Heute Nacht brechen wir aus / die Isolationshaft bleibt zu Haus / welche Raffgier und was ich meine / versteht ihr, wo ich steh? / Ich nehm den Dackel von der Leine / und den Beutel aus dem Tee / Wochenendrevolution / einen Standpunkt beziehen mit Blick auf die Stadt / die Pose als Position / das Surfbrett für die neue Welle der Kraft.
Das Wochenende wird — zumindest konzeptionell — vom erwarteten Frühling dominiert. Wem das zu schnell geht, sollte sich bei Kristofer Åström eine Portion Herbst abholen. Landeskundliche Spezialitäten präsentieren die rüden Rüganer der Hardcore-Punk-Band Cor mit der ersten plattdeutschen Platte des Genres, ehe am Sonntag endlich die Blumenkinder von der Leine gelassen werden, deren Herzen erst bei Polly Faber und später in Alt Ungnade aufgehen sollten. „Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #23“ weiterlesen →
Der Forellenfriedhof Ueberlaut präsentiert einen weiteren Abend im Klex, verneigt sich vor dem Regisseur und Produzenten Stanley Kubrick und lädt zur frosteligen Dunkeldisko.
Ab 20 Uhr wird im Klex Stanley Kubricks Lolita (USA/GB, 1962, 147min, Imdb 7,7) gezeigt. Der Schwarzweißfilm entstand nach der Romanvorlage Vladimir Nabokovs und handelt von der sexuellen Obsession des vierzigjährigen Literaturwissenschaftlers Humbert Humbert, der sich nach der erst 12jährige Lolita verzehrt.
Der Filmvorführung schließt sich ab 22.30 Uhr eine von DJ Humbert Humbert and DJane Clare Quilty dirigierte Tanzveranstaltung mit Postpunk, Darkwave und Nympchenpop an. Etwas mehr zum Film wurde beim Forellenfriedhof Ueberlaut vermerkt. Ein Abend für Erwachsene.
Ein ganzes Wochenende Punk und Hardcore versprechen Blitzkids Concertz, ein neugegründetes Veranstalterinnenkollektiv, das antritt, um in Greifswald ebenjene Genres mit regelmäßigen Konzerten zu bedienen — dabei ganz klar von der sogenannten Grauzone abgegrenzt und mit politischem Distanzierungskatalog (Sexismus, Antisemitismus, Homophobie) im Handgepäck.
Als Debüt präsentiert die Gruppe dieses Wochenende einen zweitägigen Konzertmarathon mit teilweise internationalem Line-Up.
Angekündigt werden One Trax Minds (IT), Collina (PL), die Reisegruppe Morgenthau, Screaming Monkeys, Gehacktes, Trocken Brot, Revolting Rival und schließlich die Lokalfraktion von Tesla Cessna.
In der Kulturbar (Lange Str. 93) wird heute Abend die „unerhörte Ausstellung“ KulturaNatura der beiden Künstler Zilvinas Dobilas (Malerei / Film) und Edvardas Racevicius (Skulptur) eröffnet.
„Eine Umarmung, bevor der erste Schnee fällt. Für die dubiose Schönheit einfachster Dinge, Situationen und Menschen. Menschen, hunderte Nackte am Strand und ein Eremit am Wald, ein paar Bratwürste und 20 Kartoffeln. Das Abstrakte und der Gegenstand.
Eine unerhörte Ausstellung mit Malerei, Skulptur und Film. Natürlich können sich so etwas nur zwei Litauer ausdenken.“
Nach der Vernissage wird KulturaNatura bis Jahresende in der Kulturbar verweilen und kann dort zu den Öffnungszeiten des Betriebs besucht werden.
Die Ostsee-Zeitung ließ heute einmal wieder eine dpa-Durchhalteparole im Netz verlauten, die sicher auch Eingang in die morgige Printausgabe finden wird. Der abschwungs- und wirtschaftskrisengebeutelten Seele ist es Balsam – wir sind jetzt nämlich nicht nur Fahrradhauptstadt sondern außerdem die kreativste (kreisfreie) Stadt Mecklenburg-Vorpommerns!
Greifswald kreativste Stadt in MV
Gewonnen hat diese bahnbrechende Erkenntnis das rheinländische Beratungsunternehmen agiplan. Genau genommen wird die Stadt Greifswald weder in der Pressemitteilung des Unternehmens noch in der veröffentlichten Studie auch nur erwähnt. Kein Wunder, denn unter die besten Zwanzig kam die Hansestadt in keiner der durch die drei Indizes Technologie, Talente und Toleranz bestimmten Disziplinen.
Aufbauend auf den Arbeiten des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Richard Florida sind demnach die wesentlichen Elemente der Wettbewerbsfähigkeit einer Region Technologiekompetenz und die Ausstattung mit Talenten, aber „erst ein tolerantes Milieu, das dem Einzelnen ermöglicht, seine Individualität mitunter abseits des Mainstreams auszuleben, sowie ein internationales Flair, führen dazu, dass eine Stadt ein urbanes Klima entwickelt, das kreative Menschen anzieht.“
Ein lebendiger Eindruck dieser toleranten Atmosphäre ist wahlweise und in regelmäßigen Abständen in den Leserbriefen der Lokalzeitung und in den Pressemitteilungen der Greifswalder CDU-Fraktion erhaschbar.
Die von Florida sogenannte Kreative Klasse umfasst dabei nicht allein die kultur- und kreativwirtschaftlichen Erwerbstätigen, sondern alle kreativen Tätigkeiten im weitesten Sinn, also zum Beispiel auch Zahn- und Vermessungstechniker, Krankenversicherungsfachleute, Unternehmensberater, Rechtsvollstrecker, Polizeibedienstete, Krankengymnasten und Diätassistenten. Langsam wird die Schwemme der Kreativen nachvollziehbar.
Technologie und Talente ausblendend, soll an dieser Stelle insbesondere auf den Toleranz-Index etwas ausführlicher eingegangen werden. Er setzt sich gleichgewichtet aus dem – mit Daten der Künstlersozialkasse errechneten – Bohemian-Index (KSKler/Erwerbstätige) und einem Integrationsindex, welcher aus dem Ausländeranteil der Bevölkerung und den Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien bei der Europawahl 2009 abgeleitet wurde, zusammen.
In den kreisfreien Städten wurde der Toleranzindex unter Einbezug eines Gay Index erneut berechnet. Dieser fließt zwar gleichberechtigt in die Rechnung ein, hat aber jenseits der geographischen Verteilung männlicher Homosexueller, die im sozialen Netzwerk GayRomeo angemeldet sind, keinerlei Aussagekraft.
Homohölle statt Gay-Community
All die Dinge, die nach Ansicht Floridas die Kreative Klasse zum Herzug beziehungsweise zum Hierbleiben bewegen könnten, sind in Greifswald mehr recht als schlecht – und dabei doch eher verkümmert als kümmerlich – ausgebildet. Die Kreativen wählen laut Florida ihren Wohnort: „Greifswald ist in MV Hauptstadt der „Kreativen Klasse““ weiterlesen →
Vor einigen Wochen wurde im Rahmen der NDR-MV-Abendsendung Das Forum ein Beitrag über das Greifswalder IKUWO (Internationales Kultur- und Wohnprojekt e.V.) über den Äther gejagt.
In der Reportage kommen zwei Mitglieder des Vereins – darunter auch eine der Gründerinnen – zu Wort und sprechen über das Leben im Haus, das Selbstverständnis des IKUWO und die Vereinsgeschichte.
Die kurze Reportage rekurriert auf zwei Ereignisse, anhand derer sich der Zeitpunkt der Aufnahme genau datieren lässt, denn am 11. Februar 2010 war nicht nur die Budapester Band Trottel Stereodream Experience zu Gast, in der Nacht zuvor wurde auch die Hausfassade mit drei Hakenkreuzen beschmiert.
Ein kurzweiliger Beitrag, den man sich bedenkenlos zu Gemüte führen kann.