Kleininstrumentenperformance, AgitProp & das Massaker von Katyn – die nächsten Polenmarkt-Veranstaltungen im Überblick

Nach dem schlaflosen Auftaktwochenende hält der Polenmarkt auch in den kommenden Tagen einige sehr empfehlenswerte Programmpunkte bereit, von denen die wichtigsten kurz vorgestellt werden sollen.

Lesung mit dem Antiquar

polenmarkt kuczok

Im Antiquariat Rose wird heute Abend der langhaarigste Buchhändler der Stadt höchstpersönlich in die Seiten greifen und aus dem Roman Senność („Lethargie“) lesen. Das Buch ist gerade auf deutsch erschienen und wurde von Wojciech Kuczok, dem das Programmheft den Ruf als „stilsichersten, musikalischsten und leidenschaftlichsten Schriftsteller der polnischen Gegenwartsliteratur“ vorauseilen lässt, geschrieben.

„Kuczok ist ein Autor, der das Unsagbare in geschliffenen Sätzen von solcher Schönheit und Musikalität ausdrückt, dass man seine Radikalität fast übersehen könnte. Immer wieder hebt Kuczoks Sprache die Grenze zwischen Tragik und Farce auf, sie besticht durch einen so eigenwilligen wie wirksamen Witz. Denn: Kuczok ein großer Humorist!“

Fakten: 23.11. | 20 Uhr | Antiquariat Rose | Eintritt frei

AgitProp auf Zwergisch

Am Folgetag wird der polnische Regisseur Mirosław Dembiński im IKUWO zu Gast sein und im öffentlichen Filmgespräch der Polonistin Tina Wünschmann von der Universität Dresden Rede und Antwort stehen und über die Orange Alternative aus Wrocław sprechen, die er als erster Dokumentarist der Bewegung – auch seit ihrem Comeback –  begleitete; zum Beispiel als Kaczyński-Konkurrenz bei der Wahl des Warschauer Stadtpräsidenten oder beim Besuch der Orangen Revolution in der Ukraine.

„Major Waldemar Frydrych & Co inszenierten Massen-Happenings, die das bröckelnde System mit Dada-Anarcho-Humor attackierten. Zwerg-Graffitis auf übermalten Politslogans, Demonstrationen, die absurd kostümiert „Keine Freiheit ohne Zwerge“ skandierten oder der Sturm aufs Winterpalais als Reenactment: gezielte Provokationen der als absurd vorgeführten Staatsgewalt.“

Als Nacht-Bonus gibt es einen Film Dembińskis über subkulturellen Widerstand in Weissrussland, der letzten Diktatur Europas nach Sowjet-Zuschnitt.

(Foto: Pomaranczowa Alternatywa)

Fakten: 24.11. | 21 Uhr | IKUWO | 2 EUR

Das Massaker von Katyn

Sehr viel ernsthafter wird es am Donnerstag, wenn im Pommerschen Landesmuseum der Film Katyń (PL, 2007) gezeigt wird. Hierbei handelt es sich um die erste filmische Auseinandersetzung mit dem schrecklichen Massaker, bei dem 1940 tausende polnische Offiziere und Polizisten von sowjetischen Truppen ermordet wurden.

„‚Katyń‘ von Andrzej Wajda ist kein Anklagefilm, vielmehr zeigt er eine Gesellschaft, die sich den unmittelbaren Nachkriegsproblemen stellen muss. ajda ist es gelungen, die sogenannte Katyńer Ohnmacht zu überwinden, die Gewissen wachzurütteln und zu zeigen, was das Bewusstein um den Katyńer Mord, sowohl den Opferfamilien als auch der polnischen Nation, bedeutet. „

Fakten: 25.11. | 19.30 | Pommersches Landesmuseum | 2 EUR

Kleininstrumenteperformance

Nach dem Film im Landesmuseum wird im IKUWO mit der Gruppe Małe Instrumenty („kleine Instrumente“) aus Wrocław der performative Höhepunkt des diesjährigen Polenmarktes beginnen. Die Formation verband vor einigen Jahren Sammelwut und die musikalisch ausbeutbare Liebe zu Spielzeugen und Kleingeräten.

Wenn die vier Musiker an ihrem Tisch sitzen und sich an ihrem vielfältigen Instrumentenzirkus bedienen, dann entsteht ein sehr eigener, lebhaft wie lebendiger Sound. Die Kleininstrumentalisten vertonten bereits Chopin auf ihren Kinderklavieren und lieferten Soundtracks für Animationsfilme.

Auf ihrer famosen Homepage darf man sich einarmig und banditenhaft durch den Fuhrpark der miniaturisierten Klangerzeuger forschen und einen ersten Eindruck der perfektionistischen Arbeitsweise der Band gewinnen. Das muss einfach mal durchgeklickt werden!

Zur Anregung, was am Donnerstagabend im IKUWO auf uns zukommt, sei abschließend noch eine festgehaltene Live-Situation von Małe Instrumenty ans Herz gelegt, in der die Band einen Trickfilm simultan untermalt. Gigantische Kleinheit!

Fakten: 25.11. | 21 Uhr | IKUWO | 4 EUR

nordoststreifen: „Ich, Tomek“

Heute Abend findet die einzige Vorveranstaltung des Polenmarktes 2010 statt und es wird eine Art cineastisches Warm-Up im Pommerschen Landesmuseum angeboten.

Gezeigt wird der Film Ich, Tomek (PL, 2009), der erst im Sommer dieses Jahres die deutschen Kinos erreichte und der sich nahtlos in die wärmstens zu empfehlende Filmreihe nordoststreifen einbettet, die das filmische Drama über Kinderprostitution an der deutsch-polnischen Staatsgrenze präsentiert und ihm das Prädikat Besonders wertvoll anheftet.

In Ich, Tomek geht es um einen 15 Jahre alten Jungen, der in der deutsch-polnischen Grenzstadt Gubin aufwächst, sich verliebt und plötzlich Geld braucht – Geld, das sich nicht einfach so verdienen lässt. So gelangt Tomek schließlich ins Zuhältermilieu und beginnt, sich zu prostituieren.

Vor dem Hintergrund des Wohlstandsgefälles an der Grenze zwischen Deutschland und Polen erzählt Regisseur Robert Gliński eine existentielle Geschichte, die universell für eine junge, europäische Generation auf der Suche nach Identität, Liebe und Wohlstand steht.

Die Filmvorführung kommt durch die Kooperation der Kulturreferentin für Pommern, des Filmclubs Casablanca und des Polenmarktes zustande. Hier sei noch auf den deutschsprachigen Trailer verwiesen.

Fakten: 18.11. | 21 Uhr | Pommersches Landesmuseum | 3 EUR

Craftivism-Doku & Jersey-Workshop in der Kabutze

Die Kabutze, Greifswalds erste offene Nähwerkstatt, feierte vor knapp zwei Wochen mit einer sehr gelungenen Party ihre Eröffnung in der Steinbeckervorstadt. Das Beitreiberinnen-Kollektiv erläuterte wenige Tage zuvor in einem längeren Interview die Projektidee und erzählte davon, wie sich gemeinsame Handarbeit und politischer Anspruch verbinden lassen.

Crafting, Knitting, DIY

Am kommenden Donnerstag wird in der Kabutze Faythe Levines Dokumentation Handmade Nation (USA, 2007) gezeigt. Für ihren 65-minütigen Debütfilm reiste die Autorin in 15 verschiedene Städte und traf dabei auf über 80 Künstler und Aktivisten aus der DIY-Szene. In den dabei entstandenen Interviews versucht sie, die politischen und ethischen Aspekte der US-amerikanischen Crafting-Bewegung aufzuzeigen.

Handmade Nation

(Bild: handmadenationmovie)

Der Trailer verspricht eine inspirierende Reise und so bleibt zu hoffen, dass es Handmade Nation darzustellen gelingt, „wie sich traditionelle Handarbeit, moderne Ästhetik, politische und künstlerische Kultur in dem DIY-Ethos  in unabhängigen Boutiquen, Galerien und Handarbeits-Märkten“ vereinen.

Fakten: 04.11. | 20 Uhr | Kabutze | Spende erbeten

Noch freie Plätze für den Jersey-T-Shirt-Workshop

Diese Filmvorführung lässt sich auch als an eine Öffentlichkeit adressierte Aktion verstehen, mit der die Kabutze auf sich aufmerksam macht und Leute sowohl für die Nähwerkstatt als auch für den Gedanken, Gebrauchsgegenstände selbst herzustellen, begeistern will. Am Wochenende wird im Hauptquartier der DIYler ein zweitägiger Fortgeschrittenenworkshop zum Thema Jersey-T-Shirt stattfinden, den die Organisatoren wie folgt beschreiben:

Vom selbstangefertigten Schnitt bis zum fertigen Oberteil: Schritt für Schritt wirst du kleine und große Schneiderkniffe von einer ausgebildeten Schneiderin erlernen. Am Ende des Kurses wirst du dein individuelles Shirt in den Händen halten.

Mehr Infomationen über das Projekt und die verschiedenen Workshops finden sich auf der Homepage der Kabutze.

Fakten: 06/07.11. | je 10 – 17 Uhr | Kabutze | 35 EUR (40 Soli)

„Die Katze wäre eher ein Vogel…“

Morgen Abend wird im IKUWO Melanie Jilgs Dokumentarfilm Die Katze wäre eher ein Vogel… gezeigt und im Anschluss daran zu einer Diskussion zum Thema Intersexualität eingeladen.

Die Filmemacherin Jilg vermeidet ganz bewusst eine medizinisch-biologische Herangegehensweise an das Thema, um den Pathologisierungen und Kategorisierungen dieser Wissenschaften zu entgehen. Sie lässt stattdessen vier intersexuelle Menschen über ihre Erfahrungen, von Fremdheit im eigenen Körper und von Fremdheit in der Gesellschaft sprechen.

Sie berichten von der damit einhergehenden Tabuisieung und der zwanghaften Anpassung an die heterosexuelle Norm durch schwerwiegende Eingriffe in die (körperliche) Integrität. Das Geschlecht stellt eine der wichtigsten Identitätsgrundlagen dar, doch was bedeutet dessen Infragestellung?

Die Veranstaltung ist eine Kooperation zwischen dem IZFG, der Greifswalder Ladyfestgruppe und dem IKUWO.

Fakten: 14.10. | 21 Uhr | IKUWO (Goethestr.1) | Eintritt frei

Lovis-Jubiläum: Ein über hundert Jahre altes Schiff wird zehn

Staunen, feiern, jubilieren – der Bildungslogger Lovis darf in der kommenden Woche auf sein zehnjähriges Bestehen zurückblicken und lädt aus diesem Anlass zu einer vielseitigen Kulturoffensive ein.

SEGELTÖRN BIS NACH SPITZBERGEN

Die Lovis hat eine bewegte und bewegende Geschichte hinter sich. Sie wurde 1897 als Dampfschiff gebaut und etwa einhundert Jahre später von dem eigens dafür gegründeten Verein BÖE mit dem Ziel gekauft, ein Schiff zu unterhalten, das nicht allein der Fortbewegung auf See dient.

Nach langer Reise wurde die Lovis schließlich bis Greifswald geschleppt und zwei Jahre Bauzeit später konnte sie im März 2000 als zweimastiges Segelschiff den Betrieb aufnehmen. Fast die gesamte Ostseeküste konnte seitdem erkundet werden. Die Fahrten führten aber auch zu den britischen Inseln und bis Spitzbergen.

spitzbergen svalbard lovis(Foto: Lovis)

EINE MISCHUNG AUS REISEN UND AKTIONSFORMEN

Einem utopistischen Ideenmix aus Selbstbestimmung, Ökologie und Aktionismus anhängig, bot der Verein mit der Lovis nun Raum für Gruppen und Initiativen und es entstand eine „Mischung aus sehr verschiedenen Reisen und Aktionsformen“, wie es in der Selbstdarstellung des Projekts heißt, die die Lovis auch als „sozialen Experimentierraum“ beschreibt.

Wie sich Schiffe für umweltpolitische Aktionen nutzbar machen lassen, wurde beim Klimagipfel in Kopenhagen sichtbar, als die Klimapiraten mit mehreren Booten in die dänische Hauptstadt segelten.

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FILME, WERFTFEST & PODIUMSDISKUSSION

Die Lovis liegt jetzt im Greifswalder Museumshafen und lädt diese Woche täglich zu Veranstaltungen ein. So wird zum Beispiel heute Abend Jacques Cousteaus Schweigende Welt (1956) gezeigt – der erste Dokumentarfilm, der in Cannes die Goldene Palme gewann. Auch für Dienstag wird ein umweltpolitischer Film in Anwesenheit der Regisseurin angekündigt.

Am Mittwoch gastiert Kapitän Stefan Schmidt im Koeppenhaus. Sein Name ist untrennbar mit dem Schiff Cap Anamur und den 2004 in Seenot geratenen afrikanischen Flüchtlingen verknüpft. Einen Tag später wird im Pommerschen Landesmuseum eine Podiumsdiskussion über bürgerschaftliches Engagement in Greifswald stattfinden, bis die Jubiläumswoche schließlich mit einem rauschenden Werftfest am Sonnabend endet.

lovis-schiff

BILDUNGSOFFENSIVE MIT DEM LOVIGURATOR

Abschließend sei eine besondere Anwendung auf der Lovis-Homepage hervorgehoben. Wer kann schon spontan Fliegerstag und Großdirk auf dem Schiff verorten? Dem allgemein verbreiteten Unwissen über Segelschiffe wird hier ganz hervorragend entgegengearbeitet. Mithilfe des Lovigurator genannten Werkzeugs lassen sich die einzelnen Teile des Schiffes spielerisch und per Klick erschließen. Das so erworbene Wissen darf dann beim Open Ship am Mittwoch mit eigenen Eindrücken des Schiffes ergänzt werden.

lovis greifswald traditionssegler

Damit sind die wichtigsten Programmpunkte des zehnjährigen Jubiläum aufgezeigt und man darf auf interessante Veranstaltungen gespannt sein. Staunen, feiern, jubilieren – zehn Jahre Lovis und alle klatschen mit.

Showdown in Anklam

Viele werden den vorgestern Nacht im ZDF ausgestrahlten Dokumentarfilm Showdown in Anklam. Eine Stadt kämpft um die Demokratie. von Anita Blasberg, Marian Blasberg und Lutz Ackermann verpasst haben. Die politische Reportage taucht zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung ein in den Anklamer Kommunalwahlkampf und zeichnet ein düsteres Bild des politischen Systems in der 13.000-Einwohner-Stadt Ostvorpommerns.

DAS „SYSTEM GALANDER“

Getreu der Maxime Jede Stadt kriegt den Bürgermeister, den sie verdient ist in den vergangenen Jahren eine von Unternehmern dominierte, unpolitische Wählergemeinschaft (IfA) entstanden, die alsbald den zwischenzeitlich suspendierten Bürgermeister Michael Galander stellte.

Der aus den alten Bundesländern nach Anklam gezogene Bauunternehmer etablierte seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2002 zügig ein mehr oder minder funktionierendes System aus Anhängerschaften und Aufragsvergaben und konnte so einen Großteil der Anklamer Mittelschicht an sich binden. Teure Dienstwägen, kostspielige Dienstreisen und ein beinahe fürstliches Amtsgebaren erregten die Gemüter der verbliebenen Kommunalpolitikerinnen. Ermittlungen wegen Untreue stellte die Staatsanwaltschaft allerdings wegen mangelnder Erfolgsaussichten ein.

Stolpersteine und Unmöglichkeiten der Verwaltung wurden von Galander hemdsärmelig aus dem Weg geräumt: „Was vorher nicht möglich war von Amtswegen, das hat irgendwie gefunkt„, so eine Anklamer Eigenheimbauerin im Film.

ANKLAMER PARTEIEN NAHEZU BEDEUTUNGSLOS

Die klassischen Parteien sind mit Ausnahme der NPD, die sich in Anklam und Umgebung über vergleichsweise astronomische Wahlergebnisse freuen durfte, nahezu bedeutungslos. Allein die Versuche eines jungen Anklamer Polizisten, für die CDU ins Rathaus gewählt zu werden, wurden mit mehr als 20 % der abgegebenen Stimmen honoriert. Gereicht das hat nicht, um sich Galanders Bürgermeisterkandidatur in den Weg zu stellen.

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