Es sind noch nicht einmal drei Wochen vergangen, seitdem ich auf die angespannte Raumsituation des Greifswalder Studententheaters (Stuthe) aufmerksam machte. Inzwischen hat sich einiges getan, aber um gleich jeden Hoffnungsschimmer zu ersticken: Die Lage ist noch brenzliger geworden, Stuthe ist seit gestern existentiell bedroht.
Nur zweieinhalb Jahre Halbwertzeit
Seit dem 11. Dezember ist es amtlich: Das Studententheater muss bis zum 4. Januar 2010 die erst seit dem Frühjahr 2007 genutzten Räume in der Soldmannstraße 23 verlassen. Damit verlieren die Studierenden nach der Bahnhofstraße 50, der Makarenkostraße (Kiste) und der Stralsunder Straße 10 bereits die vierte Wirkungsstätte durch universitäre Umstrukturierungen binnen kurzer Zeit. Die Halbwertzeit einer Spielstätte beträgt bei Stuthe nur noch etwa zweieinhalb Jahre, doch dieses Mal ist der Umzug alternativlos.
Kurz- und mittelfristige Lösungen zur Raumfrage wurden zwar zusammen mit der universitären Verwaltung regelmäßig nach einem Auszug gesucht, eine finale und planungssichere Heimstatt für die Zukunft konnte dabei bisher allerdings noch nicht gefunden werden. Jeder Umzug der vergangenen Jahre bedeutete für Stuthe nicht nur einen enormen mehrmonatigen Kraftakt, sondern vor allem die Verhinderung von dem, was die Studierenden am besten können: Theater spielen.
Im Greifswalder Lokalteil der gestrigen Ostsee-Zeitung ist ein sehr erhellender Artikel von Anke Lübbert über das Petruswerk erschienen. So habe sich Erzbischof Georg Maximilian Kardinal Sterzinsky für das Verhalten des hier schon häufig kritisierten Unternehmens entschuldigt.
In einem Brief des Kirchenvertreters an die grüne Bürgerschaftsfraktion heißt es:
„Mit Bedauern nehmen wir den Projektverlauf in Greifswald und für die Stadt Greifswald zur Kenntnis. […] Den Imageschaden, den ein solches Geschäftsgebaren des Petruswerkes mit sich bringt, insbesondere durch die Annahme, es handle sich um eine kirchliche beziehungsweise Bistumseinrichtung, beobachten wir mit Sorge“.
Die Entschuldigung des Erzbischofs mag zwar nur einen geringfügigen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung des Hauses in der Stralsunder Straße haben, aber die Demaskierung des Petruswerkes und seines Geschäftsführers Douglas Fernando ist schon eine Menge wert. Der vollständige OZ-Artikel ist leider nur Abonnenten vorbehalten und hier zu finden.
Das Hausieren mit christlichen Werten, das Spekulieren mit denkmalgeschützten Häusern und andere — auch das Mira betreffende — Immobiliengeschäfte in Greifswald sind Inhalt eines Beitrages, der hier vor etwa sieben Monaten veröffentlicht wurde und auf den ich nochmals hinweisen möchte.
Wer wird sich daran später noch erinnern? Diese Frage stellte ich vor zwei Wochen mit dem Hinweis auf die Neubauten in der Pfarrer-Wachsmannstraße. So wie mit den Baulücken auch ein einzigartiges Kapitel der jüngsten Greifswalder Stadtgeschichte verschwand, so hat es gestern Mittag völlig überraschend die Ruine des Alternativen Jugendzentrums am Karl-Marx-Platz getroffen. Innerhalb weniger Stunden wurde das Haus dem Erdboden gleichgemacht.
Seit 1991 wurde das ehemalige Kinderheim Hertha Geffke besetzt, anfangs geduldet und sogar kurzzeitig im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt (AgAG) gefördert. 1993 wurde das Haus an seine Hamurger Alteigentümerin rückübereignet. Es blieb besetzt, die Stadt hörte aber auf, mit den Bewohnern des AJZ – später in Café Quarks umbenannt – zu kooperieren. Das Projekt entwickelte sich zu dem mit Abstand legendärsten alternativen Veranstaltungsort Greifswalds. Hier wurden rauschende Feste gefeiert.
Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an
1999 wurde die Lage für die Besetzer und Besetzerinnen immer dramatischer, im November des Jahres gab es aus diesem Grund eine Demonstration, an der rund 800 Jugendliche mit Transparenten wie „Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an“ teilnahmen. Für den Erhalt des Hauses wurden in wenigen Wochen 1700 Unterschriften gesammelt.
Der kurzfristige Versuch, das Quarks zu kaufen, scheiterte am unangemessenen Kaufpreis und dem Verhandlungsunwillen der Alteigentümerin. Anfang Januar 2000 erhielten die Bewohner des AJZ die Räumungsaufforderung. Das Haus wurde am 4. Februar 2000 von Polizeibeamten geräumt.
Danach entlud sich in Greifswald eine unvorstellbare Frustration der Jugend. Die plötzlich obdachlosen Hausbewohner indes kamen zeitweise auf dem Dachboden des Cafés Pariser unter.
Die Räumlichkeiten am Karl-Marx-Platz wurden schnell unbewohnbar gemacht, um eine erneute Besetzung zu verhindern. Anschließend überließ man das Haus dem Verfall. Mit dem Abriss des Gebäudes verliert diese Stadt eine Art subkulturelles Denkmal, das – auch wenn es in den vergangenen zehn Jahren leerstand – an glanzvollere Zeiten erinnerte und dazu motivierte, Freiräume zu erkämpfen.
Parallelen im Umgang mit dem Denkmalschutz
Mit Blick auf die momentanen Entwicklungen um die Straze ist ein weiteres Detail interessant. Dort wird eindrucksvoll vorgeführt, wie leicht man in Greifswald dem Denkmalschutz begegnen kann und seiner ungeachtet ein traditionsreiches Gebäude verfallen lässt beziehungsweise abreißt.
Unter Denkmalschutz stand auch die Fassade des AJZ am Karl-Marx-Platz. Wie ernst es mit der Bewahrung solcher Güter genommen wird, kann man in diesem Video, das die gestrige Zerstörung dokumentiert, nachvollziehen.
Am 4. Februar wird sich die Räumung des AJZ zum zehnten Mal jähren und es sind schon mehrere Veranstaltungen geplant, um der wilden Zeiten zu gedenken. Unter dem Namen we remember cafe quarks wird Ende Januar die Auftaktparty mit einem Balkan-Dancehall-Gypsy-HipHop-Mashup von Las Balkanieras begangen werden.
Es ist weiterhin geplant, eine Ausstellung über das Café Quarks zusammenzustellen. Hierfür wird noch dringend Material gesucht. Wer also noch Fotos, Videos, Zeitungsartikel, Plakate, Fyler etc. besitzt und die Idee unterstützen möchte, sollte nicht davor zurückscheuen, mich per E-mail zu kontaktieren. Ich bin dankbar für jedes Kleinod. Wer mir ein Stück der alten Quarks-Spiegelkugel bringt, kriegt Kaffee und Kuchen!
Blogger lebewesen hat Bilder des symbolischen Trauerzuges ins Rathaus (Februar 2000) veröffentlicht. Eine chronologische Übersicht der Entwicklung des AJZ offeriert der Likedeeler in seiner vierten Ausgabe.
Für viele ist der Kampf um das vom Abriss bedrohte Gesellschaftshaus in der Stralsunder Straße 10 schon verloren und in den letzten Wochen und Monaten wurde es auch um die Bürgerinitiative, die sich mit einem Konzept und den notwendigen Geldern anschickte, das denkmalgeschützte Gebäude zu retten, ruhiger.
Nun steht allerdings ein wichtiger Termin an, dessen Ergebnis Aufschluss über die Entwicklungen um das Haus geben wird. Heute erreichte mich ein offener Brief der BI an die Greifswalder Bürgerschaft, der hier veröffentlicht werden soll und für sich steht.
Sehr geehrte Mitglieder der Greifswalder Bürgerschaft, Am Dienstag den 24.11.2009 wird der Bauausschuss um 14Uhr eine Ortsbegehung in der Stralsunder Straße 10/11 durchführen. Dort wird der Investor, unterstützt vom Dezernenten Herrn Arenskrieger, feststellen, dass Teile des Gebäudes nicht mehr zu retten sind. Dies wird natürlich mit großer Betroffenheit geschehen, und alle werden dankbar sein, dass nur ein Teilabriss vorgeschlagen wird.
Doch genau so ein Vorgehen hat in der Vergangenheit oft dafür gesorgt, dass am Ende gar nichts mehr vom Gebäude übrig bleibt und wird normalerweise „Salami-Taktik” genannt. Die Stralsunder Straße 11 wäre dann die erste Scheibe. Wir können heute nicht sagen, welche Sachverständigen morgen vor Ort sein werden, wir können aber mit Sicherheit sagen, dass das Haus stabil steht und sich nicht weiter setzt. Wichtig ist, dass jetzt das Dach abgedichtet wird und das Haus so gesichert wird, dass es zu keinen weiteren Vandalismusschäden kommt.
Wir möchten Sie bitten, alles Notwendige zu unternehmen, damit das Haus in der Stralsunder Str.10/11 als Ganzes erhalten bleibt. Sollten sie die Möglichkeit haben, an der Begehung teilzunehmen, kommen Sie am Dienstag um 14Uhr in das ehemalige “Gesellschaftshaus Zum Greif”.
Übrigens: Dieser für Arbeitnehmer/innen nicht gerade glückliche Termin ist nicht die Idee des Bauausschusses, sondern kommt von Herrn Arenskrieger.
Mit Dank für ihre Unterstützung und freundlichen Grüßen
Manja Graaf für die Bürgerinitiative Stralsunder Straße 10
Mit illegalen Abrissarbeiten begann das Petruswerk als Eigentümer der Immobilie bereits am 14. Juli 2008. In diesem Sinne wäre es erhellend, morgen um 14 Uhr in der Stralsunder aufzutauchen und sich einmal eindrucksvoll demonstrieren zu lassen, wie Immobiliengeschäfte funktionieren und auch der Denkmalschutz nicht mehr länger zum Problem wird.
Den offenen Brief veröffentlichen übrigens auch die Greifswalder Grünen auf ihrem Blog.
Es gibt keine Greifswalder Gruppe oder Initiative, die man so sorglos und treffend als nomadenhaft bezeichnen kann wie das Studententheater (StuThe). Überraschend also, dass – trotz der regelmäßigen Umzüge in der Vergangenheit und der andauernden Unsicherheit bezüglich der momentan genutzten Räume in der Soldtmann-Straße – dort noch Studententheater gemacht wird. Erst vor wenigen Wochen verlor StuThe einen weiteren Raum seiner jetzigen Wirkungsstätte, deren Zukunft ebenso ungewiss ist, wie es in der Vergangenheit der Fall war.
Blickt man zurück, erkennt man den Durchhaltewillen der StuThe-Aktivisten. Man spürt aber auch in jedem Gespräch über Vergangenheit und Zukunft die schmerzhafte Erfahrung des aufgezwungenen Nomadentums, die Enttäuschung über den Unwillen der Universität, StuThe langfristig mit Räumen zu unterstützen und die Angst vor einem weiteren Zwangsumzug. Man hat schon zu viele Spielstätten verloren – mit der Straze die glanzvollste. „StuThe präsentiert den Kuss des Vergessens“ weiterlesen →
Aus einem Artikel in der Ostsee Zeitung von Benjamin Fischer geht hervor, dass Michael Steiger (Die Grünen) Anzeige wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung gegen den Geschäftsführer des Petruswerks, Dr. Douglas Fernando, erstattet hat.
Ungewohnt deutlich nahm die Lokalzeitung Stellung zum undurchsichtigen Treiben um das Haus. So heißt es in der Bildunterschrift: „Bloß schnell alles wegbaggern, ehe jemand was mitbekommt. Hinter der Stralsunder Straße 10 wurde ein Fachwerkgebäude plattgemacht.“
Gestern Abend fand mit dem Auftritt des WDR-Kabarettisten Jürgen Becker die erste Veranstaltung des Vereins Kultur- und Initiativenhaus Greifswald statt, die aber leider nicht in der Straze, sondern im Fremdsprachen- und Medienzentrum der Universität ablief und somit Exilcharakter aufwies. Der webMoritz hat dazu einen Podcast veröffentlicht.
Das Petruswerk besitzt inzwischen nicht nur die Straze, sondern auch den Komplex in der Anklamer Straße, dessen Sanierung den unter dem Haus befindlichen Club mira sein Obdach kosten wird. Heute Mittag wurde Fernando vor dem Anwesen in der Anklamer Straße in Begleitung eines Kamerateams gesichtet — offenbar interessiert sich jetzt sogar GTV für diese Angelegenheit.