Vor genau acht Tagen wurde das ehemalige AJZ / Café Quarks abgerissen und damit ein Denkmal subkultureller Bewegung in Greifswald zerstört. Heute Abend um genau 21 Uhr wird aus diesem Grund eine Art Mahnwache am damit geschaffenen, alternativen Ground Zero Greifswalds stattfinden.
Flankiert von den mobilen Beschallungs- und Beleuchungseinheiten der hiesigen Hedonisten und saisontypisch wie weihnachtstaumelig abgefüllt mit warmem Glühwein, wollen wir heute des verlorenen Freiraums gedenken und dabei auch das Bewusstsein für andere verlorene (z.B. die Straze), bedrohte (z.B. das Café Pariser) und gerettete Häuser (z.B. Grimmer Str.2) wiedererwecken.
Seit etwa zwei Jahren bereichert die Greifswalder Sektion der Hedonistischen Internationalen die Stadt. Der Name M.u.S.i.K. (Mensch und Sound im Kollektiv) ist dabei Programm und die gewählten Aktionsformen verbinden Politik mit subversiver Heiterkeit, bringen Freude in die Drögheit des aktivistischen Alltages.
In den vergangenen zwei Jahren etablierte sich die HI vor allem dank des kleinen Rabaukens, einem in einem Kinderwagen untergebrachtes mobiles Soundsystem. Es sei
„…unser Licht in der Dunkelheit, die Melodie im Rauschen, die Vernunft des Wahnsinns, Geburtsprodukt eines universalen Orgasmus und vor allem billig & willig. Es lässt uns die Erleuchtung im Strobo erkennen, die Musik im Geräusch hören, es kennt den Sinn von Esoterik und es hält uns im Winter warm.”
Das kleine Rabauke ist inzwischen schon ein bisschen herumgekommen, zum Beispiel war es vor zwei Jahren bei einem konsumkritischen Rave in der Greifswalder Innenstadt (inklusive Dompassage) unterwegs, begleitete die Jubeldemo gegen den geplanten Bau des Steinkohlekraftwerks Lubmin und den Marsch durch die Fußgängerzone am Tag der Befreiung 2008. Daneben wurden viele kleine spontane Feierlichkeiten mit dem kleinen Rabauken beschallt und natürlich die nachhaltigen Loissiner Strandparties.
Seit Oktober 2009 hat das kleine Rabauke mit dem Strahlemann einen neuen Begleiter gekriegt.
Der Strahlemann, das ist eine mobile Visualisierungseinheit, die auch dort für Licht und Atmosphäre sorgt, wo es keine Steckdose gibt. Gerade diese Mobilität ist es, die in Verbindung mit dem kleinen Rabauken Freiräume eröffnet.
Er erweitert das Repertoire des Rabauken vor allem in dessen Fähigkeit, Licht zu machen, und strahlt mit Unterstützung seines Helfers Rosi, dem rosa Pony durch die dunkle Nacht. „Die Greifswalder Hedonisten in neuem Gewand“ weiterlesen →
Wer wird sich daran später noch erinnern? Diese Frage stellte ich vor zwei Wochen mit dem Hinweis auf die Neubauten in der Pfarrer-Wachsmannstraße. So wie mit den Baulücken auch ein einzigartiges Kapitel der jüngsten Greifswalder Stadtgeschichte verschwand, so hat es gestern Mittag völlig überraschend die Ruine des Alternativen Jugendzentrums am Karl-Marx-Platz getroffen. Innerhalb weniger Stunden wurde das Haus dem Erdboden gleichgemacht.
Seit 1991 wurde das ehemalige Kinderheim Hertha Geffke besetzt, anfangs geduldet und sogar kurzzeitig im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt (AgAG) gefördert. 1993 wurde das Haus an seine Hamurger Alteigentümerin rückübereignet. Es blieb besetzt, die Stadt hörte aber auf, mit den Bewohnern des AJZ – später in Café Quarks umbenannt – zu kooperieren. Das Projekt entwickelte sich zu dem mit Abstand legendärsten alternativen Veranstaltungsort Greifswalds. Hier wurden rauschende Feste gefeiert.
Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an
1999 wurde die Lage für die Besetzer und Besetzerinnen immer dramatischer, im November des Jahres gab es aus diesem Grund eine Demonstration, an der rund 800 Jugendliche mit Transparenten wie „Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an“ teilnahmen. Für den Erhalt des Hauses wurden in wenigen Wochen 1700 Unterschriften gesammelt.
Der kurzfristige Versuch, das Quarks zu kaufen, scheiterte am unangemessenen Kaufpreis und dem Verhandlungsunwillen der Alteigentümerin. Anfang Januar 2000 erhielten die Bewohner des AJZ die Räumungsaufforderung. Das Haus wurde am 4. Februar 2000 von Polizeibeamten geräumt.
Danach entlud sich in Greifswald eine unvorstellbare Frustration der Jugend. Die plötzlich obdachlosen Hausbewohner indes kamen zeitweise auf dem Dachboden des Cafés Pariser unter.
Die Räumlichkeiten am Karl-Marx-Platz wurden schnell unbewohnbar gemacht, um eine erneute Besetzung zu verhindern. Anschließend überließ man das Haus dem Verfall. Mit dem Abriss des Gebäudes verliert diese Stadt eine Art subkulturelles Denkmal, das – auch wenn es in den vergangenen zehn Jahren leerstand – an glanzvollere Zeiten erinnerte und dazu motivierte, Freiräume zu erkämpfen.
Parallelen im Umgang mit dem Denkmalschutz
Mit Blick auf die momentanen Entwicklungen um die Straze ist ein weiteres Detail interessant. Dort wird eindrucksvoll vorgeführt, wie leicht man in Greifswald dem Denkmalschutz begegnen kann und seiner ungeachtet ein traditionsreiches Gebäude verfallen lässt beziehungsweise abreißt.
Unter Denkmalschutz stand auch die Fassade des AJZ am Karl-Marx-Platz. Wie ernst es mit der Bewahrung solcher Güter genommen wird, kann man in diesem Video, das die gestrige Zerstörung dokumentiert, nachvollziehen.
Am 4. Februar wird sich die Räumung des AJZ zum zehnten Mal jähren und es sind schon mehrere Veranstaltungen geplant, um der wilden Zeiten zu gedenken. Unter dem Namen we remember cafe quarks wird Ende Januar die Auftaktparty mit einem Balkan-Dancehall-Gypsy-HipHop-Mashup von Las Balkanieras begangen werden.
Es ist weiterhin geplant, eine Ausstellung über das Café Quarks zusammenzustellen. Hierfür wird noch dringend Material gesucht. Wer also noch Fotos, Videos, Zeitungsartikel, Plakate, Fyler etc. besitzt und die Idee unterstützen möchte, sollte nicht davor zurückscheuen, mich per E-mail zu kontaktieren. Ich bin dankbar für jedes Kleinod. Wer mir ein Stück der alten Quarks-Spiegelkugel bringt, kriegt Kaffee und Kuchen!
Blogger lebewesen hat Bilder des symbolischen Trauerzuges ins Rathaus (Februar 2000) veröffentlicht. Eine chronologische Übersicht der Entwicklung des AJZ offeriert der Likedeeler in seiner vierten Ausgabe.
Sie blockieren nicht den Verkehr, sie sind der Verkehr. Am Freitag wird die schöne Tradition der hanseatischen critical mass weitergepflegt.
Aktueller denn je wird auf die Selbsternennung Greifswalds zur deutschen Fahrradhauptstadt eingegangen und auf das miserable Radwegnetz hingewiesen, natürlich aktiv und auf der Straße.
Zweiradaktivisten wird selten Technikversessenheit unterstellt, die geplante Zusammenkunft wird aber modern über twitter, facebook, studiVZ und verschiedene Blogs beworben. Der gestrige, technisch-vermittelte Informationsfluss bezüglich des NPD-Infostands hat die kommunikative Dichte, die in Greifswald inzwischen zu finden ist, spürbar gemacht.
Zuvor wurde dieses Phänomen schon beim schweren Sturm Ende Juli deutlich. Schon damals rückten die hiesigen Microblogger zusammen und tauschten sich aus. Es eröffnen sich ganz neue Wege, wenn viele miteinander vernetzt sind. Die morgen stattfindende critical mass wird mit Sicherheit nicht die letzte subversive Vergnügung sein, die hier auf Mobilisierung2.0 setzt, aber ohne feste Struktur auskommt:
„Wir sind zwar nicht organisiert, fahren aber trotzdem alle auf der Straße!„
Nachdem hier schon gestern Kritik an lokalen Tierrechtlern geübt wurde, sollen heute Aktionsformen von antispeziezistischen, emanzipatorischen und antikapitalistischen Individuen vorgestellt werden, die unabhängig von sämtlichen Organisationen, Stiftungen, Gruppierungen oder Parteien arbeiten.
In den vergangenen Wochen drängten die Gegner der geplanten Ferkelzuchtanlage in Alt Tellin erfolgreich in die Öffentlichkeit. In dem unweit von Demmin gelegenen Ort soll nach dem Willen eines niederländischen Investors die größte Ferkelzuchtanlage Europas entstehen.
Tierrechtsaktivisten haben laut Ostsee Zeitung am Wochenende die Fleischerei in der Wolgaster Straße mit Farbe attackiert.
Mauerwände, Werbeschilder und die Eingangstür zum Verkaufsraum wurden mit Schriftzügen wie „Viehmörder“ u.ä. ersehen. Zudem kippten die Täter schwarze Farbe auf die Straße unmittelbar vor dem Komplex.
Wie groß mag das Weltveränderungspotential solcher Aktionen wirklich sein? Sensibilisiert man auf diese Art die Greifswalder Normalbevölkerung für Tierrechtsfragen? Die temporäre Umbenennung der innenstädtischen Fleischerstraße in Tofustraße vor einigen Wochen war ja noch einigermaßen lustig und schmerzfrei, aber wem ist mit dieser Farbattacke geholfen?
Wieso wählten die Verantwortlichen ihre Aktionsform mit derartiger Kurzsichtigkeit?