Pop am Wochenende: Wider den Prime-Time-Proletismus — Christian Löffler und seine rurale Elektromantik

Eine Musikbesprechung von Ferdinand Fantastilius

kolumne 17vier

„Eins-zwei-drei, jetz‘ mache‘ wa ’n Däschno – umpfz, umpfz, umpf, umpf“- schon vor 20 Jahren geisterten drollige Verulknudeleien dieses damals noch gar nicht so alten Musik- und Jugendbewegungsstils auf leiernden Mixkassetten durch die Jugendzimmer der Republik. Mittlerweile hat sich Techno tatsächlich zu einer, für jeden Menschen zugänglichen Eins-zwei-drei-aus-dem-Hut-Zauberei entwickelt. Wie jedes jugendkulturelle Phänomen droht auch Techno – als Sammelbegriff für Musik, die mit Mitteln elektronischer Klangerzeugung und kompositorischen Wiederholungsprinzipien angefertigt wird – in den grindigen Fingern des bösen Onkels Mainstream zu veröden.

Die olle Tante Techno ist mittlerweile ja nun auch nicht mehr die jüngste. Eigentlich ist sie längst tot und wird allwochenendlich von ganzen Horden aus Becks-Gold-Buben und puterroten Truthahngesichtern zu Grabe gestampft. Denn „Stampfen“ ist das neue Tanzen. In Minimalhausen verabredet man sich nicht zum Tanzen gehen, sondern zum „abstampfen“: Zugekokste Tanzaffen zotteln in Hypnose zum ewig selben Abgespule der Beatport-Hitlisten über den Dancefloor. Kopfnicker-Brieftauben beim Stuhltanz. Wer zuerst „Jawoll!“ schreit, fliegt raus!

An den zumeist digitalen Turntables leiern die DJ-Gibbons unter ihren Carharrt-Hoodies an den Jog-Wheels ihrer Steuerpulte herum, vor der Tür bohren die Schutzgorillas aus der Halbwelt ihre grimmigen Wachhaltermienen in die nach Feierei und Sause dürstenden Herzen der Wochenendausflügler, die Schlange stehen für den Einlass in die Parallelwelt des kontrollierten Überschwangs. Zur Party? Zur Party! Techno und Clubkultur sind längst so verwegen, wie aufgebohrte Motoradauspüffe und tätowierte Arschgeweihe – nämlich kaum noch.

Techno 2012: Zwischen Springbreak und SubversionE

Techno als Club- und Ausgehkultur glimmt ca. drei Dekaden nach seiner Initialzündung als duseliger Restglimmer seiner ursprünglichen Freisetzungskraft hedonistischer Ausbruchsimpulse aus dem durchformatierten Arschlochalltag. Vielleicht ist es auch nur ein Innehalten, eine Pause – die technische Innovation hat die Mittel und Methoden der Produktion und Rezeption quasi demokratisiert.

Wie in jeder Demokratie kommt dabei natürlich viel Langeweile und Vollschrott auf. Jeder noch so eingebildete Hobby-Avantgardist und Vollzeit-Redneck kann in gecrackten Mehrspursequencerprogrammen und beknackten Großraumdiscotheken seine nullachtfuffzehn Tracks und seinen Vier-Viertel-Verwegenheitslifestyle zusammenpopeln. Das Aussieben aus der Flut an Freizeitangeboten und musikalischen Veröffentlichungen rund um den Themenkomplex „Techno“ ist heutzutage geradezu eine Herausforderung.

electro party

Hier hilft nur, was rar geworden ist: eigene Meinung, interessierte Auseinandersetzung, forschende Fragerei, Gefühlskompetenz. Ausschweifendere Betrachtungen zum Thema Zeitgeist-Techno, dancefloorelle Volksverblödung und das Dauerfeuer der Identitätsstiftungsimpulse, das Tante Techno als Über-Pop-Prinzip auf all die armen leeren Menschenseelen draufballert, Überlegungen zum Spannungsfeld „Techno zwischen Subversion und Springbreak“ werden zu einem anderen Zeitpunkt folgen. Vorerst widmen wir uns jedoch der ländlich inspirierten Naturalelektronik des Christian Löffler, der auf erfrischend unaufgeregte Art und Weise jenseits von Jahrmarktminimal und Bloghypeeinereli musiziert.

Rurales Feel in Patterns gepinselt

Christian Löffler (Photo: Sarah Bernhard)Aus den verwiesten Weiten der norddeutschen Provinz kommt nun ein elegantes, geradezu kunstsinniges Album von Christian Löffler. Sein Langspieldebüt, A Forest, ist die logische Schlussfolgerung aus seinen vorangegangenen Arbeiten. Zahlreiche Tracks und EPs ebneten den Weg zu den 12 Stücken des Albums.

Christian Löffler schafft es, das zur leeren Worthülse degenerierte Attribut der „melancholischen Electronica“ für sich zu verbuchen. Jeder Dreiviertelhosenproll und jeder dahergescheitelte Hipsterstorch bezeichnet seine feierabendlichen Ableton-Gehversuche als irgendwie housy, lieblich-romantisch und voll verschnuffelt introspektiv. Vieles davon bleibt in Form von visionslosem Presetgefrickel im Stadium des Tutorialtechnos stecken.

(Foto: Sarah Bernhard)

Waldwummernde Gandalf-Grooves

Christian Löffler arbeitete immer schon eher abseits des alles abgeilenden Krawalltechnos der provinziellen Großraumdiskotheken. Er hat in den letzten Jahren das geschafft, was viele selbsternannte Producer in Ermangelung von Vision und Willen zum Sound oftmals vernachlässigen: er hat sich einen Trademark-Sound geschaffen. Seine Filter, Effekte und Klangerzeugungs-Plugins sind wohlgewählt und nie Voll-auf-die-Zwölf. Im organischen Zusammenspiel entfalten sie, wie ein Bienenstaat, ihren ästhetischen Sinn und ihre formale Qualität. Kein nervtötender Brummbass oder käsige Hook-Synthesizer krawallen sich in die Ohren der Zuhörenden. „Pop am Wochenende: Wider den Prime-Time-Proletismus — Christian Löffler und seine rurale Elektromantik“ weiterlesen

Familien, Feste und Verdrängung: Uta Koschel inszeniert „Das Fest“ am Theater Vorpommern

Ein Theaterbericht von Ferdinand Fantastilius

kolumne 17vierSchon vor dem Fest herrscht etwas Katerstimmung… Ein wenig ermattet, aber auch zufrieden über die Fertigstellung wirkt das Team kurz vor der Premiere… Fest gemacht und losgeworden…

Mit endlos ähnlichen Wortwurstwolken könnte man als Rezensent einsteigen.

Die Verlockung, die prekäre Situation des scheidenden Altensembles am Theater Vorpommern mit seiner letzten gemeinsamen Großinszenierung „Das Fest“ zusammenzujauchen, ist einfach zu groß. Jedoch, man merkt es den drei zum Gespräch Geladenen an: sie scheinen es langsam leid zu sein, auf elends und ewig zum Intendantenwechsel und den Nichtverlängerungen befragt zu werden. In jedem Fall ist es für sie, zwischen den Stühlen stehend, kein Einfaches, über ihren zukünftigen Nicht-Chef Worte zu verlieren, die als kompromittierend oder gar wehleidig ausgelegt zu werden drohen.

PROMOTIONSPROFIS IN DER PROVINZ

Die journalistische Zunft ist bekannthin ja immerstets auf der Suche nach knalligen Aufhängern, emotionalen Türöffnern und punchigen Headlines. Unten den speckigen Berichterstatterjacken kocht sie, die Lust an der Landung eines  publizistischen Riesencoups. In den luziden Träumen eines jeden Journalisten rauscht es wild im Blätterwald.

Stattdessen jedoch: müdes Zettelrascheln fahler Reporter auf der Pressekonferenz. Die anwesenden Presseinfo-Umformulierer sind angetreten, um die letzten Fakten für ihre Setzkastenartikel zu sammeln, klickern fahrig mit Kulis in ihren Schreibtischschreiberlingspranken, bevor die Fest-Macher (punch!) im Raum erscheinen um von – nach Zusammenjauchung jiepernden – Journalisten mit „Ja, erzählt doch mal, wie war das so“-Fragen beworfen zu werden.

Das Fest Inszenierung Uta Koschel Szenenbild

Am runden Tisch im Dachbüro haben sich die Regisseurin Uta Koschel, die leitende Dramaturgin Catrin Darr und der Schauspieler Hannes Rittig eingefunden. Die Regisseurin, ein sanftes, in Augenringe und hennarotes Haar getauchtes Wesen, spricht mit sonorer Stimme und valiumhafter Gelassenheit über ihre letzte Inszenierung als Gastregisseurin am Theater Vorpommern. Von 1996 bis 2003 war sie sieben Jahre fest am Haus. Über das Schauspiel kam sie letztlich zur Regie. Zahlreiche Stücke hat sie bereits inszeniert. „Familien, Feste und Verdrängung: Uta Koschel inszeniert „Das Fest“ am Theater Vorpommern“ weiterlesen

Kunstschnee, Schlagerschranz und Sittensiechtum: Weihnachtsmarkt in der Innenstadt

Eine Kolumne von Ferdinand Fantastilius

PROLOG

kolumne 17vierIm Schnee hatten wir uns verlaufen und sangen gegen den Wind. „Wenn es so kalt ist, kann man keinen Schneemann bauen“, stellt irgendwer fröhlich fest und wirft sich zum Adlermachen hin. Heitere Leute schenken Glühwein aus und bunte, dreifach gewickelte Grobstrick-Schals wehen den Schlittschuhlaufenden auf dem Ententeich hinterher. Auch die Hunde freuen sich unterwegs zu sein und schauen ihrem dampfenden Atem nach. Wie er übers Land fliegt, das so unbekannt weiß jetzt plötzlich war.

Ein Angestellter in mittlerer Position räumt sein Büro für die Zeit zwischen den Jahren auf. Er würde gern einen Hut zum Trenchcoat tragen, wie Dick Tracy. Die fröhlichen Lachsalven der Lampionumzüge ziehen übers Land. Letzte Ladungen erreichen den Hafen, Lastwagen werden gelöscht. Als parallaktisch verrauschtes Zeitlupenscreening zieht Landschaft als Bildwirbel am Fenster entlang. Driving home for Christmas.

SÜßER DIE GLOCKEN NIE KLINGEN

So etwas und anderes schleicht einem ins Hirn, denkt man an vorweihnachtliche Besinnlichkeit in Filmreife. Schulchöre, Sternsinger, duftene Plätzchen; Charles Dickens, TV-Mehrteiler und Verdauungsschnäpse. Die Welt vermummt im Schnee. Im Dezember sind wir alle kleine Lords, blonde Mini-Milchgesichter im Rüschenhemd unterm Weihnachtsbaum.

weihnachtsmann weihnachtsmarkt(Foto: 17vier)

Die Realität sieht etwas anders aus: Endlich Weihnachten, endlich Zeit für Besinnungslosigkeit! Das ganze Jahr geschuftet, malocht und couchkartoffelt, da geht es jetzt — am Jahresende — nochmal richtig in die Vollen.

HOPPENSTEDTS UND HALLIGALLI

Es riecht nach Bratapfel, Zimt und den Magengeschwüren der eilig an einem vorbeihetzenden Weihnachtseinkäufler. In der Dompassage stolpern die Menschen mit Papiertüten bebeutelt die Rolltreppen rauf und runter. Mittendrin Sheriff Shopping-Mall und sein Chef-Schlüsselbund. Der Kaufhaus-Buddha mit dem Schnauzer. „Kunstschnee, Schlagerschranz und Sittensiechtum: Weihnachtsmarkt in der Innenstadt“ weiterlesen

„Die Tiere sind unruhig“ – Von Greenhorns und Flamingos: Erstsemesterschwemme im Herbstregen

Eine Kolumne von Ferdinand Fantastilius

kolumne 17vierJedes Semester der gleiche Spaß: die Neuen kommen! Rund 2250 Alma-Mater-Newbies hat es zum Herbstbeginn in die Stadt und in ihr neues Leben als Studierende verschlagen. Wie aufgepäppelte Kitze staksen sie, etwas orientierungslos, durch die anfänglichen Wirren des Unialltags. Wo ist Hörsaal haumichtot, wann hat Prof. Dunnebier Sprechstunde, was ist ein HIS und ein WULV, was hat es mit diesem Moodle-Salat auf sich und wann kann ich endlich wieder auf Wochenendurlaub nach Hause?

Manchen Neuankömmling erschlägt die Überschaubarkeit der Stadt anfangs nämlich geradezu; ein Hangeln von Wochenende zu Wochenende ist die Folge. In den Regionalbahnen versammelt sich so allwochenendlich eine muntere Schar aus jungen Bildungspendlern, geselligen Landprolls und Bundis im Delirium.

PARTYS, POINTS UND PROPELLERMÜTZE

Der klassische Ersti stolpert mit entzückender Schleckeis-Niedlichkeit durch die ersten Wochen von Hörsaal zu Hörsaal in freier Wildbahn. Endlich flügge, endlich eine eigene Wohnung, ist das auuufregend alles, und ach, es gibt so viel zu erleben! „„Die Tiere sind unruhig“ – Von Greenhorns und Flamingos: Erstsemesterschwemme im Herbstregen“ weiterlesen

Bollerwagen, Bier und Busenkumpels – Zum Herrentag nur das Dollste!

Eine Glosse von Ferdinand Fantastilius

kolumne 17vierEndlich wieder Herrentag. Nachdem die ollen Blagen tags vorher mit Spielzeugmüll und Naschwerk anlässlich ihres Kindertages geehrt wurden, kann Vati heute endlich auch die Sau rauslassen. Es handelt sich hierbei natürlich nicht um ein edles Glücksschweinchen aus Marzipan, sondern um einen haarig-miefigen Krawall-Eber alleroberster Kajüte.

Ein Totentanz auf Testosteron

Auch der kleinste Stiernacken darf sich heute endlich mal behaupten. Auch die schwachen Cliquenglieder – solche, die bei der Kiezpatrouille immer in zweiter Reihe hinterher stolpern – dürfen heute mitspielen, beim Wetteifern um den Allermaskulinsten. Highlife wie in der Bier- und Kräuterbutterwerbung. Heute darf auch der größte Blödmann ein Gourmeggle sein. Draußen im Grünen mal den Sack baumeln lassen, den man sonst so ungelenk durch das eigene Blödmannleben schleift. An allen Ortsecken tobt ein munterer Totentanz auf Testosteron. Blasse Versicherungsvertreter, hemdsärmelige Sportzeitschriftenabonnenten und schmerbäuchige Leitartikelleser, sie alle verwandeln sich an diesem warmen Junitag in geistbefreite, Schnapsgürtel tragende, biervolle Bollerwagen über teerweiche Straßenkreuzungen wuchtende Alltagseskapisten.

herrentag wagen

Die maskuline Selbstbehauptung ist in diesen Tagen der Metrosexualität und zunehmenden Alltagseinflussnahme des weiblichen Geschlechts wahrlich keine leichte. Die ehemals gemütlichen Radfahrten durchs Land werden zu regelrechten Orgien des ritualisierten Mackertums hochgeschraubt. Vermännlichung durch Entmenschlichung. Gleichschaltung durch Besinnungslosigkeit. Heute sind wir alle eins.

Bratmaxen und Bohnerwachs

Am Herrentag haut man sich den Bauch mit Bier voll und den Kumpels mit der Pranke auf die Schulter. Kalle, Fiete, Bernd und Torben fahren ziellos durch die Landschaft, während ihre Gattinnen schon mal die Kaffeetafel herrichten. Den Grill schmeißen die Herren Bratmaxen natürlich selbst an. Und nimm das Gemüse von meinem Grill du Sau! Ich fress‘ nur Totgemachtes! „Bollerwagen, Bier und Busenkumpels – Zum Herrentag nur das Dollste!“ weiterlesen

Greifswald wird grün, aber wie?

Eine Kolumne von Ferdinand Fantastilius

kolumne 17vierNicht zuletzt der eigenen Erdung wegen ist es auch mal wichtig, was mit Natur zu machen. Raus aus der WLan-Welt und dem heimischen Elektrosmog, rein in’s Grüne. Wenn einem die Feld- und Wiesenlandschaft alles in allem aber zu dreckig, zu weit weg oder schlicht zu komfortarm ist, baut man sich eben sein eigenes Naturnaherholungsgebiet aus Pressspan und Kunststoff. Auf den Trümmern der alten Studentencafeteria am Schießwall wurde jetzt eine Ess- und Trinkerholungslounge in frühlingshafter Naturnachahmung errichtet.

Eein Playmobil-Kaffeehaus mit Starbucks-Stigma

Wo man früher noch in einem schrappeligen, wie sympathischen Tohuwabohu aus Wartezimmertischen und Antidesignerstühlen dem Müßiggang zwischen den geschwänzten Vorlesungen frönte, kann man sich heute einreihen in einen bunten Reigen neumoderner Lifestyle-Hipness. In Zusammenarbeit mit dem Kaffeetycoon und Krams-und-Krempel-Vertreiber Tchibo entwickelte der Dachverband der deutschen Studentenwerke DSW das Kaffeebarkonzept „insgrüne“. Hierbei handelt es sich um eine Art variierbares Playmobil-Kaffeehaus, das man sich in mehr oder weniger flexibler Weise in drei verschiedenen Ausführungen modular zusammenstellen kann.

insgrüne Cafeteria Mensa Greifswald

Der synthetische Naturnachbau präsentiert sich als eine Mischung aus Hobbithausen und Apple-Store. Der Retrofuturismus einer Clockwork-Orange-Milchbar trifft hier auf den neonsirrenden Funktionalismus einer Autobahnraststätte, aufgehübscht durch das Besänftigungstalent von Mutter Natur. Wie androide Hoppelhasen im Bau sitzen die wuselnden Studenten in eierschalenweißen Wartehallensesseln oder in kunstholzvertäfelten Essnischen, trinken Kaffeespezialitäten und nagen an Donuts. „Greifswald wird grün, aber wie?“ weiterlesen