Nazi-Angriff im Kreistag: „Wenn du nicht zur Seite gehst, fliegst du!“

Das erste Mal seit 1945 nahmen Nazis in einem parlamentarischen Gremium in Greifswald Platz — ein historischer Moment für die Hansestadt, der nachdenklich stimmen sollte. Aber andererseits auch eine Situation, die in Mecklenburg-Vorpommern inzwischen Teil einer neuen Realität geworden ist.

UNMILITANTES SPEKTRUM MENSCHENACHTENDER IDEOLOGEN 

Eben genau dagegen wehrten sich gestern knapp 100 Bürgerinnen, die sich rechtzeitig vor Beginn der Kreistagssitzung in Position brachten, um die Besucherplätze zu okkupieren und den Anhängern der rechtsextremen NPD möglichst wenig freie Sitzgelegenheiten zu lassen.

Diese Bürgerinnen sind dem unmilitanten Spektrum der Greifswalder Zivilgesellschaft zuzuordnen, sie sind mit Luftballons und einem Großtransparent (Nazis abwählen) bewaffnet, ihre Ideologie ist menschenachtend und zielt auf größmögliche Partizipation ab. Viele von ihnen haben Kinder. Einige haben ihren Nachwuchs sogar mitgebracht — können die Bälger mal was Vernünftiges lernen!

npd kreiostag abwählen

Und diese kleine Lehrstunde beginnt auch schneller als gedacht. Nachdem die Bürgerinnen gegen 15.50 Uhr mit ihrem Banner vor der Stadthalle standen, verteilten sie sich im Gebäude und vor allem auf der Besucherempore. Dort oben lag das Banner dann zusammengerollt in der Ecke, bewacht und beschwert von zwei NPD-Anhängern, die ein weiteres Ausrollen verhindern wollten. Die nichtrechten Gäste führten außerdem Luftballons mit der klaren Botschaft Greifswald nazifrei mit sich, die sie auf Geheiß des Kreistagspräsidenten Michael Sack (CDU) aus ihren Händen legten und fallen ließen.

NPD-MITGLIEDER IM WAHN: „WENN DU NICHT ZUR SEITE GEHST, FLIEGST DU!“

Als der NPD-Abgeordnete Michael Andrejewski das Wort hatte und zu reden begann, setzte eine Störgeräuschkulisse aus Rasseln, Pfeifen und Buh-Rufen ein. Dieses Schauspiel wiederholte sich dreimal, ehe Kreistagspräsident Sack anwies, die Öffentlichkeit von der Sitzung auszuschließen. Daraufhin wurde der Versuch unternommen, das Banner im Saal zu entrollen, was mehrere Neonazis tätlich zu verhindern suchten, in dem sie ihre politischen Gegner auf der Empore angriffen. Augenzeugen berichteten unabhängig voneinander, dass sie aufgrund der geringen Höhe der Brüstung befürchteten, dass die NPD-Anhänger andere Menschen von der Empore stürzen würden.

An den Rangeleien sollen nach Informationen des linken Blogs KOMBINAT FORTSCHRITT auch die NPD-Kreistagsabgeordneten Hannes Welchar,  Christian Hilse und Dirk Bahlmann sowie der nicht zugelassene Landtagskandidat Michael Gielnik (NPD) beteiligt gewesen sein. Außerdem war der Neonazi-Kader Frank Klawitter mit von der Partie.

Klawitter wurde vor einigen Jahren aus der Ortsgruppe des Technischen Hilfswerks ausgeschlossen. Er war aktiv bei der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) und fiel gestern schon vor dem Handgemenge unangenehm auf, als er mit Sitzungsgästen, die sich an die Brüstung der Empore lehnten, auf Tuchfühlung ging, so dass die sich ernsthaft bedroht fühlten.

Der Saal wurde nach dem Ausschluss der Öffentlichkeit geräumt, wobei nach NDR-Angaben 15 NPD-Anhänger und 70 Demonstrierende des Hauses verwiesen wurden. Die Sitzung wurde schließlich abgebrochen und vertagt.

NATIONALE HALLUZINATIONEN UND REALITÄTSVERLUST IM RECHTSEXTREMEN LAGER

Danach brach ein Lauffeuer los, Kollege DABURNA berichtete als erster über die Vorfälle und trat eine kleine Twitter-Lawine los, ehe die etablierten Medien zu einer Berichterstattung kamen. Nur zwei Stunden später wurde dann auch die erste Einschätzung auf dem rechtsextremen Internetportal MUPINFO veröffentlicht.

Dort orakelte der bei der Kreistagssitzung nicht anwesende und anschließend wohl schlecht gebriefte Autor Markus H. Gewe über Feuerwerkskörper, die von den Demonstrierenden in die Kreistagssitzung geworfen sein sollen, ehe die Räuberpistolen dann unter anonymer Autorenschaft entsichert wurden.

Diesen absurden Darstellungen zufolge hätten die sogenannten „Linksextremen“ begonnen, Zuschauer zu attackieren und Polizeibeamte der MAEX zusammenzuschlagen. Man gewinnt beinahe den Eindruck, dass dort ein Haufen wildgewordener Militanter auf Besucherinnen, Polizei, Abgeordente und Neonazis logegangen sei. Demnach sei Greifswald die „Hochburg des linksextremen Terrors in der Region“, in der es ständig zu „Brandanschlägen auf Fahrzeuge nationaler Bürger“ komme.

In krassem Widerspruch stehen dazu die Schilderungen vieler Beteiligter, die sich — teilweise auf Nachfrage — zu den Vorkommnissen im Kreistag äußerten. Diesen zufolge seien die Auseinandersetzung von den Neonazis, allen voran Michael Gielnik, bewusst provoziert worden und die Neonazis hätten sich schon vor Abbruch der Sitzung auf die Empore bewegt. Dort hätten sie auch Frauen angegriffen. Von allen befragten Augenzeugen sprach niemand über Gewalt, die von den linken Demonstrierenden ausging.

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DARF MAN DAS DENN ÜBERHAUPT?

Darf man die Arbeit des Kreistags auf diese Art stören? Darf man demokratisch gewählte Abgeordnete daran hindern, ihre Plätze im Sitzungssaal zu erreichen, wie die Ostsee-Zeitung Greifswald heute die Intention der Störung missinterpretierte? Darf man verhindern, dass Nazis im Parlament sprechen? Nein, das darf und kann man gewiss nicht, zumindest nicht in parlamentarischen Räumlichkeiten.

Doch bei der Aktion ging es nicht nur um die gewählten Abgeordneten der NPD, sondern vorwiegend um deren Anhänger. Denn es war abzusehen, dass die rechten Demagogen — anders kann man Leute wie NPDler Michael Andrejewski, der schon 1992 bei den Pogromen von Rostock seine Rolle als Aufpeitscher spielte, kaum bezeichnen — mit entsprechendem Anhang anrücken würden. Und genau diesen Gästen war die Mobilisierung gewidmet: „Besetzt ab 15:30 Uhr in großer Zahl die Besucher-Stühle, damit der Troß der Nazi-Anhänger keinen Platz findet!

Im Lichte der jüngsten Enthüllungen und Recherchen zu rechter Gewalt in Deutschland ist es legitim, auf die Problematik einer verbietenswerten Partei, die 66 Jahre nach Ende des Nazi-Regimes erstmals wieder in einer parlamentarischen Vertretung dieser Stadt Platz nehmen will, aufmerksam zu machen. Die Angriffe seitens der NPD-Anhänger und NPD-Mitglieder auf friedliche Demonstrierende zeigt ein weiteres Mal eindrücklich, was hier in der Region von Neonazis zu erwarten ist.

Landrätin Syrbe irrt, wenn sie behauptet, dass im „Kreistag Rechtsextremisten von der Polizei geschützt werden müssten“. Die entscheidene Frage müsste vielmehr lauten, wie es sein kann, dass trotz der Anwesenheit mehrerer Zivilpolizisten die Nazis die Empore erklimmen konnten, um dort friedliche Menschen anzugreifen. In diesem Sinn wirft es alles andere als ein gutes Licht auf den Kreistag, wenn die anwesende Polizei nicht mal im Besucherbereich des Kommunalparlaments friedliche Bürgerinnen vor rechtsextremistischen Übergriffen schützen kann.

(Fotos: Gruene HGW-Vorpommern)

Pressespiegel zum Thema:

  • Nazis greifen Publikum im Kreistag Vorpommern-Greifswald an (daburna, 05.12.11)
  • Greifswald: Neonazis verlieren im Angesicht von Protesten die Nerven (Kombinat Fortschritt, 05.12.11)
  • Tumulte bei Kreistagssitzung in Greifswald (NDR, 05.12.11)
  • Rangeleien und Proteste: Kreistag bricht Sitzung ab (Nordkurier, 05.12.11)
  • Kreistagssitzung abgebrochen – NPD-Symphatisanten attackieren Publikum (Piraten-HGW, 05.12.11)
  • Tumulte bei Kreistagssitzung (Indymedia, 05.12.11)
  • Kreistag Vorpommern-Greifswald bricht Sitzung nach Tumulten ab (Ostsee-Zeitung, 05.12.11)
  • Greifswald: NPD-Anhänger greifen während der Sitzung Publikum im Kreistag von Vorpommern-Greifswald an! (parallaxe, 05.12.11)
  • Pressemitteilung: Greifswald setzt Zeichen gegen Rechts – GRÜNE begrüßen Proteste gegen die NPD im Kreistag (Gruene, 05.12.11)
  • Das gute Licht und Barbara Syrbe (wildwuchs, 06.12.11)
  • Kreistagssitzung abgebrochen (Greifswald TV, 06.12.11)
  • Zwiespältige Reaktionen auf Abbruch der Kreistagssitzung vom Montag (webMoritz, 06.12.11)
  • Protest gegen NPD löst Tumult im Kreistag aus (Spiegel Online, 06.12.11)
  • Kommentar: Dem Landkreis einen Bärendienst erwiesen (Nordkurier, 06.12.11)
  • Kreistagsmitglied Dirk Bahlmann (NPD) im Kreistags- ”Tumult” (daburna, 07.12.11)
  • Neue Bilder von der Greifswalder Kreistagssitzung (parallaxe, 07.12.11)

Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #17

Vertraute Wege aber weit / Ich brauche die Beharrlichkeit / Ich brauch das Übertreiben / Ich kann es nur nicht leiden / Es ist genug jetzt / Ich glaube nicht, dass ich es muß / Ich geh dann erst mal duschen / Vielleicht springe ich in den Fluß / Ich steh auf wenn ich kann / Ich leg mich hin wenn ich muß / Ich finde keine Ruhe / Ich variiere meinen Rythmus

Französischer Raverock mit dem Asian Dub Foundisten Undergang, Sisa-Songwriter Guido Goh, die erste Party in der neueröffneten Husch Ecke und schließlich der Politpunk-HC-Pflichttermin mit Feine Sahne Fischfilet und einer kulturkosmischen Elektro-Aftershow im IKUWO — am Wochenende geht einiges. Wem das nicht genug ist, der soll sich nach den stattfindenen Privatparties umhören.

ONE-MAN-RAVE-ROCK AUS FRANKREICH: UNDERGANG

Mit Undergang aus Toulouse wird heute der zweite französische Alleinunterhalter nach King Automatic die Bühne im IKUWO erklimmen und einen energetischen Mix aus Breakbeats, Jungle, Punk und Revolte präsentieren. Sonst an der Seite der Asian Dub Foundation, reist der steigende Stern der neuen französischen Elektronik-Szene mit einem „Kometengeschwader an Instrumenten“ an.

Fakten: 02.12. | 22 Uhr | IKUWO | 5 EUR

NEUER LADEN: VIVA CON AGUA IN DER HUSCH ECKE

Es gibt seit kurzem eine neue Kneipe in der Fleischervorstadt. Die Husch Ecke eröffnete in dem Gastraum, wo viele einst den Bierkonsum vermieden, als das Lokal noch auf die Namen High Voltage und Pit hörte. Jetzt wurde das Brauereilokal wiedereröffnet und heute Abend steht auch die erste größere Veranstaltung ins Haus, denn das Greifswalder Supporter-Chapter von Viva Con Agua hat die Acapella-Gang Nur wir eingeladen.

huschecke greifswald (Foto: 17vier)

Nach dem Konzert wird es im normalen Barbetrieb weitergehen, die Erlöse der Einlassspende gehen an Trinkwasserprojekte der Welthungerhilfe.

Fakten: 02.12. | 21 Uhr | Husch Ecke (Wiesenstr./Lange Reihe) | Soli-Spende

KOEPPEN: SISAIST GUIDO GOH 

Der selbstgenerierten Tradition verpflichtet, präsentiert das Café Koeppen Konzert Team (CKKT) auch an diesem Wochenende einen Singer/Songwriter und zwar Guido Goh, der sein indisches Saiteninstrument Sisa umschmachtet und sich ansonsten nur ab und an seinem Piano widmet. Sechs Oktaven soll der Stimmumfang des Sängers hergeben, man darf gespannt sein. Go, Guido, go!

Fakten: 03.12. | 21 Uhr | Koeppen | 5 / 8 EUR

MARITIM UND VON HIER OBEN: FEINE SAHNE FISCHFILET

feine sahne fischfiletDie klingen wie Fertigessen und bewegen sich auch so! Nach drei Jahren Greifswald-Abstinenz geben sich die Trompeten-Punker von Feine Sahne Fischfilet wieder die Ehre in der Hansestadt.

Die Band hausiert wie gewohnt mit ihrem politischem Anspruch und veranstaltet im IKUWO kein klassisches Konzert, sondern eine inhaltlich aufgeladene, facettenreiche Zerstreuungsofferte. Mit dabei sind die Kollegen der Düsseldorfer Hardcoreband My Terror, die sich auf Abschlusstour befinden sollen und hierfür sogar einen eigenen Trailer produzierten.

Vor den Konzerten wird über die Greifswalder Antifa-Demo am 10.12. informiert, danach sorgen Flexxi (Kulturkosmos) und Elbguerilla (HH) für technoides Umhergestapfe in behüteter Dunkelheit

Fakten: 03.12 | 19 Uhr | 6 EUR

Festgehalten: Die Höhepunkte des PolenmARkTs 2011

Nach mehr als 30 Veranstaltungen binnen 12 Tagen hat es sich Montagnacht im St. Spiritus für den PolenmARkT ausgetobt — das war’s jetzt erstmal für ein Jahr! Wer die schönsten Momente des polnischen Festivals nochmal Revue passieren lassen möchte, kriegt womöglich in der folgenden Bildergalerie Hilfestellung.

Es wurde allerdings nicht nur fotografiert, sondern auch gefilmt, unter anderem die Veranstaltungen mit Leszek Możdżer, dem Bester Quartet oder dem Live-Hörspiel von Felix Kubin & The Complainer. Einige dieser Videos sind im Youtube-Kanal von Zajacmuseomaniak zu finden, so auch Aufnahmen vom Fürsten am Piano, Leszek Możdżer, der schon als Fünfjähriger mit dem Klavierspiel begann und später zur polnischen Jazz-Sensation aufstieg. Die gleich folgende Bach-Interpretation ist erwartungsgemäß wenig jazzig, dafür aber um so rasanter! „Festgehalten: Die Höhepunkte des PolenmARkTs 2011“ weiterlesen

Ermittlungsverfahren gegen NPD-Blockierer eingestellt, Proteste weiterhin kriminialisiert

Am 1. Mai 2011 unternahm die NPD nach zehnjähriger Pause das erste Mal wieder den Versuch, in Greifswald eine Demonstration zu organisieren. Dieses Unterfangen wurde damals von mehreren Seiten gestört. 

Der Knall blieb aus — doch keine Versammlung gesprengt

Schnell gründeten sich zwei Bündnisse, die sich gegen den geplanten Aufmarsch engagierten. Eine der beiden Gruppen initiierte ein Demokratiefest, während die andere zu Blockaden aufrief, um zu verhindern, dass Neonazis durch Schönwalde marschieren können. Außerdem wurde seitens der Stadtverwaltung erfolglos versucht, die NPD-Veranstaltung zu verbieten.

An den Blockaden beteiligten sich weit über 1000 Demonstrierende, die die Route der NPD in erheblichem Maß verkürzten. Die erste humanoide menschliche Straßensperre manifestierte sich in der Hertz-Straße in unmittelbarer Nähe eines Flüchtlingsheims. Bei der teilweise sehr unsanften Räumung dieser Blockade wurden etliche Leute von den eingesetzten Polizeibeamten weggetragen. Ihnen wurden Platzverweise ausgesprochen und ihre Personalien wurden festgestellt. Gegen viele wurden Ermittlungsverfahren wegen des rechtspoetischen Vorwurfs der Versammlungssprengung eingeleitet.

blockade npd greifswald

(Foto: Endstation Rechts)

Vor kurzem wurden zahlreiche Betroffene darüber informiert, dass die gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahren eingestellt würden. Beobachterinnen haben mit dieser Entscheidung gerechnet, nicht zuletzt, weil die erfolgreichen und gewaltfreien Blockaden auch dazu taugten, Greifswald eine bunte Zivilgesellschaft zu attestieren.

Auch Oberbürgermeiser Arthur König (CDU) äußerte sich am 2. Mai zu den Protesten und zeigte sich beeindruckt, wie „selbstverständlich die Menschen aktiv geworden sind, wie vielfältig und kreativ sie auf die Provokation des NPD-Aufmarsches reagiert haben. Die Art des Agierens ist unterschiedlich, aber alle sind vereint in der Aussage: Greifswald ist bunt – hier herrscht kein Platz für braunes Gedankengut. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, wie breit die demokratische Gesellschaft in Greifswald aufgestellt ist.“

Vom Regen in die Traufe: Jetzt ermittelt das Ordnungsamt

Indes weist die Rote Hilfe Greifswald darauf hin, dass diese Angelegenheit für die weggetragenen und erfassten Blockiererinnen mit der Einstellung der Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, denn die wird nun an das zuständige Ordnungsamt übertragen. Das versuche laut einer Pressemitteilung der linken Rechtshilfeorganisation, die Blockierer mit Verfahren zu überziehen und den Betroffenen Anhörungsbögen zu überstellen, in denen ihnen mitgeteilt wird, dass ein Ordungswidrigkeitsverfahren wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (§29 Abs. 1, Nr. 2 VersG) gegen sie eingeleitet würde.

verfahren eingestellt

Beim Ordnungsamt bestätigte man auf Nachfrage, dass diese Praxis üblich sei, wies jedoch darauf hin, dass die Zuständigkeit hierfür seit der Kreisgebietsreform nicht mehr in Greifswald läge. Die Ortsgruppe der Roten Hilfe fordert „die Proteste gegen die Gefahren der Neonazis nicht weiter zu kriminalisieren und alle Verfahren einzustellen“.

Nach den Blockaden sollen mehr als 100 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein. Wer jetzt noch Post vom Ordnungsamt kriegt, sollte Kontakt zur Greifswalder Ortsgruppe der Roten Hilfe aufnehmen und sich dort beraten lassen.

Eine Nachbetrachtung der NPD-Demonstration und Proteste dagegen sind hier zu finden.

Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #16

Wir tun das Gegenteil von dem, was du dir rätst / wenn du dein eigener Arzt bist / Wenn wir nicht so verzweifelt hier sein wollen / können wir ja rausgehen, oder ins Extrem / Wenn wir dabei nicht so verzweifelt aussehen wollen bleiben wir hier / um zunächst die Wohnung zu zerstören und dann neu zu beziehen / Ich weiß es gibt Krieg mit der Normalität / Und es wird spät.

kurze wege kubinDas anstehende Wochenende wird facettenreich und mit Durchhaltevermögen vom PolenmARkT bespielt, der zweifelsfrei die kulturellen Höhepunkte bietet. Neben den Theaterkonzerten des Bester Quartets und vom Pianisten Leszek Możdżer, machen an zwei Abenden die Russendisko und das DJ-Team Soul Service in Greifswald Station, während im Dom der historische Science-Ficition Film Metropolis gezeigt wird.

ZORNIG: DAS BESTER QUARTET

Gegründet unter dem  Namen The Cracow Klezmer Band, erspielte sich das Quartet um den Akkordeonspieler Jaroslaw Bester seinen Platz in der internationalen Szene moderne jüdischer Musik. Wer sich noch mit gutem Gefühl an die grandiosen Kroke erinnert, die beim PolenmARkT vor zwei Jahren das Greifswalder Theater in ihren Bann zogen, ist beim Bester Quartet bestens aufgehoben. Hier trifft moderne Kammermusik auf improvisationsfreudigen Jazz.

Der New Yorker Jazzmusiker und Labelchef John Zorn hat die Band für sich entdeckt und bislang alle sechs Veröffentlichungen des Bester Quartets auf seinem Radical Jewish Music Label Tzadik herausgebracht.

Fakten:  25.11. | 19.30 Uhr | Theater Vorpommern | 14 / 8 EUR (erm.)

SHTETLICH: RUSSENDISKO IM ORIGINAL

Kurz nachdem das Bester Quartet auch die letzte Zugabe gespielt hat, beginnt im IKUWO die prominent besetzte Aftershowsause. Als DJ konnte hierfür niemand geringeres als Yuriy Gurzhy gewonnen werden.

Der gehört nicht nur zur Emigrantski-Raggamuffin-Band Rotfront, sondern ist vor allem durch die Russendisko berühmt geworden, die er als bis heute existierende Veranstaltungsreihe mit dem Autoren der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung, Wladimir Kaminer, realisiert. Gurzhy stellte gemeinsam mit dem Engländer Lemez Lovas die Kompilation Shtetl Superstars zusammen und präsentierte auf ihr „funky Jewish Sounds“ aus der ganzen Welt. Russendisko, das heißt durchdrehen bis zum Schluss und Yuriy Gurzhy wird das Hanse-Shtetl garantiert auf den Kopf stellen!

Fakten: 25.11. | 22 Uhr | IKUWO | 6 / 3 EUR (mit Bester-Quartett-Ticket)

RETROFUTURISTISCH: METROPOLIS IM DOM

Am Sonnabend wird Fritz Langs Meisterwerk Metropolis (D, 1927, rest. 2010, 145 Min.) gezeigt. Der erste berühmte Science-Fiction-Film wurde 1927 der Öffentlichkeit vorgestellt, konnte dann aber über achtzig Jahre nur in gekürzter Fassung gezeigt werden. Erst vor wenigen Jahren wurde in Buenos Aires eine Kopie des Originals gefunden, mit deren Hilfe das Werk restauriert werden konnte.

Der Film führt in die zweigeteilte Zukunftsstadt Metropolis: „In der lichtlosen Unterstadt schuften Sklaven rund um die Uhr bei Wasser und Brot, die Luxusmenschen der Oberstadt dagegen vertreiben sich die Zeit mit Spiel und Sport aufs Angenehmste. Zwischen Ober- und Unterstadt dröhnen ohne Pause riesige Maschinen,  deren Erfinder Rotwang ein übles Komplott ausheckt: Er schafft eine künstliche Frau, welche die Massen gegen die Bewohner der Oberstadt aufhetzen soll, um einen Vorwand für noch größere Unterdrückung zu liefern. Nur zwei Menschen durchschauen den Plan: Die schöne Maria, „Heilige der  Unterdrückten“, und Freder, Sohn des Herrschers von Metropolis, der sich unsterblich  in Maria verliebt hat.“

Wie zur Entstehungszeit üblich, wird die Filmvorführung live an an der Domorgel begleitet. Es spielt der Stettiner Organist Filip Presseisen. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Filmclub Casablanca e.V. statt. Hier ein Trailer:

Fakten: 26.11. | 19 Uhr | Dom | 5 / 3 EUR

FUNKY: DJ-TEAM SOUL SERVICE

soul service djsDurch die Sonnabendnacht wird im IKUWO das Soul Service-DJ-Team aus Warschau und Lublin führen. Dieses Quartet der Schallplattenunterhaltung besteht aus Burn Reynolds, Cpt. Sparky, DJ Misty und Papa Zura, die als „retrovertierte Soundforscher und akribische Archivgänger in Sachen polski Fusion-Funk“ angekündigt werden.

„Als Kenner mit Sendungsbewusstsein brachten sie diesen hoch geschätzten polnischen Jazz-Sound der Siebziger geballt und zudem stilvoll verpackt zurück in die Pop-Warenzirkulation. Als versiertes und leidenschaftliches DJ-Team aber pumpen sie ihn vor allem dahin, wo er eigentlich hingehört: auf die Tanzfläche, in die Beine und Bäuche der Party-Crowd!“

Fakten: 26.11. | 22 Uhr | IKUWO | 5 EUR

FÜRSTLICH: LESZEK  MOZDZER 

leszekMit einem Klavierkonzert der Superlative wird das inoffizielle Ende des PolenmARkTs eingeläutet. Der mit Preisen überhäufte, polnische Starpianist Leszek Możdżer wird am Sonntag im Theater gastieren und dort als Solokünstler auftreten. Możdżer begann schon als Fünfjähriger mit dem Klavierspiel, absolvierte eine klassische Ausbildung, bis er auf Jazz aufmerksam wurde und zur Szene-Sensation aufstieg.

Leszek Możdżer hat an über 100 Alben mitgewirkt, Musik für Theater und Film geschrieben und spielte unter anderem mit Arthur Blythe, Buster Williams, Billy Harper, Pat Metheny oder Archie Shepp auf internationalen Bühnen.

(Foto: © Przemek Krzakiewicz)

Einstimmend sei hier keine Eigenkomposition vorgestellt, sondern die Jazzinterpretation von Nirvanas Smells Like Teen Spirit im Bandverbund.

Fakten: 27.11. | 19.30 Uhr | 16 / 10 EUR (erm.)

Schon vergessen? Gedenkveranstaltung für getöteten Obdachlosen

Gegenwärtig ist rechter Terror das beherrschende Thema schlechthin. Der Tagesspiegel recherchierte in Deutschland 138 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990, die in Berlin sitzende Amadeu-Antonio-Stiftung zählte sogar 182 und damit fast das Vierfache dessen, was die Bundesregierung offiziell beziffert, die im Zeitraum 1990 bis 2009 lediglich 47 Tote zählte. „Schon vergessen? Gedenkveranstaltung für getöteten Obdachlosen“ weiterlesen