We remember Café Quarks! #1: Die alte Website

In genau neun Tagen jährt sich zum zehnten Mal die Räumung des ehemaligen AJZ/Café Quarks am Karl-Marx-Platz. Das Haus mit der denkmalgeschützten Fassade stand seitdem leer, bis es ganz überraschend am 26. November des Vorjahres abgerissen wurde.

schriftzug quarksEin Überblick über die Geschichte des Hauses und ein Video des Abrisses sind einen Tag später auf dem Fleischervorstadt-Blog erschienen. Kurz darauf fand vor den Ruinen des einstigen Kulturtempels eine Art Gedenkveranstaltung statt. Auch diese Zusammenkunft wurde hier dokumentiert.

WOCHE DER KULTURELLEN FREIRÄUME

remember cafe quarksAnlässlich des Räumungsjubiläums werden in unmittelbarer Zukunft einige Veranstaltungen unter dem Label We remember Café Quarks! stattfinden, die subkulturelle Einblicke und Ausblicke ermöglichen sollen. Vom 30.01. bis zum 06.02. wird eine Woche der kulturellen Freiräume zwischen Gedenken und Zukunftsvision offeriert.

Auf die verschiedenen Parties, Filmvorführungen und Diskussionsveranstaltungen wird hier in den kommenden Tagen noch explizit eingegangen werden. Einen kurzen Überblick auf das, was uns erwartet, bietet der aktuelle IKUWO-Flyer.

AUSSTELLUNG SUBKULTURELLER LIEBHABERSTÜCKE „We remember Café Quarks! #1: Die alte Website“ weiterlesen

Alternatives Jugendzentrum abgerissen — ein Rückblick

Wer wird sich daran später noch erinnern? Diese Frage stellte ich vor zwei Wochen mit dem Hinweis auf die Neubauten in der Pfarrer-Wachsmannstraße. So wie mit den Baulücken auch ein einzigartiges Kapitel der jüngsten Greifswalder Stadtgeschichte verschwand, so hat es gestern Mittag völlig überraschend die Ruine des Alternativen Jugendzentrums am Karl-Marx-Platz getroffen. Innerhalb weniger Stunden wurde das Haus dem Erdboden gleichgemacht.

Seit 1991 wurde das ehemalige Kinderheim Hertha Geffke besetzt, anfangs geduldet und sogar kurzzeitig im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt (AgAG) gefördert. 1993 wurde das Haus an seine Hamurger Alteigentümerin rückübereignet. Es blieb besetzt, die Stadt hörte aber auf, mit den Bewohnern des AJZ – später in Café Quarks umbenannt – zu kooperieren. Das Projekt entwickelte sich zu dem mit Abstand legendärsten alternativen Veranstaltungsort Greifswalds. Hier wurden rauschende Feste gefeiert.

AJZ Greifswald

Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an

1999 wurde die Lage für die Besetzer und Besetzerinnen immer dramatischer, im November des Jahres gab es aus diesem Grund eine Demonstration, an der rund 800 Jugendliche mit Transparenten wie „Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an“ teilnahmen. Für den Erhalt des Hauses wurden in wenigen Wochen 1700 Unterschriften gesammelt.

Der kurzfristige Versuch, das Quarks zu kaufen, scheiterte am unangemessenen Kaufpreis und dem Verhandlungsunwillen der Alteigentümerin. Anfang Januar 2000 erhielten die Bewohner des AJZ die Räumungsaufforderung. Das Haus wurde am 4. Februar 2000 von Polizeibeamten geräumt.

Jugendliche tragen AJZ zu Grabe Greifswald

Danach entlud sich in Greifswald eine unvorstellbare Frustration der Jugend. Die plötzlich obdachlosen Hausbewohner indes kamen zeitweise auf dem Dachboden des Cafés Pariser unter.

Die Räumlichkeiten am Karl-Marx-Platz wurden schnell unbewohnbar gemacht, um eine erneute Besetzung zu verhindern. Anschließend überließ man das Haus dem Verfall. Mit dem Abriss des Gebäudes verliert diese Stadt eine Art subkulturelles Denkmal, das – auch wenn es in den vergangenen zehn Jahren leerstand –  an glanzvollere Zeiten erinnerte und dazu motivierte, Freiräume zu erkämpfen.

Parallelen im Umgang mit dem Denkmalschutz

Mit Blick auf die momentanen Entwicklungen um die Straze ist ein weiteres Detail interessant. Dort wird eindrucksvoll vorgeführt, wie leicht man in Greifswald dem Denkmalschutz begegnen kann und seiner ungeachtet ein traditionsreiches Gebäude verfallen lässt beziehungsweise abreißt.

Unter Denkmalschutz stand auch die Fassade des AJZ am Karl-Marx-Platz. Wie ernst es mit der Bewahrung solcher Güter genommen wird, kann man in diesem Video, das die gestrige Zerstörung dokumentiert, nachvollziehen.

Am 4. Februar wird sich die Räumung des AJZ zum zehnten Mal jähren und es sind schon mehrere Veranstaltungen geplant, um der wilden Zeiten zu gedenken. Unter dem Namen we remember cafe quarks wird Ende Januar die Auftaktparty mit einem Balkan-Dancehall-Gypsy-HipHop-Mashup von Las Balkanieras begangen werden.

Es ist weiterhin geplant, eine Ausstellung über das Café Quarks zusammenzustellen. Hierfür wird noch dringend Material gesucht. Wer also noch Fotos, Videos, Zeitungsartikel, Plakate, Fyler etc. besitzt und die Idee unterstützen möchte, sollte nicht davor zurückscheuen, mich per E-mail zu kontaktieren. Ich bin dankbar für jedes Kleinod. Wer mir ein Stück der alten Quarks-Spiegelkugel bringt, kriegt Kaffee und Kuchen!

Blogger lebewesen hat Bilder des  symbolischen Trauerzuges ins Rathaus (Februar 2000) veröffentlicht. Eine chronologische Übersicht der Entwicklung des AJZ offeriert der Likedeeler in seiner vierten Ausgabe.

Greifswald in der Wende-Zeit

 Am 13.11. wird die Ausstellung Rückblende – Greifswald in der Wende-Zeit im Koeppenhaus eröffnet werden. Anlässlich der Ausstellungseröffnung wird um 20 Uhr ein Podiumsgespräch mit verschiedenen Akteuren von damals beginnen.

 Angekündigt wird die Teilnahme von Bernd Schröder (ehemaliger Jugenddiakon der Evangelischen Kirche), Dr. Michael Gratz (Germanist an der Universität Greifswald), Torsten ‚Mercy‘ Paape (Alternative Jugendszene), Dr. Rosemarie Poldrack (Anti-Atom-Proteste in Greifswald) und Hinrich Kuessner (Greifswalder Politiker).

Wendezeit Greifswald Jugendliche in der Wachsmannstraße

Thema des Podiumsgespräches wird die Zeit kurz vor und nach dem Mauerfall sein: „Wie werden heute, nach 19 Jahren eines vereinigten Deutschlands, die Ereignisse gesehen? Welche Bedeutung hatte die friedliche Revolution, die Öffnung der Welt, für die Greifswalder seinerzeit und welche heute?“

Die Zeit strotze vital vor Turbulenzen und beherberge die Wurzeln alternativer Greifswalder Jugendkultur, ohne die heutige subkulturelle Zusammenhänge in der Stadt nur ungenügend zu verstehen sind. Dieser Wurzelbau verschwindet aus den Gedächnissen, viele neue Wahlgreifswalder sind sich der jugendkulturellen Relevanz dieser Dekade nicht bewusst, bzw. werden diese Erfahrungen kaum bewusst gemacht.Ehemaliges AJZ in Greifswald „Greifswald in der Wende-Zeit“ weiterlesen

Sperrung des Walls

Am 16. Oktober wurde auf dem webMoritz die Sperrung des Walls zwischen Fleischerstraße und Mühlentor angekündigt, die ab der kommenden Woche wirksam sein soll.

Voraussichtlich bis Mai wird man auf den Weg am Fuße des Walls ausweichen müssen. Die geplanten Umgestaltungsarbeiten werden 240.000 Euro kosten und zu 85% aus dem zweiten Konjunkturpaket des Bundes bezahlt.

Um den Wurzeln der Kastanien mehr Raum zu geben, wird der Wallweg in Zukunft zwei Meter schmaler und damit nur noch sechs Meter breit sein. Außerdem sollen beide Hänge asphaltiert werden. Dem Baumbestand sollen 33 Exemplare hinzugefügt werden, eine ungenannte Zahl kranker Kastanien wird gefällt.

WAS IST MIT DER PLAKATWAND LOS?

Wem bei aufmerksamen Spaziergängen aufgefallen ist, dass die Plakatwand auf Höhe der Fleischerstraße verschwunden ist, darf sich in Bestürzung üben. Die beliebte Werbefläche wurde auf Wunsch der dortigen Rechtsanwälte entfernt. In einer internen Mail des Präventionsrates heißt es:

Guten Tag ! Die Rechtsanwälte in der Fleischerstraße drängen auf eine Beseitigung der Plakatierwand. Bitte holen Sie die dringend noch dieses Wochenende ab, da ich sonst nicht verhindern kann, dass die Wand von den Eigentümern entsorgt wird.

Vielen Dank liebe Advokaten!

Da auch der Bretterzaun in der Steinbeckerstraße verschwunden ist, spitzt sich die Situation für alle Veranstalter zu, denn faktisch existieren jetzt nur noch drei offizielle Flächen: in der Baderstraße, in der Rubenowstraße und in der Langen Straße, gegenüber vom Klex.

Abgesehen davon, dass drei Flächen die Menge an Plakaten, die Woche für Woche an die Wände gebracht werden,  nicht aufnehmen kann und der Platzmangel bestimmte Rivalitäten provoziert, können die Veranstaltungshinweise keine Präsenz mehr im Stadtbild erobern, im Gegenteil, sie führen ein klägliches Schattendasein.

Auf zur Fusion!

Am Mittwoch beginnt das mit Abstand schickste Festival in Mecklenburg Vorpommern.  In Lärz bei Mirow bei Neustrelitz hinter Neubrandenburg veranstaltet der Verein Kulturkosmos in Kooperation mit über zweitausend Helfern und Helferinnen ein wahres Feuerwerk an Ideen und Liebe.

fusion festivalDas komplette Line-up wird angenehmerweise erst am Eröffnungstag, also am Mittwoch, bekanntgegeben. Einige Künstler sind aber schon auf der Website des Festivals angekündigt. Und erfreulicherweise sind darunter auch einige, die bereits in Greifswald auftraten. Zu ihnen gehören zum Beispiel Knarf Rellöm Trinity, Jagoda, Fuo, Dr. Ring Ding, Herbst in Peking, Pakava It, Skin Diary und Talking to Turtles.

Da auch ich zur Fusion fahren werde, kann ich in den kommenden Tagen keine Kommentare moderieren. Ich bitte dafür um Verständnis und wünsche eine schöne Woche.

Zur Einstimmung auf das Festival noch  „roc-stars“ von der Band „Knarf Rellöm with the ShiShaShellöm“

Hochkarätig besetzte Professur für Neuere Deutsche Literatur

An dieser Stelle soll aber nicht das Klagelied über den Niedergang der Uni und inbesondere über die Tötung der Geisteswissenschaften gesungen werden, im Gegenteil, es gibt Grund zum Frohlocken!

In den vergangenen Jahren bot die Personalpolitik der Universität Greifswald außerordentlich selten Anlass zu Optimismus. Lehrstühle blieben wie am Kunstinstitut oder bei den Kommunikationswissenschaften über Monate und Jahre unbesetzt, Stellen wurden gekürzt, die Zahl der Kommilitonen wuchs und die räumlichen Bedingungen wurden kaum besser.

Popkultur akademisch aufbereitet

Seit diesem Sommersemester wird der Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur und Literaturtheorie von Prof. Dr. Eckhard Schumacher besetzt, der sich momentan noch in Elternzeit befindet und derweil von PD Dr. Thomas Wegmann vertreten wird. Ab dem kommenden Wintersemester wird Schumacher dann den Lehrbetrieb aufnehmen.

Ein kurzer Blick auf die Titel vergangener Veröffentlichungen untermauert, dass die Universität Greifswalder wirklich einen interessanten Neuzugang zu erwarten hat. An dieser Stelle  nur ein kurzer Auszug, die gesamte Auflistung findet man hier.

  • Existentielles Besserwissen. Dilettantismus und Professionalität im Pop-Diskurs
  • Underground Resistance. Anonymität und Adressierung im Detroit-Techno
  • Unverständlichkeit, Unergründlichkeit, Unentscheidbarkeit – Popgeschichtsschreibung mit Elvis Presley
  • Zeichen über Zeichen: Pop als Resignifikation, Rekombination und Reproduktion
  • Das Stolpern der Banalität. Über Helge Schneider
  • Mix, Cuts & Scratches: Die Autorität der Unterhaltung
  • Nach der Party: Techno – Literatur – Theorie

Popmusik zwischen westfälischer Provinz und Hamburger Schule

Auf Schumacher, der insgesamt sieben Jahre als Konzertveranstalter und DJ aktiv war (1985-1992), stieß ich bei der Lektüre des 2008 erschienenen Sammelbandes Stadt.Land.Pop. – Popmusik zwischen westfälischer Provinz und Hamburger Schule, an dem er als Mitautor beteiligt war. Hier wird eine kultursoziologische und pophistorische Spurensuche nach den Wurzeln der Hamburger Schule unternommen, deren Ursprung ja  bekanntlich in Ostwestfalen liegt.

In eloquenten wie liebevollen Aufsätzen erinnert man sich an die Zeit in Bad Salzuflen zurück und reflektiert das Geschehen um das umtriebige Label Fast Weltweit. Zu den Künstlern der ländlichen Region gehörten zum Beispiel Bernd Begemann (Die Antwort), Jochen Diestelmeyer (Blumfeld), Frank Spilker (Die Sterne), Michael Girke (Jetzt) und Bernadette La Hengst (Die Braut haut ins Auge).

Stadt Land Pop

Der Sammelband präsentiert längst vergessene Kleinode, zum Beispiel Konzertfotos aus den 1980ern von Arthur Dent (die Spilker-Band vor den Sternen) oder auch einen Flyer für eine Party am 25.12.1995 unter dem Titel „alte säcke – plattenauflegen mit bernd begemann, jochen diestelmeyer, michael gierke, eckhard schumacher“  im Bielefelder Etablissement „Sounds“.

Ich will da nicht leben, wo es niemals Leben gab

Wer seine musikalische Sozialisation in irgendeiner Form mit der Hamburger Schule verbindet und Berührungspunkte zu den genannten Künstler aufweist, sollte tunlichst alles daran setzen, dieses Buch zu lesen. Hier folgt eine Textprobe von Till Huber, der sich in seinem Aufsatz  „Ich will da nicht leben, wo es niemals Leben gab“ – der Diskurs-Pop der Sterne als ‚kapitalistischer Realismus‘ ausführlich mit der Poplyrik Frank Spilkers beschäftigt:

„obwohl man auch in der Hamburger Schule ein unbefangenes deutschsprachiges Textverfahren anstrebt, wird das Aufrufen von Klischees zumindest sprachlich vermieden, was einem Bruch mit Textverfahren der Neuen Deutschen Welle gleichkommt, denn in letzteren liefert das Klischee als Stilmittel idealisierte und artifizielle Bilder der Wirklichkeit.

In der Poplyrik der Hamburger Schule arbeitet man stattdessen an einer sich der traditionellen Popästhetik, die um jeden Preis das Auslösen eines ‚Schlagerreflexes‘ vermeiden will. Dies geschieht mit Hilfe einer sich der traditionellen  Popästhetik verweigernden textlichen Sperrigkeit, die sich beispielsweise  in Albumtiteln wie Tocotronics Wir kommen, um uns zu beschweren oder dem des Sterne-Albums Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die Interessanten niederschlägt. Solcherlei Titel orientieren sich an gesprochener Sprache und bilden einen scheinbar unästhetisierten Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit.“ (Till Huber, 2008).

Produkte in den Regalen, perfekter Service, korrekte Preise

Als wären die hervorragenden Texte nicht schon Kaufgrund genug, gibt es als Dreingabe auch noch eine DVD mit Interviews (Bernadette La Hengst, Frank Spilker, Erdmöbel, Frank Werner & Michael Girke). Gemeinsam mit Frank Spilker erkundet man den alten Proberaum der Sterne und besucht Plätze, die sich offenbar tief ins kollektive popkulturelle Gedächnis eingebrannt haben. Die DVD zu Stadt.Land.Pop. ist übrigens Ergebnis eines Gestaltungsprojektes im Rahmen des Seminars Popliteratur – eine dokumentarische Spurensuche in OWL an der Universität Paderborn, Sommersemster 2008. So kann der output universitärer Seminare auch aussehen!