Anlass dieses Gastbeitrages ist die Bürgerschaftssitzung vom vergangenen Montag, die vor allem durch eine weitere Episode des CDU-geführten Kleinkrieges gegen den gewählten Oberbürgermeister Schlagzeilen machte. Der Grund dieses Mal: Ein Missverständnis über die Höhe der von der CDU erwirkten Kürzungen im Personalbereich, die in ihrer vollen Höhe zu Lasten des Bürgerservices gehen würden. Weitgehend unbeachtet von der Berichterstattung versuchte die CDU, eine Blockade des städtischen Haushaltes mit gravierenden Folgen für die dringend benötigten neuen Schulen und für Vereine der Jugend- und Schulsozialarbeit durchzusetzen.
Bisher war diese Art von Politik nur aus den Obstruktionsmaßnahmen von Tea Party Republikanern gegen Präsident Obama im sogenannten „Gouvernment Shutdown“ bekannt. Eine ganze Stadt in Geiselhaft der CDU? Am Ende scheiterte der Versuch, langfristig eine vorläufige Haushaltsführung zu erzwingen. Also alles nur ein Sturm im Wasserglas?
In der vergangenen Woche sorgten die drei Kreistagsmitglieder der AfD, Andreas Bünning, Matthias Manthei und Gunter Jess, für Empörung unter den übrigen demokratischen Parlamentariern. Sie stimmten auf der Kreistagssitzung in Pasewalk nicht nur für mehrere NPD-Anträge, sondern verteidigten sogar mit einer eigenen Rede eine NPD-Beschlussvorlage, mit der die Wolgaster Kirchengemeinde St.Petri zur Unterlassung des Kirchenasyls aufgefordert werden sollte. Das hat es in der kurzen Geschichte des jungen Kreistags noch nicht gegeben!
PIRATEN: DIE AFD BAUT DARAUF, DASS VIELE BÜRGER DEN SCHWERINER WEG NICHT VERSTEHEN
Bislang orientierte man sich im Kreistag an dem sogenannten Schweriner Modell, auf das sich 2011 die Landtagsfraktionen der demokratischen Parteien Mecklenburg-Vorpommerns verständigten und bei dem es darum geht, keinerlei Initiativen der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern zu unterstützen. Um populistischen Scheindebatten vorzubeugen, wird seitdem jeder NPD-Antrag mit jeweils einem Redebeitrag aus den Reihen der demokratischen Parteien beantwortet, ehe er beim Votum ohne Zustimmung scheitert.
Die AfD, die sich gebetsmühlenartig als „Partei des gesunden Menschenverstands“ präsentiert, hat den Schweriner Weg nun verlassen beziehungsweise nie betreten. Gunter Jess erklärt auf der Internetseite des AfD-Kreisverbands, dass er das Modell für verfassungsrechtlich bedenklich hält: „Eine Abmachung, die eine Stigmatisierung einer demokratisch legitimierten Partei, unabhängig von inhaltlicher Auseinandersetzung, vorsieht, ist im Kern selbst zutiefst undemokratisch. Hiermit wird deutlich, wem die Maske vom gesicht [sic!] gerissen werden muß [sic!]. Die AfD´ler stehen nicht für ideologische Grabenkämpfe im Kreistag, sondern für inhaltliche Auseinandersetzung und Sachpolitik nach bestem Wissen und Gewissen.“
Neben den Wahlen für das Europaparlament und die Greifswalder Bürgerschaft wurde am Sonntag auch über die Zusammensetzung des Kreistags Vorpommern-Greifswald abgestimmt. Dabei konnte die CDU einen deutlichen Stimmenzuwachs (+6,3%) verzeichnen, während SPD und NPD im Vergleich zur Kreistagswahl 2011 fast ein Drittel ihrer Stimmen einbüßten. Die LINKE wird zweitstärkste Partei im Kreis.
HAU DEN LUKAS! CDU SIEGT — SOGAR EX-BOXWELTMEISTER SEBASTIAN SYLVESTER SCHAFFT ES IN DEN KREISTAG
Das beste Ergebnis konnte Arthur König (CDU) für sich verbuchen. Mit 8045 Stimmen besorgte der Greifswalder Oberbürgermeister fast ein Fünftel aller CDU-Stimmen im Alleingang. Der Wahlerfolg (34,6%) beschert den Christdemokraten fünf zusätzliche Sitze, so dass sie fortan 24 der 69 Kreistagsmitglieder stellen werden. Weitere Greifswalder Christdemokraten, die in der kommenden Legislatur im Kreistag sitzen werden, sind Jörg Hochheim, Axel Hochschild, Egbert Liskow sowie der frühere Boxweltmeister und Politneuling Sebastian Sylvester, der mit seiner kurzweiligen Rede auf dem CDU-Kreisparteitag im März zu amüsieren wusste.
Die LINKE ist zwar zweitstärkste Kraft (17,7%) im Kreis, verliert aber einen Sitz und wird jetzt nur noch 12 Mitglieder stellen, darunter MdL Mignon Schwenke und Birgit Socher aus Greifswald. Die SPD verlor im Vergleich zur letzten Wahl 6,3 Prozentpunkte (13,4%) und büßt ganze fünf Sitze ein. Das einzige Greifswalder Mandat der Sozialdemokraten konnte der Student Erik von Malottki erringen.
Eine Nähe zur Hansestadt bringen aber auch der Neuenkirchener Rentner Lothar Brandt und MdL Patrick Dahlemann aus Torgelow mit. Das viertstärkste Ergebnis erzielte die Wählergemeinschaft Kompetenz für Vorpommern (9,8%), die sich mit einem leichten Stimmenzuwachs von 0,3 Prozentpunkten im Kreis etablierte. Der einzige Greifswalder der Liste, der es in den Kreistag schaffte, ist Frank Hardtke.
Die Grünen verloren mehr als ein Drittel ihrer Stimmen (-2,1 Prozentpunkte) und erreichten nur vier Prozent. Dadurch verlieren sie einen Sitz. Ihren Fraktionsstatus haben die Grünen bereits in der vergangenen Legislaturperiode durch den Fraktionsaustritt von Waldemar Okon aufgegeben. Insofern ändert sich gar nicht so viel. Auch die Alternative Liste (AL) konnte ein Mandat erringen (0,9%). Für die AL wird der ehemalige Grüne Gregor Kochhan in den Kreistag gehen, für die Grünen sind Cornelia Kampe aus Greifswald sowie der an der Universität arbeitende Waldemar Okon dabei.
Die FDP (2,2%) verlor zwar Stimmen, behält aber ihre beiden Sitze. David Wulff bleibt der einzige Greifswalder Liberale im Kreistag. Die Piratenpartei erreichte 1,3% und eroberte den Sitz, den sie durch den Streit mit ihrem seit 2012 ausgeschlossenen Mitglied Matthias Bahner in der vergangenen Legislaturperoide verloren hat, zurück. Ihn wird der Greifswalder Martin Banduch besetzen. Die Bürgerliste konnte sich um 0,8 Prozentpunkte auf 1,9% verbessern; für sie zieht der Greifswalder Schulleiter Ulf Burmeister in den Kreistag.
NPD VERLIERT EIN DRITTEL IHRER STIMMEN, AFD GELINGT FLÄCHENDECKENDER EINZUG
Der Alternative für Deutschland gelang in Mecklenburg-Vorpommern der flächendeckende Einmarsch in die Kreistage. Im Landkreis Vorpommern-Greifswald reichte das erzielte Ergebnis (4,9%) für immerhin drei Sitze. Zwei der Mandatsträger kommen aus der Region: der Greifswalder Gunter Jess und der Richter Matthias Manthei aus Wackerow.
Den Erfolg der AfD bekam auch die NPD zu spüren, die landesweit zehn ihrer 27 Kreistagsmandate verloren hat. Im Landkreis Vorpommern-Greifswald verschlechterte sich das Ergebnis der Rechtsextremisten um 2,4 Prozentpunkte auf eine nach wie vor alarmierende Zustimmung von 6,6%. Innerhalb der Fraktion — nunmehr die letzte NPD-Kreisfraktion in Mecklenburg-Vorpommern — wird sich indes wenig ändern: Christian Hilse wurde nicht wiedergewählt und scheidet aus, die übrigen Kader machen weiter.
Dazu gehören MdL Michael Andrejewski, MdL Tino Müller sowie Enrico Hamisch, Dirk Bahlmann und Kristian Belz. Obwohl die NPD fast ein Drittel ihrer Wähler verloren hat, kann angesichts der Tatsache, dass sie zusammen mit der AfD auf 11,5% kommt, leider nicht von einer Schwächung des Lagers rechts der CDU gesprochen werden.
Wahl des Kreistages im Landkreis Vorpommern-Greifswald (Landeswahlleiterin, 26.05.14)
Was der Klitschko kann, das sollte auch Ex-Boxweltmeister Sebastian Sylvester gelingen — raus aus dem Ring und rein in die Politik. Und während der eine am vergangenen Wochenende in Kiew um die Zukunft der Ukraine rang und sich als politischer Zukunftsträger in Stellung brachte, stellte sich der andere auf dem CDU-Kreisparteitag in Ducherow vor und begeisterte die Parteibasis mit einem Blitz-K.o., wie man es von dem früheren Faustkämpfer kaum anders erwartet hätte.
Am Rednerpult reichten Sebastian Sylvester, der den Kampfnamen „Hurrikan“ trägt, exakt 24 Sekunden aus, um später 86 Prozent der versammelten Christkonservativen von seiner Eignung als Kandidat für die bevorstehende Kreistagswahl zu überzeugen.
„JENSEITS DES SPORTS HABE ICH NOCH NICHT SOVIEL AHNUNG“
Das ist besonders deswegen eine respektable Leistung, weil der Sportler bis dato kein Parteibuch hat und anzunehmen ist, dass viele der gut 100 Anwesenden ganz genau hinhören würden, wenn sich ein Parteiloser für einen Platz auf ihren Listen bewirbt. Doch Sylvester fand offenbar die richtigen Worte, um den Großteil der Basis auf seine Seite zu ziehen:
Ich bin halt Sebastian Sylvester, bin 33 Jahre jung. Was soll ich sagen? Ich bin zum ersten Mal hier. Ich lerne noch. Und ja, ich wurde jetzt praktisch ins kalte Wasser geschmissen hier; soll das Beste daraus machen. Ich werde immer das Beste daraus machen. Ich kämpfe und werde auch weiterhin kämpfen. Und ja, schauen wir mal, wie es weitergeht. Mehr kann ich jetzt nicht sagen.
Na, auch überzeugt? Für diese Rede erntete der frühere Boxstar die Zustimmung von nicht weniger als 92 der 107 Anwesenden — ein glänzender Start für den kommunalpolitischen Neuling und zugleich ein schlechtes Zeugnis für die Christdemokraten, denn selten gerät das Verhältnis von Popularität und Sachkompetenz eines Kandidaten in so schiefe Lage wie bei Sylvester. Wie zum Beweis räumte der Boxstar auch gegenüber der Ostsee-Zeitung ein, dass seine Frau anfänglich gegen seine Kandidatur gewesen sei, weil beide zu wenig über Kommunalpolitik wüssten. Oder um es mit den Worten des Hurrikan auf den Punkt zu bringen: „Jenseits des Sports habe ich noch nicht so viel Ahnung.“
(Sylvesters kurzweilige Rede beim Kreisparteitag der CDU wurde glücklicherweise gefilmt. Der Link zu diesem Video befindet sich bei den Leseempfehlungen am Ende des Artikels und sollte auf keinen Fall verpasst werden)
Der Nordkurier kolportiert indes aus Parteikreisen, dass der CDU inzwischen der Aufnahmeantrag des eloquenten Faustkämpfers vorliege. Die parteipolitische Rekrutierung des populären Sportlers darf sich Egbert Liskow (CDU) auf die Fahnen schreiben. Der suchte schon früher die Nähe zum Greifswalder Boxsport und seinen Aktiven.
Wenig überraschend war Sylvester dann auch beim Neujahrsempfang der CDU am 21. Februar in der Greifswalder Stadthalle mit von der Partie, wo er sich gemeinsam mit Angela Merkel und Egbert Liskow ablichten ließ. Der Mann neben der Kanzlerin ist nämlich kein Personenschützer, sondern politischer Hoffnungsträger — ganz der Klitschko eben!
Mit der parteipolitischen Verpflichtung Sylvesters scheint Liskow vor der Kreistagswahl ein kleiner Coup gelungen zu sein, denn der Boxer erfreut sich auch nach seinem Karriereende großer Beliebtheit und soll die Partei offenbar für Jüngere wählbarer machen. Ob das Konzept Popularität statt Sachkompetenz im Kreistag aufgeht wird, werden die Wähler und Wählerinnen entscheiden, die dann mit ihren Stimmen bei der Kreistagswahl am 25. Mai auch ein Zeugnis über die politische Kultur abgeben werden, zumindest in den Wahlbereichen 1 bis 3, wo der Hurrikan antritt (Greifswald, Amt Landhagen, Jarmen/Tutow und Peenetal/Loitz).
Sebastian Sylvester steigt in den Polit-Ring (OZ Video, 01.03.2014)
Sylvester kandidiert für den Kreistag (Nordkurier, 02.03.2014)
Am Montag wird wieder der Kreistag Vorpommern-Greifswald in der Stadthalle tagen. Wie schon alle bisherigen Sitzungen in Greifswald, wird auch das morgige Treffen von einer Mahnwache gegen die Präsenz der NPD im Kreistag begleitet werden.
Diese Mahnwache wurde von den Grünen angemeldet und findet zwischen 15 Uhr und 16 Uhr vor der Stadthalle statt. In einer Pressemitteilung ruft Michael Steiger (Die Grünen) dazu auf, sich an dem friedlichen Protest zu beteiligen: „Gerade die unverhohlene Freude der Nazis über das Herausbrechen sämtlicher Stolpersteine in Greifswald in der Nacht zum 09.11.12 gemahnt uns, der Menschenverachtung und dem Rassismus der NPD entgegen zu treten.“
Wer beabsichtigt, an der Mahnwache teilzunehmen und sich offen gegen die NPD zu positionieren, sollte wissen, dass Neonazis — wie zum Beispiel der in Greifswald studierende Marcus G. — bei den vergangenen Veranstaltungen dieser Art immer wieder versucht haben, die Protestierenden zu fotografieren. Es ist daher anzuraten, sich in jeder Hinsicht wettergerecht zu kleiden.