Im Gespräch mit Schorsch Kamerun

Martin Hiller umrundet und interviewt Schorsch Kamerun

Wer erinnert sich nicht an sie, an dieses marottenbehaftete Verpuppungsstadium im Leben: die Jugend. Diese Zeit, in der man ungestüm durchs Leben stolpert, hormonell bedingt sonderbare Gerüche ausstößt und nassforsch, bestenfalls unertappt, Unsinn verzapft, für den man auf der langen Mittelstrecke des müßigen Erwachsenseins zukünftig keine Zeit mehr zu haben droht. In der Jugend lotet sich so ein Menschsein aus, indem es sich in verschiedenartige Bezüge zur Welt setzt.

Wer aufmerksam gelesen hat und mit offenen Sinnen durch die Welt wankt, wird gemerkt haben: das ist alles nichts Jugendspezifisches. Sogar diejenigen, die noch mittendrin stecken und durch ihre aktuell-akute Jugend wie durch eine Geisterbahn torkeln, in der man aus Versehen die Baulampen angelassen hat, ahnen, dass man auch nach der Adoleszenz viel Unsinn, Unfug und Unnötiges macht — dann jedoch mit mehr Auswirkungen und weniger Unrechtsbewusstsein. Weil alle heutzutage am liebsten für immer jung sein wollen, sind Erwachsene heute so eine Art schlecht geupdatete Versionen von Jugendlichen. Kindsgeister, hineingepresst in Erwachsenenkostüme wie schlecht ausgelüftete Schlafsäcke. Die Werbe- und Marketingspatzen kreischen es fortwährend von den Dächern: Der süße Vogel Jugend solle heutzutage endlos währen und wer nicht jugendlich ist, ist ein espritloser Trottel. Schlussendlich stolpern sich die Menschen durch dieses Überangebot an Identitätsmöglichkeiten; ziel- und ortlos durch die zur endlosen Zähe gedehnte Dauerjuvenilität mäandernd.

Gegenkulturgespräche in der Brathähnchenhitze

Schorsch Kamerun entlehnt den Titel seines ersten Romans Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens einem Lied, das er vor zwanzig Jahren veröffentlichte. Das passt ganz prima, denn um die Jugend geht es in dem Buch auch. Verklausuliert in einer Reihe von Protagonisten und einer Erzählung, die am „Bimmelsdorfer Strand“ beginnt, flicht Kamerun hier unschwer erkennbar seine eigene Biografie hinein. Vom Timmendorfer Strand verschlug es ihn in den Achtzigern nach Hamburg, wo er als Mitbegründer des Golden Pudel Clubs auch heute noch seine Füße in der Subkultur hat.

schorsch kamerun interview

Beim Gespräch im Café-Garten des Koeppenhauses

Am 24. Juni stellte Schorsch Kamerun seinen Debütroman im Koeppenhaus vor. Aus dem Buch las er dabei kaum, vielmehr präsentierte sich die Veranstaltung im Rahmen der Koeppentage als heitere Plauderei zwischen Prof. Eckhard Schumacher und dem Autor. Was an diesem titelgebenden Ausspruch mit der Jugend so Stichhaltiges dran ist und inwiefern diese — speziell in Kameruns eigener Vita — mit den Ideen des Punk korreliert, darüber habe ich mit Schorsch Kamerun vor seiner Lesung, in der Brathähnchenhitze im Café-Garten des Koeppenhauses, gesprochen. „Jugend“ und „Punk“ spielen in dem Buch zwei große Rollen. Schorsch lässt sich trotzdem ungern auf diese Begriffe und schon gar nicht auf eine Patenonkelschaft seinerseits verhaften. Trotzdem kreist das Buch um genau diese Themen und öffnet Türen zu den dort angedrahteten Diskursen um Jungsein, Identitätssuche und Gegenkultur: Dinge, die heutzutage weniger klar definiert zu sein scheinen, als vor 40 Jahren – als Punk noch jugendlich war. „Im Gespräch mit Schorsch Kamerun“ weiterlesen

Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #22

Lieber gar nicht aufstehen, als in den Ausguss sehen / Lieber weiter dämmern, langsam sollte was gehen / Weiß noch nicht wie ich geht, wie es so um mich steht / wie man sich aus dem Schlaf stiehlt und will es auch nicht. / Das kleine Einmaleins, das große Einmaleins / ich kenne leider keins, das jetzt schon zu mir passt / Ich bin noch nicht bereit für die innere Uhr / ich spüre nur dass irgendwas mit Zeigern nach mir schmeißt / Wenn ich nur vorbei flieg / muss ich da nicht landen / bleib ich in der Luft und lass mich nicht darauf ein.

kurze wege lange nächteGreifswald befindet sich in der Schläfrigkeit der vorlesungsfreien Zeit. Wer nicht gut genug vernetzt ist, um private Sausen zu feiern, muss mit dem überschaubaren öffentlichen Kulturangebot vorliebnehmen. Das kann dann zum Beispiel die 80er/90er-Disko im IKUWO sein, das flotte Punkbesteck im Klex, die Premiere des Dogma-Klassikers Das Fest oder die szenische Annäherung an die Jugend von Patti Smith. „Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #22“ weiterlesen

PolenmARkT: „Beats of Freedom“

Nach einem veranstaltungsreichen Auftakt-Wochenende verliert der PolenmARkT nicht an Fahrt und lädt mit dem Film Beats of Freedom (PL 2010, 72 min, OmeU) zu einer kulturhistorischen Irrfahrt in den polnischen Underground der Achtziger.

polenmarkt greifswaldRock, Rastas, Rebellion — Polens Sounds der Achtziger zwischen Kontext und kontroverser Popkultur dient heute in Polen zumeist der Unterhaltung, wie überall auf der Welt. Doch das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da war sie nahezu überlebenswichtig.

Die Klangattacken von Punk, New Wave oder Reggae waren viel mehr als laute Musik – hier artikulierte sich ein Lebensgefühl, offenbarte sich ein Kanal in die große weite Welt, ein Fluchtweg und wurde ein Stück Unberechenbarkeit in einem überregulierten System zelebriert.

Nach der Filmvorführung schließt sich eine genreverwandte DJ-Lounge mit Selecta PEhLE an, in der die gezeigten Popkontexte musikalisch ergänzt und vertieft werden. Der Trailer gibt bereits einen ersten Vorgeschmack:

Das vollständige Programm der polnischen Kulturtage gibt es auf der Seite des PolenmARkT.

Fakten: 22.11. | 21 Uhr | IKUWO | 3 EUR
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Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #12

Heb nur die Hand / dann bist du frei / Lass ihn nicht rein / verschließ die Tür und grab dich ein / im Eigenheim / Zieh den Stecker raus / zieh die Vorhänge zu / Mach das Licht aus / und bleib stumm / Sei nicht traurig / das letzte Hemd hat keine Taschen / Sei nicht traurig / da ist immer noch genug Pfand auf den Flaschen / Man kann nem nackten Mann nicht in die Tasche greifen / nem nackten Mann nicht in die Tasche greifen. 

kurze wege lange nächte

Der goldene Altweibersommer klingt dieser Tage aus und sollte unbedingt dazu genutzt werden, in der wärmenden Nachmittagssonne warmes Bier zu trinken, im Park oder auf einer der Open-Air-Veranstaltungen, nach denen man sich umhören sollte.

WIR ERKLÄREN DIESEN SOMMER FÜR BEENDET!

Für ausgelassene Unterhaltung am Nachmittag werden in wenigen Stunden die Greifswalder Offbeat-Opas Krach sorgen. Wie schon im vergangenen Jahr wird die Band im Greifswalder Museumshafen den Sommer für beendet erklären.

Als Bühne dient wieder der Traditionssegler Ernestine, während das Publikum auf den Ryckterrassen herumflegeln wird. Umsonst, draußen und für alle!

krach museumshafen(Foto: Krach)

Fakten: 01.10. | 16:00 | Museumshafen

ARME PHOBIE

In der Kulturbar öffnet am frühen Abend eine Gemeinschaftsausstellung von Anett Dinse und Katja Anke. Die Vernissage trägt den Titel armophob und wird in den ersten Minuten von einer Soundcollage begleitet.

amorph flyerArm. Phobie. Armphobie? Arm mit Phobie? Phobie gleich Angst. Angst vor Spritzen? Angst vor Nadeln? Hier ziehen Nadel und Faden ihre Bahnen. Hinterlassen Spuren. Narben? Dort erhebt sich Gips zu eigentümlichen Bildlandschaften. Gips für Arm? Angst vor Gips? Angst vor Arm? Phobie. Arm.

Fakten: 01.10. | 19.30 | Kulturbar

MIT DEM KOPF GEGEN DIE WAND FLIEGEN

nervousSchnell, melodisch und kompromisslos ist der Sound der Berliner Hardcore-Punkband We will fly, die heute Abend bereits zum zweiten Mal in Greifswald spielen wird. Das geht durch Mark und Bein, das geht nach vorne, das geht mit dem Kopf durch die Wand!

Zu diesem Konzert hat die Gruppe Just Idiots eingeladen, die als zweite Band des Abends Nervöus — ebenfalls hauptstädtisch verwurzelt — präsentiert. Im Video zu scales (We will fly) offenbart sich schon, dass hier alle auf ihre Kosten kommen werden, die etwas mit Skatepunk amerikanischer Prägung anfangen können.

Fakten: 01.10. | 21 Uhr | KLEX | 3 EUR

Ex-Kanzlerkandidat und Anarchopromi Karl Nagel im KLEX

Achtung, Achtung, Karl Nagel kommt nach Greifswald. Einst Vorzeigepunk, Chaos-Tagelöhner, APPD-Funktionär und Kanzlerkandidat, vagabundiert Nagel heute durch die dunklen Abgründe des Prekariats. Seine Selbstinszenierung kennt kein Pardon.

karl nagelSein bei Youtube veröffentlichtes Bunkerfernsehen ist zwar ein Allheilmittel gegen Schlafstörungen, aber mit seiner Show Idiotenklavier könnte das anders aussehen. Denn Nagel schwatzt dort über Punk und bringt hoffentlich ein gut gefülltes Halfter Räuberpistolen mit auf die Bühne. Zwischen den Plaudereien greift der mittlerweile 50-Jährige selbst zum Mikrofon und interpretiert alte Klassiker. Das beginnt bei Black Flag und den Dead Kennedys, geht weiter mit Ideal und Fehlfarben bis zu Slime und Udo Jürgens‘ Griechischem Wein.

Noch spannender als die Performance dürfte allerdings der Inhalt seiner Festplatte sein, denn Nagel baut mit punkfoto.de ein großes Subkultur-Archiv zum Mitmachen auf. Hier sind bereits tausende Bilder aus über 35 Jahren Punk in Deutschland versammelt und es darf damit gerechnet werden, dass der Provokateur seine Schilderungen bildreich illustrieren wird.

(Foto: Karl Nagel)

Fakten: 19.09. | 20 Uhr | KLEX

Kurze Wege, lange Nächte – das Greifswalder Wochenende im Überblick #4

Den Pfingstfeiertagen folgt die Projektwoche der Universität, die viele Studierende zum Anlass für eigene, ortsferne Unternehmungen nutzen dürften. Wer hier bleibt, soll nicht versauern und darf sich zum Beispiel auf die französische Ska-Legende Skarface, auf ein punkrockiges Sorglospaket im Klex oder auf einen Ausflug im Zeichen der Kunst(handwerks)schau Kunst Offen freuen.

SKARFACE – LEGENDARY SKA FROM PARIS

Die seit 1991 bestehende französische Ska-Band Skarface kehrt nach Greifswald zurück. Damals, vor ungefähr zwölf Jahren, traten die Offbeat-Urgesteine bei einem der letzten Konzerte im ehemaligen AJZ/Café Quarks auf.  Inzwischen verweist die Band auf ein breites  Portfolio von Veröffentlichungen: 11 Alben wurden aufgenommen und auf vielen Kompilationen ist man vertreten.

skarface

Die in der Skinhead-Kultur verwurzelte Band hat mittlerweile die Welt abgemessen, war sogar mehrmals in Japan auf Tour und surft seit fast zwei Jahrzehnten auf der dritten Ska-Welle. „Egal welcher Generation und ob nun Skinhead, Mod, Punk oder subkulturell Ungebundener: vor dem Lebensfreude und Unity-Spirit versprühenden Skarface-Ska sind alle gleich – aufgehoben in einer verschwitzt verzückten Partycrowd!“

Davor und danach wird Midnaid Devil Silvio für bewegungserzwingende Plattenunterhaltung sorgen. Kids, get united!

http://www.youtube.com/watch?v=N9TSH8yzDtg

Fakten: 10.06. | 22 Uhr | IKUWO | 10 EUR

THIS IS NOT A DJ-TEAM!

this is not a dj-teamIndie-Parties sind in der letzten Zeit rar geworden, weswegen der für heute angekündigte Abend im Geokeller fast schon ein bisschen retrospektiv anmutet.

Mit dieser Party verabschiedet sich auch eine DJane, die ihre Zelte in Greifswald abbricht und weiterzieht.

This is not a DJ-Team!

Fakten: 10.06. | 22 Uhr | Geokeller | 1,50 EUR

PUNKROCKGEMURMEL: SPIT OUT YOUR ANGER

tesla cessnaIm KLEX steht der Sonnabend ganz im Zeichen der Punkerkultur. Ab 18 Uhr wird dort ein Flohmarkt stattfinden, auf dem neben Terrors altem Nietengürtel und Hexes Lieblingspatches hoffentlich jeder erdenkliche Klimmbimm angeboten wird, der irgendwie mit der Szene assoziiert werden kann.

Anschließend geht es im Konzertsaal mit den Stumbling Pins aus Schleswig-Holstein, den regional angesiedelten Casual Bastards und der Greifswalder Punkhoffnung Tesla Cessna, die als terrortorialen Bezugspunkt die Dänische Wieck angeben, weiter.

Zur vorfreudigen Hörprobe sei Tesla Cessnas Peace and Anarchy empfohlen!

TeslaCessna

Fakten: 11.06. | ab 18 Uhr | KLEX | 5 EUR

KUNST OFFEN: FAHRTEN INS WEISS-BLAUE

Wie jedes zu Pfingsten findet auch 2011 das flächendeckende Kunst Offen statt, inzwischen zum 17. Mal. Unzählige Künstler und Kunsthandwerkerinnen öffnen über das Wochenende ihre Ateliers, Galerien und Werkstätten und laden zu einem Besuch ein.

kunst offenWichtigstes Utensil für entsprechende Fahrten ins weiß-blaue mit dem Auto oder Radl ist dabei eine Karte, auf der alle Veranstaltungsorte von Kunst Offen verzeichnet sind.

Fleischervorstädter sollten unbedingt mal im efeubewachsenen Haus in der Gützkower Straße vorbeigucken. Dort wird Cindy Schmid aka swinx eigene Arbeiten ausstellen und zum letzten Mal die internationale Mailart-Ausstellung Who I am, die vor Wochen im Falladahaus aufgebaut war, zeigen. Ihr Garten ist Sonnabend bis Montag geöffnet.