Elegien des Abschieds: „Segmente der Wirklichkeit“

Nun schweigt es still, das alte Haus / Mir aber ist’s als schritten / Die toten Väter all‘ heraus / Um für das Haus zu bitten.*

Die Greifswalder Masterstudentin M. Kardinal lädt heute Abend zu ihrer Abschlussausstellung Segmente der Wirklichkeit. Wer vorherigen Einladungen der Künstlerin folgte und zum Beispiel die Ausstellungen Shima, Il diario di bambola oder den Hortus Conclusus in ihren privaten Räumen in der Erich-Böhmke-Straße besuchte, für den ist es nur logisch, dass auch ihre Abschlussarbeit wieder in das eigene Wohnumfeld führen wird.

Alles steht auf Abbruch 

Waren die Ausstellungen im eigenen Schlafzimmer anfangs vielleicht noch prekäre Notlösung, so wuchs mit jeder weiteren Veranstaltung der Stellenwert des immerhin 108 Jahre alten Gebäudes für Werk und Wirken der Künstlerin — für ihre Segmente spielt das alte Haus nun endlich die zentrale Rolle, die es verdient, ein Ende ist in Sicht.

Das Gebäude Zeuge gesellschaftlicher Umbrüche und überdauerte die grundlegenden Veränderungen in der Fleischervorstadt stoisch, doch die Glocken zur letzten Stunde haben bereits geschlagen. Der Erinnerungsort wird umfassend saniert, den Mietern wurde gekündigt oder sie wurden mit der Ankündigung horrender Kostensteigerungen hinauskomplimentiert. Alles steht auf Abbruch, die staubigen Vorboten sind kaum zu übersehen.

In den ausgestellten Arbeiten beschäftigt sich Kardinal mit den Themen Ort, Projektion und Erinnerung. Sie besteht aus einer Serie von Gleichbild-Aufnahmen, einer Sequenz fotografischer Selbstporträts und aus Segmenten von Laufbildern.

Altes Haus: Bis zur Geiserhaftigkeit durchdrungen

Hier lässt sich bereits erahnen, dass nicht nur die Künstlerin als letztverbliebene Bewohnerin dem Haus Leben einhaucht, sondern auch, wie sehr sie selbst vom vergangenheitsschwangeren Bau durchdrungen ist, „geisterhaft darin aufgeht“, wie es im Katalog heißt, der für die Ausstellung angefertigt wurde. Segmente der Wirklichkeit verspricht, eine der momentan besuchenswertesten Vernissagen zu werden. Noch steht das alte Haus!

Die Ausstellung ist nach der Vernissage am 21.04. und 22.04. von jeweils 15 bis 18 Uhr geöffnet.

Fakten: 20.04. | 18 Uhr | Böhmke
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*(aus Das Alte Haus, Friedrich Hebbel)

Hortus conclusus: Verschrobene Schattenwelten im kardinalen Hofstaat

Die Greifswalder Künstlerin M. Kardinal funzelt wieder und verlässt ihre Gemächer, um im angrenzenden Garten an  ihre Schatteninstallation SHIMA anzuknüpfen und zu einer „phantastischen Reise voller Irritationen und Absonderlichkeiten“ einzuladen.

Im Hinterhof des Wohnhauses in der Böhmke-Straße werden am Wochenende utopistische Bildwelten zwischen Buschwerk und Blätterwald entstehen. Da treffen Vertreter der afrikanischen Tierwelt auf wagemutige Astronauten, werden Proportionen ganz im Sinne eines Jonathan Swift verschoben, während im Hintergrund ein Akkordeon über den Knisterbeat hustet. Moon Safari galore!

hortes conclusus

Begleitet wird die visuelle – von einer Soundcollage flankierte – Performance, vom Videokünstler Christian Sonntag (visual berlin), der gleichsam dem am zweiten Abend auflegenden DJ Mr. Burns ein ehemaliger Bewohner des Hauses inmitten der Fleischervorstadt ist.

„Entstanden ist bei diesem Zusammenspiel der Sinne eine Hommage an den Garten als Stätte von Schöpfung, Wahrheit und Lüge. Als Inszenierung einer geträumten Welt wird dieser Garten dargestellt: er ist ein hortus conclusus.

Einen ersten Eindruck der Performance vermittelt der eigens produzierte Videotrailer.

Video (02:11)
[vimeo 26778860]

Fakten: 23./24.7. | 21.30 Uhr | Böhmke

Vernissage: M. Kardinal „SHIMA“

SHIMA lautet der Titel der Ausstellung M. Kardinals, die heute in den privaten Wohn- und Lebensräumen – also gewissermaßen den Kardinalgemächern der Künstlerin – eröffnet wird. Damit wird eine work-in-progress-Installation präsentiert, die sowohl den Atombombenabwurf auf Hiroshima als auch den nuklearen Unfall in Fukushima thematisiert und zusammenbringt.

DIE MÄR VOM GUTEN GODZILLA

Die Schockstarre nach dem Atomunfall hat sich gelöst, die Menschen haben sich schnell an die Informationsflut gewöhnt, Fukushima ist Teil der Realität geworden und schleichend aus dem Fokus der Medien gerückt. Kardinal verknüpft die beiden atomaren Katastrophen, die in den vergangenen knapp siebzig Jahren in Japan stattfanden, mit der Godzilla-Allegorie:

Die kollektive Traumatisierung, ausgelöst durch den Atombombenabwurf auf Hiroshima – die weitläufige Insel –, wird unter anderem durch Gojira ausgedrückt. Gojira ist uns als Godzilla bekannt und gilt als Allegorie des atomaren Traumas. Aber wie mir scheint, handelt es sich dabei nur um ein militärisches atomares Trauma, denn nach 1945 wandten sich die Japaner nicht von jeglicher Form der atomaren Nutzung ab. Als gemeinsamer Konsens galt die Ablehnung der militärischen Nutzung der Atomkraft. Ihre zivile Nutzung wurde jedoch – ungeachtet der verheerenden und sichtbaren Folgen der nuklearen Nutzung und der denkbar ungünstigen, geologischen Bedingungen – gefördert. Dies war ebenfalls ein gemeinsamer Konsens – ein „guter Godzilla“ gewissermaßen, beheimatet auf der Glücksinsel: Fukushima.

ausstellung shima

Der Weg von der Wiege Gojiras zur Glücksinsel ist nicht weit und das ambivalente Verhältnis des Inselstaats zur nuklearen Nutzung bringt kein Glück, auch nicht in Fukushima. Und nun taucht Gojira aus den Tiefen in das Bewusstsein auf. Über Nacht ist die riesige zweidimensionale Echse – die japanische Verkörperung des militärischen nuklearen Traumas – in die dritte Dimension gedrungen, wo sie jetzt die bereits tief verstörte japanische Seele überschattet. Doch diese Traumatisierung wird anders sein: Diesmal erscheint nicht der Godzilla, der den Atomkrieg verkörpert. Diesmal kommt Godzilla im zivilen Gewand daher.

Die Vernissage wird von einem DJ musikalisch flankiert, über eine kleine Hausbar kann die Versorgung mit Getränken abgewickelt werden. Die Ausstellung wird in dieser Form vorerst nur am heutigen Abend zu sehen sein.

Fakten: 15.04. | 20 Uhr | Böhmke

Vernissage im Schlafzimmer

Derzeit finden mehrere Präsentationen von Studierenden des Caspar-David-Friedrich-Instituts statt und so werden auch die nächsten Wochen von verschiedenen Vernissagen bereichert.

Die Entpuppung des vermeintlich Authentischen

Heute darf dann auch gleich zweimal angestoßen werden, denn M. Kardinal übt sich in zeitlicher Verdichtung, wenn sie Vernissage und Finissage ihrer Ausstellung Il diario di bambola auf den gleichen Abend legt.

Das Tagebuch der Puppe ist eine fotografische Auseinandersetzung mit einer Imitation, die einen authentischen Körper darzustellen scheint und ihn gleichzeitig als Artefakt vorführt. Die Suche nach dem echten Körper führt zu seinen entrückten Platzhaltern und macht Wahrnehmungsmuster und Erwartungshaltungen sichtbar. Den diarischen Gehalt des Ausstellungstitels soll ein Film erfüllen, der die präsentierten Fotografien begleiten und die Erinnerungen der Puppe wecken wird.

Unintendierter politischer Akzent

Die Vernissage wird in der Privatwohnung der Künstlerin stattfinden, was dem Abend wohl eine sehr intime Note beigeben dürfte und ganz nebenher eine viel zu selten thematisierte Problematik sichtbar macht: den offenkundigen Mangel an Ausstellungsorten.

Alljährlich machen sich Kunststudenten auf die Suche nach Räumlichkeiten für die Abschlusspräsentationen ihres Studiums. Neben den wenigen – inzwischen üblich-verdächigen – Adressen wie Nexö- und Dompassage, dem Begegnungszentrum Felix Hausdorff, der Alten Bäckerei oder der Medienwerkstatt, ist es um eine kunsträumliche Vielfalt eher schlecht bestellt. Was liegt da also näher, als notfalls die eigene Schlafstätte zum Ausstellungsraum zu machen?

Vernissage Amanda Kardinal

Und so hat die angekündigte Vernissage im Epizentrum der Fleischervorstadt ganz nebenbei einen politischen Gehalt, auch wenn der nicht unbedingt intendiert ist.

Trotz des privaten Rahmens, in dem die Ausstellung stattfinden wird, sind natürlich alle Interessierten herzlich eingeladen.

Fakten: 31.03. | 21 Uhr | Böhmke