In Greifswald lieben sie ihre Dichter. Nicht unbedingt alle. Nicht unbedingt die lebenden, auch nicht unbedingt alle toten. Sibylla Schwarz? Ihr Haus gammelt seit Jahrzehnten vor sich hin. Aber einen lieben sie. Der ist gar nicht in Greifswald geboren, aber er war an der Uni, und seit 1933 (da war die Uni schon 477 Jahre ohne Namen ausgekommen) trägt sie seinen Namen: Ernst Moritz Arndt.
Vor Wochen beschloß der Senat der Universität, den Namenszusatz abzulegen. Und seitdem entspinnt sich eine absurde Pro-Arndt-Bewegung in der Stadt. Die Lokalzeitung bringt seit Wochen fast täglich Leserbriefe, fast alle pro Arndt. Neulich haben die „Identitären“ auf dem Gehweg vor der Uni ein „Arndtdenkmal“ aufgestellt. Da die fast alle von auswärts kamen, konnten sie nicht wissen, daß 50 Meter vor ihnen, als sie mit dem Stein posierten, Arndt groß auf dem Rubenowdenkmal thront.
Rechtsextremisten auf der Pro-Arndt-Kundgebung am Sonnabend (Foto: Fleischervorstadt-Blog)
Egbert Liskow (CDU) war das erste Landtagsmitglied, das die Entscheidung des Akademischen Senats für die Trennung von Ernst Moritz Arndt als Namenspatron der Universität Greifswald politisch nutzte. Nun hat die Landesregierung auf seine Kleine Anfrage geantwortet.
Am 6. Februar beantwortete die Landesregierung die Kleine Anfrage, mit der Egbert Liskow (CDU) einen Tag nach der Senatsentscheidung contra Arndt versuchte, das Votum des parlamentarischen Hochschulgremiums im Alleingang zu kippen. Das christdemokratische Landtagsmitglied bemühte sich, mit seinen insgesamt fünf Fragen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Senatsentscheidung zu streuen und vor allem dem ob dieses Votums empörten Teil der Greifswalder Bevölkerung einen Hoffnungsfunken zu stiften. Mit seinem Vorstoß konnte er bei vielen Bürgerinnen und Bürgern punkten. Der Liskow, der kümmert sich eben — vor allem dann, wenn bald wieder gewählt wird.
Kleine Anfrage von Egbert Liskow zur Umbenennung der Universität Greifswald, ein Klick auf das Bild zeigt das komplette Drama (Quelle: Landtag MV, Foto: CDU)
Irritierend an der Kleinen Anfrage ist jedoch, dass Egbert Liskow ganz offenbar nicht in der Lage ist, den Namen der Universität Greifswald korrekt zu schreiben. Ernst Moritz Arndt ist seit zwei Wochen das beherrschende Thema in Greifswald. Um das Patronat wird seit gut 20 Jahren in nunmehr vier Debatten erbittert gestritten. Für den Bestandsschutz des Namens wirft sich der Politiker öffentlichkeitswirksam in die Bresche, kann ihn aber nicht einmal richtig schreiben? Da sollte nicht nur hinterfragt werden, wie stark die Bindung zwischen Egbert Liskow — der ist derzeit auch noch Präsident der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald e.V. — und Namenspatron Arndt wirklich ist. Vielmehr zeigt sich auch, dass durch die Reduktion auf „Universität Greifswald“ eine orthographische Fehlerquelle aus der Welt geschafft wird, die in der Vergangenheit ganz sicher nicht nur Liskow stolpern ließ.
Landesregierung: „Ein Eingriff in die Gesetzgebungsbefugnis des Landtages ist nicht ersichtlich“
Die Landesregierung stellt ihrer Antwort den Hinweis voran, dass diese unabhängig von der noch ausstehenden Rechtmäßigkeitsprüfung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zur Änderung der Grundordnung gemäß § 13 Absatz 2 des Landeshochschulgesetzes erfolge. Davon betroffen ist im Wesentlichen der letzte Punkt der Kleinen Anfrage.
Seitdem der Akademische Senat der Universität Greifswald mit deutlicher Mehrheit für die Abschaffung des umstrittenen Namenspatronats stimmte, buhlen mehrere Bürgerinitiativen um die Unterstützung der Arndtbefürworter. Die sollten bei aller Enttäuschung jedoch aufpassen, nicht unfreiwillig auf einer rechtsextremen Veranstaltung zu landen.
Die Arndt-Debatte zieht sich wie ein Graben durch die Stadt. Nach der Senatsentscheidung gegen den Namenspatron am 18. Januar 2017 wurde die Tiefe dieses Grabens sichtbar. Seitdem kommen die Gemüter nicht zur Ruhe: Die CDU ist bereits von Anfang an auf Wahlkampf programmiert und versucht, sich als Kümmerer um die vorpommersche Identität nicht nur gegenüber der AfD zu exponieren. Ehemalige Professoren schreiben sich die Finger wund und drohen, mit juristischen Schritten gegen die Mehrheitsentscheidung des Senats vorzugehen. Aktivisten der rechtsextremen Identitären Bewegung platzieren einen Gedenkfindling mit ihrem Logo auf einem Gullideckel vor dem Hauptgebäude.
„Eifrige Handwerker haben sich gestern um den lieben Ernst Moritz Arndt bemüht. Wir finden es toll, dass sich in unserer modernen und schnellebigen Zeit noch junge Menschen zusammenfinden, um gemeinsam zu tüfteln und zu basteln!
(Text und Montage: Hipster Antifa Greifswald)
Und dann ist da noch die Arndt-Protestwoche. Unter diesem Label findet ein Teil der Veranstaltungen statt, die die Arndtbefürworter in den kommenden Tagen auf die Beine stellen werden. Man muss dazu wissen, dass es derzeit nicht ganz einfach ist, bei den konkurrierenden Arndt-Bürgerinitiativen den Überblick zu behalten. Die zuerst bei Facebook aufgetretene Gruppe („BI Ernst Moritz Arndt Greifswald“) entpuppte sich relativ schnell als hochschul- und heimatpolitischer Arm des rassistischen Wutbürgerbündnisses FFDG. Diese Vorbelastung der Gruppe war offenbar Anlass für die Gründung einer zweiten Bürgerinitiative, „Ernst Moritz Arndt bleibt!“, die sich von der ersten BI distanziert und bemüht ist, die Emotionen ihrer Anhänger in zivilisiertes Engagement zu kanalisieren.
„Hauptsache der Bass ballert bis nach Paris!“ Mit dem Ernstival und der Besetzung des Rubenowplatzes erreicht die Greifswalder Arndt-Debatte ein neues Level.
Allmählich wird in der Arndt-Debatte der Rubenow überschritten. Jetzt werden nicht mehr nur Rosen niedergelegt, Sondersitzungen der Bürgerschaft abgehalten, Mahnwachen gemimt, Menschenketten geplant und Unterschriften gesammelt — jetzt wird auch noch geravt, als wäre Pommern nicht verloren!
Am Freitag erscheint ein mehrseitiges Arndt-Spezial der Ostsee-Zeitung. In dieser Beilage wird unter anderem eine Stellungnahme von Prof. Dr. Eleonore Weber veröffentlicht. Darin nimmt die Rektorin der Universität Bezug auf die aus den Fugen geratene Debatte, nennt die Angriffe auf die studentischen Senatsmitglieder ein „fatales Signal“ und mahnt zu Besonnenheit. Die Stellungnahme wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Der Erweiterte Akademische Senat unserer Universität hat mit der hohen Hürde einer Zweidrittel-Mehrheit die Entscheidung getroffen, den Namenszusatz „Ernst-Moritz-Arndt“ abzulegen. Die Debatte über den Namenspatron währt seit langen Jahren und hat in der gebotenen Tiefe und Intensität immer wieder zum Ausdruck gebracht, wie unterschiedlich die Perspektiven sind, aus denen die Persönlichkeit und das Werk von Ernst Moritz Arndt betrachtet werden können. Diese unterschiedlichen Positionen verdienen Respekt.
Prof. Dr. Eleonore Weber, Rektorin der Universität Greifswald (Foto: Pressestelle)
Wie bei allen strittigen Fragen, die in einer repräsentativen Demokratie von den demokratisch gewählten Gremien zu entscheiden sind, können Beschlüsse nicht alle Interessengruppen gleichermaßen zufriedenstellen. Wir erkennen an, dass manche derjenigen, die sich durch ihr Studium oder ihre Tätigkeit mit unserer Universität eng verbunden fühlen, die Änderung des Namens als einen großen Verlust erleben. „Arndt-Debatte: Rektorin Weber mahnt Umbenennungsgegner zur Mäßigung“ weiterlesen →
Nach der vielbeachteten Senatsentscheidung für die Trennung vom bisherigen Namenspatron Ernst Moritz Arndt überhitzen sich die Gemüter der Greifswalder Bevölkerung. Verschiedene Akteure kanalisieren den Frust und versuchen, aus der Wut Profit zu schlagen.
„Man sollte sie teeren und Federn und aus der Stadt jagen.“ Sätze wie dieser gehören noch zu den harmloseren Unmutsbekundungen, mit denen aufgebrachte Greifswalder in den letzten Tagen die Entscheidung des Akademischen Senats contra Arndt bei Facebook kommentierten. Nach fast zwanzig Jahre andauernder Debatte, mehreren Abstimmungen im Senat und in der Studierendenschaft brachte die Senatssitzung am Mittwoch, dem 18. Januar, ein ebenso historisches wie überraschendes Ergebnis: Der umstrittene Namenspatron wurde mit deutlicher Mehrheit abgewählt.