Es hätte alles so perfekt werden können: Nachdem die Greifswalder Studierenden im Januar ihre Vertretung wählten, werden die Gewinner des Votums am zweiten Aprilwochenende auf eine kleine Bildungsreise nach Heringsdorf geschickt.
Hier werden die neuen StuPistinnen in den von Satzungen, Haushalts- und Geschäftsordnungen geprägten Abenteuerspielplatz des Studierendenparlaments eingeführt. Man könnte sich dort persönlich kennenlernen und Gräben durch gezielte Brückenbaumaßnahmen überwinden.
EIN ENDE DES KINDERGARTENS
Wahlsiegerin Paula Oppermann begänne womöglich sogar, ihr Wahlversprechen umzusetzen: Dem Kindergarten im Stupa ein Ende zu bereiten. Alte Stupa-Veteraninnen teilten ihr Wissen mit den neuen Leuten, man fühlte sich miteinander verschweisst und nicht gegeneinander verschlissen und am Ende kehrten alle Stupisten motiviert nach Greifswald zurück – ein gemeinsames Ziel vor Augen.
Doch die Januarwahl hat bei einigen ihrer Verlierer „tiefe Wunde hinterlassen“, wie Alexander Müller in einem gelungenen Kommentar für die Ostsee-Zeitung am 21. Februar feststellte. Darin fütterte er die neue Lieblingsrubrik Auf dem Campus mit dem Gezänk und der Stimmungsmache, die vor zwei Wochen aus den Reihen der Liberalen Hochschulgruppe Greifswald (LHG) und dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) erklangen.
Dort vermutete man eine Verschwörung des neuen, tendenziell jetzt eher linken, Stupas und unterstellte den Versuch, bewusst Konservative und Liberale auszuschließen, abzudrängen und nicht mitspielen zu lassen. Die außerplanmäßige Zusammenkunft der neuen Stupistinnen, die nach der Wahl Mitte Januar stattfand, initiierte der derzeitige Referent für Hochschulpolitik, Franz Küntzel.
Küntzel war früher selbst beim RCDS aktiv, kehrte der Organisation aber im Frühsommer 2010 mit anderen Gleichgesinnten den Rücken, um eine neue konservative Hochschulgruppe zu gründen.
Ihm wird vorgeworfen, nur die Wahlgewinner und drei der insgesamt neun Nachrückerinnen mitnehmen zu wollen, um persönlichen Differenzen Ausdruck zu verleihen und politische Gegner auszuicksen.
Ein gewisses Geschmäckle lässt sich daher hier nicht verbergen, ist Küntzel doch selbst ehemaliges RCDS-Mitglied und hat diesen Verband im Streit verlassen. Auch zu den Liberalen besteht kein besonders gutes Verhältnis, mussten diese sich doch von ihm schon unter anderem der Steuerhinterziehung bezichtigen lassen. […] Sollte hier ein Versuch bestehen, politisch Unliebsame von der Beteiligung auszuschließen? (Pressemitteilung LHG)
RCDS BEFÜRCHTETE VOLLENDETE TATSACHEN
Auch der RCDS veröffentlichte umgehend eine Pressemitteilung, in der die „hochschulpolitisch aktiven Studenten“ zu gegenseitiger Unterstützung und zum Verzicht auf Feindseligkeiten aufgefordert werden. Das Verhalten des AStA sei „nicht akzeptabel“ und es wird festgestellt, „dass die unerwünschten Nachrücker fast ausschließlich vom RCDS oder der LHG (Liberale Hochschulgruppe) stammen“.
Der Autor dieser Pressemitteilung vermutet, dass an diesem Wochenende der Versuch unternommen würde, in Abwesenheit der insgesamt vier Nachrücker von LHG und RCDS – die anderen beiden gehören den Hochschulpiraten an – eine Einigung über die neu zu vergebenden Posten der studentischen Selbstverwaltung zu erreichen, „um RCDS und LHG vor vollendete Tatsachen stellen zu können“.
UNDEMOKRATISCHE REISEAKTIVITÄTEN AUF STUDIERENDENKOSTEN
Der LHG-Vorsitzende Patrick Kaatz meldete sich in seiner Pressemitteilung gewohnt lautstark zu Wort; die Nichtanerkennung der neustupistischen Abstimmung schon durch die Anführungszeichen, in die er das Wort „Beschluss“ fasst, deutlich machend.
Kaatz zufolge fährt „ein scheinbar willkürlich ausgewählter Teil der Stupisten auf Studentenschaftskosten weg“, Nachrücker würden ausgeschlossen. Er „sieht einen Verstoß gegen das Bestreben, allen Studenten der Universität Greifswald eine Mitwirkung in den studentischen Gremien zu ermöglichen“, und glaubt schließlich sogar, einer Verletzung des demokratischen Grundverständnisses auf der Spur zu sein.
Zwei Tage später setzte Kaatz nach. In einem OZ-Leserbrief warf er Küntzel „Unwissenheit“ vor und ergänzte, dass aus der Einladung zu diesem Treffen nicht hervorginge, dass dort Beschlüsse – hier ohne Anführungszeichen – gefällt würden, „weshalb viele schon nicht erschienen“. Da das neue Stupa erst im April zusammenträte, war die „besagte Gruppe also mitnichten beschlussfähig“ (OZ, 10.02.). Zu diesem Treffen erschien kein Mitglied der LHG.
Kaatz ist der einzige Nachrücker der LHG, der auf einem der sechs letzten Plätze rangierte und deswegen nicht mitfahren darf. Er hat in den vergangenen Jahren bei der LHG und den Jungen Liberalen vermutlich mehr (hochschul)politische Erfahrung gesammelt als die meisten neuen Gesichter vorweisen können, insofern dürfte das verpasste Einführungswochenende für ihn nicht unbedingt eine Hürde bei seinem zu befürchtenden, zukünftigen Engagement in der Hochschulpolitik darstellen.
VERLIERER OHNE WÜRDE?
Alexander Müller betrachtete in seinem Kommentar den Wählerwillen von einer anderen Seite: „Kaatz und Krüger scheinen etwas falsch verstanden zu haben, schließlich haben sich die Wähler klar gegen den Großteil ihrer Kandidaten entschieden. Besonders gegen Kaatz selbst, der das zweitschlechteste Ergebnis erzielte“.
Er empfiehlt „Kaatz, Krüger und ihren Getreuen, […] ihre Niederlage mit Würde zu tragen“ (OZ, 21.2.).
Dass die liberal-konservativen Revolverhelden mit ihren dröhnenden Pressemitteilungen im Halfter diesem Rat folgen werden, ist jedoch in höchstem Maße unwahrscheinlich. Dabei könnte man einen Teil von Kaatz‘ Botschaft – wohlwollend betrachtet – auch als Beginn einer kritischen Selbstreflektion sehen.
Demnach rechtfertigt der kritisierte Referent Franz Küntzel die Nachrücker-Entscheidung
„mit der Mehrheit einer nicht beschlussfähigen Gruppe und einem „ergebnisorientierten Arbeitsklima“. Zieht man daraus den Umkehrschluss, müssten die 6 Daheimgebliebenen eine Belastung für das Arbeitsklima bedeuten“ (Pressemitteilung LHG).
Manchmal ist man eben sich selbst sein treuester Einflüsterer.
ERNEUTE ABSTIMMUNG – POTENZIELLE MEHRKOSTEN VON 585 EURO
In der zweiten Februarwoche beugte man sich und wiederholte die Abstimmung, diesmal wurde mittels eines von Küntzel eingerichteten Doodles votiert. Ein Beteiligter empfand schon die Wiederholung der Wahl als „unglaublich“: man könne
„nicht so lang und so oft abstimmen wie es Kaatz und den anderen Altvorderen in den Kram passt. Es geht hier um eine hohe Summe und jeder Nachrücker, also jeder Nicht-Gewählte, kostet der Studierendenschaft viel Geld wenn er mitkommen sollte. Die Abstimmung erfolgte geheim und ergab, dass die Nachrücker doch mitfahren dürfen.“
Das Bildungswochenende wird pro Person – inklusive eines Eigenanteils von fünf Euro – siebzig Euro kosten. Im Fall, dass alle neun Betroffenen das Angebot in Anspruch nähmen, bedeutet das eine Mehrbelastung der Studierendenschaft von 390 Euro.
Doch damit nicht genug – Kaatz soll anschließend unter anderem vom webMoritz gefordert haben, die „Abstimmungsergebnisse zu veröffentlichen und die Klarnamen zu nennen“. Bedeutet die nachträgliche Demaskierung einer Geheimwahl nicht eine Verletzung jedes demokratischen Grundverständnisses?
Auch bei Twitter wurde das Thema behandelt und Thomas Schattschneider bemerkte, dass zwar prinzipiell alle eingeladen waren, „meist aber nur ein Teil der Gewählten und einige Nachrücker teilgenommen“ hätten. Der Markomanne Christoph Böhm, der zweimal ins Stupa nachrückte, ergänzte ebenfalls per Tweet, dass er beide Male nicht eingeladen wurde. So neu ist diese Verfahrensweise womöglich also nicht.
Patrick Kaatz überschrieb seinen OZ-Leserbrief mit Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür. Für den aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrten Protagonisten Beckmann endet das Drama wenig hoffnungsvoll: Ihm misslingt die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und er verbleibt schlussendlich allein, ungehört und befremdet.