Hochschulpolitik gefangen in der Blase

Ein Gastbeitrag von Simon Voigt

„Am Dienstag wurde unsere Genossin Therése zur AStA Vorsitzenden gewählt! Das höchste Amt der Greifswalder Studierendenschaft hatten wir noch nie. Herzlichen Glückwunsch, Therése, es gibt viel zu tun, du schaffst das!“

Die Genossen bei der Linksjugend sind gerade ganz aus dem Häuschen, dass eines ihrer Mitglieder mit 17 zu sechs Stimmen zur Vorsitzenden des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) gewählt wurde. Therése Altenburg, sie studiert im zweiten Semester Skandinavistik und Musikwissenschaften, erklärte selbst, dass sie überparteilich auftreten wolle, da sie die Vertretung der gesamten Studierendenschaft übernimmt.

Befürchtungen, dass das AStA-Logo nun rot gestrichen wird, waren also zunächst unbegründet. Zwei Tage später scheint das aber doch ein Thema zu sein.

(Foto: Sabrina v. Oehsen/webMoritz)

„Wir sind AStA-Vorsitz!“ heißt es in einer — zugegeben — wenig überraschenden Lobeshymne des SDS. Altenburg habe sich zuletzt bei den Vorbereitungen des Bildungsstreiks 2014 verdient gemacht, dessen größte Demo bisher in Greifswald stattgefunden habe. In der Tat war der Protest eine achtenswerte Leistung der Studierendenvertreter, dennoch sagt die Realität, dass den hier anwesenden 600 Teilnehmern mehrere Tausend in Saarbrücken, Stuttgart oder Magdeburg gegenüberstanden.

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Neonazis „outen“ langjährige Hochschulpolitiker

„Ein Outing funktioniert nur, wenn Menschen sich hinter ihren bürgerlichen Fassaden verstecken und mit ihren Werten und Normen nicht öffentlich auftreten. Ein Outing ist sinnlos bei Menschen, die seit Jahren (hochschul-)politisch aktiv sind, Vertreter des StuPa sind beziehungsweise waren und wenn ihr antifaschistisches Engagement in der Stadt bekannt ist.“

Flugblatt von Neonazis, um linke Studenten zu outen
(Flugblatt: „Freie Kräfte Greifswald“)

Mit diesen Worten reagierte die Linksjugend [‚SDS] Greifswald auf das von Neonazis verantwortete Outing zweier Mitglieder, die heute durch eine Flugblattaktion in ihrem Wohnumfeld diskreditiert werden sollten. Offenbar kratzten die Neonazis schon im Vorfeld antifaschistische Aufkleber zusammen und verteilten diese im Hausflur der beiden Hochschulpolitiker Martin Grimm und Marvin Hopf. Die umliegenden Briefkästen wurden mit Flyern bestückt, die die Nachbarn über den hochschulpolitischen Hintergrund der beiden Hausbewohner „aufklären“ sollten. Nicht die Neonazis seien für die im Hausflur verteilten Aufkleber verantwortlich, sondern die beiden Studierenden, die schon seit mehreren Legislaturen im Studierendenparlament sitzen und sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hochschule politisch engagieren.

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Nach den Gremienwahlen: gemäßigt linke Hegemonie

Ein Gastbeitrag von Peter Madjarov 

So links haben die Greifswalder Studierenden schon lange nicht mehr gewählt: Die Solidarische Universität erringt 11 von 12 Sitzen im Senat und die Hochschulgruppen, die sich als „progressiv“ verstehen und oft gemeinsam agiert haben, dominieren das Studierendenparlament. Dieses ist zwar sicher nicht so radikal wie an anderen Universitäten, wurde aber bei den Wahlen in seinem gemäßigt linken Kurs bestätigt.

Die linksdominierten studentischen Gremien verbanden im letzten Jahr administrativen Pragmatismus mit linken Herzensthemen, gegen welche die Konkurrenz kaum ankommen konnte. Dieser Kurs wurde nun bei den Wahlen bestätigt. Die ehemals starken konservativen Gruppen spielen keine Rolle mehr. Als Korrektiv zu dieser Hegemonie ist die PARTEI-Hochschulgruppe entstanden, die jedoch auch linksoffen ist.

DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG LIEGT IN DER VERGANGENHEIT

Stimmenauszählung nach der Greifswalder GremienwahlHochschulpolitik spielt sich zu einem Großteil in der universitären Selbstverwaltung ab. Und Verwaltung ist immer irgendwie bürokratisch, weshalb sie wohl auch nie ihr graues Image wird ablegen können. Trotzdem beschäftigte sich das StuPa im letzten Jahr insbesondere nach dem Ausscheiden des satzungsversessenen Christoph Böhm weit weniger mit Paragraphenreiterei als früher. Die dominierende lose Allianz der Hochschulgruppen von SDS bis Piraten („Progessive“) setzte Satzungsfragen zudem meist ans Ende der Tagesordnung und beschäftigte sich zuerst mit Themen außerhalb des eigenen Gremiums. Und diese waren oft erstaunlich politisch: Aufrufe und Unterstützung für linke Demos, ein antimilitaristischer Aktionstag oder Kritik an Burschenschaften. „Nach den Gremienwahlen: gemäßigt linke Hegemonie“ weiterlesen

Gremienwahlen an der Universität: „Democratic Avengers“ und die bittersüße Rache der Demokratie

Heute haben die Gremienwahlen an der Universität Greifswald begonnen. Studierende können nun bis zum 17. Januar ihre Stimmen für die Zusammensetzung des Studierendenparlaments (StuPa), des akademischen Senats, der fünf Fakultätsräte sowie mehrerer Fachschaftsräte abgeben und bestimmen, wer in den nächsten Monaten miteinander das trockenste Brot des Uni-Lebens brechen muss.

KONSERVATIVE SUPERSTARS AUF RACHEFELDZUG 

Bei der Wahl des akademischen Senats konkurrieren 44 Studierende um die zu vergebenden 12 Mandate. Davon tritt der größte Teil (27) auf der Liste „Solidarische Universität“ an. Für den Senat bewerben sich bedeutend mehr Konservative als für das StuPa. So zählt die Liste — bitte an dieser Stelle kurz innehalten, gegebenenfalls austrinken und tief durchatmen — „Democratic Avengers“ insgesamt 13 Kandidierende. Das Feld der „demokratischen Rächer“ reicht von A wie Amthor bis V wie Vierkant, von der Jungen Union bis zum RCDS, von der katholischen Studentenverbindung Alemannia bis zur Burschenschaft Markomannia. Außerdem stellen sich drei Kandidaten von der zur Partei DIE PARTEI gehörenden Hochschulgruppe (HSG DIE PARTEI) sowie ein freier Bewerber zur Wahl.

(Montage: Fleischervorstadt-Blog, Original: Disney)

Noch weniger spannend als die Senatswahl wird wohl die Bestimmung des zukünftigen Studierendenparlaments ausfallen. Bei dieser Wahl ringen in diesem Jahr 30 Kandidierende um 27 Mandate — das sind noch drei Bewerber weniger als beim vorletzten Votum im Januar 2012, als sich nur 33 Studierende zur Wahl stellten. Diese spärliche Auswahl hat zur Folge, dass mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch all jene früher oder später ins Parlament nachrücken dürfen, denen durch die Wahl eigentlich kein Platz vergönnt war — ist das nicht ein bittersüßer Racheakt der Demokratie? „Gremienwahlen an der Universität: „Democratic Avengers“ und die bittersüße Rache der Demokratie“ weiterlesen

Gegen ACTA auf die Straße gehen!

Am Sonnabend, dem Internationalen Aktionstag gegen ACTA, findet auch in Greifswald eine Demonstration gegen das umstrittene Handelsabkommen statt, zu der ein breites Bündnis unterschiedlicher politischer Organisationen aufruft.

INFORMATIONSFREIHEIT UND DATENSCHUTZ IN GEFAHR  

acta demonstration greifswald

ACTA ist ein von mehreren Staaten gemeinsam entwickeltes Regelwerk zur Bekämpfung von Produktpiraterie und Copyright-Verletzungen. Gegnerinnen des Abkommens befürchten neben einer noch stärkeren Überwachung und Reglementierung des Internets auch die Zementierung eines veralteten Urheber- und Patentrechts. Sie kritisieren den „intransparenten und von Wirtschaftslobbies geprägten Entstehungsprozess“ von ACTA.

Im Juli soll im Europäischen Parlament über das Abkommen abgestimmt werden. Vor wenigen Tagen haben indes mit dem Rechts-, dem Innen- und dem Industrieausschuss des Europäischen Parlaments gleich drei Ausschüsse gegen ACTA gestimmt und das Abkommen abgelehnt. Einem Gutachten des Innenausschusses zu den Konsequenzen von ACTA zufolge könnten durch das Anti-Piraterie-Abkommen Grundrechte wie Informationsfreiheit und Datenschutz entscheidend einschränkt werden. Die deutsche Bundesregierung hat die Ratifizierung von ACTA vorerst noch ausgesetzt.

EUROPAWEITE PROTESTE, AUCH IN GREIFSWALD WIRD DEMONSTRIERT

Im Februar 2012 protestierten europaweit mehr als 200.000 Menschen gegen das Handelsabkommen. Auch in Greifswald trugen 250 Personen ihren Unmut darüber auf die Straße und demonstrierten für ihre Freiheit im Netz.

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(Foto: Jesthan, CC BY)

Im Aufruf zur Greifswalder Demonstration werden neben der Ablehnung von ACTA im Europäischen Parlament unter anderem auch die Wahrung von Netzneutralität, Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung sowie eine Reform des Urheber- und Patentrechts gefordert. Das Greifswalder Stopp-ACTA-Bündnis wird unter anderem von den JuSos, der Piratenpartei Vorpommern-Greifswald, von dieLinke.SDS, von Attac, dem AKJ, von Bündnis 90/Die Grünen Vorpommern-Greifswald und von Occupy unterstützt.

Am Freitagabend sollen Schilder und Transparente gebastelt werden, der Treffpunkt hierfür ist 20.30 Uhr im Sofa. Weitere Informationen zu Demoverlauf und -route sind beim Greifswalder Stopp-ACTA-Bündnis zu finden. Einen Eindruck der letzten Demo gegen ACTA vermittelt der vom Studierendenfernsehen Moritz TV produzierte Beitrag.

Fakten: 09.06. | 14 Uhr | Fischmarkt

Falsch verbunden? Antrag auf Beratungsangebot für Korporierte

Am Dienstag tagt das Greifswalder StuPa und wird unter anderem einen Antrag diskutieren müssen, der auf die Einrichtung eines Beratungstelefons für vorwiegend ausstiegswillige Burschenschafter abzielt. Die Hotline soll in enger Kooperation zwischen dem AStA und der psychologischen Beratung des Greifswalder Studentenwerks angeboten werden.

Im Antragstext wird auf die oft unsagbar günstigen Mietkosten hingewiesen, die einige Verbindungen zum „moralischen Preis“ einer längerfristigen Abhängigkeit und Verbundenhkeit offerieren.

burschenschafter hotline

(Abbildung: AStA Göttingen)

Oft werden dabei patriarchalische Gesellschaftsbilder dargestellt. Strenge hierarchische Strukturen, elitäre Anforderungen und überholte Frauenbilder engen die freie Gestaltungskraft eines Studenten in seiner universitären Entwicklungsphase ein. Alkoholismus und Rituale der Unterordnung können massive Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen. Die verfasste Studierendenschaft sollte Angebote schaffen, die es potenziellen Aussteigern ermöglicht sich von zwanghaften Gemeinschaftsgefühl und Lebensbund zu lösen.

Wenig Bedarf, fast keine Kosten

Vorbild für den Antrag ist der AStA Göttingen, der schon vor 18 Monaten ein telefonisches Beratungsangebot dieser Art einrichtete. Dadurch seien in Göttingen weder zusätzliche Kosten entstanden noch würden die dortigen AStA-Referentinnen durch die Hotline überlastet, denn die Beratung würde von Mitgliedern der politischen Hochschulgruppen geleistet werden, wie Stupist Eric Makswitat in seinem Blog festhält.

studentenverbindungen street artGeht es nach den sechs Antragsstellern, so beginnt die Hotline mit einer wöchentlichen Telefonstunde.  Wer die Schärpe an den Nagel hängen will, erhält dort Kontakt zu rechtlichen und sozialen Beratungen in Sachen Ausstiegs und Bedrohung, bei der Bewältigung einer Alkohlabhängigkeit sowie zu Krisenintervention.

In Göttingen soll es mehr als 50 Burschenschaften, Corps und Verbindungen geben und damit mehr als doppelt so viele wie in Greifswald. Die Resonanz auf die Hotline soll dort anfangs sehr gut gewesen sein; mittlweile hat sich aber die Zahl der Telefongespräche auf 3-4 pro Tag beruhigt. In Greifswald wird der Beratungshunger kaum größer sein, weswegen die für heute Abend zu erwartende Debattenzeit wohl kaum in angemessener Relation zur Reichweite des Diskussionsgegenstands stehen wird.

Gespannt sein darf man aber schon jetzt auf die Redebeiträge des Stupisten Alexander Wilhelm Schmidt, der als Doppelaussteiger nicht nur die sächsischen Republikaner, sondern auch eine Greifswalder Turnerschaft hinter sich gelassen haben soll.

(Foto: daklebtwas, CC BY-NC 2.0)