Jahresrückblick: Das war 2015

Im vergangenen Jahr wurde in Greifswald gespalten und verbunden, bis sich die Balken bogen. Einerseits gab es Anlässe genug für eine ungesunde Portion Pessimismus, andererseits stimmen bestimmte Entwicklungen hoffnungsfroh. Ein Jahresrückblick mit Schlaglichtern aus Kommunalpolitik und Subkultur in der Hansestadt.

Kommunalpolitik: Historische Wende bei der Oberbürgermeister-Wahl

Selten erfuhr Greifswalder Kommunalpolitik so viel Aufmerksamkeit wie die Oberbürgermeisterwahl im Frühsommer. Das schlug sich zwar kaum in der Wahlbeteiligung nieder, sorgte dafür aber für bundesweite Öffentlichkeit. Der Gemeinschaftskandidat von Grünen, Linken, SPD und der Piratenpartei, Stefan Fassbinder, konnte sich in einer Stichwahl gegen seinen Konkurrenten Jörg Hochheim (CDU) mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur 15 Stimmen durchsetzen. Doch wer dachte, dass sich der historische Wechsel im Rathaus so reibungslos vollziehen ließe, wurde alsbald durch die drei Einsprüche von CDU-Mitgliedern beziehungsweise parteinahen Einzelpersonen eines Besseren belehrt.

wahlparty-greifswaldJubel auf der Wahlparty von Stefan Fassbinder (Foto: Fleischervorstadt-Blog, 06/2015)

Eine verrutschte Fußmatte, die zwischenzeitlich nicht mehr als Türöffner dienen konnte und so den Wählenden einen der drei Eingänge ins Wahllokal temporär versperrte, wurde kurz darauf zur bundesweit belächelten Ikone der christdemokratischen Intervention. Aufgrund dieser Panne will der unterlegene Kandidat Hochheim nun vor Gericht. Die Verhandlung ist für den 19. Januar angesetzt. Kurz vor Weihnachten soll die CDU indes den anderen vier Parteien ein Angebot unterbreitet haben, um die Klage abzuwenden. Doch das Parteienbündnis erklärte in einer gemeinsamen Pressemitteilung, dass man zu keinem Handel bereit sei, „um dadurch die Rücknahme der Klage gegen das Ergebnis der OB-Stichwahl zu erreichen. Das verstößt gegen jegliche demokratischen Regeln. Wir kaufen keine Wahlergebnisse.“ Stefan Fassbinder hat am 1. November 2015 die Amtsgeschäfte von seinem Vorgänger Arthur König (CDU) übernommen. „Jahresrückblick: Das war 2015“ weiterlesen

Asylgegner sammeln unfreiwillig 450 Euro für Flüchtlinge

Am Montagabend fanden in Greifswald mehrere Demonstrationen und Mahnwachen statt, die weitestgehend störungsfrei verliefen. Die rechten Asylgegner sammelten mit ihrem unfreiwilligen Spendenlauf insgesamt 450 Euro für die Greifswalder Flüchtlingshilfe.

Die beiden rechten Gruppierungen FFDG und „Greifswald wehrt sich“ veranstalteten am Montagabend eine Demonstration unter dem Motto „Deutschland unser Vaterland“. Bereits ab 18 Uhr versammelten sich etwa 180 Gegendemonstrierende an insgesamt vier Mahnwachen in unmittelbarer Nähe zum FFDG-Treffpunkt, um gegen die Fremdenfeindlichkeit und den Rassismus von der gegenüberliegenden Straßenseite zu protestieren. Auf der größten Mahnwache vor dem DLZ positionierte sich Rektorin Prof. Dr. Weber in einer kurzen, aber eindringlichen Rede gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus — Einstellungen, die mit einem universitären Wissenschaftsstandort unvereinbar seien. Im Laufe des Abends wurden weitere Redebeiträge gehalten, unter anderem von Jörg Kasbohm (Die Linke) und Anne Wolf (Alternative Liste). Dazwischen sorgte Greifsmusic dankbarerweise wieder für ein abwechslungsreiches Live-Programm.

ffdg-gegendemo-rektorin-weber-greifswald600Rektorin Prof. Dr. Weber erklärt Universität und Fremdenfeindlichkeit für unvereinbar (Foto: Fleischervorstadt-Blog)

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Schon vergessen?! Gedenkveranstaltung für Eckard Rütz 2015

Heute Nachmittag findet auf dem Vorplatz der Mensa eine Gedenkveranstaltung statt, um an den Tod von Eckard Rütz zu erinnern, der dort in der Nacht vom 24. zum 25. November 2000 von drei Neonazis ermordet wurde.

Gedenkveranstaltung für Eckhard Rütz 2014

Damals erklärten die zu verhältnismäßig milden Freiheitsstrafen verurteilen Täter, dass sie dem Obdachlosen, der dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche gelegen hätte, eine Lektion erteilen wollten. Die Neonazis schlugen mit armdicken Holzpfählen mehrmals auf den Kopf des Mannes ein, bis dieser sich schließlich nicht mehr bewegte. Nachdem die Täter zwischenzeitlich geflohen waren, kehrten sie aus Angst vor einer Anzeige zurück und attackierten den Obdachlosen erneut. Eckard Rütz starb kurz darauf an den Kopfverletzungen, die so verheerend gewesen sein sollen, dass der Schädel bei der Obduktion auseinanderfiel. Der Mord an Eckard Rütz war der zweite Obdachlosenmord im Jahr 2000 — bereits fünf Monate zuvor erschlugen drei Jugendliche, die ebenfalls der rechten Szene zugeordnet wurden, den Obdachlosen Klaus-Dieter Gerecke in der Gützkower Straße. Das Bündnis Schon vergessen?! etabliert seit 2006 das öffentliche Gedenken an Eckard Rütz und setzte sich erfolgreich für einen Gedenkstein am Mensavorplatz ein.

Im Aufruf zur diesjährigen Veranstaltung wird nicht nur auf die menschenfeindlichen Einstellungen der Täter Bezug genommen, sondern auch auf aktuelle Instrumentalisierungstendenzen von rechts hingewiesen: So konnte man in den vergangenen Wochen beobachten, wie die Situation obdachloser Menschen durch Gruppen wie FFDG oder „Greifswald wehrt sich“ für die Kommunikation rassistischer Einstellungen vereinnahmt wurde. „Diese scheinheilige Fürsorge ließ solange auf sich warten, bis man aus ihr den Profit des Fremdenhasses schlagen konnte.“

Fakten: 25.11. | 17 Uhr | Vorplatz der Mensa am Schießwall

Pegida, besorgte Bürger, FFDG und das Versagen des Bildungsbürgertums und der gesellschaftlichen Mitte

Ein Debattenbeitrag von André Carls

Am Montag marschieren sie wieder: Pegida, AfD, NPD und die besorgten Bürger. Wir regen uns — zu Recht — wieder darüber auf, dass sie marschieren und trotzdem wissen wir, dass wir derzeit nur ohnmächtig zuschauen: wohlwissend, dass die Menschen, die dort mitlaufen, Unrecht haben, plumpen Parolen folgen und einer irrationalen Angst vor der Überfremdung anhängen. Versuche, den Parolen mit Fakten Einhalt zu gebieten, gab es (FAQ für besorgte Bürger) und gibt es noch und nöcher (BAMF). Doch offenbar fruchten sie nicht wirklich oder werden nur von denen gelesen, die ohnehin über die Fakten im Bilde sind. Zeit also, abseits von „Lügenpressenschemata“ ernsthaft danach zu fragen, warum die besorgten Bürger immer mehr werden, der Zulauf stetig steigt, die Sympathien für Pegida und Co. immer weiter um sich greifen und die Versuche der Aufklärung allesamt fehlzuschlagen scheinen. Eine Polemik.

Filterblasen als Produkt der Entsolidarisierung

Einen der wenigen brauchbaren Ansätze zur Erklärung liefern derzeit die NachDenkSeiten, in denen Jens Berger die Resistenz gegen die Aufklärung in der Entstehung von Filterblasen sieht. Der Beschreibung des Phänomens stimme ich vollkommen zu, allerdings greift auch sie in der Ursachenanalyse deutlich zu kurz. Die in sozialen Netzwerken entstandenen Filterblasen spiegeln zu großen Teilen das real existierende Netzwerk an Personen und Kontakten wider, die eine Person umgeben und umgeben haben. Die Filterblasen, die wir online sehen können, sind also eine Repräsentation der realen Welt, in der die Nutzer leben.

Phasentrennung Wasser Oel (Bild: André Carls)

Und an dieser Stelle wird es unbequem — unbequem vor allem für die Oberschicht, unbequem vor allem für das Bildungsbürgertum, unbequem vor allem für die Mittelschicht. Kurz: für alle, die sich in den letzten Jahren stillschweigend mit den Schichten unterhalb der eigenen, insbesondere aber mit der Unterschicht, entsolidarisiert haben. Und das trifft in der Breite ausnahmslos für alle genannten Schichten zu. Sie sind die wesentliche Ursache für die Entstehung der Filterblasen und deren enorme Oberflächenspannung, den ungeheuren Widerstand gegenüber konträren Fakten, die in diese hineingestreut werden. Was wir derzeit online und an den Stammtischen erleben, ist die direkte Konsequenz daraus, dass wir jahrelang zugelassen und zugesehen haben, dass es eine Abstimmung mit den Füßen gab, bei der ein Großteil des „Wahlvolkes“ beinamputiert zurückgelassen wurde. Die Wahrheit ist so erdrückend einfach wie schwer verdaulich: Ghettos und damit auch Filterblasen werden nicht von denen gemacht, die dort wohnen, sondern von denen, die dort wegziehen und entfreunden. Die Filterblasen, die wir beobachten, sind lediglich die Netzwerkrepräsentation der Lebensrealitäten aller Schichten. „Pegida, besorgte Bürger, FFDG und das Versagen des Bildungsbürgertums und der gesellschaftlichen Mitte“ weiterlesen

Haus der Burschenschaft Rugia mit Steinen und Farbe angegriffen

Die neue Serie politisch motivierter Straftaten in Greifswald reißt nicht ab. In der vergangenen Nacht wurde das Haus der Burschenschaft Rugia mit Steinen und Farbe angegriffen. 

Greifswald erlebte in den letzten Wochen eine Zunahme mutmaßlich politisch motivierter Straftaten, bei denen Menschen verletzt und Sachen beschädigt werden. In der vergangenen Nacht traf es die Burschenschaft Rugia, deren Gebäude in der Robert-Blum-Straße gegen 3 Uhr von mehreren Personen angegriffen wurde. Dabei wurden mehrere Fenster in der ersten Etage zerstört. Weiterhin verteilten die Täter mit Feuerlöschern schwarze und pinke Farbe auf der Hausfassade. „Haus der Burschenschaft Rugia mit Steinen und Farbe angegriffen“ weiterlesen

„Greifswald für alle“ ruft zum Protest gegen FFDG-Demo in Schönwalde II auf

Die rechte Gruppierung FFDG wird am Montagabend in Schönwalde II demonstrieren. Das Bündnis „Greifswald für alle“ ruft zum gemeinsamen Protest dagegen auf und kündigt eine Mahnwache an. Eine Critical Mass sorgt für sichere Anfahrt.

Seit September versammeln sich auch in Greifswald besorgte Bürger, Rassisten und Neonazis zu Mahnwachen und Demonstrationen. Am Montagabend geht es zum siebten Mal auf die Straße. Unter dem Motto „Gegen die aktuelle Politik und linken Terror“ laden die beiden rechten Gruppierungen FFDG (Frieden, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit) und „Greifswald wehrt sich“ — ein Label, unter dem am 21. September der erste unangemeldete Aufzug der Fremdenfeinde stattfand — zur Demonstration „gegen das System“ ein, wie es auf dem Einladungsbild heißt. „„Greifswald für alle“ ruft zum Protest gegen FFDG-Demo in Schönwalde II auf“ weiterlesen