Nur vier Monate sind hier seit der letzten Kulturschau aufs Greifswalder Wochenende vergangen, nichtsdestotrotz soll diese Serie wieder reaktiviert werden, um ausgehfreudigen Kleinstadtstromern einen Überblick potenzieller Ziele an die Hand zu reichen und Veranstaltungen zu empfehlen, für deren die Besuch die einen zu alt und die anderen noch zu jung sind.
Schlagwort: Theater Vorpommern
Nicht völlig misslungen – „Die Zofen“ am Theater Vorpommern
Eine Theaterkritik von Georg Meier
Donnerstagabend, 20 Uhr, Rubenowsaal. Das Publikum sitzt sich auf zwei Tribünen gegenüber, die 46 Plätze sind nicht ausverkauft. In der Mitte eine kreisrunde Bühne, fast eine Kampfarena, an den Seiten zwei überlebensgroße Portraits einer herrschaftlichen Dame. Darunter sitzend jeweils eine Zofe, schlichtes schwarzes Kleid.
(Plakat: Theater Vorpommern)
SEICHTES UND BELIEBIGES GEDUDEL
Die Zofen spielen ein Spiel miteinander: Solange ist Claire, Claire ist die gnädige Frau und lässt sich also von sich selbst bedienen. Wer das nicht weiß, der ist verwirrt. Wer ist wer? Weder Programmheft noch Inszenierung helfen weiter. Susanne Kreckel und Josefine Schönbrodt sitzen sich gegenüber, jede hat ein Mikrofon. Wie eine Lesung fängt das Stück an, erst nach und nach spielen sich die beiden in die Figuren hinein.
Das Spiel der beiden sollte jetzt Fahrt aufnehmen, bis nach fast einer Stunde die gnädige Frau auftritt – so suggeriert es der Text, aber es gelingt nur streckenweise. Immer wieder hat man den Eindruck, als ob die Lust am Spiel – einem perversen Spiel voller Verbrechen, verbotener Erotik, wildem Freiheitsdrang und Mordlust – sich nicht recht einstellen will. Liegt es an den Schauspielerinnen? An der Inszenierung? An der lächerlich banalen Beschallung?
Die Musik – seichtes und beliebiges Gedudel bis hin zu pseudogregorianischen Mönchsgesängen – hat für mich sicherlich einiges verdorben. Da hätte ich von einer Regisseurin, die sich in ihrer künstlerischen Biographie mit Aribert Reimann und Boris Blacher beschäftigt hat, deutlich mehr erwartet. Die Bühne macht es den Schauspielern auch nicht leicht: Zwei Publikumsgruppen, die beide bespielt werden wollen. Wendet man sich der einen zu, zeigt man der anderen den Rücken.
Immer wieder gelingt das Spiel aber auch. Gerade, wenn die Zofen nach einer wilden Jagd in einem Kreis von Wut und Anmaßung wie von einer fremden Macht in die Mitte der Bühne und zu unerwarteter Nähe und Zärtlichkeit gezogen werden, entstehen eindrucksvolle Momente. „Nicht völlig misslungen – „Die Zofen“ am Theater Vorpommern“ weiterlesen
Verstörender Naturalismus – „Nach dem Ende“ feiert Premiere am Theater Vorpommern
Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Man fühlt sich benommen, erdrückt und verstört nach dem Besuch des Zweipersonenstückes Nach dem Ende von Dennis Kelly in der Inszenierung von Julia Heinrichs, die bereits das Drama Die Waisen desselben Autors am Theater Vorpommern in Szene gesetzt hat.
Dabei ist die Handlung relativ schnell zusammengefasst: Louise (Frederike Duggen) erwacht in einem Bunker, der – wie sich im Verlauf des Stückes herausstellt – Mark (Sören Ergang) gehört. Dieser gibt vor, sie nach einem Anschlag gerettet zu haben. Dabei bleibt offen, was für ein Anschlag wann, an welchem Ort und vor allem von wem verübt wurde. Louise zweifelt mehr und mehr an Marks Version des großmütigen Retters. Es beginnt zwischen den beiden Akteuren zu brodeln – was als Zweifeln beginnt, endet in einer Spirale aus Macht, Ohnmacht, Gewalt und Unterdrückung.
STARKE DARSTELLERISCHE LEISTUNGEN — VOLLER KÖRPEREINSATZ
Den beiden Darstellern kann man ohne Zweifel ein großes Lob aussprechen. Besonders Sören Ergang brilliert als Mark mit seiner Darstellung eines untypisch, ja manchmal beinahe kindlich-naiv wirkenden Psychopathen – und dies, ohne gefühlskalt zu wirken, im Gegenteil: immer wieder durchbrechen Emotionen wie Verzweiflung und Reue seine scheinbar harte Schale. Zudem setzt Ergang ohne Scham auf vollen Körpereinsatz – es gibt keine Grenze mehr für den Darsteller, alles scheint möglich.
Auch Frederike Duggen gelingt es, die Rolle der Louise wunderbar facettenreich zu verkörpern. Mal als pubertär anmutendes Mädchen, das einen Witz – der seine Wirkung zum Glück sowohl bei Mark als auch beim Publikum verfehlt – zu machen versucht, mal als höchst verzweifeltes Opfer, das sich den Wünschen seines Entführers willenlos beugt, um nicht verhungern zu müssen. Und schlussendlich als kämpfende, am Ende selbst zur Täterin gewordene Frau.
Sie wehrt sich nicht gegen ihren Peiniger, nein, sie genießt es, das Messer – und mit ihm die absolute Macht – in den Händen zu halten. Louise beginnt, Mark Befehle zu geben, ehe sie sich entschließt, ihn zu kastrieren. Von diesem Vorhaben lässt sie schlussendlich ab – vielleicht, da sie bemerkt und nachzufühlen scheint, wie zerstörerisch Unterdrückung auf andere Menschen wirken kann.
THERAPIEGESPRÄCH ALS SCHWÄCHELNDER SCHLUSS „Verstörender Naturalismus – „Nach dem Ende“ feiert Premiere am Theater Vorpommern“ weiterlesen
Intrigen, Gift und Hassliebe am Theater Vorpommern: „Die Zofen“
Nach der Premiere in Stralsund steht nun auch in Greifswald die Aufführung der Zofen diesen Donnerstag zum ersten Mal auf dem Spielplan des Theaters. Das von Sabine Kuhnert inszenierte Stück baut auf dem meistgespielten Theaterstück des französischen Dramatikers Jean Genet — Les Bonnes — auf und gilt als ein Klassiker des 20. Jahrhunderts.
Die beiden Schwestern Claire (Susanne Kreckel) und Solange (Josefine Schönbrodt) sind Zofen und haben ihren Herren mit anonymen Briefen ins Gefängnis gebracht. Im Gegensatz zu ihm hassen sie seine Frau (Gabriele Püttner), aber noch mehr verachten sie ihre eigene kümmerliche Existenz und ihre Armut.
„Wenn sie allein sind, fantasieren sie sich in die Rolle der Reichen, Erfolgsverwöhnten und Schönen. In den Kleidern ihrer Herrin träumen sie vom Glück der Unabhängigkeit, von den Wonnen des Luxus, von Champagner und endlosen Partys. Aber ihre heimlichen Rollenspiele sind Übungen fürs Leben – und deshalb beschließen die beiden, ihre Herrin zu vergiften.“ Doch der unschuldig Inhaftierte kommt überraschend wieder frei und der geschmiedete Plan ist nun plötzlich gefährdet.
Jean Genet ist ein Enfant Terrible der Literatur, das desertierte, sich prostituierte, vagabundierte und einige Zeit wegen „sexueller Abweichungen“ nicht in die USA einreisen durfte. Mehrere seiner Werke waren in Frankreich lange wegen ihres pornographischen Charakters verboten und auch die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nahm sich seiner an. Sein Drama Le Balcon wurde 1985 in das Repertoire der Académie française aufgenommen. Mehr zu seiner wirklich beeindruckenden und abenteuerlichen Biografie gibt es bei Wikipedia zu lesen.
Karten und weitere Vorstellungstermine gibt es beim Theater Vorpommern.
Fakten: 14.03. | 20 Uhr | Rubenowsaal (Greifswalder Premiere)
Spendenaufrufe in Greifswald: Performance-Kunst mit den „Weird Girls“ und alte Bekannte im Koeppenhaus
Derzeit bemühen sich zwei Greifswalder Initiativen um Spenden für die Verwirklichung kultureller Projektideen. Aus dem Umfeld des Nordischen Klangs erwuchs vor einigen Wochen ein Aufruf beim Crowdfunding-Portal Startnext, um Mittel für die Produktion einer Episode des Weird Girl Project in der Hansestadt zu akquirieren. In einem anderen, gestern gestarteten Spendenersuch geht es um die Finanzierung eines Theaterstücks von Sarah Kane im Koeppenhaus.
KÖRPER, KUNST, PERFORMANCE: „WEIRD GIRLS PROJECT“ „Spendenaufrufe in Greifswald: Performance-Kunst mit den „Weird Girls“ und alte Bekannte im Koeppenhaus“ weiterlesen
Premiere am Theater Vorpommern: „Nach dem Ende“
Am kommenden Sonntag steht am Theater Vorpommern die nächste Premiere auf dem Programm. Nach dem Ende wurde erst 2005 uraufgeführt und entstammt der Feder des britischen Autoren Dennis Kelly. Das Stück wird als „ultimative Parabel auf den 11. September und seine Folgen“ angekündigt und lotet auf individueller Ebene das fragile Verhältnis von Freiheit und Sicherheit aus, das durch die Verabschiedung von Anti-Terrorgesetzen seit 9/11 gehörig ins Wanken geraten ist.
Louise (Frederike Duggen) wacht — nachdem sie wieder zu Bewusstsein gekommen ist — im Bunker von Mark (Sören Ergang) auf. Dieser behauptet, sie nach einem terroristischen Atomschlag gerettet zu haben, doch in Louise erwachsen Zweifel an seiner Darstellung. „Es entwickelt sich ein subtiler Beziehungskonflikt auf dem schmalen Grat zwischen verbaler Bedrohung und tatsächlicher Gewalt. Immer deutlicher tritt Marks paranoide Persönlichkeitsstruktur zutage. In seiner Mischung aus Sicherheitswahn, Verlangen nach Gehorsam und Wohlverhalten, verklemmter Sexualität und Fremdenangst repräsentiert er den Typus eines Menschen, für den Freiheit nur noch bedrohlich ist.“
Das von Julia Heinrichs inszenierte Stück wurde aus dem Theater der Altmark Stendal — der früheren Wirkungsstätte des neuen Intendanten Dirk Löscher und Teilen des jetzigen Schauspielensembles — übernommen. Karten kosten zwischen 10,50 Euro und 15,50 Euro und können online auf der Seite des Theaters bestellt werden.
Fakten: 10.03. | 18 Uhr | Rubenowsaal (Premiere)