Mit Jochen Distelmeyer kommt am Donnerstag der dritte Absolvent der inzwischen abgerissenen Hamburger Schule innerhalb weniger Wochen für eine Lesung nach Greifswald.
Wenn etwas mehr Einigkeit herrschen würde, hätten die Auftritte diverser Künstler den Charme eines über mehrere Wochen gestreckten Klassentreffens: Konnte man Anfang Juni noch Kristof Schreuf (Kolossale Jugend) im IKUWO erleben, der dort die Ausführungen des Autors Thomas Ebermann über Firmenhymnen musikalisch begleitete, redete sich Schorsch Kamerum (Die Goldenden Zitronen) am vorletzten Freitag im Koeppenhaus um Kopf und Kragenweite. Für diesen Donnerstag steht Jochen Distelmeyer (Blumfeld) auf dem Programm, der mit einer musikalischen Lesung seines Romans Otis den Hidden Track zu einem wissenschaftlichen Workshop abliefern und ihn mit den Songs seines aktuellen (Cover-)Albums Songs from the Bottom Vol. 1 anreichern wird.
Für Jochen Distelmeyer wird das nicht der erste Auftritt in der Hansestadt werden. Der Sänger der inzwischen aufgelösten Band Blumfeld spielte bereits 1999 auf dem „Festival gegen Rassismus“ auf dem Greifswalder Marktplatz — damals, vor mehr als siebzehn Jahren, übrigens unter anderem zusammen mit Tocotronic und Tomte. Den Rahmen des diesjährigen Konzerts bildet der in diesem Jahr in dritter Auflage stattfindende Workshop „Schreibweisen der Gegenwart“ von Professor Eckhard Schumacher, der die Frage aufwirft, wie im literarischen Schreiben Gegenwart dargestellt, reflektiert, produziert wird.
Es wird empfohlen, sich im Vorfeld für den Abend mit Jochen Distelmeyer per E-Mail (elias.kreuzmair[at]uni-greifswald.de) anzumelden, um die Chance auf einen Sitzplatz wahrnehmen zu können.
Wohin zur Hölle mit den Depressionen / Ich geh in die Disco, ich will da wohnen / Ich geh in die Disco und bring den Depri mit / Na wie wär’s, Wechselschritt / trauernder Tango, flennender Fox / langes Elend, elender Trotz / Tanz den Burnout, tanz das Syndrom! / Immer was was Neues, kennt man schon.
„WENN GOTT EMMA PEEL WÄRE, DANN WÄREN DIE MOBYLETTES DIE HAUSBAND DES HIMMELS“ (ROCKO SCHAMONI)
Die Hamburger Band Mobylettes, die schon vor 20 Jahren mit einer bewegenden Mischung aus 60ies, Soul, Motown, und amerikanischer Beatmusik für Begeisterung sorgte, ist nach zehnjähriger Schaffenspause wieder da und präsentiert ihr neues Album „Immer schlimmer“ (tapete records). Anführerin des Quartetts ist Diana Diamond, die in der Vergangenheit nicht nur für Huah! sang, sondern auch den Sternen oder den Goldenen Zitronen ihre wunderbare Stimme lieh.
Nach dem Konzert wird London-Rückkehrer Marten für eine ungestüm-elegante Aftershowparty sorgen. Ein Abend auf dem Hamburger Schulhof, eine Nacht auf dem Parkett!
Wem die Mobylettes nicht technoid genug sind, der muss seine Freitagnacht in der Tschaika rumbringen.
Dort wird sich mit MC. ebenfalls ein Rückkehrer — diesmal aus Lissabon — am Mixer austoben. Davor übernimmt Patrick Bolze das “seriöse Eingrooven” mittels Rhythmus und Klang.
Adherence, das ist eine unkommerzielle Dunkeltechon-Reihe, die regelmäßig an wechselnden Greifswalder Schauplätzen und heute in nunmehr zehnter Auflage stattfindet.
Fakten: 21. 10. | 22 Uhr | Tschaika | frei
MUSCHIBALLETT & GENDERGEZWITSCHER
Wer am Sonnabend queer feiern will, kann schon nachmittags mit den Vorbereitungen beginnen, denn um 14 Uhr startet in der Nähwerkstatt Kabutze ein kostenloser Cross-dressing-queer-Klamottenbauworkshop.
Abends tritt dann im IKUWO das feministische Diskurstheater Muschiballett auf, das sich „mit vollem Körpereinsatz durch die patriarchale Kulturgeschichte“ ackert. „Gisa, Gerdrun und Gudela vereinen Kunst, Politik und Wissenschaft. Ein 53minütiger Soundtrack gibt den Rhythmus vor, nachdem sie live auf der Bühne eine Art sportliche Form feministischer Diskursanalyse betreiben.“
Danach geht das Gendergezwitscher unter der musikalischen Hoheit von Frau_Bruch + S.U.P.A.! (Herzfieber) und den HI All No Stars los. Schminktisch und Verkleidungsfundus stehen bereit, wer gleich gecrossdressed erscheint, zahlt nur 4 EUR Eintritt.
Die Veranstaltung wird von der Hedonistischen Internationale Sektion Greifswald in Zusammenarbeit mit dem “Jugend kann bewegen” e.V. und dem IKUWO organisiert und vom Studentenwerk, dem AStA, der Rosa-Luxemburg-Stiftung MV und dem IZFG gefördert. Bend your Gender!
Im Café Koeppen wird das CKKT (Café Koeppen Konzert Team) den Ausklang des Wochenendes geruhsam angehen. Eingeladen ist der deutsche Songwriter Maxim, der auch seine Band mitbringt. Daraus erwächst ein reggaeaffiner, aber vor allem popverwurzelter Gesamtsound. Mit dabei ist auch Marc Hola, der den Abend eröffnen wird.
Am Montag geht es dann noch mit dem Briten Bobby Long weiter, der auf seiner Tour 12 Konzerte in Europa spielt und hier halt macht. Long lebt inzwischen in New York. Seine Musik wurde von der LA Times mit Damien Rice und Mumford & Sons verglichen.
Eine kleine Werkeinführung bietet dieser Videotrailer an.
Seit nunmehr 18 Jahren gibt es jetzt schon die Hamburger Band Die Sterne, die ja ursprünglich aus good old Bad Salzuflen in Ostwestfalen stammt. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichten die Urgesteine des deutschsprachigen Diskursrocks mit 24/7 eine neue Platte in zeitgemäßem Soundgewand; mehr Elektronik, weniger Gitarre, genausoviel Unbehagen. „98eins: Weiterbildung in Sachen Hamburger Schule“ weiterlesen →
Tolle Nachrichten für alle, die der sogenannten Hamburger Schule nahe stehen: Bernd Begemann & die Befreiung kommen nach Greifswald!
Der „elektrische Liedermacher“ wird am Mittwoch bereits zum dritten Mal in Greifswald gastieren, nachdem die letzten beiden Auftritte schon Jahre – wenn nicht sogar ein Jahrzehnt – zurückliegen. Begemann war der erste, der aus dem eigentlichen popkulturellen Quell der Hamburger Schule, Bad Salzuflen, auszog, um in Hamburg sein – auch monetarisierbares – Glück zu suchen. Dieses Ansinnen war nur teilweise von Erfolg gekrönt.
Tocotronic bei Bernd im Bademantel
Bernd Begemann vereint einen intelligenten und einzigartigen Humor mit unschlagbaren Entertainerqualitäten und einem breiten Fundus popkulturellen Wissens auf sich. Fans der Hamburger Band Tocotronic kommen nicht umhin, die 1996 erschienene Kurzreihe Bernd im Bademantel zu kennen, die er für den NDR produzierte. Damals lud er verschiedene Künstler zu Interview und Livekonzert in sein Wohnzimmer, so auch die seinerzeit noch als Trio agierende Band Tocotronic. „Bernd Begemann & die Befreiung kommen ins Koeppen“ weiterlesen →
An dieser Stelle soll aber nicht das Klagelied über den Niedergang der Uni und inbesondere über die Tötung der Geisteswissenschaften gesungen werden, im Gegenteil, es gibt Grund zum Frohlocken!
In den vergangenen Jahren bot die Personalpolitik der Universität Greifswald außerordentlich selten Anlass zu Optimismus. Lehrstühle blieben wie am Kunstinstitut oder bei den Kommunikationswissenschaften über Monate und Jahre unbesetzt, Stellen wurden gekürzt, die Zahl der Kommilitonen wuchs und die räumlichen Bedingungen wurden kaum besser.
Popkultur akademisch aufbereitet
Seit diesem Sommersemester wird der Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur und Literaturtheorie von Prof. Dr. Eckhard Schumacher besetzt, der sich momentan noch in Elternzeit befindet und derweil von PD Dr. Thomas Wegmann vertreten wird. Ab dem kommenden Wintersemester wird Schumacher dann den Lehrbetrieb aufnehmen.
Ein kurzer Blick auf die Titel vergangener Veröffentlichungen untermauert, dass die Universität Greifswalder wirklich einen interessanten Neuzugang zu erwarten hat. An dieser Stelle nur ein kurzer Auszug, die gesamte Auflistung findet man hier.
Existentielles Besserwissen. Dilettantismus und Professionalität im Pop-Diskurs
Underground Resistance. Anonymität und Adressierung im Detroit-Techno
Unverständlichkeit, Unergründlichkeit, Unentscheidbarkeit – Popgeschichtsschreibung mit Elvis Presley
Zeichen über Zeichen: Pop als Resignifikation, Rekombination und Reproduktion
Das Stolpern der Banalität. Über Helge Schneider
Mix, Cuts & Scratches: Die Autorität der Unterhaltung
Nach der Party: Techno – Literatur – Theorie
Popmusik zwischen westfälischer Provinz und Hamburger Schule
Auf Schumacher, der insgesamt sieben Jahre als Konzertveranstalter und DJ aktiv war (1985-1992), stieß ich bei der Lektüre des 2008 erschienenen Sammelbandes Stadt.Land.Pop.– Popmusik zwischen westfälischer Provinz und Hamburger Schule, an dem er als Mitautor beteiligt war. Hier wird eine kultursoziologische und pophistorische Spurensuche nach den Wurzeln der Hamburger Schule unternommen, deren Ursprung ja bekanntlich in Ostwestfalen liegt.
In eloquenten wie liebevollen Aufsätzen erinnert man sich an die Zeit in Bad Salzuflen zurück und reflektiert das Geschehen um das umtriebige Label Fast Weltweit. Zu den Künstlern der ländlichen Region gehörten zum Beispiel Bernd Begemann (Die Antwort), Jochen Diestelmeyer (Blumfeld), Frank Spilker (Die Sterne), Michael Girke (Jetzt) und Bernadette La Hengst (Die Braut haut ins Auge).
Der Sammelband präsentiert längst vergessene Kleinode, zum Beispiel Konzertfotos aus den 1980ern von Arthur Dent (die Spilker-Band vor den Sternen) oder auch einen Flyer für eine Party am 25.12.1995 unter dem Titel „alte säcke – plattenauflegen mit bernd begemann, jochen diestelmeyer, michael gierke, eckhard schumacher“ im Bielefelder Etablissement „Sounds“.
Ich will da nicht leben, wo es niemals Leben gab
Wer seine musikalische Sozialisation in irgendeiner Form mit der Hamburger Schule verbindet und Berührungspunkte zu den genannten Künstler aufweist, sollte tunlichst alles daran setzen, dieses Buch zu lesen. Hier folgt eine Textprobe von Till Huber, der sich in seinem Aufsatz „Ich will da nicht leben, wo es niemals Leben gab“ – der Diskurs-Pop der Sterne als ‚kapitalistischer Realismus‘ ausführlich mit der Poplyrik Frank Spilkers beschäftigt:
„obwohl man auch in der Hamburger Schule ein unbefangenes deutschsprachiges Textverfahren anstrebt, wird das Aufrufen von Klischees zumindest sprachlich vermieden, was einem Bruch mit Textverfahren der Neuen Deutschen Welle gleichkommt, denn in letzteren liefert das Klischee als Stilmittel idealisierte und artifizielle Bilder der Wirklichkeit.
In der Poplyrik der Hamburger Schule arbeitet man stattdessen an einer sich der traditionellen Popästhetik, die um jeden Preis das Auslösen eines ‚Schlagerreflexes‘ vermeiden will. Dies geschieht mit Hilfe einer sich der traditionellen Popästhetik verweigernden textlichen Sperrigkeit, die sich beispielsweise in Albumtiteln wie Tocotronics Wir kommen, um uns zu beschweren oder dem des Sterne-Albums Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die Interessanten niederschlägt. Solcherlei Titel orientieren sich an gesprochener Sprache und bilden einen scheinbar unästhetisierten Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit.“ (Till Huber, 2008).
Produkte in den Regalen, perfekter Service, korrekte Preise
Als wären die hervorragenden Texte nicht schon Kaufgrund genug, gibt es als Dreingabe auch noch eine DVD mit Interviews (Bernadette La Hengst, Frank Spilker, Erdmöbel, Frank Werner & Michael Girke). Gemeinsam mit Frank Spilker erkundet man den alten Proberaum der Sterne und besucht Plätze, die sich offenbar tief ins kollektive popkulturelle Gedächnis eingebrannt haben. Die DVD zu Stadt.Land.Pop. ist übrigens Ergebnis eines Gestaltungsprojektes im Rahmen des Seminars Popliteratur – eine dokumentarische Spurensuche in OWL an der Universität Paderborn, Sommersemster 2008. So kann der output universitärer Seminare auch aussehen!