Oberbürgermeister verbietet NPD-Demonstration in Greifswald

Wie die Stadtverwaltung heute mitteilte, hat Oberbürgermeister Dr. Arthur König (CDU) die für den 1. Mai angemeldete Demonstration des Landesverbands der NPD verboten. Eine entsprechende Verfügung soll dem Landesverband heute zugestellt werden. Zur Begründung heißt es in der Pressemitteilung:

das Motto „Unsere Heimat – unsere Arbeit! Fremdarbeiterinvasion stoppen“ verstoße gegen die öffentliche Sicherheit. Im Zusammenhang mit dem Parteiprogramm und der Präsentation auf den Internetseiten der NPD werde die Menschenwürde ausländischer Bürger auf strafbare Weise diskreditiert und die Angst der Bevölkerung vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg auf Kosten ausländischer Mitmenschen geschürt.

Trotzdem soll am geplanten „Demokratiefest“ genauso festgehalten werden wie am gemeinsamen Demonstrationszug, für den unter anderem auch die Universität wirbt und der am Tag der Arbeit vom Rubenowplatz ins Ostseeviertel führen wird.

kein ort für neonazis greifswald

Diese Entscheidung ist weise, denn trotz des lobenswerten Verbotes durch den Oberbürgermeister ist damit zu rechnen, dass die NPD alles daran setzen wird, den geplanten Aufmarsch mit juristischen Mitteln durchzusetzen. Die Chancen dafür, dass die Nazis sich vor Gericht durchsetzen und am Ende doch in Greifswald demonstrieren dürfen, stehen dabei leider gar nicht schlecht.

Neonazi beim Bündnistreffen – Infiltrierungsversuch vereitelt

Gestern Nachmittag fand im Greifswalder Rathaus unter dem Titel Greifswald ist bunt – kein Ort für Neonazis das zweite Treffen zivilgesellschaftlicher Gruppen statt, die der Einladung von Bürgerschaft und Oberbürgermeister folgten, um gemeinsam Strategien gegen die von der NPD angemeldete Demonstration am 1. Mai zu entwickeln.

Bereits nach dem ersten Treffen wurden Stimmen laut, die Zweifel an der Integrität dieser Runde äußerten und konstatierten, dass ein Greifswalder Neonazi diese Gruppe zu infiltrieren versuchte. Beim gestrigen Treffen war diese Person, Marcus G., wieder zugegen, wurde dieses Mal allerdings enttarnt und des Saales verwiesen.

BÜNDNIS BROWN UNDER

Die Greifswalder Antifa (AAG) bewertet diesen Rausschmiss positiv: „Dass Neonazis selbst auf Veranstaltungen des städtischen Protestbündnisses zum 1. Mai auftauchen, zeigt, wie selbstbewusst und sicher sie sich bei ihren Ausspähversuchen fühlen. „Dieser Tendenz muss Einhalt geboten werden. Der heutige Tag war ein wichtiges Zeichen dafür.““

In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt die Gruppe, dass es zur Strategie von Neonazis gehöre, auf zivilgesellschaftlichen Veranstaltungen aufzutauchen, um über antifaschistische Aktivisten Informationen zu sammeln.

(Foto: AAG)

Marcus G. sei bereits auf vielen, vornehmlich von Studierenden organisierten, politischen Veranstaltungen unterwegs gewesen, wie zum Beispiel beim studentenverbindungskritischen Vortrag Saufen, Schlagen, Seilschaften im Geokeller oder der von den Moritz Medien organisierten Podiumsdiskussion Rechtsextremismus – nur ein Phänomen?, die während der letzten 24-Stunden-Vorlesung stattgefunden hat.

„VIELLEICHT STEHEN WIR DAS NÄCHSTE MAL GENAU HINTER DIR“

Im Fall der Podiumsveranstaltung wurde wenig später auf einem Greifswalder Nazi-Blog ein Text veröffentlicht, den einige der anwesenden Studierenden kommentierten und daraufhin die altbekannten anonymen Drohszenarien ernteten:

„Natürlich wissen wir einiges über dich und deine Genossen. Ist ja auch nicht schlimm…aber der Zeitpunkt ist einfach noch nicht reif, dass ihr uns seht…vielleicht stehen wir das nächste Mal genau hinter dir an der Kasse oder bei der Bank…:)“

Im Fall des vom Bündnistreffen verwiesenen Neonazis Marcus G. muss noch erwähnt werden, dass dieser kein lokales Eigengewächs ist, sondern bereits vor seinem Umzug nach Greifswald in der seit 2005 verbotenen Kameradschaft Tor (Berlin/Lichtenberg) im Anti-Antifa-Bereich aktiv gewesen sein soll und im Dunstkreis der hiesigen Kader Ragnar Dam und Lutz Giesen herzlich aufgenommen worden sein soll.

GREIFSWALD NAZIFREI: INFORMIEREN, MOBILISIEREN & DIE NPD BLOCKIEREN!

Die Greifswalder Naziszene bereitet sich also augenscheinlich auf die bevorstehende Demonstration vor und wird mit Sicherheit noch mehr Anstrengungen in die Waagschale werfen. Aktuelle Informationen über den geplanten NPD-Aufmarsch am 1.Mai und den Protest beziehungsweise die Massenblockade der Nazis bietet das informelle Bündnis Greifswald Nazifrei auf einem Blog, einer Facebook-Seite und via Twitter an.

Lektüreempfehlungen:

Protest gegen geplante NPD-Demo formiert sich

Wie bereits am 22. März angekündigt, beabsichtigt die NPD, am 1. Mai in Greifswald eine Demonstration unter dem Motto Unsere Heimat – unsere Arbeit. Fremdarbeiterinvasion stoppen durchzuführen.

In den vergangenen Wochen fanden mehrere Treffen verschiedener Gruppen statt, die mit unterschiedlichen Aktionen ihren Protest dagegen zum Ausdruck bringen wollen  beziehungsweise gewillt sind, den Aufmarsch der Nazis zu blockieren.

GREIFSWALD IST BUNT – KEIN ORT FÜR NEONAZIS

Die Greifswalder Stadtverwaltung teilte vor wenigen Tagen via Pressemitteilung mit, dass sich rund 70 Vertreterinnen von unterschiedlichen Initiativen, Verbänden, Vereinen, Einrichtungen und Unternehmen im Rathaus zu einer „ersten großen Abstimmungsrunde“ trafen und sich darüber verständigten, wie man den Nazis entgegentreten könnte.

Oberbürgermeister Arthur König (CDU), der bei früheren Protesten gegen NPD-Stände in Greifswald darauf verzichtete, Gesicht gegen Nazis zu zeigen, und stattdessen amtshelfend der Polizei ermöglichte, aus dem Rathaus heraus die spontan initiierte Gegendemonstration zu fotografieren oder sich in unmittelbarer Nähe von Journalisten als Oberhaupt der Fahrradstadt Greifswald ablichten ließ, resümierte das Treffen wie folgt:

Die Runde hat gezeigt, dass diese Ereignisse bei vielen noch gegenwärtig sind. So ist beispielsweise geplant, das schon lange vorbereitete Fest der Demokratie mit anderen Aktionen zu verbinden und die Stadtteile Schönwalde I und II mit einzubeziehen. Dort wird die angemeldete Route der NPD entlangführen. Alle sind sich einig, dass die Aktionen friedlich ablaufen sollen. Gemeinsam rufen wir alle Greifswalder auf, sich einzubringen.

Die Ideen reichen, so die Pressemitteilung weiter, „von einem Bündnis der Schulen, über Plakataktionen und Konzerten hin zu Stadteilfesten, Menschenketten und einer Gegendemo“. Ursprünglich war angedacht, ein Demokratiefest auf dem Marktplatz zu veranstalten.

npd demo greifswald route

(Foto Arthur-König-Plakat: daburna)

AUFRUF ZUR BLOCKADE: BITTE SETZEN SIE SICH…

Neben diesem Reaktivierungsversuch der zwischenzeitlich ruhenden Freitagsrunde hat sich außerdem unter dem Namen Greifswald Nazifrei ein Bündnis alternativer und zivilgesellschaftlicher Initiativen, Vereine und Einzelpersonen gegründet, das das Ziel verfolgt, den Naziaufmarsch am 1. Mai zu verhindern. Es will deutlich machen, dass Nazis und ihre Ideen „weder in Greifswald noch anderswo erwünscht sind oder geduldet werden“ und kündigt an, mit „friedlichen, aber entschlossenen & massenhaften Menschenblockaden den Naziaufmarsch in Schönwalde“ zu verhindern.

Unter dem Motto Nazis blockieren! … bitte setzen ruft dieses Bündnis dazu auf, sich an den Blockadeaktionen zu beteiligen. Der Aktionskonsens dieser Gruppe wird in vier Punkten zusammengefasst:

  • Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen den Naziaufmarsch
  • Von uns geht dabei keine Eskalation aus
  • Unsere Massenblockaden sind Menschenblockaden
  • Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern.
nazis blocken!

Das Bündnis mobilisiert inzwischen für eine möglichst massenhafte Beteiligung an der Blockade und funkt dabei auf allen Kanälen. So wurde inzwischen zum Beispiel ein eigener Account beim Microblogging-Dienst Twitter eingerichtet, dem insbesondere am 1. Mai eine wichtige Rolle zuteil werden wird – hoffentlich unter dem Hashtag #nazishgw. Die Devise auf dieser Plattform heißt follow and retweet!

Auch beim größten sozialen Netzwerk Facebook ist das Bündnis zugange und hat eine eigene Seite für die Blockade des Naziaufmarsches eingerichtet. Hier werden die aktuellsten Informationen zum Protest gegen die NPD-Demonstration geteilt und vor allem wird breit für den Widerstand mobilisiert. Like and share sind die Zauberwörter dieser Plattform und zur genannten Facebook-Seite geht es hier.

GREIFSWALD IST KEIN PLATZ FÜR NAZIS!

Dieses Bündnis wurde gegründet, um sich dem Naziaufmarsch entgegenzustellen, beziehungsweise entgegenzusetzen. Um dieses Ziel in einer Gegend umzusetzen, in der die Straßen breit und die Umleitungsmöglichkeiten vielgestaltig sind, braucht es vor allem viele Aktivistinnen, die sich an diesem Protest beteiligen und die Bratwurst aus der Hand geben.

In diesem Sinne sind alle – ob jung oder alt – dazu aufgerufen, sich an den Blockaden zu beteiligen, für sie zu werben und zu mobilisieren, um zu zeigen, dass in Greifswald kein Platz für Nazis ist. Tragt es weiter, teilt und retweetet, bis die Drähte glühen! Bringt eure Klassenkameraden, die Oma, ja, den ganzen Sportverein mit! Lasst uns gemeinsam auf die Straße gehen und zeigen, dass Greifswald kein ruhiges Pflaster für die NPD ist!

Tag der Arbeit in Greifswald: NPD-Demo blockieren!

Der NPD-Landesverband will wie in den vergangenen Jahren den Tag der Arbeit vereinnahmen und hat für den 1. Mai eine Demonstration mit 500 Teilnehmenden in Greifswald angemeldet.

Sie marschieren wieder

Nach Angaben der Greifswalder Stadtverwaltung sollen die beiden NPD-Landtagsabgeordneten Tino  Müller und Udo Pastörs als Redner auftreten. Pastörs wurde 2010 wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von 10 Monaten auf Bewährung verurteilt. Eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung  sprach davon, dass sich der Widerstand gegen die Nazi-Demo erst formiere und entsprechende Aktionen bereits in Planung seien.

Einem anonymen Hinweis zufolge, soll die Demonstration am Greifswalder Südbahnhof beginnen und über die Beimler- und Hertzstraße zur Lomonossow-Alle führen. Von dort geht es über den Dubna-, Thälmann- und Liebknechtring durch die Krullstraße zurück auf die Beimlerstraße und schließlich wieder zum Südbahnhof.

NPD Demo Route Greifswald

Das Spiel mit der Angst des kleinen Mannes

Das Motto der Demo, Unsere Heimat – unsere Arbeit. Fremdarbeiterinvasion stoppen, steht ganz im Zeichen des Migrationsmagneten Greifswald, wo sich der Ausländeranteil in den vergangenen fünf Jahren auf einem konstant niedrigen Niveau zwischen 3,1% (2010) und 3,3% (2008) bewegt – von einer „Invasion“ also gar keine Rede sein kann. Die NPD zielt wie so oft auf existentielle Nöte der Bevölkerung, schürt Angst vor „Überfremdung“ und dem Verlust der Lohnarbeit.

Die Stadtverwaltung teilt unterdessen mit, sich der Demo „auf breiter Front entgegenstellen“ zu wollen. Oberbürgermeister Dr. Arthur König kündigt an, in Zusammenarbeit mit der Polizei versammlungsrechtliche Schritte prüfen zu wollen: „Dabei wird auch entschieden, ob Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot vorliegen. Sollte die Chance bestehen, die Demo zu verbieten, werden wir diese natürlich nutzen. Parallel dazu sind alle Greifswalder aufgerufen, sich gemeinsam der NPD entgegenzustellen. Wir wollen den menschenverachtenden Parolen mit bunten und vielfältigen Aktionen antworten. Dazu sind die Ideen aller Demokraten gefragt.“

Oberbürgermeister König verklärt den Protest gegen die NPD

Am Montag soll sich das erweiterte Präsidium der Bürgerschaft zusammenfinden, um „über Parteigrenzen hinweg eine gemeinsame Strategie zu finden. Darüber hinaus lädt der Oberbürgermeister für die kommende Woche Vereine, Verbände, Initiativen und Einrichtungen ins Rathaus ein, um Ideen zu entwickeln und gemeinsame Aktionen zu planen.“ König kündigt an, bei den Vorbereitungen auf die Erfahrungen von 2001 zurückgreifen zu wollen, als sich „7000 Greifswalder erfolgreich dem letzten NPD-Aufmarsch entgegenstellten“. Dass die bürgerliche Demonstration damals einer völlig anderen Route folgte, unterschlägt er leider genauso wie den brutalen Polizeieinsatz gegen jene, die sich tatsächlich den Nazis in den Weg stellten.

Zum damaligen Protest hier ein Auszug eines Demoberichts:

„Zu der offiziellen Gegendemonstration kamen, für viele sehr überraschend, über 7000 Leute zusammen. Da diese Demo an keiner Stelle in die Nähe der NPD-Demo langführte, hielten sich viele Menschen in der Nähe der NPD auf. Etwa 50-60 Menschen versuchten, die Straße zu blockieren, um den Nazi-Aufmarsch aufzuhalten. Die Polizei, sichtlich kopflos und unprofessionell, räumte die Blockade mit einer absolut überraschenden Brutalität. Auch zwei weitere Blockadeversuche einige Meter weiter wurden sofort und brutal abgeräumt. Dabei wurden einige Teilnehmerinnen verletzt und insgesamt zwölf Menschen verhaftet. Von der Reaktion der Polizei überrascht kamen keine weiteren Sitzblockaden mehr zustande und die Nazis konnten ihren Aufmarsch (unter phantasievollem Protest) zu Ende führen. Trotzdem gelang es einigen Leuten noch, Pferdemist auf der Straße zu verteilen.

Im Nachhinein wurde in der regionalen Presse der Tag sehr überbewertet und als grandioser Erfolg gefeiert. Glücklicherweise war die Wahrnehmung der Presse so differenziert, daß die Blockadeversuche als absolut gewaltfrei und der Polizeieinsatz als sehr brutal dargestellt wurde.“

Bis zum 1. Mai sind es noch fast sechs Wochen – Zeit genug, für einen überregionalen und effektiven Widerstand zu werben und die Nazis am Tag der Arbeit erfolgreich zu blockieren. Die Stadtverwaltung will gemeinsam mit verschiedenen Einrichtungen ein Demokratiefest auf dem Markt veranstalten. Ob man mit dieser Art von Aktionismus einen Naziaufmarsch verhindern kann, bleibt zu bezweifeln. Ein Hauch Dresden liegt in Luft. Tag der Arbeit — es gibt viel zu tun!

Stadt macht Atomgegner für Streetart verantwortlich

Stadtverwaltung und Ostsee-Zeitung erklären wieder einmal die Welt. In der heutigen Lehrstunde der OZ-Lokalausgabe geht es um Streetart – illegale Graffiti, wie die urbane Kunstform im Verwaltungssprachgebrauch bezeichnet wird.

streetart faceIm Artikel wird besonders eine Arbeit hervorgehoben, die sich seit einigen Monaten an verschiedenen Plätzen der Innenstadt findet: ein trauriges Antlitz, das sich vor allem durch den mit wenigen Strichen hergestellten Minimalismus von anderen Graffiti abhebt.

Die Ostsee-Zeitung zitiert Andrea Reimann, Pressesprecherin der Stadt: „Wir gehen davon aus, dass dieses Gesicht das Symbol von Atomkraftgegnern ist. Das Motto scheint, Greifswald mit einem tränenden Auge zu sein“ (sic!). Sicher, die in den letzten vier Monaten eingetroffenen Castoren sind ein Grund zur Trauer, aber die Wut darüber und der Protest dagegen finden einen anderen, expliziteren Ausdruck – auch in Gestalt von Streetart.

„Qualität statt Penetranz!“

Die traurigen Gesichter werden unter anderem auf dem Flickr-Account der Greifswalder Streetart-Dokumentaristen daklebtwat diskutiert. Eine Nutzerin moniert, dass es schlichtweg zuviele davon gäbe und fordert: „Qualität statt Penetranz!“. In ähnliche Richtung argumentiert auch ein anderer Kommentator, der es unnötig findet, dass auf dem Markt gleich zwei der Gesichter platziert wurden und fragt: „Was soll die Scheiße?“.

castor-maulwurfAuch wenn im Artikel mit Ulrike Berger eine AKW-Gegnerin zu Wort kommt, die die von der Stadtverwaltung angenommene Urheberschaft für dieses Graffito „für eine abwegige Idee“ hält, „keine Verbindung zu Castorgegnern herstellen“ kann und feststellt, dass diese „eine direktere Sprache“ verwenden, so ist diese Verbindung in den Köpfen der OZ-Leserinnenschaft jetzt erstmal trotzdem konstruiert.

Dabei gibt es in Greifswald neben dem Atomlager Lubmin vieles mehr, was Anlass zu Tränen bietet: Sei es das von einer finanziellen Zurechtstutzung bedrohte Theater, die jährlich sinkenden Kulturförderungen, die Sanierungspolitik der Stadt, die an Kriminalität grenzenden Verwicklungen zwischen Verwaltung und Sanierungsträger oder die systematische Ausbeutung von ALG-II-Bezieherinnen durch die ebenfalls im Artikel erwähnte und unter anderem für die Entfernung von Graffiti eingesetzte Gemeinnützige Gesellschaft für Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung mbH (ABS).

Mit ALG-II-Empfängern gegen Graffiti und Anti-Atom-Plakate

Zwangsmitarbeiter dieser Gesellschaft, deren Gemeinnützigkeit gar nicht häufig genug in Frage gestellt werden kann, waren es auch, die im Dezember 2010 durch die Stadt zogen und Plakate, die zur damaligen ersten großen Anti-Atom-Demonstration aufriefen, entfernen mussten. In einem Fall wurden diese Plakate in den Räumen eines Jugendzentrums abgenommen. Die Zwangsmitarbeiter hätten nach eigener Aussage auf Anweisung des Präventionsrats gehandelt, dort wurde diese Darstellung allerdings dementiert.

streetart hakenkreuzDie traurigen Gesichter erfreuen sich also inzwischen einer breit aufgestellten Gegnerschaft: Von der einen Seite gibt es Kritik wegen des inflationären Umgangs mit dem Motiv und der Unbedachtheit, Streetart an denkmalgeschützten Gebäuden anzubringen. Von Seiten der Stadt wird die Illegalität der gesprühten Kunstwerke betont und eine rasche Entfernung durch dazu gezwungene ALG-II-Empfänger versprochen.

Inzwischen haben sich sogar Greifswalder Neonazis dazu hinreißen lassen, das Motiv zu übersprühen und in gewohnter technischer Unversiertheit dem traurigen Gesicht ein paar Hakenkreuze verpasst. Wer hätte diesem Motiv so viel Polarisierungspotenzial zugetraut?

(Fotos: daklebtwat, Jan Metschorin)

Vortrag und Swingparty: Leipziger Jugendkulturen gegen das NS-Regime

Morgen findet im IKUWO der Auftakt einer Veranstaltungsreihe statt, die mit Hinblick auf die bevorstehende Landtagswahl im September und den zu befürchtenden Wiedereinzug der NPD eine eigene, vielseitige Auseinandersetzung mit rechten Umtriebigkeiten anbieten wird.

Meuten, Gangster und Swingkids gegen das Naziregime

Den Anfang markiert ein Blick zurück in die NS-Zeit, konkret wird es hierbei um Jugend- und Subkulturen und vor allem deren Widerstand gegen das Naziregime gehen. Dabei soll der Fokus nicht auf die bekanntesten Gruppen wie die Weiße Rose oder die Edelweißpiraten gelegt werden. Stattdessen wird am Fallbeispiel Leipzig aufgezeigt, wie vielfältig die jugendliche Opposition gegen die Nazis aufgestellt war, die sich aus  Broadway-Gangstern, Jungkommunisten, Swingkids, Bündischen,  Pfadfindern und den Meuten rekrutierte.

Swingkids

Die Leipziger Meuten waren Ende der Dreißiger Jahre mit bis zu 1500 Mitgliedern die damals größte oppositionelle Jugendbewegung Deutschlands. „HJ-Heime wurden überfallen, Flugblätter verteilt, über ein Deutschland ohne Nazis diskutiert. Und an den Wochenenden ging es wandern in die Natur. Bis nach Berlin zeigten sich NS-Funktionäre und Juristen verunsichert. Es folgten Massenverhaftungen, Prozesse vor dem Volksgerichtshof und die Errichtung eines KZ-ähnlichen Jugendlagers.“

Für den Vortrag konnte der Historiker und Autor Sascha Lange gewonnen werden, der zum Thema Jugendwiderstand im Leipzig der NS-Zeit promovierte. 2010 erschien im Böhlau Verlag seine Untersuchung Meuten – Broadway-Cliquen – Junge Garde. Leipziger Jugendgruppen im Dritten Reich.

Neben seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten ist Lange außerdem als Autor aktiv wie produktiv und veröffentlichte 2007 mit DJ Westradio. Zwischen Playmobil und Perestroika (Aufbau-Verlag) ein Buch über Jugendkultur in der DDR. Ende Februar dieses Jahres wird seine roadmovieske Wendekomödie Das wird mein Jahr. Vom Abhauen und Ankommen. (Aufbau-Verlag) in den Buchhandel kommen.

Swing Tanzen erwünscht: Antifaschistischer Jazz-Karneval

Nach dem Vortrag dirigiert Plattenunterhalter Pehle (Zonic/ Leipzig) mit Original Swing & Hot Jazz den antifaschistischen Jazz-Karneval bis in die Nacht. Swing tanzen ist hier ausdrücklich erwünscht!

Wer bereits zum Vortrag kommt, zahlt für Edukation und Tanzvergnügen nur 3 Euro. Die Party wird gegen 22.30 Uhr beginnen — wer dann erst auftaucht, muss 4 Euro berappen.

Fakten: 26.02. | 21 Uhr | IKUWO | 3 / 4 EUR (nach dem Vortrag)