„Die CDU-Fraktion hat auf ihrer letzten Sitzung sehr deutlich gemacht, dass das Schmücken des Tannenbaums auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Totensonntag nicht hinnehmbar ist. Wir sollten uns alle mehr auf unsere christlichen Werte zurückbesinnen. Der Totensonntag ist ein gesetzlich anerkannter Feiertag, der der Ehrung der Verstorbenen gilt. Daher ist es vollkommen unpassend, vor diesem Feiertag, auf dem Greifswalder Markt die Weihnachtszeit beginnen zu lassen“. (CDU-Fraktionsvorsitzender Axel Hochschild)
Blühende Landschaften, rosige Aussichten, frohe Weihnacht. Bist du schon aktiv?
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird am 16. Dezember ein Castortransport durch Greifswald rollen. Mehr Informationen zum Thema Atomkraft, eine E-Mail-Liste und ein Spendenkonto gibt es auf der web0.9-Seite der Anti-Atombewegung MV. Außerdem werden ein Twitter-Account und eine Facebookpräsenz unterhalten.
*Update 14 Uhr*
Das nenne ich mal angemessene Wahl der Mittel, oder um gerd zu zitieren, der das bei daburna veröffentlichte Bild kommentierte: „Danke für die fotos. ohne die hätte ich nicht geglaubt das die cdu die feuerwehr (FEUERWEHR!!) ruft um den baumschmuck zu entfehrnen. tagelang stehen naziparolen an öffentlichen plätzen in der stadt wie der mensa und vor dem audimax aber wenn die hippies kreativen protest üben wird die feuerwehr gerufen…ach lasst das haus mal brennen wir sind grad im einsatz für die stadt unterwegs….“
Die Euphorie war groß damals – vor knapp acht Wochen -, als der Bau einer Diagonalquerung der Europakreuzung für Radfahrerinnen verlautbart wurde. Du bist Fahrradhauptstadt!
Ignoranten auf zwei Rädern
Keine zwei Wochen später, am 06. Mai, wurde in der Ostsee-Zeitung ein Leserbrief von Manfred Zielinski veröffentlicht. Der Greifswalder reagierte damit auf einen Artikel über den Bau des Verkehrsprojektes. Seine Reaktion — hier in verkürzter Fassung — ist so hitzig wie ablehnend:
„Wenn sich einige Radfahrer bislang das Recht herausnahmen, wider der gültigen Gesetze [sic!] die Radwege zu ignorieren und die Kreuzung diagonal zu queren, muss das doch nicht zum Recht erhoben werden, nur, weil sich Greifswald zur Radfahrerstadt erklärt. Ebenso könnte man ja die Fußgänger tagsüber aus dem Schuhhagen verbannen, nur damit die Ignoranten ungehindert durch die Fußgängerzone radeln können. Die Befürworter der Diagonalquerung sollten sich fragen, wo die Sparsamkeit anfängt und das Verschleudern von mehr als 100.000 Euro anfängt.“
Wohlgemerkt herrschte damals ein wenig Unruhe in der Stadt, weil die Kosten des Projektes Technisches Rathaus um mehrere Millionen Euro gewachsen waren. Wen interessieren angesichts solcher Fehlkalkulationen 100.000 Euro? Mich beschlich schon damals das ungute Gefühl, dass dieses Verkehrsprojekt nicht zustande kommen würde.
Von der Wirkungsmacht eines in der Ostsee-Zeitung veröffentlichten Leserbriefes überzeugt, konnte ich in den vergangenen Wochen mehrere Texte von Gegnern der fahrradfreundlichen Investition in der Lokalzeitung lesen und rechne deswegen nicht mehr mit dem Bau des Projektes.
Demokratieverwaltung in der Bachstraße
Seit einigen Wochen fühlt es sich bei der täglichen Lektüre der Ostsee-Zeitung so an, als entwickle man in der Bachstraße einen Hang zum Skandal. Schenkt man den Überschriften Glauben, geht es hier derzeit sehr dramatisch zu. Noch effektiver als die Leserbriefspalten sind die von der Lokalredaktion initiierten Umfragen, denn sie – das wird suggeriert – geben ein Stimmungsbild der öffentlichen Meinung wieder. Die Ergebnisse dieser Umfragen sind problemlos manipulierbar. Ich habe zum Beispiel dreimal meine Stimme abgegeben, als es um die Ablegung des Universitätsnamens ging.
Eckhard Oberdörfer freute sich heute über die Resonanz auf die Umfrage und die rege Teilnahme. Er träumt zwischen den Zeilen von der Partizipation der häufig von Entscheidungen ausgeschlossenen Bürger. Aber wer sind die inzwischen 2426 (Stand: 18 Uhr) Wählerinnen? Und wie können Menschen ohne Internetzugang an einer Online-Umfrage teilnehmen? Die OZ macht’s möglich!
„Einige Leser, die über keinen Internetzugang verfügen, riefen sogar an, weil sie ebenfalls ihre Stimme abgeben wollten. Darunter waren bisher keine Befürworter, was nichts besagen muss. Auch ist die Online-Umfrage natürlich nicht repräsentativ. Aber sie ist ein wichtiges Stimmungsbild.“
Wurde dann an den Redaktionsrechnern die entsprechende Seite aufgerufen und das delegierte Votum übertragen? Ein Demokratiealbtraum, der seinesgleichen sucht. Und auch wenn betont wird, dass die Umfrage nicht repräsentativ sei, an ihrem Charakter als Bürgerentscheid ändert das für mein Befinden nicht viel.
Liskow mobilisiert zur Manipulation der Umfrage
Umso dramatischer sind die mit der Umfrage einhergehenden Probleme. Nicht nur, dass Mehrfachabstimmung ohne Schwierigkeiten oder technische Tricksereien möglich ist (ich selbst habe zum Test heute wieder drei Stimmen in den Topf geworfen), vor allem zeigt das Ergebnis nicht die Verteilung einer bestimmten Einstellung, sondern nur den Mobilisierungsgrad der Gegner und Befürworterinnen. Was das bedeuten kann, soll der folgende Auszug einer internen E-Mail der Jungen Union Greifswald verdeutlichen:
Liebe JU‘ler, in der Ostseezeitung läuft derzeit eine Abstimmung zur Diagonalquerrung [sic!]. Axel Hochschild hat mich gebeten, dass wir uns aktiv an der Abstimmung beteiligen und gegen die Diagonalquerrung [sic!] abstimmen. Eine mehrmalige Abstimmung ist auch möglich.Ablehnungsgründe sind unter anderen [sic!] die Kosten in Höhe von 250.000 Euro, die Verkehrsverschlechterungen für die Autofahrer zu Lasten von einer Zeitersparnis in Höhe von 10 Sekunden für die Radfahrer und das wichtigste Argument, das bisher allen verheimlicht worden ist, es gibt von Seiten des Straßenverkehrsamtes nur eine Ausnahmegenehmigung für drei Jahre, dies heißt, das [sic!] wir in drei Jahren für abermals 250000 Euro die Kreuzung wieder in den Urzustand zurückversetzen müssen. Die Ortsteilvertretung Innenstadt hat der Diagonalquerrung [sic!] schon eine Abfuhr mit 5 zu 2 Stimmen erteilt.
Ach, hätte Katharina Winkler ihren Leserbrief schon ein Jahr früher an die Ostsee-Zeitung geschickt und ihre Erkenntnis mit uns geteilt — die langwierigste Greifswalder Debatte der letzten Dekade wäre uns erspart geblieben:
„Bereits in den 90er Jahren fand im Rahmen einer Konferenz der Arndt-Gesellschaft eine wissenschaftliche Untersuchung statt, in der ein Bielefelder Wissenschaftler nachwies, dass Arndt kein Antisemit war.“
Gestern hat sich nun der Senat mit einer Zweidrittelmehrheit für die Nichtablegung des kontrovers diskutierten Namenspatrons entschieden. Vor dem Hauptgebäude fand die Neuigkeit ein geteiltes Echo.
Dort waren — unterstützt von den Greifswalder Hedonisten, die mit dem kleinen Rabauken für gute Laune sorgten — die Arndt-Gegner versammelt. Die Musik aus dem Kinderwagen störte allerdings schnell die vor Andacht strotzende Mahnwache auf der gegenüberliegenden Seite.
Namensbefürworter mahnen gemeinsam mit Rechtsextremisten
Manchmal sorgt die Greifswalder Ostsee-Zeitung doch noch für Überraschungen. Heute zierte CDU-Chefpopulist Axel Hochschild die erste Seite des Lokalteils. Laut Angaben der OZ habe der Vorsitzende der Greifswalder CDU-Fraktion in der Bürgerschaft am 28. Januar eine 64jährige Frau überfahren.
Der Zustand der Frau sei inzwischen stabil, ihre schweren Kopfverletzungen wird sie hoffentlich gut überstehen. Die Schuldfrage sei noch unklar. Axel Hochschild hätte sich seit dem Unfall aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und blieb sogar beim Neujahrsempfang der CDU in der Stadthalle fern.
Wie die Polizeidienststelle via Pressemitteilung bekannt gab, steht der Angriff auf die beiden Polizeibeamten, der sich am vergangenen Sonntag ereignete, unmittelbar vor der Aufklärung.
Die auffällig schnelle Polizeiarbeitet wurde demnach von bis zu 16 Kriminalbeamten geleistet. In der Mitteilung heißt es:
Die Beschuldigten im Alter von 16, 18 und 23 Jahren räumten nach ihrer vorläufigen Festnahme am späten Montagabend bereits ihre Tatbeteiligung ein. Während zwei der Tatverdächtigen zum Motiv angaben, die Polizei nur haben ärgern zu wollen, räumte der 23-jährige Beschuldigte die Tötungsabsicht ein. Die Kriminaltechnik konnte Fußabdruckspuren an der Telefonzelle, aus der der anonyme Anruf getätigt wurde, sichern. Selbige fanden sich nach Absuche des Tatortes auch am Hauseingang der Makarenkostraße 45 B.
In der Wohnung fanden sich Beweismittel, wie Utensilien zur Fertigung von Molotowcocktails und die Schuhe, deren Sohlenprofile mit den gesicherten Spuren übereinstimmten. In dieser Wohnung wurden die zur Straftat benutzen Molotowcocktails gemeinschaftlich angefertigt.
Während der in Karlsburg wohnhafte 23Jährige der Polizei bereits wegen mehrerer Straftaten, wie gefährlicher Körperverletzung, Diebstahl, Verstoß gegen das Waffengesetz oder sexuellen Missbrauchs, bekannt ist, wurde gegen die beiden anderen in Rostock (16 Jahre) und Greifswald (18 Jahre) wohnhaften Jugendlichen bisher u. a. wegen Sachbeschädigung, Bedrohung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. (Text hier in voller Länge)
KEIN POLITISCHES TATMOTIV
Die vermutlich wichtigste Aussage der Pressemitteilung: „Ein politisches Motiv zeichnet sich nicht ab.“ unterstreicht die von den Greifswalder Konservativen gepflegte Law-and-Order-Mentalität. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Angriffs spekulierte RCDS-Mitglied Franz Küntzel, ob es sich um einen Racheakt der linken Szene handle.
Der Instinkt ist altbekannt und so überraschte es wenig, dass sich auch Axel Hochschild sofort zu Wort meldete. Der Vorsitzende der Greifswalder CDU-Fraktion nahm den Kriminalbeamten die Auflösung des Falles vorweg und wusste nur zu genau, wer diese Tat zu verantworten hätte:
„Wenn man nach Hamburg und Berlin schaut muss man leider feststellen, dass es dort immer wieder Übergriffe durch „Radikalinkis“ gegen Polizisten, aber auch gegen Sachwerte gibt. Brennende Autos stehen dort fast wöchentlich auf der Tagesordnung.
Der Hinweis auf die fanatischen Chaoten vom Rostocker G8-Gipfel, der an nur einem Tag 433 verletzte Polizisten forderte sei hier erlaubt und sollte uns Mahnung genug sein gegen jegliche Form von Extremismus rechtzeitig aufzustehen und vorzugehen. Solche Verbrecher gehören hinter Schloss und Riegel.“
Unterdessen wurde auf dem Blog von NS Greifswald eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sich die Neonazis vom Anschlag auf das IKUWO distanzieren. Auch hier gerieren sich Einzelne als Kriminalexperten und Verschwörungstheoretiker:
Vielmehr wäre es der Antifa zuzurechen, die auf solchen myteriösen Wegen versucht ihre Arbeit zu legitimieren und damit neue Projekte gegen Rechts zu subventionieren.
Lesenswert dazu auch ein brandaktueller Artikel auf dem webMoritz und bei daburna.
Die Dauerpräsenz der Arndt-Debatte in den Leserbriefen der Ostsee-Zeitung ist ungebrochen. Seltsame Zahlenspiele machen Sozialwissenschaftler schwindlig, eine unseriöse Umfrage wird zum Beweis und Neonazis rufen zur Gewalt gegen Arndt-Gegner auf.
Heiko Lange hat einen interessanten Test durchgeführt und ein Textdokument mit OZ-Leserbriefen der Print- und Onlineausgabe zum Thema Arndt gefüllt. Das Ergebnis sind fast 30 A4-Seiten bei Schriftgröße 12. Ein Ende der Debatte ist vorerst nicht in Sicht. Unter den heutigen Leserbriefen finden sich auch zwei, deren Autoren sich nicht entblödeten, mit fragwürdigen Zahlenspielen zu orakeln. Dabei müsste es einer von ihnen eigentlich besser wissen.
Zahlenjongleur Prof. Matschke
Professor Manfred J. Matschke (FDP) treibt jedem Sozialwissenschaftler mit seinem kleinen Rechenspiel Schweißperlen auf die Stirn. Er geht davon aus, dass alle Gegner und Gegnerinnen des unsäglichen Namenspatrons zum Urnengang mobilisiert werden konnten, während die Befürworter und Befürworterinnen mehrheitlich von der Wahl fernblieben. Die abenteuerliche Syntax ist dem Original entnommen: „Zahlenjongleure mischen sich in die Arndt-Debatte ein“ weiterlesen →