Man kommt fast nicht drum herum: Die passend zu den ausgestellten Werken meerblaue farbintensive Werbekampagne zur Ausstellung Zwei Männer – ein Meer überschwemmt Greifswald in ähnlicher Weise, wie es 2007 die Feininger-Sonderausstellung mit ihren gestalteten Bierdeckeln und Stadtbussen tat. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die aktuelle Sonderausstellung, in der bis zum 28. Juni ausgewählte Werke der deutschen Expressionisten Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff in Greifswald präsentiert werden.
Das Drumherum
Ergänzt wird die Ausstellung zu den beiden Brücke-Künstlern durch ein umfangreiches Begleitprogramm, für das verschiedene (lokale) Akteure und Institutionen ins Boot geholt wurden. Neben unzähligen thematischen Führungen und Vorträgen, unter anderem von zwei Pechstein-Enkeln, werden auch von Studierenden des Caspar-David-Friedrich-Instituts produzierte Audio-Guides angeboten.
Wir tun das Gegenteil von dem, was du dir rätst / wenn du dein eigener Arzt bist / Wenn wir nicht so verzweifelt hier sein wollen / können wir ja rausgehen, oder ins Extrem / Wenn wir dabei nicht so verzweifelt aussehen wollen bleiben wir hier / um zunächst die Wohnung zu zerstören und dann neu zu beziehen / Ich weiß es gibt Krieg mit der Normalität / Und es wird spät.
Das anstehende Wochenende wird facettenreich und mit Durchhaltevermögen vom PolenmARkT bespielt, der zweifelsfrei die kulturellen Höhepunkte bietet. Neben den Theaterkonzerten des Bester Quartets und vom Pianisten Leszek Możdżer, machen an zwei Abenden die Russendisko und das DJ-Team Soul Service in Greifswald Station, während im Dom der historische Science-Ficition Film Metropolis gezeigt wird.
ZORNIG: DAS BESTER QUARTET
Gegründet unter dem Namen The Cracow Klezmer Band, erspielte sich das Quartet um den Akkordeonspieler Jaroslaw Bester seinen Platz in der internationalen Szene moderne jüdischer Musik. Wer sich noch mit gutem Gefühl an die grandiosen Kroke erinnert, die beim PolenmARkT vor zwei Jahren das Greifswalder Theater in ihren Bann zogen, ist beim Bester Quartet bestens aufgehoben. Hier trifft moderne Kammermusik auf improvisationsfreudigen Jazz.
Der New Yorker Jazzmusiker und Labelchef John Zorn hat die Band für sich entdeckt und bislang alle sechs Veröffentlichungen des Bester Quartets auf seinem Radical Jewish Music Label Tzadik herausgebracht.
Kurz nachdem das Bester Quartet auch die letzte Zugabe gespielt hat, beginnt im IKUWO die prominent besetzte Aftershowsause. Als DJ konnte hierfür niemand geringeres als Yuriy Gurzhy gewonnen werden.
Der gehört nicht nur zur Emigrantski-Raggamuffin-Band Rotfront, sondern ist vor allem durch die Russendisko berühmt geworden, die er als bis heute existierende Veranstaltungsreihe mit dem Autoren der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung, Wladimir Kaminer, realisiert. Gurzhy stellte gemeinsam mit dem Engländer Lemez Lovas die Kompilation Shtetl Superstars zusammen und präsentierte auf ihr „funky Jewish Sounds“ aus der ganzen Welt. Russendisko, das heißt durchdrehen bis zum Schluss und Yuriy Gurzhy wird das Hanse-Shtetl garantiert auf den Kopf stellen!
Am Sonnabend wird Fritz Langs Meisterwerk Metropolis (D, 1927, rest. 2010, 145 Min.) gezeigt. Der erste berühmte Science-Fiction-Film wurde 1927 der Öffentlichkeit vorgestellt, konnte dann aber über achtzig Jahre nur in gekürzter Fassung gezeigt werden. Erst vor wenigen Jahren wurde in Buenos Aires eine Kopie des Originals gefunden, mit deren Hilfe das Werk restauriert werden konnte.
Der Film führt in die zweigeteilte Zukunftsstadt Metropolis: „In der lichtlosen Unterstadt schuften Sklaven rund um die Uhr bei Wasser und Brot, die Luxusmenschen der Oberstadt dagegen vertreiben sich die Zeit mit Spiel und Sport aufs Angenehmste. Zwischen Ober- und Unterstadt dröhnen ohne Pause riesige Maschinen, deren Erfinder Rotwang ein übles Komplott ausheckt: Er schafft eine künstliche Frau, welche die Massen gegen die Bewohner der Oberstadt aufhetzen soll, um einen Vorwand für noch größere Unterdrückung zu liefern. Nur zwei Menschen durchschauen den Plan: Die schöne Maria, „Heilige der Unterdrückten“, und Freder, Sohn des Herrschers von Metropolis, der sich unsterblich in Maria verliebt hat.“
Wie zur Entstehungszeit üblich, wird die Filmvorführung live an an der Domorgel begleitet. Es spielt der Stettiner Organist Filip Presseisen. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Filmclub Casablanca e.V. statt. Hier ein Trailer:
Fakten: 26.11. | 19 Uhr | Dom | 5 / 3 EUR
FUNKY: DJ-TEAM SOUL SERVICE
Durch die Sonnabendnacht wird im IKUWO das Soul Service-DJ-Team aus Warschau und Lublin führen. Dieses Quartet der Schallplattenunterhaltung besteht aus Burn Reynolds, Cpt. Sparky, DJ Misty und Papa Zura, die als „retrovertierte Soundforscher und akribische Archivgänger in Sachen polski Fusion-Funk“ angekündigt werden.
„Als Kenner mit Sendungsbewusstsein brachten sie diesen hoch geschätzten polnischen Jazz-Sound der Siebziger geballt und zudem stilvoll verpackt zurück in die Pop-Warenzirkulation. Als versiertes und leidenschaftliches DJ-Team aber pumpen sie ihn vor allem dahin, wo er eigentlich hingehört: auf die Tanzfläche, in die Beine und Bäuche der Party-Crowd!“
Fakten: 26.11. | 22 Uhr | IKUWO | 5 EUR
FÜRSTLICH: LESZEK MOZDZER
Mit einem Klavierkonzert der Superlative wird das inoffizielle Ende des PolenmARkTs eingeläutet. Der mit Preisen überhäufte, polnische Starpianist Leszek Możdżer wird am Sonntag im Theater gastieren und dort als Solokünstler auftreten. Możdżer begann schon als Fünfjähriger mit dem Klavierspiel, absolvierte eine klassische Ausbildung, bis er auf Jazz aufmerksam wurde und zur Szene-Sensation aufstieg.
Leszek Możdżer hat an über 100 Alben mitgewirkt, Musik für Theater und Film geschrieben und spielte unter anderem mit Arthur Blythe, Buster Williams, Billy Harper, Pat Metheny oder Archie Shepp auf internationalen Bühnen.
Die Filmvorführungsreihe nordoststreifen verdient sich schon seit längerem Lorbeeren für ihr ausgesuchtes Programm. Wurde während des Polenmarktes der Fokus auf das östliche Nachbarland gelegt, so ist es wenig verwunderlich, dass dieser Tage der Blick gen Norden gewandt wird. Werbung
Dänemark ist nicht erst seit der Dogma-Gruppe Brutstätte großer Filmkunst und einer der wohl wichtigsten Regisseure dieses Landes ist zweifelsohne Lars von Trier (u.a. Hospital der Geister, Breaking the Waves, Idioten, Dancer in the Dark, Dogville, Manderlay, Antichrist). Im Rahmen des Nordischen Klangs 2011 wird heute im Pommerschen Landesmuseum von Triers Film Europa (DK/S/F/D/CH, 1991) gezeigt – eine cineastische Zitatmaschine in vorwiegend Schwarzweiß, die mit Mehrfachbelichtungen und Rückprojektionen zu einer experimentellen Bildschichtung wurde.
(Foto: kino-zeit.de)
In Europa wird die Geschichte des deutschstämmigen Amerikaners Leopold Kessler (Jean-Marc Barr) erzählt, der kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland zurückkehrt und als Schlafwagenschaffner zu arbeiten beginnt.
„Fortan ist er einem merkwürdigen System absurder Vorschriften unterworfen, das inmitten des Chaos die in Deutschland ach so heilige Disziplin und Ordnung wieder herstellen soll. Auf seinen Fahrten quer durch das zerstörte Deutschland lernt er Katharina Hartmann (Barbara Sukowa), die Tochter des Besitzers von Zentropa, der während des Krieges die Waggons für den Transport von Juden in die KZs bereit stellte, und der nun so weitermacht, als sei nichts geschehen, kennen.
Natürlich verliebt sich Leopold in Katharina und natürlich wird seine Liebe schamlos ausgenutzt, denn die Untergrundorganisation der Nazis, die Werwölfe, sind immer noch aktiv, und der nichts ahnende Schlafwagenschaffner aus Amerika ist fester Bestandteil ihrer dunklen Pläne und Machenschaften – ein Opfer, das zum Täter wird.“ (kino-zeit.de)
Bei der International Movie Database (imdb) wird der Film mit 7,7 bewertet, einen englischsprachigen Trailer gibt es außerdem:
Heute Abend findet die einzige Vorveranstaltung des Polenmarktes 2010 statt und es wird eine Art cineastisches Warm-Up im Pommerschen Landesmuseum angeboten.
Gezeigt wird der Film Ich, Tomek (PL, 2009), der erst im Sommer dieses Jahres die deutschen Kinos erreichte und der sich nahtlos in die wärmstens zu empfehlende Filmreihe nordoststreifen einbettet, die das filmische Drama über Kinderprostitution an der deutsch-polnischen Staatsgrenze präsentiert und ihm das Prädikat Besonders wertvoll anheftet.
In Ich, Tomek geht es um einen 15 Jahre alten Jungen, der in der deutsch-polnischen Grenzstadt Gubin aufwächst, sich verliebt und plötzlich Geld braucht – Geld, das sich nicht einfach so verdienen lässt. So gelangt Tomek schließlich ins Zuhältermilieu und beginnt, sich zu prostituieren.
Vor dem Hintergrund des Wohlstandsgefälles an der Grenze zwischen Deutschland und Polen erzählt Regisseur Robert Gliński eine existentielle Geschichte, die universell für eine junge, europäische Generation auf der Suche nach Identität, Liebe und Wohlstand steht.
Die Filmvorführung kommt durch die Kooperation der Kulturreferentin für Pommern, des Filmclubs Casablanca und des Polenmarktes zustande. Hier sei noch auf den deutschsprachigen Trailer verwiesen.
In Kooperation mit der Kulturreferentin für Pommern und dem Filmclub Casablanca wird im Rahmen des Nordischen Klangs das preisgekrönte Regiedebüt des im dänischen Kopenhagen geborenen Norwegers Joachim Trier gezeigt.
Reprise (dt.: Auf Anfang, 2006) erzählt die Geschichte zweier Jungautoren, die versuchen, einen Verlag für ihren zweiten Roman zu finden. Dieses Unterfangen gelingt nur einem der beiden.
Der „essayistisch anmutende Versuch über die Alternativen, die das Leben bereithält, und die Folgen, die daraus erwachsen„, erinnert durch sein Spiel mit dem Möglichen ein wenig an Tom Tykwers Lola rennt (1998) und hat nach seiner Veröffentlichung zahlreiche Preise auf unterschiedlichen internationalen Filmfestivals gewonnen, unter anderem in Toronto, Istanbul, Karlovy Vary und Rotterdam. Werbung
Eine ausführlichere Handlungsbeschreibung findet sich auf der Seite des Nordischen Klangs, eine Vorschau des vielversprechenden Films gibt es derweil hier.
Der PolenmARkT lädt in Zusammenarbeit mit dem Filmclub Casablanca zur Vorführung von Überall ist es besser, wo wir nicht sind (BRD 1989) ein. Beim anschließenden Filmgespräch wird der Regisseur Michael Klier zugegen sein.
Entweder ist das Gras grüner, oder die Häuser sind höher, oder die Sonne ist wärmer! Warschau 1988. Jerzy will in den Westen. Sein Ziel ist Amerika. Aber sein Geld reicht erst einmal nur für Berlin.
Dort trifft er Ewa wieder, die er an seinem letzten Tag in Polen kennen gelernt hat. Die beiden kommen sich näher. Sie nehmen alle Jobs an und haben wenig Zeit für einander. Dennoch gibt es einige Momente des Glücks, bis Ewa verschwindet, ohne eine Adresse zu hinterlassen…
Polnische Flüchtlinge revidieren ihre Utopien vom Westen, West-Berlin erweist sich als Durchgangsstation. Auf beiläufige, dabei fast visionäre Weise nimmt der Film Entwicklungen globaler Migrationsbewegungen vorweg.