlecht – und dabei doch eher verkümmert als kümmerlich –  ausgebildet. Die Kreativen wählen laut Florida ihren Wohnort: „Greifswald ist in MV Hauptstadt der „Kreativen Klasse““ weiterlesen

Greifswald versus Schwerin

Vor knapp zwei Wochen ist mal wieder ein Zeitungsartikel erschienen, der das besonderliche Moment Greifswalds zu greifen versucht. Dörthe Nath stellte für ihren taz-Beitrag die Landeshauptstadt Schwerin der Hansestadt gegenüber und arbeitete Mentalitätsunterschiede zwischen beiden Orten heraus.

„EIN BISSCHEN LANDSCHULHEIMATMOSPHÄRE“

hgwAuf die alte Mär vom zweimaligen Weinen, die nach wie vor und ungebrochen am Image Greifswalds klebt, konnte die Autorin leider nicht verzichten und auch die Bezeichnung als Deutschlands Fahrradhauptstadt bereitet sicher manch Ortskundigem Bauchschmerzen.

Interessanterweise versucht sie aber, gerade an Dichte und Beschaffenheit der Fahrräder den großen Unterschied zwischen Greifswald und Schwerin deutlich zu machen: klapprige Damenräder in der Studentenstadt versus Lenkertasche mit Kartenfenster im Ausflugsort:

Schwerin ist langweilig und voller Rentner – Greifswald ist jung und quirlig. In Greifswald tragen die Studenten einen Hauch von Vielfalt und Urbanität in die Stadt, aber auch ein bisschen Landschulheimatmosphäre.

„MEINE KLEINE HOMOHÖLLE“

Neben dem Status als Durchgangsstation wird im Artikel aber auch ein anderes lokales Problem benannt. Um gleich alle Hoffnungen im Keim zu ersticken, es geht dabei nicht um Korruption, sondern um die Schwierigkeiten Homosexueller in Greifswald.

tazDer zitierte Gleichstellungsbeauftragte des AStA, Björn Reichel, macht auf die – im Wortsinn – unwirtliche Situation Greifswalder Homosexueller aufmerksam: kleine Szene, kaum Homo-Kultur und diesbezüglich fehlende Strukturen.

Mehr als der queere Stammtisch und die zweifelhaften Gender-Trouble-Parties fallen ihm nicht ein, viel mehr gibt es tatsächlich auch nicht, beziehungsweise hat es aufgehört zu existieren, wie zum Beispiel das schwul-lesbische Filmfest queerblick, das von 1996 bis 2005 jährlich stattgefunden hat.

Irgendwann findet auch dieser Artikel sein wohlverdientes Ende und man bleibt mit dem glücklichen Gefühl zurück, nicht in Schwerin leben zu müssen.

Greifswald und seine Homophobien

Das Video ist beinahe zwei Jahre alt, aber es hat bedauerlicherweise nichts an Aktualität eingebüßt. Häßliche, zum Teil frappierend homophobe Ressentiments Greifswalder Bürger und Bürgerinnen zum Thema Homosexualität gibt es in der kleinen Umfrage von Moritz TV zu sehen und zu hören. Und unter jenen, die behaupten, Homosexualität sei eine Erbkrankheit,  ist auch die eine oder andere bekanntere Person des Stadtbildes. Ein wütendes Pfui Spinne zum Wochenende!