Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #2

Ob nun Stuthes Klappe Spezial in der Brasserie Hermann, die Ska-Reggae-Band Yellow Umbrella im IKUWO, der kanadische Singer/Songwriter Colin Moore im Koeppen oder die zweieinhalb Aufführungen vom Phantom – die wichtigsten Veranstaltungen laufen dieses Wochenende in der Fleischervorstadt. Ein Überblick.

STUTHE OKKUPIERT DIE BRASSERIE HERMANN

Stuthe feiert sich gewissermaßen selbst und lädt zu einer Klappe Spezial in die Brasserie Hermann ein. Dort sollen Ausschnitte einzelner Produktionen des Studententheaters präsentiert werden. Angekündigt werden Fragmente aus Homo Pilicrepus – der ballspielende Mensch, Ein Nachmittag im Herbst und dem Phantom. Außerdem wird die Stuthe-Improgruppe auftreten.

Auf einer zweiten Bühne wird zuerst Inselsucht spielen, eine bandgewordene Gottfried-Benn-Vertonung. Danach geben sich mit den Hanselunken zwei alte Bekannte die Ehre. Abschließend wird DJ Lofi Deluxe den Weg in die Nacht weisen.

inselsucht band Fakten: 27.05. | 22 Uhr | 5 / 3 EUR

SKA & REGGAE MIT YELLOW UMBRELLA IM IKUWO

Unmittelbar neben der Brasserie Hermann geht es dann mit einem Reggae-Soul’n’Ska-Nighter im IKUWO weiter – dargereicht von Big Junnan und dem jungen Mann, der sonst bei der Band Krach als Vokalist zu erleben ist.

Doch vorher lotet dort das sächsisch-französische Septett Yellow Umbrella den offbeataffinen Genrekosmos aus. Sie sind seit 1994 „eine stetig wachsende Größe in der funky Verarbeitung karibischer Erblinien von Ska über Rocksteady und Reggae bis zu Dub, angereichert in diesem spezifischen Fall gerne auch um die energetische Klangvielfalt Osteuropas von Russland bis zum Balkan“. Versprochen werden die beiden Geschwister Stil und Soul.

Aus den Händen des Umbrella-Keyboarders Jens Strohschnieder stammt auch das in Kooperation mit der kanadischen Illustratorin Manon Gauthier erschaffene Kinderbuch Der Reggaehase Booo, das sowohl zeichentrickfilmisch als auch als Hörbuch umgesetzt wurde. Hierbei agierte wiederum mit Dr. Ring-Ding eine alte Koriphäe als Sprecher. Kostprobe gefällig?

Get dressed, get mad!

Fakten: 27.05. | 21.30 | IKUWO | 7 EUR

STUTHES ANTWORT AUF JACK THE RIPPER

Sowohl am Sonnabend als auch am Sonntag wird die holzschnittige Stuthe-Produktion Das Phantom im IKUWO aufgeführt. Das Stück ist nach eigener Aussage Stuthes Antwort auf Halloween, A Nightmare on Elmstreet, Jack the Ripper und Mullholland Drive in Einem.

das phantom

„Ein Mord ist geschehen. Ein Mord, wie er so noch nicht vorgekommen ist. Kommissar Moriarty und seine Kollegin Sweeney nehmen die Herausforderung an und tauchen hinab in die Schatten ihrer Welt, wo sie es mit Gegnern zu tun bekommen, die die Grenzen zum Wahnsinn verschwimmen lassen.

Bald stellt sich ihnen die Frage: Wie fängt man den Herr und Meister aller Schatten? Wie fängt man das Phantom?“

Der webMoritz hat heute einen Artikel zum Stück veröffentlicht.

Fakten: 28. / 29.05. | 20 Uhr | IKUWO | 6 / 4 EUR

BESUCH AUS KANADA: SINGER/SONGWRITER COLIN MOORE

Das Koeppen freut sich indes auf kanadischen Besuch, denn am Sonnabend wird Colin Moore dort Platz nehmen und sein aktuelles Album Leaving Home vorstellen. Wie viele Musiker der kanadischen Folkszene verweist auch Colin auf seine schwer auszumachenden Punkwurzeln. Davor spielen T.C. & Jockel aus Schleswig-Holstein und danach gehts in der Fettenvorstadt weiter!

Wer Folk im amerikanischen Singer/Songwriter-Soundgewand mag, ist Sonnabend bei der vom Cafe-Koeppen-Konzert-Team (CKKT) organisierten Veranstaltung genau richtig. Für das Vergewissern und zur Appetitentwicklung hier noch ein Video von Colin Moore.

Fakten: 28.05. | 21 Uhr | Koeppen | 8 / 5  EUR

Nach den Brandanschlägen: Kundgebung auf dem Greifswalder Markt

Gut 36 Stunden nach den beiden Brandanschlägen, deren Ziele das Internationale Kultur- und Wohnprojekt (IKUWO) und der Wagenplatz in Alt Ungnade waren, findet heute auf dem Greifswalder Marktplatz eine eilig angemeldete Kundgebung unter dem Titel Gegen Nazigewalt – Solidarität mit dem IKUWO statt. Hier kann mit purer Anwesenheit gezeigt werden, dass Neonazis geächtet gehören.

Die Kundgebung wird mit einer eigenen Veranstaltungsseite beim sozialen Netzwerk Facebook beworben.

Fakten: 28.04. | 18 Uhr | Marktplatz

Kurz darauf beginnt im Koeppenhaus die vorletzte Infoveranstaltung vor der geplanten NPD-Demonstration am 1. Mai. Dort wird ein Vertreter der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie über die regionale Naziszene sprechen. Anschließend werden die beiden Bündnisse Greifswald Nazifrei und Greifswald ist bunt – Kein Ort für Neonazis ihre Strategien für den 1. Mai vorstellen und alle Interessierten informieren.

Fakten: 28.04. | 19 Uhr | Koeppenhaus

Unabhängig von der Kundgebung haben die HI allnostars in Kollaboration mit Katyusha feat. Hugo Stiglitz den ersten Track zur Mai-Demo veröffentlicht und rufen auf gemächlichen 126 BPM das Ende der Bockwurstparty aus.

Rückblick: Polenmarkt im Splitscreen

Theda Schillmoeller lässt den knapp drei Monate zurückliegenden Polenmarkt Revue passieren und präsentiert eine filmische Zusammenfassung des Spektakels, dass prägend war für den Greifswalder November – zumindest aus (sub)kultureller Sicht.

In Splitscreen-Ästhetik, die Freundinnen der amerikanischen Fernsehserie 24 einen wohligen Schauer verpassen dürfte, geht es nochmal Abend für Abend durch das Programm. Den Soundtrack zu dieser Erinnerungsreise liefert die Band Małe Instrumenty mit der Interpretation eines Stückes von Julian Józef Antonisz. Die virtuosen Kleininstrumentalisten waren damals auch vor Ort und wussten im IKUWO zu begeistern.

Polenmarkt 2009

Der Film unterscheidet sich deutlich vom Beitrag des NDR, hat fast alle Veranstaltungen festgehalten und offeriert eine weitere Präsentationsform. Prädikat: gelungen!

Bildergalerien existieren vom Abend mit den drei Punkbands Narkolepsja, Dead Yuppies und Tesla Cessna, sowie von der energetischen Indian-Ambient-Dancehall-Show mit Masala.

Judith Schalansky und ihre Inselwelten im Koeppen

Die verlorene Tochter kehrt — zumindest für einen Tag —  zurück. Heute Abend wird Judith Schalansky im Koeppenhaus aus ihrem jüngsten Werk Atlas der abgelegenen Inseln. Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde lesen, das von der Stiftung Buchkunst als schönstes Buch 2009 ausgezeichnet wurde, lesen.

Ihren Faible für das Maritime brachte sie schon mit ihrem 2008 bei mare erschienen Debüt Blau steht dir nicht zum Ausdruck, in ihrem Atlas bleibt die Greifswalderin beim Thema:

judith schalansky autorinDass es immer noch Orte gibt, die schwer zu erreichen sind, erscheint uns heute nicht mehr vorstellbar. Judith Schalansky aber hat sie gesammelt: fünfzig entlegene Inseln, die in jeder Hinsicht weit entfernt sind, entfernt vom Festland, von Menschen, von Flughäfen und Reisekatalogen. Aus historischen Begebenheiten und naturwissenschaftlichen Berichten spinnt Judith Schalansky zu jeder Insel eine Prosaminiatur, absurd-abgründige Geschichten, wie sie nur die Wirklichkeit sich auszudenken vermag, wenn sie mit wenigen Quadratkilometern im Nirgendwo auskommen muss.

Sie handeln von seltenen Tieren und seltsamen Menschen: von gestrandeten Sklaven und einsamen Naturforschern, verirrten Entdeckern und verwirrten Leuchtturmwärtern, meuternden Matrosen und vergessenen Schiffbrüchigen, braven Sträflingen und strafversetzten Beamten, kurzum: von freiwilligen und unfreiwilligen Robinsons.

Außerdem wurde dem Buch im letzten November der Designpreis der Bundesrepublik Deutschland 2011 (Silber) verliehen. Im folgenden Videointerview spricht Judith Schalansky über die Wiederentdeckung ihrer Obsessionen fürs Matrosenhafte, die Wirkung der tiefblauen Uniformen auf sie und ihre collagenartige Arbeitsweise.

Fakten: 04.02. | 20 Uhr | Koeppen | 5 / 3 EUR

Moritz von Uslar im Nachgang

Am 9. Dezember las Moritz von Uslar im Koeppenhaus aus seinem jüngsten Buch Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung. Schon vor der Lesung – bei der zufälligen Begegnung am Pissoir – wurde klar, dass in der Person von Uslar Larmoyanz und beinahe prollige Coolness eins werden.

Anschließend saß der Autor im gut gefüllten Saal und unterhielt sein Publikum mit den Impressionen des protagonistischen Reporters, der für drei Monate ins brandenburgische Zehdenick auszog, um die Provinz und ihre Bewohnerinnen teilnehmend zu beobachten. Das darauf folgende Gespräch moderierte Popliteraturkenner Prof. Dr. Eckhard Schumacher (Neuere Deutsche Literatur und Literaturtheorie).

Moritz von Uslar

Der erste Teil der Fragerunde fokussierte vorwiegend die methodische Problematik der zunehmenden Involvierung des Autors, der dadurch beginnt, Teil der beobachteten Wirklichkeit zu werden und sie zu verändern.

Über Zuspitzungen des Alltäglichen

Danach wurde der Produktionsprozess des Deutschbodens in den Mittelpunkt gerückt: von Uslars Tonbandaufnahmen, das Verhältnis von Fakt und Fiktion und die Notwendigkeit der Dramatisierung und Zuspitzung des Alltäglichen. Zehdenick und die neugewonnen Bekanntschaften lassen noch immer nicht so richtig vom Autor los, der auch nach der Veröffentlichung seines Buches noch ins Brandenburgische fahren kann, im Fall der nur für einen Abend besuchten Peenestadt Anklam dürfte das anders aussehen.

Mit von der Partie war auch das Studierendenfernsehen Moritz TV, das mit Moritz von Uslar vor der Lesung ein Interview führte und endlich wieder mal einen ausgesprochen guten Beitrag ablieferte, der allen Interessierten wärmstens ans Herz gelegt sei.

Moritz von Uslar breitet im Koeppen seinen „Deutschboden“ aus

Das Koeppenhaus wartet morgen mit einem besonderen Gast auf, denn der Autor und Journalist Moritz von Uslar macht sich von Berlin aus auf den Weg nach Greifswald.

Freitagnacht in der fertigsten Stadt Deutschlands

Die Strecke müsste er noch gut in Erinnerung haben, denn von Uslar kolumniert für DIE ZEIT und entwickelte dort unter anderem eine Reihe, die erst auf den Arbeitstitel Nachtleben an ausgewählten Orten hörte, jetzt aber bei Freitagnacht in… stehengeblieben ist.

Der Wahlberliner hat im Rahmen dieser Textserie auch einen sehr lesenswerten Beitrag über die „kaputteste, fertigste, unseligste Stadt Deutschlands“ veröffentlicht, der bei einigen ihrer Bewohnerinnen heftige Kritik auslöste. Das war im Mai und von Uslar stattete damals der Peenestadt Anklam einen Besuch ab.

Morgen Abend wird es aber nicht um Anklam, sondern um den jüngsten Roman des Schriftstellers gehen: Deutschboden. Der Untertitel des Buches, eine teilnehmende Beobachtung, deutet schon an, was auf die Leser zukommt, denn von Uslar ist für drei Monate in die brandenburgische Provinz gezogen, um zu verstehen, wie das Leben zwischen HartzIV, Ostalgie und Rechtsextremismus funktioniert und ob das schon alles gewesen sein soll.

„Ich sagte: Ich haue ab von hier, dort hin, wo kaum ein Mensch je vor uns war – nach Hardrockhausen, Osten, nordöstliche Richtung, nicht zu weit weg, vielleicht eine Stunde von Berlin entfernt.

Dort suche ich mir einen Boxclub, trainiere mit, hänge rum und tue nichts, außer die ganze Zeit nur zuzuhören und zuzugucken, was passiert, und abends stelle ich mich da hin, wo der totale Blödsinn erzählt wird, auf Parkplätze, an Tankstellen, in Pilslokale, und nebenbei erfahre ich alles über des Prolls reine Seele, über Hartz IV, Nazirock, Deutschlands beste Biersorten und die Wurzel der Gegenwart.“

Provinzpossen und Bestandsaufnahmen im literarischen Gewand

Moritz von Uslar siedelte den aus seinen Beobachtungen entstandenen Roman im fiktiven Ort Oberhavel an, aber es ist natürlich interessant zu wissen, dass er diese Zeit im brandenburgischen Zehdenick verbrachte. Der Abend ist ein Pflichttermin für alle, die an junger deutscher Literatur interessiert sind beziehungsweise einen Faible für ostdeutsche Provinzpossen und Bestandsaufnahmen mitbringen.

Die Lesung und das sich anschließende Autorengespräch wird von Prof. Dr. Eckhard Schumacher (Neuere Deutsche Literatur und Literaturtheorie, Greifswald) moderiert werden.

Fakten: 09.12. | 20:30 Uhr | Koeppen | 3-5 EUR