Greifswald sucht den Superstar! Am Sonntagabend werden im Café Koeppen zehn Songs präsentiert, die der Hansestadt auf den Leib geschrieben wurden.
Es ist wohl eines der unterhaltsamsten Programme, die hierorts in den letzten Jahren erdacht und auf die Bühne gebracht worden sind: Der musikalische Wettbewerb „Ein Song für Greifswald“ bohrt dicke Bohlen und spendiert dem quotenstarken Fernsehformat Casting-Show eine Kleinkunstkur. Zehn Greifswalder geben ihre musikalischen Liebeserklärungen an ihre (Wahl)Heimat zum Besten.
(Foto: Fleischervorstadt-Blog)
Mit dabei sind unter anderem Patricia Hochbinder Fassheim („David am Ryck“), Lucas Schwarz („Ist Wieck ein Feuer“) und Marie Waschniak („Die Dicke Marie“), die ihre Perspektiven auf Greifswald und seine Kruppkollegen vertonen. In den Hauptrollen sind Hannes Rittig und Katja Klemt zu erleben, die während ihrer Auftritte vom Pianisten Artur Apinyan (Artur und Band) begleitet werden — geschmackvoll, auf den Punkt, aber niemals zu dominant. Das Publikum stellt die Jury und wählt am Ende des Abends den besten Song aus und — so viel sei an dieser Stelle bereits verraten — diese Auswahl fällt nicht leicht. Punktgenauer als mit GSDS lässt sich ein grauer Sonntagabend im November hier kaum rumkriegen, versprochen!
Am 26. Oktober stellte die Autorin Anne Wizorek ihr Buch „Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute“ im Koeppenhaus vor. Im anschließenden Gespräch spricht die Feministin über die Sendung „Hart aber Fair“, antifeministische Backlashs, rassistische Instrumentalisierungen von Frauenrechten sowie über ihre persönlichen Strategien im Umgang mit Hass im Internet.
FVB: Anne Wizorek, wie wohl fühlst du dich mit dem Begriff „Netzfeministin“?
AW: Das schwankt. Ich finde es in dem Momentan unpassend, wo es als Label benutzt wird, um das abzuwerten, was Menschen tun, die vorwiegend im Internet aktiv sind, anstatt zu verstehen, dass da immer eine Verschränkung zwischen offline und online stattfindet. Es ist eben kontextabhängig: Zu markieren, dass Leute in meinem Umfeld und ich besonders netzaktiv sind, finde ich ok – als Abwertung ist es aber fehlgeleitet.
FVB: Ist dieser Begriff eine Fremdzuschreibung oder hast du ihn zuerst selbst verwendet?
AW: Ich selbst sage eigentlich immer, dass ich Feministin bin, insofern ist das eher eine Fremdzuschreibung. Aber ich reagiere darauf, wenn andere Leute mich so bezeichnen, erkläre, was für mich hinter diesem Begriff steckt und versuche, auch da wieder klarzumachen, dass es nicht den einen Netzfeminismus gibt, sondern – genauso wie offline – verschiedene Strömungen zusammenfinden und mit dem Internet einen Ort haben, an dem sie sichtbar werden.
Anne Wizorek im Gespräch mit Prof. Eva Blome bei der Lesung im Koeppenhaus (Foto: Fleischervorstadt-Blog)
FVB: Du hattest im März einen heftig diskutierten Fernsehauftritt bei „Hart aber Fair“, der von mehreren Frauenverbänden kritisiert wurde. Zwischenzeitlich wurde der Beitrag depubliziert, später wieder online gestellt. Im September wurde die Sendung in fast identischer Besetzung wiederholt. Empfandest du das als angemessene Reaktion des WDR?„Im Gespräch mit Anne Wizorek“ weiterlesen →
Netzfeministin Anne Wizorek liest am Montag im Koeppenhaus aus ihrem Buch Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Wie sieht er aus, der „Feminismus von heute“?
Im Januar 2013 löste ein Artikel der Journalistin Laura Himmelreich über den damaligen FDP Spitzenkandidaten Rainer Brüderle eine Debatte über das Thema Alltagssexismus aus. Kurz darauf initiierte die Netzfeministin Anne Wizorek den später mit dem Grimme Online Award ausgezeichneten Hashtag #aufschrei, mit dem daraufhin tausende Frauen ihre Erfahrungen mit dieser Diskriminierungsform im Internet teilten und kanalisierten.
In der grafischen Reportage WEISSE WÖLFE zeigen Autor David Schraven und Zeichner Jan Feindt die Ideologie und Gefahr regionaler Neonazi-Gruppen am Beispiel der Ruhrpottstadt Dortmund. Die Ausstellung wird heute Abend mit einer gut besetzten Podiumsdiskussion eröffnet.
In der Stadt Dortmund existiert eine der vitalsten Neonazi-Szenen Deutschlands, die auch für regionale Gruppen wie den Nationalen Sozialisten Greifswald Vorbildcharakter hat und deren Agieren von den Neonazis vor Ort auf mehreren Ebenen nachgeahmt wird. Rechte Gewalttäter haben im Ruhrpott Familien aus ihren Häusern vertrieben und im Laufe der Jahre mehrere Menschen umgebracht. Heute versammeln sich Rechte mit Fackeln vor Flüchtlingsheimen und schicken Journalisten Todesanzeigen.
Angela Marquardt wuchs in Greifswald auf, zog 1998 in den Bundestag ein und wurde als „PDS-Punkerin“ von den Medien hofiert. Vier Jahre später wurde der Fund ihrer Stasi-Akte publik; die frühere Hausbesetzerin wurde von ihrer Vergangenheit eingeholt. Im Frühjahr 2015 veröffentlichte Marquardt, die als Fünfzehnjährige von der Stasi angeworben wurde, ihre Lebensgeschichte und gewährt damit dramatische Einblicke in ihre Kindheit und Jugend. Vor ihrer Buchpräsentation im Koeppenhaus ergab sich die Gelegenheit für ein ausführliches Gespräch über die wilden Neunzigerjahre, rechtsextreme Kontinuitäten, ihr Verhältnis zur Linkspartei, über Scham und Vergebung und schließlich über die Zukunft der Jahn-Behörde.
FLV: Angela Marquardt, du hast dich nach der Wende in der Greifswalder Hausbesetzerszene herumgetrieben. Wie hat sich die Stadt damals angefühlt?
AM: Das ist etwas schwierig zu sagen, weil diese Zeit so schnelllebig gewesen ist, dass man aufpassen muss, dass die Erinnerungen stimmen. Man ist unglaublich vielen Leuten begegnet, hat wahnsinnig viele Sachen gemacht. Ich erinnere mich, dass wir während der Neunzigerjahre nachts nach Hamburg gefahren sind und irgendwelche Polaroidkameras gekauft haben, die wir dann auf dem Greifswalder Markt vertickt haben, um davon wiederum Toastbrot oder das eine oder andere Bier zu kaufen. Ganz genau im Kopf habe ich noch das Klex, um das wir sehr lange gekämpft haben. Mich als Hausbesetzerin zu bezeichnen, wäre aber glaube ich ein Stück vermessen — da gab es andere, die dort auch wirklich gelebt haben. Ich hatte immer parallel die eigene Wohnung und habe natürlich nicht die ganze Zeit mit den Leuten abgehangen, aber war in der Wachsmannstraße und auch in der Anklamer Straße mit dabei. Dort besetzten die Nazis auch ein Haus.
Damals stand sehr viel Gewalt im Raum. Ich habe im Kopf, dass wir damals noch moderierte Gespräche zwischen Rechten und Linken führten. Da waren Maik Spiegelmacher und Frank Klawitter dabei, jemand aus unserer Gruppe und ich. Diese Auseinandersetzungen zwischen rechts und links waren damals in den beiden Zeitungen immer Thema. Parallel dazu kam dann das, was mein Leben grundlegend veränderte: Dass ich die Leute von der PDS kennengelernt habe und dort ein Stück weit das fand, was ich damals suchte. Nur den Nazis hinterherzulaufen, das ist nicht unbedingt mein Lebensinhalt gewesen; ich meine, ich bin klein und eine Frau.
FLV: Du bist Judoka!
AM: Ja, aber das waren auch schmerzhafte Begegnungen. Ich habe dann jedenfalls angefangen, mich in der PDS zu engagieren. Mein dortiges Engagement endete dann ja in einem relativ rasanten innerparteilichen Aufstieg, und dadurch bedingt, habe ich dann Greifswald ein bisschen hinter mir gelassen. Wobei diese Formulierung eigentlich falsch ist, weil ich ja immer hier gewesen bin. Ich musste lachen, als das Koeppenhaus mir ein Hotelzimmer angeboten hat – das brauche ich glücklicherweise nicht, weil ich noch ganz viele Freunde hier habe.
„Das ist kein neues Phänomen, sondern das gab es immer, und jetzt traut es sich einfach, lauter zu schreien.“
FLV: Mit der Wende kulminierten plötzlich die Möglichkeiten, die Freiheitsgrade erweiterten sich. Viele Protagonisten von damals schildern diese Umbruchszeit – mitunter etwas romantisierend – als sehr aufregend; vor allem die Unbestimmtheit, was ging und was nicht.„Im Gespräch mit Angela Marquardt“ weiterlesen →
Die Stasi machte auf der Suche nach geeigneten Spitzeln selbst vor Kindern und Jugendlichen nicht Halt. Eines der prominentesten Opfer dieser Anwerbungspraxis ist die in Greifswald aufgewachsene Angela Marquardt. Sie hat ein Buch über dieses Kapitel ihres Lebens geschrieben, dass sie am Freitag im Koeppenhaus vorstellen wird.
Angela Marquardt legte in den Neunziger Jahren eine politische Blitzkarriere hin: Mit nicht einmal zwanzig Lebensjahren wurde die junge Punkerin überraschend in den Bundesvorstand der PDS gewählt; mit 23 Jahren folgte der stellvertretende Parteivorsitz. Kurz darauf gelang ihr der Einzug in den Bundestag, wo sie für die Dauer der Legislatur Mitglied der damaligen PDS-Fraktion war, ehe sie die Partei verließ und sich der SPD zuwandte.