Auf einem guten Weg: Mehr als 900 Menschen demonstrierten friedlich gegen Neonazis

Die von der Gruppe Defiant organisierte Antifa-Demonstration vom 10.12. ist in mehrerlei Hinsicht als Erfolg zu werten. Die erwartete Teilnehmerinnenzahl wurde weit übertroffen und trotz der martialischen Aufrufe gestaltete sich der Tag fast ausnahmslos friedlich.

Die im Vorfeld der Veranstaltung von Seiten der Ostsee-Zeitung geschürten Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Gemeinsam und vielfältig wurde ein deutliches Signal gesendet — sowohl nach innen als auch nach außen.

Neunhundert Menschen, sieben Kilometer, zwei Blöcke, eine Idee: Kein Platz für Nazis!

Mehr als 900 Leute, von denen sich etwas mehr als die Hälfte — zumindest vereinfacht — dem klassischen Antifa-Spektrum zugeordnen ließ, versammelten sich am Südbahnhof. Dem vorwiegend von jungen Männern besetzten ersten Block folgte ein zweiter, der bunter zusammengesetzt war und je nach Position mehr oder weniger unausweichlich dem hedonistischen Spaziertanzdiktat unterstand; dazu bekannte kommunalpolitische Gesichter aus den Reihen der Grünen und Mitglieder der Piratenpartei.

Die Demonstration dauerte dreieinhalb Stunden und führte vom Startpunkt Südbahnhof durch die Neubaugebiete Schönwalde I und II bis zur Mensa am Wall. Auf der über sieben Kilometer langen Strecke wurden insgesamt fünf Redebeiträge gehalten, unter anderem von der Antirassistischen Initiative aus Greifswald, die auf die Lebensbedingungen von Flüchtlingen hinwies.

Taktiker in Grün-Weiss: Zurückhaltung und (De)Eskalation

Die Polizei verhielt sich zu Demonstrationsbeginn zurückhaltend, verschärfte dann aber zusehends die Einsatzstrategie und flankierte schlussendlich den ersten Block auf beiden Seiten mit geschlossenen Polizeiketten. Die Route führte unter anderem am Haus eines federführenden Aktivisten der Nationalen Sozialisten Greifswald (NSG) vorbei, zu dessen Schutz sich die Polizei davor mit zwei Wasserwerfern und mehreren Einsatzwagen aufstellte und vermutlich aus Angst vor Ausschreitungen die Demonstration vom Gebäude abschirmte.

Nachdem dieser Teil der Strecke passiert wurde, wich die Anspannung bei den Protestlern und den Beamten, einem ruhigen Ende der Demonstration stand nichts mehr im Wege. Doch kurz vor der Europakreuzung drohte die Situation ein letztes Mal zu eskalieren, als mehrere Polizisten in den Block eindrangen, um Einzelne an diesem späten Dezembernachmittag wegen des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot festzunehmen.

Der Arbeitskreis Kritischer Jurist_innen (AKJ), der als Beobachter an der Veranstaltung beteiligt war, kritisierte Ort und Zeitpunkt dieser Festnahmen, die „an einem stark frequentierten Ort kurz vor Ende der Demonstration“ durchgeführt wurden:

„Durch die absehbare Unruhe wurde bei den Passant_innen der Eindruck einer äußerst gewalttätigen Demonstration geweckt, was nicht dem bisherigen Demonsrationsverlauf entsprach. Es drängt sich der Eindruck auf, als ob die Polizei diese Maßnahme bewusst an einem der belebtesten Orte Greifswalds durchgeführt hat.“

Zusammenfassend kann bilanziert werden, dass die Demonstration sowohl vonseiten der Polizei als auch der Demonstrierenden weitesgehend unaufgeregt und besonnen verlief. Es wurden vier Personen festgenommen. Auch Polizeisprecher Falkenberg zeigte sich mit dem Ablauf der Demonstration insgesamt zufrieden und bedankte sich für die gute Kooperation und Kommunikation mit den Organisatoren, wie der webMoritz berichtete.

Vermummen statt verstummen!

Die Polizei verstärkte im Verlauf der Demonstration allerdings nicht nur ihr personelles Aufgebot, sondern begann auch damit, Teilnehmerinnen zu filmen. Dies tat sie in Reaktion auf die mehrfach übermittelte Aufforderung, dass Anzünden von Feuerwerkskörpern zu unterlassen. Was dem Einzelnen seine Demonstrationsamtosphäre bedeutet, nahm so vielen anderen das Recht auf das eigene Bild.

Die Beamten waren nicht die Einzigen, die reges Interesse daran zeigten, Foto- und Videoaufnahmen von der Demonstration zu machen So hingen unzählige Anwohner an den Brüstungen ihrer Balkone oder es wurden am Straßenrand die Kameras gezückt, um die aufregensten Momente für die Nachwelt festzuhalten — endlich mal was los! Einige dieser Fotografen traten vermummt an ihre Fenster und zeichneten gewissenhaft auf, wer da unten vorbeimarschierte. Nicht jeder Schaulistige mit gezückter Kamera ist ein Neonazi, jedoch war die politische Zuordnung einige Male, zum Beispiel beim gezeigten Hitlergruß in Schönwalde oder beim Fahrzeug, was neben der Koitenhäger Landstraße parallel zur Demo fuhr und durchgehend filmte, überdeutlich.

Wem will man da verübeln, wenn er Schal und Mütze tiefer ins Gesicht zieht, um die missbräuchliche Verwendung des eigenen Bildes zu verhindern? Noch dazu im Dezember, nachdem die Teilnehmerinnen schon mehrere Stunden im Freien verbrachten? Das Vermummungsverbot scheint angesichts der technischen Ausrüstung mancher Privathaushalte nicht mehr besonders zeitgemäß, wenngleich es am Sonnabend nur gegen Teilnehmerinnen des ersten Blocks durchzusetzen versucht wurde.

Auf Krawall aus: Die Ostsee-Zeitung

Der große Verlierer der vergangen Woche ist traurigerweise die Lokalzeitung, die gleich zwei Themen zur rechtsextremen Problematik versemmelte. Aufregungen und Skandale sind die essentiellen Wesenszüge des Lokalteils, seit Redaktionsleiter Fischer seine Vision eines zeitgemäßen Action-Journalismus zu verwirklichen sucht.

Bei der jüngsten 24-Stunden-Vorlesung dozierte der junge Redaktionsleiter darüber, dass die Leserinnen kaum einen Artikel bis zum Schluss lesen würden und der knalligen Überschrift darüber deswegen eine noch größere Relevanz zukäme. Angesichts solcher Feststellungen sollte er sich vielleicht besser fragen, woran seine Artikel kranken. Vor allem aber wäre ein behutsamerer Umgang mit Überschriften angeraten.

Schon die Ankündigung spiegelt wider, wie sich der Redakteur eine linke Demonstration vorstellt: als Event, in dessen Vordergrund die eingesetzten Polizeikräfte stehen, die „den Demonstrationszug vor Übergriffen zwischen Links- und Rechtsextremisten absichern“ sollen. Wenige Zeilen später räumt man zwar ein, dass es nach OZ-Informationen noch (!) keine  „konkreten Hinweise auf mögliche Auseinandersetzungen“  gäbe, aber bis dahin werden die Artikel der OZ ja nach Aussage des Chefredakteurs kaum gelesen.

Und so fiel dann auch das Resümee der Zeitung aus: „Polizei nimmt vier linke Randalierer fest“. Das ist die Kernaussage, die vom Sonnabend bleibt. Und wie sahen die Demonstranten aus? „Die meisten von ihnen schwarz gekleidet, zum Teil vermummt, mit Bannern, auf denen wütende Sprüche standen“. Die zufriedene Bilanz der Polizei blieb außen vor.

Dabei lobte Fischer nur eine Spalte weiter die hiesige Zivilgesellschaft und malt gleichzeitig an seiner eigenen schwarz-weißen Welt weiter: „In Greifswald sind am Wochenende nicht nur linksautonome Demonstranten aus Berlin und Hamburg, sondern auch junge Menschen aus Vorpommern gegen Rechts auf die Straße gegangen. Nicht im schwarzen, sondern im bunten Block. Sie wollen nicht hinnehmen, dass rechtsextremes Gehabe zur Normalität wird. In keiner anderen Stadt im Nordosten zeigen die Menschen so entschieden Gesicht gegen Rechts wie in Greifswald. Deshalb sammeln wir im Rahmen unserer OZ-Weihnachtsaktion für die Kunstwerkstätten, die einen Teil dieser gelebten Zivilgesellschaft hinaus in den Landkreis tragen.“

Dass der gleiche Chefredakteur sich und die von ihm verantwortete Lokalzeitung hier einzureihen versucht, ist angesichts seines reißerischen Umgangs mit dem Thema eine Schande. Pfui Teufel, Herr Fischer!

Was bleibt?

Demonstrationen verändern fast nie etwas und doch wirken sie nicht selten auch noch nach ihrer Auflösung weiter. Die Gruppe Defiant hat ihre erste große Demo organisiert und die erwartete Teilnehmerzahl weit übertroffen. Viele Leute im bunten Block erweckten zwar den Eindruck, dass sie aufgrund des als martialisch kritisierten Mobilisierungsaufrufs Bedenken bezüglich eines geordneten und gewaltfreien Ablaufs der Demonstration trügen, jedoch verlief die Veranstaltung in Anbetracht der Beteiligung weitesgehend frei von Zwischenfällen. Wer in Greifswald wirkliche Auseinandersetzungen sucht, muss sich schon nachts vor der Mensa oder zum Jahresende auf dem Marktplatz umsehen.
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Aber mit einer Demonstration ist das Greifswalder Neonazi-Problem selbstverständlich nicht gelöst, und das wissen auch die Aktivistinnen von Defiant, die in ihrer Pressemitteilung die Demo zwar als Erfolg bewerten und einen sehr gelösten Eindruck machten, jedoch auch darauf hinwiesen, dass der Kampf gegen die Neonazis „das gemeinsame Zusammenhandeln aller und viel Ausdauer“ braucht. Man kann sich nach diesem Wochenende dem defiantistischen Statement anschließen und ebenso hoffnungsvoll enden: Wir sind auf einem guten Weg!

Mehr zum Thema:

  • Demobeobachtung von der Antifa-Demo (PM AKJ, 10.12.11)
  • Greifswald im Winter (Kombinat Fortschritt, 11.12.11)
  • Wasserwerfer am Wegesrand – Antifa-Demo zieht durch Greifswald (webMoritz, 11.12. 11)
  • 900 Personen bei Anti-Nazi-Demo in Greifswald (daburna, 11.12.11)
  • Antifaschistische Demonstration (Moritz TV, 11.12.11)
  • Schlägereien nach Anti-Rechts-Demo (NDR, 11.12.11)
  • Wer ein Mal lügt (Ostsee-Zeitung-Blog, 12.12.11)
  • Was so berichtet wurde (Pressespiegel Defiant, 12.12.11)

Weil es uns alle angeht: Unterstützt die Greifswalder Antifa-Demo!

Am Sonnabend wird in Greifswald nach mehr als zweieinhalb Jahren die erste Antifa-Demo stattfinden. Die Stiefelchen sind ja noch vom Nikolaus geputzt, die schwarze Windjacke hängt griffbereit im Schrank und es bleibt auch noch ein wenig Zeit, um in der Hinterhof-Medersa das Al-Erta solange zu wiederholen, bis es auch wirklich fehlerfrei in der aufgeregten Masse proklamiert werden kann — Selbst- und Fremdvergewisserung galore!

NICHT TATENLOS ZUSEHEN!

Ganz so vereinfacht darstellen lässt sich diese Angelegenheit natürlich nicht, denn es gibt konkrete Gründe, diese Demonstration zu organisieren und diese Gründe sind weniger einem lustvollen Erlebnishunger als vielmehr einer zum Himmel schreienden Notwendigkeit erwachsen.

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Die erst vor etwa einem halben Jahr gegründete Antifa-Gruppe Defiant, Urheberin dieser Demonstration, erkennt in Greifswald ein Wiedererstarken des aktionsorientierten Rechtsextremismus. Hauptverantwortlich hierfür sei die vor knapp zwei Jahren gegründete rechtsextreme Gruppierung Nationale Sozialisten Greifswald (NSG), die unter Federführung des Neonazikaders Marcus G. ihre Aktionsformen radikalisierte:

Traurige Höhepunkte dieser neuen Qualität der Gewalt bildeten die Brandanschläge auf zwei alternative Wohnprojekte und der bewaffnete Überfall auf einen Jugendlichen, der anschließend auf der Intensivstation behandelt werden musste. Greifswald hat ein verdammtes Naziproblem.

Die Gruppe hat keine Lust mehr, diesem Treiben „tatenlos zuzusehen“ und möchte an die erfolgreichen Aktionen gegen Naziaktivitäten in Greifswald, wie dem blockierten NPD-Aufmarsch am 1. Mai oder den erfolgreichen Störungen mehrerer Infostände der rechtsextremen Partei, anknüpfen.

ZORNIG STATT ZAUDERND: BILDSPRACHE NÄHRT ZWEIFEL

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Diese Entschlossenheit, das „Nicht-mehr-hinsehen-wollen“, spiegelt sich unter anderem in der zweifelhaften Bildsprache wider, derer sich die Organisatoren bedienen, um auf ihre Veranstaltung aufmerksam zu machen. Die hierfür angefertigten Materialien bewegen sich auf einem hierorts selten beobachteten, extrem hohen Niveau. Doch sie generieren auch Ausschlüsse, denn die Lichterketten-Fraktion wird man kaum mit dem kämpferischen Plakat ansprechen können.

Ähnlich verhält es sich mit dem Mobilisierungsvideo, das für hiesige Verhältnisse ungeheuer martialisch daherkommt. Fetzen von TV-Aufnahmen aus polnischen oder italienischen Fußballstadien schwirren zurück ins Gedächnis, wenn die gefilmten Akteure mit ihren weißen Ski-Masken durch die Dunkelheit stapfen und schlussendlich ihr auf einer Leinwand angebrachtes Gang-Graffito im gleißenden Licht der Bengalos präsentieren. Das ist selbstbewusst und gibt Stärke, aber ob das dem eigentlichen Zweck dienlich ist, wird sich spätestens am Sonnabend zeigen.

GEMEINSAM STATT EINSAM: BREITE UNTERSTÜTZUNG ZIVILGESELLSCHAFTLICHER AKTEURE

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Doch Defiant scheint sich dieser Problematik bewusst zu sein und überlässt deswegen nichts dem Zufall. Insgesamt 21 deutsche Städte wurden im Rahmen einer überregionalen Mobilisierungstour besucht. Dort wurden Vorträge über das hierzulande vorliegene Neonazi-Problem gehalten und dafür geworben, nach Greifswald zu reisen, um sich mit der hier verbliebenen (Zivil-)Gesellschaft zu solidarisieren.

Und auch vor Ort wurden Bündnisse geschmiedet, um viele Greifswalderinnen — ähnlich den Protestaktionen am 1. Mai — aus den Wohnzimmern und auf die Straße zu bewegen. So rufen neben Defiant auch die beiden Greifswalder Sektionen der Hedonistischen Internationalen, M.u.S.i.K. und H.i.G.H. dazu auf, sich an der Demonstration zu beteiligen und den Neonazis den „Bass des Antifaschismus laut um die Ohren“ zu blasen.

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Die Lustprinziplerinnen ermuntern deswegen zusammen mit den Bündnissen Nazis wegbassen und Greifswald nazifrei zur Teilnahme am A.ll C.olours A.re B.eautiful–Block. Hier trägt man lieber bunt statt schwarz. Szenekenner spekulieren außerdem über den Ersteinsatz eines neuen mobilen Soundsystems, das den kleinen Rabauken zur „Quietsche auf Rädern“ degradieren soll.

VOM SAULUS ZUM PAULUS? ZUSTIMMUNG DER KONSERVATIVEN  

Unerwartet dürfte für Defiant auch die Unterstützung der Greifswalder Studierendenschaft sein, die sich seit vorgestern abzeichnete. Im StuPa, wo sonst gerade bei diesem Thema eher gezaudert statt gehandelt wird, debattierte man am 6. Dezember die Veranstaltung und verabschiedete einen Antrag zur Unterstützung. Sogar Markomanne Christoph Böhm und der streitbare Alexander Schmidt stimmte nach einer Ergänzung lobenswerter Weise für diesen Antrag.

Nur einen Tag später trafen sich ca. 3% der Greifswalder Studierendenschaft zur Vollversammlung in der Mensa. Auch dort wurde der Aufruf zur Demonstration verhandelt und von der Mehrheit dieser leider nicht beschlussfähigen Versammlung angenommen, der somit als Empfehlung verstanden werden kann.

ZIEHT EUCH WARM AN! 

Es ist an der Zeit, einmal mehr die Empörung über den wiedererstarkenden Rechtsextremismus auf die Greifswalder Straßen zu tragen; dafür braucht es nicht erst die Ereignisse und Nachrichten um die Zwickauer Terrorzelle und die Einsicht, dass Rechtsterrorismus ein genauso aktuelles wie akutes Problem für unsere Gesellschaft ist. Und das ist es nicht irgendwo weit weg, sondern unmittelbar vor unserer Haustür, zum Beispiel wenn Brandanschläge auf alternative Wohn- und Kulturprojekte verübt oder Andersdenkende überfallen und verletzt werden.

Wer die NPD-Trupps beobachtet hat, wie sie zum Beispiel in Greifswald ihre Plakate an die Masten brachten, konnte sich ein schauderhaftes Bild davon machen, dass es organisierte und bewaffnete Neonazis nicht nur im Fernsehen gibt, sondern hier, unmittelbar unter uns. Erst vor drei Tagen attackierten Anhänger der NPD Demonstrierende im Kreistag, die ihren Unmut darüber äußerten, dass 66 Jahre nach dem Dritten Reich in Greifswald erstmals wieder Neonazis in einem parlamentarischen Raum Platz nehmen.

Bei aller berechtigten Kritik an Bildsprache und Ausdrucksform der Mobilisierung für diese Demonstration, ist es trotzdem eine zivilgesellschaftliche Pflicht, gegen Nazis auf die Straße zu gehen, um in Greifswald ein unüberhörbares Zeichen gegen Nazis und neofaschistische Ideologien zu setzen. Und nicht zuletzt auch, um zu beweisen, dass Antifaschismus hierorts eine Idee ist, die von einer breiten und vielfältigen Masse getragen wird. Zieht euch warm an!

Fakten: 10.12. | 13 Uhr | Südbahnhof

Nazi-Angriff im Kreistag: „Wenn du nicht zur Seite gehst, fliegst du!“

Das erste Mal seit 1945 nahmen Nazis in einem parlamentarischen Gremium in Greifswald Platz — ein historischer Moment für die Hansestadt, der nachdenklich stimmen sollte. Aber andererseits auch eine Situation, die in Mecklenburg-Vorpommern inzwischen Teil einer neuen Realität geworden ist.

UNMILITANTES SPEKTRUM MENSCHENACHTENDER IDEOLOGEN 

Eben genau dagegen wehrten sich gestern knapp 100 Bürgerinnen, die sich rechtzeitig vor Beginn der Kreistagssitzung in Position brachten, um die Besucherplätze zu okkupieren und den Anhängern der rechtsextremen NPD möglichst wenig freie Sitzgelegenheiten zu lassen.

Diese Bürgerinnen sind dem unmilitanten Spektrum der Greifswalder Zivilgesellschaft zuzuordnen, sie sind mit Luftballons und einem Großtransparent (Nazis abwählen) bewaffnet, ihre Ideologie ist menschenachtend und zielt auf größmögliche Partizipation ab. Viele von ihnen haben Kinder. Einige haben ihren Nachwuchs sogar mitgebracht — können die Bälger mal was Vernünftiges lernen!

npd kreiostag abwählen

Und diese kleine Lehrstunde beginnt auch schneller als gedacht. Nachdem die Bürgerinnen gegen 15.50 Uhr mit ihrem Banner vor der Stadthalle standen, verteilten sie sich im Gebäude und vor allem auf der Besucherempore. Dort oben lag das Banner dann zusammengerollt in der Ecke, bewacht und beschwert von zwei NPD-Anhängern, die ein weiteres Ausrollen verhindern wollten. Die nichtrechten Gäste führten außerdem Luftballons mit der klaren Botschaft Greifswald nazifrei mit sich, die sie auf Geheiß des Kreistagspräsidenten Michael Sack (CDU) aus ihren Händen legten und fallen ließen.

NPD-MITGLIEDER IM WAHN: „WENN DU NICHT ZUR SEITE GEHST, FLIEGST DU!“

Als der NPD-Abgeordnete Michael Andrejewski das Wort hatte und zu reden begann, setzte eine Störgeräuschkulisse aus Rasseln, Pfeifen und Buh-Rufen ein. Dieses Schauspiel wiederholte sich dreimal, ehe Kreistagspräsident Sack anwies, die Öffentlichkeit von der Sitzung auszuschließen. Daraufhin wurde der Versuch unternommen, das Banner im Saal zu entrollen, was mehrere Neonazis tätlich zu verhindern suchten, in dem sie ihre politischen Gegner auf der Empore angriffen. Augenzeugen berichteten unabhängig voneinander, dass sie aufgrund der geringen Höhe der Brüstung befürchteten, dass die NPD-Anhänger andere Menschen von der Empore stürzen würden.

An den Rangeleien sollen nach Informationen des linken Blogs KOMBINAT FORTSCHRITT auch die NPD-Kreistagsabgeordneten Hannes Welchar,  Christian Hilse und Dirk Bahlmann sowie der nicht zugelassene Landtagskandidat Michael Gielnik (NPD) beteiligt gewesen sein. Außerdem war der Neonazi-Kader Frank Klawitter mit von der Partie.

Klawitter wurde vor einigen Jahren aus der Ortsgruppe des Technischen Hilfswerks ausgeschlossen. Er war aktiv bei der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) und fiel gestern schon vor dem Handgemenge unangenehm auf, als er mit Sitzungsgästen, die sich an die Brüstung der Empore lehnten, auf Tuchfühlung ging, so dass die sich ernsthaft bedroht fühlten.

Der Saal wurde nach dem Ausschluss der Öffentlichkeit geräumt, wobei nach NDR-Angaben 15 NPD-Anhänger und 70 Demonstrierende des Hauses verwiesen wurden. Die Sitzung wurde schließlich abgebrochen und vertagt.

NATIONALE HALLUZINATIONEN UND REALITÄTSVERLUST IM RECHTSEXTREMEN LAGER

Danach brach ein Lauffeuer los, Kollege DABURNA berichtete als erster über die Vorfälle und trat eine kleine Twitter-Lawine los, ehe die etablierten Medien zu einer Berichterstattung kamen. Nur zwei Stunden später wurde dann auch die erste Einschätzung auf dem rechtsextremen Internetportal MUPINFO veröffentlicht.

Dort orakelte der bei der Kreistagssitzung nicht anwesende und anschließend wohl schlecht gebriefte Autor Markus H. Gewe über Feuerwerkskörper, die von den Demonstrierenden in die Kreistagssitzung geworfen sein sollen, ehe die Räuberpistolen dann unter anonymer Autorenschaft entsichert wurden.

Diesen absurden Darstellungen zufolge hätten die sogenannten „Linksextremen“ begonnen, Zuschauer zu attackieren und Polizeibeamte der MAEX zusammenzuschlagen. Man gewinnt beinahe den Eindruck, dass dort ein Haufen wildgewordener Militanter auf Besucherinnen, Polizei, Abgeordente und Neonazis logegangen sei. Demnach sei Greifswald die „Hochburg des linksextremen Terrors in der Region“, in der es ständig zu „Brandanschlägen auf Fahrzeuge nationaler Bürger“ komme.

In krassem Widerspruch stehen dazu die Schilderungen vieler Beteiligter, die sich — teilweise auf Nachfrage — zu den Vorkommnissen im Kreistag äußerten. Diesen zufolge seien die Auseinandersetzung von den Neonazis, allen voran Michael Gielnik, bewusst provoziert worden und die Neonazis hätten sich schon vor Abbruch der Sitzung auf die Empore bewegt. Dort hätten sie auch Frauen angegriffen. Von allen befragten Augenzeugen sprach niemand über Gewalt, die von den linken Demonstrierenden ausging.

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DARF MAN DAS DENN ÜBERHAUPT?

Darf man die Arbeit des Kreistags auf diese Art stören? Darf man demokratisch gewählte Abgeordnete daran hindern, ihre Plätze im Sitzungssaal zu erreichen, wie die Ostsee-Zeitung Greifswald heute die Intention der Störung missinterpretierte? Darf man verhindern, dass Nazis im Parlament sprechen? Nein, das darf und kann man gewiss nicht, zumindest nicht in parlamentarischen Räumlichkeiten.

Doch bei der Aktion ging es nicht nur um die gewählten Abgeordneten der NPD, sondern vorwiegend um deren Anhänger. Denn es war abzusehen, dass die rechten Demagogen — anders kann man Leute wie NPDler Michael Andrejewski, der schon 1992 bei den Pogromen von Rostock seine Rolle als Aufpeitscher spielte, kaum bezeichnen — mit entsprechendem Anhang anrücken würden. Und genau diesen Gästen war die Mobilisierung gewidmet: „Besetzt ab 15:30 Uhr in großer Zahl die Besucher-Stühle, damit der Troß der Nazi-Anhänger keinen Platz findet!

Im Lichte der jüngsten Enthüllungen und Recherchen zu rechter Gewalt in Deutschland ist es legitim, auf die Problematik einer verbietenswerten Partei, die 66 Jahre nach Ende des Nazi-Regimes erstmals wieder in einer parlamentarischen Vertretung dieser Stadt Platz nehmen will, aufmerksam zu machen. Die Angriffe seitens der NPD-Anhänger und NPD-Mitglieder auf friedliche Demonstrierende zeigt ein weiteres Mal eindrücklich, was hier in der Region von Neonazis zu erwarten ist.

Landrätin Syrbe irrt, wenn sie behauptet, dass im „Kreistag Rechtsextremisten von der Polizei geschützt werden müssten“. Die entscheidene Frage müsste vielmehr lauten, wie es sein kann, dass trotz der Anwesenheit mehrerer Zivilpolizisten die Nazis die Empore erklimmen konnten, um dort friedliche Menschen anzugreifen. In diesem Sinn wirft es alles andere als ein gutes Licht auf den Kreistag, wenn die anwesende Polizei nicht mal im Besucherbereich des Kommunalparlaments friedliche Bürgerinnen vor rechtsextremistischen Übergriffen schützen kann.

(Fotos: Gruene HGW-Vorpommern)

Pressespiegel zum Thema:

  • Nazis greifen Publikum im Kreistag Vorpommern-Greifswald an (daburna, 05.12.11)
  • Greifswald: Neonazis verlieren im Angesicht von Protesten die Nerven (Kombinat Fortschritt, 05.12.11)
  • Tumulte bei Kreistagssitzung in Greifswald (NDR, 05.12.11)
  • Rangeleien und Proteste: Kreistag bricht Sitzung ab (Nordkurier, 05.12.11)
  • Kreistagssitzung abgebrochen – NPD-Symphatisanten attackieren Publikum (Piraten-HGW, 05.12.11)
  • Tumulte bei Kreistagssitzung (Indymedia, 05.12.11)
  • Kreistag Vorpommern-Greifswald bricht Sitzung nach Tumulten ab (Ostsee-Zeitung, 05.12.11)
  • Greifswald: NPD-Anhänger greifen während der Sitzung Publikum im Kreistag von Vorpommern-Greifswald an! (parallaxe, 05.12.11)
  • Pressemitteilung: Greifswald setzt Zeichen gegen Rechts – GRÜNE begrüßen Proteste gegen die NPD im Kreistag (Gruene, 05.12.11)
  • Das gute Licht und Barbara Syrbe (wildwuchs, 06.12.11)
  • Kreistagssitzung abgebrochen (Greifswald TV, 06.12.11)
  • Zwiespältige Reaktionen auf Abbruch der Kreistagssitzung vom Montag (webMoritz, 06.12.11)
  • Protest gegen NPD löst Tumult im Kreistag aus (Spiegel Online, 06.12.11)
  • Kommentar: Dem Landkreis einen Bärendienst erwiesen (Nordkurier, 06.12.11)
  • Kreistagsmitglied Dirk Bahlmann (NPD) im Kreistags- ”Tumult” (daburna, 07.12.11)
  • Neue Bilder von der Greifswalder Kreistagssitzung (parallaxe, 07.12.11)

Schon vergessen? Gedenkveranstaltung für getöteten Obdachlosen

Gegenwärtig ist rechter Terror das beherrschende Thema schlechthin. Der Tagesspiegel recherchierte in Deutschland 138 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990, die in Berlin sitzende Amadeu-Antonio-Stiftung zählte sogar 182 und damit fast das Vierfache dessen, was die Bundesregierung offiziell beziffert, die im Zeitraum 1990 bis 2009 lediglich 47 Tote zählte. „Schon vergessen? Gedenkveranstaltung für getöteten Obdachlosen“ weiterlesen

Moritz TV: Umfrage zu Burschenschaften und Studentenverbindungen

Das Studierendenfernsehen Moritz TV hat der Befindlichkeit des Campus‘ nachgespürt und vor der Mensa eine Umfrage zum Thema Burschenschaften und Studentenverbindungen aufgezeichnet. Dabei wird nicht nur das relativ schlechte Ansehen deutlich, das Korporierte bei der Mehrheit der Befragten genießen, sondern auch, wie vielschichtig die mitunter zu Tage getretenen Wissenslücken sind.

Gefragt wurde nach dem Unterschied zwischen Studentenverbindung und Burschenschaft, der Zahl der in Greifswald anzutreffenden Burschenschaften, dem geplanten Aussteigertelefon und ob diese Organisationen gefährlich wären oder eine schützenswerte Tradition verkörperten. Alkoholkonsum und der Lebensbund waren weitere Aspekte der Umfrage.

Die rechte Burschenschaft Markomannia machte zuletzt wieder von sich Reden, als mehrere Mitglieder am Volkstrauertag mit Fackeln und Ehrenkranz („Und ewig lebt der Toten Tatenruhm — Markomannia Aachen Greifswald“) der deutschen Opfer des Ersten Weltkriegs gedachten.

Von gerissenen Wölfen und furchtsamen Schafsköpfen. Eine Retourgutsche

Für immatrikulierte Neonazis wird es an deutschen Universitäten langsam ungemütlich, denn in jüngster Zeit häufen sich Aktionen, in deren Verlauf Studierende und Dozenten darauf aufmerksam gemacht werden, wer mit ihnen gemeinsam die Hochschulbank drückt und wessen Geistes Kinder diese junge Männer sind. Seit Novemberbeginn widerfuhr dies sowohl Daniel F.  (Universität Rostock) als auch Manuel T.  (Uni Leipzig).

Der Startschuss für die neuerliche Transparenzoffensive an ostdeutschen Hochschulen wurde allerdings am 1. November in Greifswald abgegeben, als eine etwa zwanzigköpfige Gruppe die Einführungsvorlesung der Politikwissenschaft für knapp zwei Minuten unterbrach und die Anwesenden darüber informierte, dass unter ihnen ein aktiver Neonazi säße.

(Foto: Indymedia)

Die Gruppe bewarf Marcus G., der sich in Sekundenbruchteilen vermummte, mit Konfetti, verteilte flugs die mitgebrachten Flyer und verließ den Hörsaal ebenso schnell, wie sie ihn betreten hat. Der Dozent setzte seine Vorlesung anschließend fort.

STELLUNGNAHME VON G. UND DER VERZICHT AUF EINE KRITISCHE EINORDNUNG 

Wenig später beglückwünschte man sich für das gelungene Outing, das obendrein auch gefilmt wurde. Dieses Video verbreite sich wie ein Lauffeuer durch die sozialen Netzwerke und erntete Wohlwollen und Zustimmung. Doch neben allem Zuspruch wurde auch Kritik an der Aktion laut.

Damit ist nicht nur die tumbe Pressemitteilung des RCDS gemeint, in der die gewaltfreie Aktionsform als „Anstiftung zu Gewalttaten“ stilisiert wird, man sich großzügig der undurchdachten Links-Rechts-Gleichsetzung bedient und schon mal die Extremismuskeule aus dem Nachtschrank holt, sondern auch der webMoritz, dessen Redaktion sich 73 Jahre nach der Reichspogromnacht kein passenderes Datum als den 9. November für die Veröffentlichung einer Stellungnahme des Neonazis aussuchen konnte. 

Das Portal publizierte damit den nunmehr zweiten Artikel zum Thema, in dem der Autor die negative Kritik an der Aktion zusammenfasst — die Welle positiver Resonanzen blendet er jedoch vornehm aus.

Es ehrt zwar den journalistischen Ethos der Redaktion, dem Geouteten — der auf die Publikation des ersten webMoritz-Artikels umgehend mit juristischen Drohungen antwortete — eine Gegendarstellung einzuräumen. Doch ohne eine kritische Einordnung nützt das wenig und am Ende geriert sich ein mutmaßlicher Täter als Opfer. Alles vertauscht?

SICH SELBST INS AUS MANÖVRIERT

Dabei zieht sich ein grundlegender Denkfehler durch die in Greifswald geführte Debatte um das Outing von Marcus G., denn dieser Begriff wird vorschnell als diffamierender und verleumderischer Akt übersetzt, mit dem der Neonazi gesellschaftlich sanktioniert und ausgeschlossen werden soll.

Dabei wird ausgeblendet, dass es G. selbst war, der sich zielsicher ins Abseits jener demokratischen Gesellschaft manövrierte, die er in dieser Form gerne überwunden sähe. Denn auch nachdem er seine Heimatstadt Berlin und damit die 2005 verbotene, rechtsextreme Kameradschaft Tor hinter sich gelassen hat, nutzte er die Chance nicht, Leben und Denken neu zu sortieren und das Nazi-Kapitel zu beenden — im Gegenteil.

In Greifswald knüpfte er Kontakte zur rechten Szene Mecklenburg-Vorpommerns und trieb den Aufbau rechtsextremer Strukturen vor Ort voran. Diese Entwicklung ist vielfach belegt und straft die Stellungnahme von Marcus G. Lügen.

Der geoutete Neonazis weist in seinem Text zwar „jegliche Extremismusvorwürfe“ zurück, doch das ändert nichts daran, dass sein neonazistisches Wirken und Vernetzen dokumentiert ist.

Sei es als Fotograf bei NPD-Demonstrationen wie in Teterow, beim Plausch mit dem Rechtsextremisten Frank Klawitter (NPD-Demo Anklam 2010, siehe Foto), beim Konzertbesuch im KLEX mit dem rechtsextremen Kampfsportler Siegfried H. aus Rostock und dem Nazi-Aktivisten Reik P. aus Teterow oder beim gescheiterten Infiltrierungsversuch des städtischen Bündnisses Greifswald ist bunt – kein Ort für Neonazis.

UNI GREIFSWALD: KEIN ORT FÜR NEONAZIS!

Die Transparenzoffensive an der Greifswalder Universität ist in erster Linie als deutliches Signal an den früheren Jurastudenten Marcus G. zu verstehen, dem vielleicht schon jetzt einleuchtet, dass sich ein ungestörtes Studium nur schwer mit seiner antidemokratischen Ideologie in Einklang bringen lässt.

Seine Kommilitoninnen sind vor ihm gewarnt und wissen nun, dass neben ihnen im Seminar ein Neonazi Platz nimmt, der sich nicht nur mit Outings auskennt, sondern vielleicht auch etwas über Othering erzählen kann.

Ob man die Aktion uneingeschränkt befürwortet oder in allen Punkten kritisiert, ändert erstmal nichts an der Tatsache, dass mit Marcus G. gewiss nicht der Falsche um seine Anonymität gebracht wurde.

Ein warmes Wort des Dankes an die Aktivistinnen wäre da vielleicht angebrachter gewesen als die doch relativ einseitig ausgefallene Berichterstattung im zweiten webMoritz-Artikel zum Vorfall. Eine deutliche Positionierung in dieser Sache leistet sich das gerade umstrukturierte studentische Portal leider nicht.

Im zweiten webMoritz-Artikel wurde eine Manöverkritik des Fleischervorstadt-Blogs, die sich an der pommernprinzenhaften Pöbelei und der Lust an der eigenen Überlegenheit reibt, leider unvollständig und missverständlich zitiert; sie ist beim Kombinat-Fortschritt als Kommentar in ungekürzter Fassung sichtbar.