Eine Rubrik aus dem Tiefschlaf reißen, abbilden, was noch so läuft. Kleinstadtsuffis den Weg zur nächsten Schänke weisen, sich über Gentechnik mokieren. Unter repressiven Verstimmungen leiden. In die Oper mit Einführung gehen und was Greifswald an diesem Wochenende noch so hergibt.
Das Wochenende lässt sich gut an und hält eine mannigfaltige Mischung kultureller Angebote bereit. Wer sein erstes DIY-Festival in diesem Jahr erleben will, fährt bis Sonntag zum Wagenplatz Alt Ungnade. Allen anderen seien die Workshops, Lesungen, Theatervorstellungen, Ausstellungen, Konzerte und Partys empfohlen, die an diesem Wochenende in Greifswald stattfinden werden. Eine Übersicht.
Katastrophenalarm in Greifswald. Viele städtische Einrichtungen haben geschlossen, doch an den Werkbänken der hiesigen Kulturbetriebe wird weitergearbeitet. Mit Tonia Reeh und Artur Apinyan, die jeweils mit Band das IKUWO und das Koeppen besuchen, stehen gleich zwei klavierdominierte Konzerte auf dem Programm. Im Klex geht es auf Zeitreise in die Achtziger Jahre der Finsternis, die Straze zelebriert den Kauf ihres Hauses und im Theater Vorpommern feiert der populäre Schwank Charleys Tante Premiere.
Rigoletto — wir kennen ihn alle: ein Buffone, ein Spaßmacher, der sich gern auf Kosten anderer amüsiert, auch wenn die dann teuer dafür zahlen müssen. Der verliert also seinen einzigen Schatz, seine Tochter, durch eben jene Machenschaften, die ihn selbst auszeichnen. Große Verzweiflung und die Tochter stirbt in einer rekordverdächtig langen Sterbeszene. So der Klassiker.
RIGOLETTO TRÄGT SCHWARZ, ER IST JA AUCH DER BÖSE
Ganz anders am Theater Vorpommern: Die Hofgesellschaft des Herzogs von Mantua ist übersetzt in eine Modegesellschaft der 70er. Das sind aufwendige Kostüme und Tänze, die man gern sieht — das leuchtet ein. Hofgesellschaft in Mantua, das wären ja auch aufwendige Kostüme und Tänze. Das sieht vielversprechend aus, also freut man sich auf Rigoletto. Bestimmt das beste Kostüm. Leider nicht. Rigoletto trägt Schwarz, er ist ja auch der Böse. Und das ist noch nicht alles.
Man fühlt sich benommen, erdrückt und verstört nach dem Besuch des Zweipersonenstückes Nach dem Ende von Dennis Kelly in der Inszenierung von Julia Heinrichs, die bereits das Drama Die Waisen desselben Autors am Theater Vorpommern in Szene gesetzt hat.
Dabei ist die Handlung relativ schnell zusammengefasst: Louise (Frederike Duggen) erwacht in einem Bunker, der – wie sich im Verlauf des Stückes herausstellt – Mark (Sören Ergang) gehört. Dieser gibt vor, sie nach einem Anschlag gerettet zu haben. Dabei bleibt offen, was für ein Anschlag wann, an welchem Ort und vor allem von wem verübt wurde. Louise zweifelt mehr und mehr an Marks Version des großmütigen Retters. Es beginnt zwischen den beiden Akteuren zu brodeln – was als Zweifeln beginnt, endet in einer Spirale aus Macht, Ohnmacht, Gewalt und Unterdrückung.
Den beiden Darstellern kann man ohne Zweifel ein großes Lob aussprechen. Besonders Sören Ergang brilliert als Mark mit seiner Darstellung eines untypisch, ja manchmal beinahe kindlich-naiv wirkenden Psychopathen – und dies, ohne gefühlskalt zu wirken, im Gegenteil: immer wieder durchbrechen Emotionen wie Verzweiflung und Reue seine scheinbar harte Schale. Zudem setzt Ergang ohne Scham auf vollen Körpereinsatz – es gibt keine Grenze mehr für den Darsteller, alles scheint möglich.
Auch Frederike Duggen gelingt es, die Rolle der Louise wunderbar facettenreich zu verkörpern. Mal als pubertär anmutendes Mädchen, das einen Witz – der seine Wirkung zum Glück sowohl bei Mark als auch beim Publikum verfehlt – zu machen versucht, mal als höchst verzweifeltes Opfer, das sich den Wünschen seines Entführers willenlos beugt, um nicht verhungern zu müssen. Und schlussendlich als kämpfende, am Ende selbst zur Täterin gewordene Frau.
Sie wehrt sich nicht gegen ihren Peiniger, nein, sie genießt es, das Messer – und mit ihm die absolute Macht – in den Händen zu halten. Louise beginnt, Mark Befehle zu geben, ehe sie sich entschließt, ihn zu kastrieren. Von diesem Vorhaben lässt sie schlussendlich ab – vielleicht, da sie bemerkt und nachzufühlen scheint, wie zerstörerisch Unterdrückung auf andere Menschen wirken kann.
Am kommenden Sonntag steht am Theater Vorpommern die nächste Premiere auf dem Programm. Nach dem Ende wurde erst 2005 uraufgeführt und entstammt der Feder des britischen Autoren Dennis Kelly. Das Stück wird als „ultimative Parabel auf den 11. September und seine Folgen“ angekündigt und lotet auf individueller Ebene das fragile Verhältnis von Freiheit und Sicherheit aus, das durch die Verabschiedung von Anti-Terrorgesetzen seit 9/11 gehörig ins Wanken geraten ist.
(Foto: Christopher Melching)
Louise (Frederike Duggen) wacht — nachdem sie wieder zu Bewusstsein gekommen ist — im Bunker von Mark (Sören Ergang) auf. Dieser behauptet, sie nach einem terroristischen Atomschlag gerettet zu haben, doch in Louise erwachsen Zweifel an seiner Darstellung. „Es entwickelt sich ein subtiler Beziehungskonflikt auf dem schmalen Grat zwischen verbaler Bedrohung und tatsächlicher Gewalt. Immer deutlicher tritt Marks paranoide Persönlichkeitsstruktur zutage. In seiner Mischung aus Sicherheitswahn, Verlangen nach Gehorsam und Wohlverhalten, verklemmter Sexualität und Fremdenangst repräsentiert er den Typus eines Menschen, für den Freiheit nur noch bedrohlich ist.“
Das von Julia Heinrichs inszenierte Stück wurde aus dem Theater der Altmark Stendal — der früheren Wirkungsstätte des neuen Intendanten Dirk Löscher und Teilen des jetzigen Schauspielensembles — übernommen. Karten kosten zwischen 10,50 Euro und 15,50 Euro und können online auf der Seite des Theaters bestellt werden.