In der Dompassage wird heute Abend eine Ausstellung des Greifswalder Streetart-Künstlers Steffen Wikner eröffnet, der mittlerweile nicht mehr nur mit Sprühlack arbeitet, sondern inzwischen auch öfter zu Pinsel und Stift greift.
(Steffen Wikner „0Z3“, Ausschnitt)
Wikners figürliche Darstellungen wurden auf Leinwände und Holzplatten aufgetragen und sollen eine Geschichte in Serie erzählen.
Die Vernissage wird von einem kleinen Programm begleitet, zu dem eine Lesung von Anna Lebensprosa und Musik von DJ Short gehört. Bis Ende Mai werden in den Räumen insgesamt vier Ausstellungen stattfinden. Nach Steffen Wikner zeigen dann Felix Chmura, Patricia Becher, Diana Larsen und Lomax58 unter dem Label Die Jungen Wilden für jeweils eine Woche ihre Werke in der Dompassage.
Der diesjährige Kommunalwahlkampf ist gelaufen, doch eine Woche nach dem Votum über die zukünftige Zusammensetzung der Greifswalder Bürgerschaft wurde Axel Hochschild, dem Fraktionsvorsitzenden der hiesigen CDU-Garde, ein ganz besonderes Denkmal gesprüht.
In der Domstraße, unweit der Stelle, wo einst eine korporierte Banksy-Adaption ihr temporäres Zuhause fand, wurde ein fast lebensgroßes Konterfei des Greifswalder Malermeisters an die Wand gebracht. Gut möglich, dass jemand Hochschild auf diesem Weg zur gewonnenen Wahl gratulieren wollte — denn das Thema Streetart war zentraler Gegenstand des erfolgreichen CDU-Wahlkampfes („Graffiti? Nein Danke!“), und das nicht erst seit diesem Jahr.
Im Gegenteil: Schon länger organisiert der Greifswalder CDU-Stadtverband gemeinsame Putzaktionen, bei denen die Konservativen einen Vormittag im Jahr durch die Greifswalder Innenstadt stromern und Ampeln und Regenrinnen von Aufkleber befreien — zumindest, solange dabei die Sonne scheint.
Bislang verzichtete Hochschild darauf, sich als kunstsinniger Freund urbaner Kultur zu exponieren, und nutzte dieses Thema vielmehr zur Abgrenzung im Kommunalwahlkampf: „Wenn Herr Rodatos von der Piratenpartei diese Sachbeschädigungen als ‚Kunst‘ oder ‚Kultur‘ bezeichnet, fehlt mir dafür jedes Verständnis und es ist bei mir die Toleranzgrenze erreicht.“
Doch die frisch gesprühte Würdigung seines langjährigen Engagements für Greifswald könnte dieses tradierte Feindbild zwischen den Kunstschaffenden und dem Kommunalpolitiker nun nachhaltig verschieben und dafür sorgen, dass diese überaus gelungene Arbeit länger an der Wand bleibt, als es der adaptierte Banksy mit den küssenden Burschenschaftern vermochte.
Der Geschäftsführer der Greifswalder CDU-Fraktion machte gestern seinem Namen alle Ehre und löste mit einem nächtlichen Facebook-Eintrag eine Woge der Empörung aus, deren fäkale Sturmausläufer sich bis zu Twitter ausbreiteten.
„MAN SOLLTE DENEN DIE HÄNDE ABHACKEN!“
Christian Weller war auf dem Nachhauseweg in einer Bahnunterführung, als er offenbar vier „junge Menschen“ dabei störte, die Wände des Tunnels zu besprühen. Die mutmaßlichen Sprayer verschwanden eilig. Weller tat seine Bürgerpflicht und alarmierte die Polizei, die ihm versprach, der Sache nachzugehen. Zu Hause angekommen, teilte er diese Angelegenheit der Welt in einem kurzen Facebook-Eintrag mit, in dem er sich einen konsequenten Umgang mit den jungen Delinquenten wünschte: „Ich hoffe die fassen diese Schmierfinken. Man sollte denen die Hände abhacken!“
Am frühen Morgen wurden dann die ersten kritischen Stimmen laut, der Eintrag wurde heftig diskutiert. Während die einen eine klare Parallele zur Scharia erkennen wollten, interpretierten andere den Vorschlag des Fraktionsgeschäftsführers als christdemokratische Umsetzung des Alten Testaments. Es ging drunter und drüber und zwischendrin auch mal um Kunst. „Straftat bleibt Straftat!“, proklamierte eine Hardlinerin, selbst wenn es bunt schöner aussähe und allen gefiele — wo kämen wir denn da hin?
AUGE UM AUGE, ZAHN UM ZAHN!
Während sich Weller zaghaft von seinem Vorschlag distanzierte („Hände abhacken war ein wenig übertrieben, Sozialstunden und Reinigung der Flächen wäre aber sicherlich angebracht, inkl. der Kostenübernahme“), ging die Diskussion lebhaft weiter. Sie ebbte auch nicht ab, als der Christdemokrat, dem im Laufe der Auseinandersetzung gleich drei Parteifreunde einen friedlichen Charakter bescheinigten, nachlegte: „Das Forderung (sic!) des Händeabhackens war nicht korrekt, ich dachte, dass hätte ich in meinem letzten Post klargestellt.“
Doch zu diesem Zeitpunkt thematisierten die Grünen bereits die Entgleisung des Fraktionsgeschäftsführers auf ihrem Blog. Das Thema erreichte Twitter.
Wellers nächtliche — möglicherweise sogar bierselige — Äußerungen mögen vielleicht Fragen nach seinem Wesen und dem archaischen Rechtsverständnis, das seinen Gedanken zugrunde liegt, aufwerfen.
Doch sollte man diesen Ausfall besser nicht überbewerten und sich stattdessen zurückgelehnt vorstellen, wie die CDU-Fraktion auf die Forderung regieren würden, dass der Bürgerschaftspräsident sein gestörtes Verhältnis zur Wahrheit mit seiner Zunge bezahlen solle oder dass man den weggelobten Bausenator Arenskrieger mit 100 Peitschenhieben bestrafen und in die Verbannung schicken müsse — ein paar Steinigungen wegen Untreue oder Unzucht wären darüber hinaus sicher auch noch drin!
Da kommt man abends nach Hause… (Facebook, 09.01.2014)
„Langweilig, das gab es doch schon längst woanders, zum Beispiel im Juni bei Notes of Berlin. In Greifswald kommt immer alles erst viel später an.“ Na und? Hier hängt das auch schon eine Weile und außerdem ist dieser Opus der Popgeschichte einfach unsterblich und die Idee zu charmant!
Letzte Nacht und pünktlich vor der heutigen Podiumsdiskussion begann die Straze zu weinen. Auf dem Blog der Hedonistischen Internationalen Greifswald meldet sich die neue Sektion Schöner wohnen zu Wort und merkt voller Zynismus an, dass man lachen würde, wenn man nicht weinen müsste:
„Fast 5 Jahre ist es nun her, dass die Uni das Haus Stralsunder Straße 10/11 an den Berliner Investor Douglas Fernando und seine Immobilienfirma “Petruswerk” verkaufte. Zur gleichen Zeit war weder die Uni noch die Stadt Greiswald gewillt, mit dem extra gegründeten Verein “Kultur- und Initiativenhaus” zu reden, bzw. deren Kaufangebote auch nur in Erwägung zu ziehen. Nach 5 Jahren Leerstand und Verfall findet heute der mindestens 100. Versuch statt, bei dem die Gruppe “Kultur- und Initiativenhaus e.V.” auf diesen Missstand hinweisen will. RETTET DIE STRAZE!“
Da sich heute die zweite Internetrevolution dieser Woche ereignete, eine kleine Randnotiz in Sachen Greifswalder Streetart: Das örtliche Dokumentationskollektiv Daklebtwat, dessen Fundstücke hier seit langem den Fuß der Navigationsleiste am rechten Seitenrand zieren und bereichern, ist ab jetzt auch auf facebook unterwegs und unterhält dort von nun an eine eigene Präsenz.
(Abbildung: Arvid & Felix)
Dort geht es etwas interaktiver zu als bei Flickr. Es werden beispielsweise Kochrezepte diskutiert, die seit mehreren Wochen an öffentlichen Plätzen in Greifswald geklebt werden, und das Publikum kann auch selbst mal an der Kaffeemühle stehen und eigene Fotos publizieren. Wer hierorts Streetart fotografiert hat, kann diese dem Dokumentationskollektiv aber auch klassisch per E-Mail schicken. Entsprechende Zusendungen sind an daklebtwas [at] rocketmail.com zu adressieren.