Uns steht die kürzeste Nacht des Jahres unmittelbar bevor und mit ihr auch wieder eine Fête de la Musique. Dieser französische Kulturimport wird am 21. Juni zum nunmehr fünften Mal in Greifswald veranstaltet. Wurden 2007 und 2008 noch jeweils eine zentrale Bühne bespielt, so ist die Fête seit 2009 fragmentiert und über die Stadt verteilt.
SEHNSUCHT NACH DEM MOSHPIT ODER ZAPPELN MIT DEN INSOMNALEN HEDONISTEN?
Am Dienstag werden ab 14 Uhr auf vier verschiedenen Bühnen Konzerte und Improvisationstheater stattfinden. Abgesehen vom Studentenklub Kiste liegen die Schauplätze einigermaßen dicht beieinander: am Museumshafen, beim Pommerschen Landesmuseum und auf dem Fischmarkt sind verschiedene Darbietungen in Augenschein zu nehmen – umsonst und draußen.
Das große Finale bleibt dieses Jahr aber leider aus – zumindest aus Bookingsicht. Einen der wenigen Höhepunkte werden hoffentlich Stullenheimer bereiten, die entgegen ihres Bandnamens nichts mit Folkrock gemein haben und die im Anschluss an den HipHop-Block spielen werden.
Abends kann es dann bei Electro-Swing im Café Pariser oder mit den Hedonistinnen bei der Insomnale weitergehen. Wer sich nach dem Moshpit sehnt, sollte ab 21 Uhr im Klex sein, denn dann wird dort der Dampfhammer in Sachen Punk und Hardcore geschwungen. Zu Gast sind die beiden halbpolnischen Bands The Fight und Life Scars.
Dieses Konzert ist ein Beitrag vom Veranstalterkollektiv Just Idiots.
Die Greifswalder Fête de la Musique wird dieses Jahr von GrIStuF, dem Stadtjugendring Greifswald, radio 98eins, dem Studentenclub Kiste und dem Pariser organisiert. Das vollständige Programm und eine Übersichtskarte gibt es hier in der vollständigen Ansicht des Beitrags.
Die Grünen teilen auf ihrem Blog eine kleine Anekdote aus der Bürgerschaft: Nachdem CDU-Fraktionsvorsitzender Axel Hochschild schon vor fünf Wochen mit der markigen Forderung lospreschte, dass die Grünen und andere Organisatorinnen des Greifswalder Anti-Atom-Widerstands gefälligst die Stadt von atomkraftkritischen Aufklebern befreien sollen, geht es jetzt in die nächste Runde.
Auf der letzten Bürgerschaftssitzung, die in der vergangenen Woche stattfand, wollte die CDU-Fraktion folgenden Antrag einbringen:
„Die Organisatoren/Veranstalter der Anit-Atom-Demonstrationen werden dazu aufgerufen, die Aufkleber und Plakate, mit denen zur Teilnahme an Protestveranstaltungen gegen die Castor-Transporte bzw. allgemein gegen die Atomkraft aufgerufen worden ist, im Stadtgebiet zu entfernen.“
Die Grünen nahmen sich dieses Problems an und spazierten mit wachem Blick und den nun geöffneten Augen durch Greifswald. Dabei wurde ihnen das Ausmaß der Problematik gewahr, was dazu führte, dass die Fraktion der Grünen den Antrag der CDU mit einer Änderung der Realität anpassen wollte.
(Fotocollage: Grünen-Blog)
In der modifizierten Fassung liest sich der Antrag dann so:
„Die Organisatoren/Veranstalter der Anit-Atom-Demonstrationen, Hansa Rostock, der CDU Kreisverband Greifswald sowie die Musikgruppe „Broilers“ werden dazu aufgerufen, die Aufkleber und Plakate, mit denen zur Teilnahme an Protestveranstaltungen gegen die Castor-Transporte bzw. allgemein gegen die Atomkraft aufgerufen worden ist bzw. mit denen Werbung für den Hansa Rostock, die Kreisfreiheit Greifswald sowie die neue Platte „Santa Muerte“ gemacht wird, im Stadtgebiet zu entfernen.“
Bedauerlicherweise hat die CDU-Fraktion ihren Antrag wieder von der Tagesordnung genommen. Schade eigentlich.
Der Frühling ist langsam in die Gänge gekommen, der Frühsommer steht vor der Tür. Und langsam bricht in Greifswald wieder die Zeit an, in der die Veranstaltungsdichte zwar noch nicht schwindlig macht, aber es nicht mehr so einfach ist, den Überblick zu behalten.
RADICAL JEWISH CULTURE IM IKUWO
Das IKUWO präsentiert einen internationalen Abend zur radical jewish culture und wird – passend zur gerade laufenden, gleichnamigen Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin – das einzige Deutschlandkonzert der New Yorker Band Pitom beheimaten. Dazu gesellt sich die französiche Formation AutorYno. Beide Bands veröffentlichten zuletzt auf dem berühmten John-Zorn-Label Tzadik.
Pitom aus Brooklyn/ NYC spielen eine Mischung aus unkonventionellem Rock und traditioneller jüdischer Musik. Das Quartett um den Jazzgitarristen Yoshie Fruchter definiert zwischen Post Hardcore, Jazz und Klezmer einen eigenen und äußerst intensiven Sound, dessen Einflüssen von Frank Zappa, Sonic Youth, Mahavishnu, Melvins oder Bad Brains bis zu John Zorn´s Masada-Projekt reichen – wie letzterer zwischen künstlerischer Avantgarde und jüdischer Orthodoxie pendelnd.
Ein versprochener Hochgenuss für Jazz-Liebhaber mit erweiterungsfähigem Horizont, Klezmerbegeisterte mit Sitzbereitschaft und Avantgardepunkerinnen mit vitalem Interesse an jüdischer Kultur!
Der Rote Salon, eigentlich im TV-Club zuhause, verlässt die gewohnten Gefilde und ist zu Gast im Caspar, wo der an diesem Wochenende auf mehreren Hochzeiten tanzende Silvio Marquardt auflegt. Außerdem und zur Abwechslung mal wieder das Duo verschnibbt & zugenäht, das nicht müde wird, die ganz eigene Vision von augenzwinkerndem Tech House von der S4 aus zu propagieren.
Hier das jüngste Set, das zum Tag der Besetzung Befreiung auf die Menge losgelassen wurde.
Ein “ganz besonderes Konzert” wird im KLEX versprochen, wo sich die Greifswalder Ska-Rock’n’Roll-Soul-Reggae-Schlagmichtot-Band Krach die Ehre gibt. Nach einer Art künstlerischer Ruhepause meldet sich die langgediente (14 Jahre!) Offbeat-Riege zurück. Krach spielte gerade bei der Clubs United in der Mensa und wird auch für das Hoffest der Germanistik und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät angekündigt.
Als Einschub zwischen diesen beiden Terminen ist ihr Auftritt im KLEX zu verstehen, mit dem der Anschluss an die eigenen Greifswalder Wurzeln probiert wird. Nach sechs Konzerten – eigentlich sieben, rechnet man den Alias-Auftritt als Die Urlauber Ende der Neunziger Jahre hinzu – geht es dorthin zurück, wo vieles begann. Passend zur zweiten Band des Abends, der mittlerweile auch schon sieben Jahre alten Oi!-Truppe Midnaid Devilz, wird sich Krach jenseits der wohlgefälligen Offbeat-Streicheleinheiten bewegen und auf den eigenen musikalischen Ursprung als Oi!-Punkband verweisen. Da darf keine Jugendsünde fehlen.
Als hochmodernes Special wird der an diesem Abend angefertigte Livemitschnitt beider Bands unmittelbar nach Konzertende als digitale Kopie für wenig Geld angeboten und soll nur an diesem Abend erhältlich sein. Interessierte Gäste sollten also ihre USB-Sticks freiräumen.
An diesem Wochenende findet auch die große Gemeinschaftsausstellung Sammlung Fleischervorstadt ihr Finale. In den KAW-Hallen am Greifswalder Bahnhof werden ab 19 Uhr Werke der Ausstellung versteigert und das Ende des Spektakels gefeiert. Aus diesem Grund wird ab 21.30 Uhr die Greifswalder Band Naked Neighbours on TV in Kollaboration mit lckrt performen.
Ab 23 Uhr wird dann unter dem Slogan Infant Industry eine neue Location im Gewerbegebiet erobert. Dort, wo einst der Schaper-Großmarkt seine Waren feilbot, wird es am Sonnabend technoid zugehen.
Angekündigt werden neben den lokalen Kräften Silvio Marquardt, Klicker und Npln Sajonz auch Falko Brocksieper vom Label Sub Static, die Deephouse und Minimal versprechen.
Im auf den Ruinen des Moulin Rouge eröffneten Reddi wird am Sonnabend ebenfalls gefeiert werden. Zur Lazy Shark Attack wird mit einem „Meer aus elektronischem Trigger Jazz, Beatbox und Turntablism“ gelockt.
An den Plattenspielern verdingen sich Ben Fade und Hoellsen aus Greifswald beziehungsweise Rostock und es wird ein stilbewusstes Wirbeln zwischen Hip Hop, Funk, Classics, Breakbeats und Deep House angekündigt.
Die Dancerobic Instructors aus Rostock sollen“ allen Tanzmuffeln“ Hilfestellung bieten. Für die Veranstaltung wurde eigens ein Audioflyer produziert: Audioflyer 4 Reddi 21-05-11 by DJ Ben Fade
Die Alte Bäckerei lädt zur Vernissage und wirbt mit Mashups und Readymades von Sebastian Gürcke. Einige mögen vielleicht vor einem Jahr seine Examensausstellung in der Dompassage besucht und seine Liaison mit der DDR-Plattenromantik gesehen haben. Wem dieses Vergnügen bislang versagt blieb, sollte sich in die Mehringstraße aufmachen, um einen prüfend-neugierigen Blick auf Gürckes Ausstellung Gute Kinderstube zu werfen.
„Die Ausstellung „Gute Kinderstube“ ist eine unkonventionelle „Antwort“ bzw. „Reaktion“ auf die zentrale Frage: Wer bin ich & wo komme ich her? Als Teil der „DDR-Kinder-Wende-Generation“ die aktiv mit der DDR in Berührung kam, aber nicht mehr in ihr groß wurde, reflektiert & resümiert Sebastian Gürcke in Form von Collagen & Vorgefundenem über sich selbst, die Post-Wendezeit & eine Art Doppelmoral.“ (Alte Bäckerei)
Nach der Vernissage ist die Ausstellung vom 19. bis zum 25. April, täglich zwischen 17 und 20 Uhr, geöffnet.
Fakten: 18.04. | 18 Uhr | Alte Bäckerei (Vernissage)
SHIMA lautet der Titel der Ausstellung M. Kardinals, die heute in den privaten Wohn- und Lebensräumen – also gewissermaßen den Kardinalgemächern der Künstlerin – eröffnet wird. Damit wird eine work-in-progress-Installation präsentiert, die sowohl den Atombombenabwurf auf Hiroshima als auch den nuklearen Unfall in Fukushima thematisiert und zusammenbringt.
DIE MÄR VOM GUTEN GODZILLA
Die Schockstarre nach dem Atomunfall hat sich gelöst, die Menschen haben sich schnell an die Informationsflut gewöhnt, Fukushima ist Teil der Realität geworden und schleichend aus dem Fokus der Medien gerückt. Kardinal verknüpft die beiden atomaren Katastrophen, die in den vergangenen knapp siebzig Jahren in Japan stattfanden, mit der Godzilla-Allegorie:
„Die kollektive Traumatisierung, ausgelöst durch den Atombombenabwurf auf Hiroshima – die weitläufige Insel –, wird unter anderem durch Gojira ausgedrückt. Gojira ist uns als Godzilla bekannt und gilt als Allegorie des atomaren Traumas. Aber wie mir scheint, handelt es sich dabei nur um ein militärisches atomares Trauma, denn nach 1945 wandten sich die Japaner nicht von jeglicher Form der atomaren Nutzung ab. Als gemeinsamer Konsens galt die Ablehnung der militärischen Nutzung der Atomkraft. Ihre zivile Nutzung wurde jedoch – ungeachtet der verheerenden und sichtbaren Folgen der nuklearen Nutzung und der denkbar ungünstigen, geologischen Bedingungen – gefördert. Dies war ebenfalls ein gemeinsamer Konsens – ein „guter Godzilla“ gewissermaßen, beheimatet auf der Glücksinsel: Fukushima.
Der Weg von der Wiege Gojiras zur Glücksinsel ist nicht weit und das ambivalente Verhältnis des Inselstaats zur nuklearen Nutzung bringt kein Glück, auch nicht in Fukushima. Und nun taucht Gojira aus den Tiefen in das Bewusstsein auf. Über Nacht ist die riesige zweidimensionale Echse – die japanische Verkörperung des militärischen nuklearen Traumas – in die dritte Dimension gedrungen, wo sie jetzt die bereits tief verstörte japanische Seele überschattet. Doch diese Traumatisierung wird anders sein: Diesmal erscheint nicht der Godzilla, der den Atomkrieg verkörpert. Diesmal kommt Godzilla im zivilen Gewand daher.„
Die Vernissage wird von einem DJ musikalisch flankiert, über eine kleine Hausbar kann die Versorgung mit Getränken abgewickelt werden. Die Ausstellung wird in dieser Form vorerst nur am heutigen Abend zu sehen sein.