Zotensammlung zur Greifswalder Kommunalwahl 2014

Am Sonntag wird mal wieder gewählt. Dann können die volljährigen Greifswalder Wahlberechtigten insgesamt sieben Stimmen vergeben, denn zusätzlich zur Europawahl finden hierorts auch Abstimmungen über die zukünftige Zusammensetzung der Bürgerschaft und des Kreistags Vorpommern-Greifswald statt. 

Bei der Wahl der Greifswalder Bürgerschaft konkurrieren insgesamt 150 Kandidierende aus zehn Parteien (CDU, SPD, Linke, Grüne, FDP, Piratenpartei, AfD) und Wählergruppen (Alternative Liste, Bürgerliste, Kompetenz für Vorpommern) um 43 Sitze. Dazu kommen zwei Einzelbewerber, unter anderem Matthias Bahner, der vor zwei Jahren wegen seiner früheren NPD-Mitgliedschaft aus der Piratenpartei ausgeschlossen wurde. Im Gegensatz zur Kreistagswahl hat die NPD bei der Bürgerschaftswahl keinen Kandidaten aufgestellt.

Never ending Wahlkampfstory: zerstörte Wahlplakate

Wahlkampf, das ist auch die Zeit, in der die Fallzahlen politisch motivierter Sachbeschädigungen in die Höhe schnellen und Wahlplakate zerstört oder beschmiert werden. Bei der vergangenen Bundestagswahl waren davon neben der NPD besonders solche der LINKE, SPD und der Grünen betroffen, die zum Teil mit persönlichen Drohungen und antisemitischen Zeichnungen beschmiert wurden. In diesem Jahr gestaltet sich die Situation ganz ähnlich und doch ein bisschen anders.

Den Beginn machte die Alternative für Deutschland, die sich Ende April über die fortlaufende Zerstörung ihrer Wahlplakate beklagte. Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Vorpommern-Greifswald, Dr. Matthias Manthei, ist der Ansicht, dass die AfD offenbar die einzige Partei in Deutschland sei, die „planmäßig und organisiert verfolgt“ würde. Bleibt zu hoffen, dass Manthei nicht vom Glauben abgefallen ist, falls er die Anekdote seiner sächsischen Parteikameraden mitgekriegt haben sollte, die Bernd Luckes Konterfei auf Pappen klebten, welche bis zu deren Entwendung einer anderen Partei — nämlich der LINKEN — gehört haben sollen. Die einzige Partei, die unter der Zerstörung ihrer Wahlwerbung leidet, ist die AfD dabei wohl nicht!

So meldete Mitte Mai die LINKE, dass sie von einem Bürger darüber informiert wurde, dass ihre Wahlplakate in der Ladebower Chaussee von Wahlkampfhelfern der CDU um 90° gedreht und damit für die Autofahrenden so gut wie nicht mehr wahrnehmbar gemacht worden seien. Pikantes Detail: Die plakatierenden Christkonservativen sollen mit einem Firmenwagen des CDU-Fraktionsvorsitzenden Axel Hochschild unterwegs gewesen sein. Eine Besichtigung vor Ort habe schließlich ergeben, dass „tatsächlich alle Plakate der LINKEN und FDP um 90 Grad gedreht wurden. Augenscheinlich nur an den Laternenmasten, wo die CDU vorher plakatiert hat.“ Hochschild soll später zwar telefonisch eingeräumt haben, dass man beim Plakatieren auch die Plakate anderer Parteien schon mal berühren oder bewegen würde, den Vorwurf des gezielten Drehens der Konkurrenzplakate habe der Malermeister aber vehement abgestritten. Nur eine Woche später meldet sich Hochschild in einer Pressemitteilung zu Wort, in der er feststellt, dass sich „Übergriffe“ auf CDU-Wahlplakate häufen würden. Besonders oft habe es Plakate mit dem Motiv „Graffiti? Nein danke!“ erwischt. Für den Fraktionsvorsitzenden ist der Fall klar: „Wir scheinen mit unserem Graffiti-Plakat den Finger in die Wunde gelegt zu haben“.

Beschmiertes Wahlplakat Ibrahim Al Najjar SPD

Unter Angriffen auf ihre Plakate zur Kommunalwahl litt auch die SPD. Besonders schwer hat es Kreistagsmitglied Ibrahim Al-Najjar getroffen: In der Nacht von Donnerstag zu Freitag sollen über 40 seiner Plakate in Schönwalde II — er ist der einzige SPD-Kandidat mit eigenen Plakaten — zerstört worden sein. In der Gützkower Straße hängt seine Wahlwerbung zwar noch, wurde aber beschmiert und zeigt den in Syrien geborenen Kommunalpolitiker mit zusammengewachsenen Augenbrauen und dem obligatorischen Hitlerbart. Schlussendlich bleibt noch die FDP zu erwähnen, deren Wahlwerbung in der Greifswalder Südstadt vor zwei Wochen sprichwörtlich in Flammen aufging. Zerstörte Wahlplakate sind offenbar ein Problem, mit dem fast alle Parteien und Listen zu kämpfen haben.

Farce I: Grüne Krise und alternative Spalter

Im März wurde es amtlich: Die Grünen werden bei der Kommunalwahl mit anderen Kandidaten antreten als in der Vergangenheit. Der progressiv-aktionistische Flügel um Gregor Kochhan, Ulrich Rose und Michael Steiger wurde aus der Partei gedrängt — beziehungsweise hat sich aus der Partei drängen lassen — und ist inzwischen neuorgansiert als Alternative Liste. Bei der AL geht es wie gehabt mit lauter Polemik auf dem AL-Blog und realem Engagement auf der Straße weiter. Ob der Einzug in Bürgerschaft und Kreistag klappt, wird am Sonntag feststehen. Auf jeden Fall wird diese Spaltung Stimmen kosten.

Als ob das nicht schon genug wäre, geraten die Grünen zudem durch eine Erklärung eines früheren Mitarbeiters der Landtagsabgeordneten Ulrike Berger in Misskredit, die ein weiteres Negativlicht auf die parteiinternen Auseinandersetzungen der Grünen wirft. Am Ende dieser traurigen Soap hat ein Landtagsmitglied mit dem Arbeitsschwerpunkt Inklusion einen (leicht behinderten) Angestellten entlassen. Die Erklärung des Mitarbeiters, der seiner Partei zuvor die Mitgliedschaft aufkündigte und sich zukünftig auch keiner anderen Partei anschließen möchte, ist natürlich in höchstem Maße subjektiv und mit Vorsicht zu genießen, zeichnet aber trotzdem kein gutes Bild von den Grünen. Das Datum der Veröffentlichung ist offenbar nicht allein wahlkampftaktisch motiviert, sondern ergibt sich auch durch die zeitliche Fügung des angestrebten Parteiausschlussverfahrens.

Farce II: SPD-Unternehmer Norbert Braun und sein Nein zum Mindestlohn

Norbert Braun SPD Greifswald

Der Unternehmer Norbert Braun (SPD) sorgte Anfang Mai für Aufregung. Es ging um die Schließung von zwei seiner Firmen (RügenGut/Garz, Seafood/Valluhn) im Dezember 2013. Braun erklärte, er hätte die beiden angeschlagenen Unternehmen aufgrund des Mindestlohns schließen müssen, der vielen Arbeitnehmern ab dem kommenden Jahr bezahlt werden soll. Eine Sanierung der angeschlagenen Unternehmen sei bei diesem Lohnniveau nach Auskunft Brauns gegenüber der Ostsee-Zeitung nicht möglich gewesen — 80 Arbeitsplätze wurden aufgelöst.

Bei der CDU erkannte man das Polemikpotenzial dieses Themas und veröffentlichte einen bissigen Text mit dem uncharmanten Titel Ob ROT oder Braun– auf uns könnt ihr nicht bau’n! auf dem parteinahen Pommernblog. Die peinliche Leistung des Sozialdemokraten wird nur dadurch noch übertroffen, dass er nach wie vor verspricht, sich für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen einzusetzen.)

Farce II: CDU-Mahnwachen und harte Worte gegen untätige Investoren

Eine ähnliche Farce lieferte dann zu Wochenbeginn nochmal die CDU mit einer Mahnwache zur Rettung Greifswalder Baudenkmäler ab. Unter dem Slogan „Sanieren statt spekulieren!“ zogen Hochschild und Konsorten durch die Innenstadt. Viele Investoren hätten Geld nach Greifswald gebracht, doch es gäbe leider auch schwarze Schafe, für die nur der eigene Vorteil zähle, die auf steigende Grundstückspreise spekulierten und wertvolle Baudenkmäler verfallen lassen würden. Sascha Ott, Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes Innenstadt, findet „eine solche rücksichtslose Profitgier […] widerlich“.

Die Christdemokraten versprechen, dass sich die neue Bürgerschaftsfraktion dafür einsetzen wird, dass sanierungsunwillige Eigentümer zur Rechenschaft gezogen werden: „Die maroden Baudenkmäler müssen nun endlich instandgesetzt werden. Das Recht auf Eigentum ist zwar die Grundlage unserer Wirtschaftsordnung. Aber wenn das Ende der Fahnenstange erreicht ist, werden wir auch über Enteignungsverfahren nachdenken“, wie Vorsitzender Axel Hochschild erklärte. So einen Tonfall hätten sich wohl viele Greifswalder gewünscht, als die CDU noch einen besseren Draht zum Investor Douglas Fernando (Petruswerk) hatte, der das denkmalgeschützte Gesellschaftshaus in der Stralsunder Straße 10 über Jahre verfallen ließ.

Praktische Infos zur Kommunalwahl

Die Wahllokale werden morgen früh von 8 Uhr bis 18 Uhr geöffnet sein. Zum Wählen wird ein Ausweisdokument und idealerweise auch die Wahlbenachrichtigung benötigt — letztere ist aber nicht zwingend erforderlich. Die Zwischenergebnisse werden ab 18 Uhr online veröffentlicht; in diesem Jahr zum ersten Mal auch mit einer für Smartphones optimierten Darstellung. Nach der Stimmenzählung der Europawahl werden die abgegebenen Voten für Kreistag und Bürgerschaft gezählt. Mit den ersten Wahlergebnissen sei nach Auskunft der Stadt nicht vor 20 Uhr zu rechnen, die Ergebnisse zur Bürgerschaftswahl würden vermutlich erst nach Mitternacht vorliegen. Morgen werden außerdem Korrespondenten der Forschungsgruppe Wahlen und des Umfrage-Instituts Infratest dimap unterwegs sein, die im Auftrag der ARD Befragungen zu den Europawahlen durchführen werden.

Wer sich abends auf einer Wahlparty amüsieren will, geht in die Brasserie Hermann (Die Grünen, FDP), ins Fellini (Bürgerliste), ins da Gianni (Kompetenz für Vorpommern), ins Sofa (Die Linke), In den Friedrich (CDU), in den Alten Speicher (AfD) oder ins Ravic (SPD).

Greifswald wählt, aber was macht Sebastian Jabbusch?

Kennt noch jemand webMoritz-Gründer und Arndt-Gegner Sebastian Jabbusch? Diese Zotensammlung zur Greifswalder Kommunalwahl soll mit einem von ihm verantworteten Video zur Europawahl,  das mittlerweile auch ausgezeichnet wurde, und dem eindringlichen Appell, morgen bitte wählen zu gehen, schließen.

(Fotos: Fleischervorstadt-Blog)

Arndt revisited. Über Urgreifswalder, Bauernbefreier und Kulturbolschewisten.

Ein Gastbeitrag von Laure-Anne Weinberg

Vor kurzem hat das Sommersemester begonnen und die Universitätsstadt Greifswald füllt sich langsam wieder mit Leben und jungen Studierenden. Gefüllt mit Erwartungen und neuen Eindrücken, erkunden die Neuankömmlinge ihre Hochschule und ihren Studienort. Nichts ahnen sie von der kräftezehrenden Debatte, die vor fast genau zwei Jahren ein unrühmliches Ende nahm, nachdem sie zuvor die Studierendenschaft bewegte, entzweite und entnervte.

„DAS ERGEBNIS DER DEMOKRATISCHEN ABSTIMMUNG MUSS NUN AKZEPTIERT WERDEN“

Denn der Streit um den Namenspatron der hiesigen Universität Ernst Moritz Arndt und das rational nicht zu erklärende Festhalten der Hochschulleitung am rassistischen Namensgeber, haben zwar Spuren in der Medienlandschaft hinterlassen und Einzug in Fachliteratur gehalten — nur an der Universität in Greifswald selbst ist man weit davon entfernt, sich weiterhin mit diesem unliebsamen und beschämenden Thema auseinanderzusetzen.

Wieso auch, schließt doch der Senatsbeschluss zur Beibehaltung des Namens Ernst-Moritz-Arndt-Universität mit dem beinahe schon patzigen Satz „Dem Senatsvorsitz ist bewusst, dass die Beibehaltung des Namens in der Öffentlichkeit umstritten sein wird. Das Ergebnis der demokratischen Abstimmung muss nun jedoch akzeptiert werden.“

Dass Demokratie von der beständigen Auseinandersetzung, von Meinungspluralismus, Reflektion und Kritik lebt, scheint sich hier noch nicht rumgesprochen zu haben. Die Diskussion um Arndt und die Art, wie sie geführt wurde, brachte Hochschule und Stadt sogar einen Eintrag in die Deutschen Zustände (Folge 9) ein — jenes Buch, das Jahr für Jahr Demokratiefeindlichkeit wissenschaftlich ergründet. Doch damit nicht genug der hochnotpeinlichen Preise, die man für diesen Namenszusatz zahlen muss.

DIE UNIVERSITÄT UND DER NATIONALSOZIALISTISCHE UNTERGRUND

Die Alma Mater Gryphiswaldensis begibt sich mit ihrem Klammern an Arndt und seinem Vermächtnis in denkbar schlechte Gesellschaft. So berief sich der sogenannte Thüringer Heimatschutz, aus dem sich bekanntlich die Mördergruppe des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) rekrutierte, ebenfalls auf Ernst Moritz Arndt und sein Vaterlandslied.

Die ersten Verse des nationalistischen Gedichtes, das sich in erster Linie durch einen propagandistischen und nahezu blutrünstigen Sprachduktus auszeichnet, sind dabei nicht selten als Fronttransparent vor Demonstrationszügen der selbsternannten Heimatschützer und Neonazis hergetragen worden.

Befragt man Wikipedia zum Vaterlandslied von Arndt, bekommt man die Information, dass das Lied besondere offizielle Pflege im ersten Weltkrieg und zu Zeiten des Nationalsozialismus erfuhr. Ein verirrter Dichter, dessen Werk besonders von jenen beklatscht wurde, die Todesfabriken bauen ließen und Weltkriege entfachten, taugt im einundzwanzigsten Jahrhundert noch als Leitfigur einer Hochschule?

EINE FRAGE DER DEUTUNGSHOHEIT 

Längst ist die entscheidende Frage geworden, wer die Deutungshoheit über Arndt und seine Hinterlassenschaften besitzt.

Betrachtet man die Umstände der Namensverleihung und wirft einen Seitenblick auf die erwähnten Fronttransparente des Thüringer Heimatschutzes oder bemerkt, dass die Greifswalder Neonazis Arndts Konterfei auf ihrer Internetseite zum Markenzeichen politischer Verirrung erhoben haben, wird klar: am leichtesten fällt die Wiedererkennung in Arndt jenen, die rassistischen Wahn, Völkerhass und Antisemitismus als politische Notwendigkeit ansehen.

(Titelgrafik Nationale Sozialisten Greifswald)

Eine offensive und kritische Auseinandersetzung mit dem Nazi-Idol Arndt und seinen Schriften wäre bei der getroffenen Senats-Entscheidung absolut notwendig gewesen und von einer Universität als Hort der Wissenschaft auch irgendwie zu erwarten, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Hochschule ging vielmehr verschämt aus der Debatte und verharrt in dieser geduckten Haltung, die sie gegenüber einigen besonders laut jaulenden grauen Wölfen eingenommen hat — bis heute. Dabei hätte die Universitäts- und Hansestadt, der „Leuchtturm der Region“ (CDU), noch einiges an Strahlkraft gewinnen können.

Eine Hochschule, die sich nach fast 80 Jahren von ihrem rassistischen und judenfeindlichen Namenspatron löst, den ihr die Nazis 1933 aufgezwungen haben, das hätte mit Sicherheit viel positives Echo gegeben, zumal doch die hiesige Region schon lange als Hochburg der Rechtsextremen gilt.

ES GING NIE NUR UM ARNDT

Tatsächlich lässt sich jedoch die These aufstellen, dass es in all den Debatten der letzten 20 Jahre nie nur um Arndt ging. Es ging nie wirklich darum, ob Arndts Werk tauglich ist, identitätsstiftend für junge Menschen in der akademischen Ausbildung zu wirken. Natürlich taugt es dazu nicht, diese Frage wurde schon früh relativ schnell beantwortet. Es ging in erster Linie auch immer darum, progressiven Entwicklungen Einhalt zu gebieten, den Jungen, den vermeintlich Fremden, den imaginierten Linken den Kampf anzusagen.

Die Art und Weise wie Sebastian Jabbusch, Initiator von Uni ohne Arndt, in der Debatte vor zwei Jahren an den medial-öffentlichen Pranger gestellt wurde, war unwürdig und demaskierend zugleich. Plötzlich wurde die Ebene der sachlichen Argumentation, die so oft von der Uni-ohne-Arndt-Gruppe eingefordert wurde, mit Leichtigkeit verlassen. Plötzlich ging es nicht mehr um Ernst Moritz Arndt, den angeblichen Bauernbefreier und Kampflieddichter, plötzlich ging es um Sebastian Jabbusch, den angeblichen Ausschläfer und Langzeitstudenten.

„Arndt revisited. Über Urgreifswalder, Bauernbefreier und Kulturbolschewisten.“ weiterlesen

Die journalistische Zukunft bleibt ungeklärt – ein Fazit der Podiumsdiskussion

Die gestern angekündigte Podiumsdiskussion mit dem klangvollen Titel Bürgerjournalismus contra Qualitätsjournalismus fand heute am späten Nachmittag ihr pünktliches Ende. Ein guter Augenblick, um eine kurze Nachbetrachtung zu wagen.

Dem Lockruf der Fachschaft Kowi-Powi folgten immerhin 90 Gäste – das mit sechs Leuten üppig besetzte Podium schon eingerechnet. Eric Makswitat, selbst in der einladenden Fachschaft aktiv und überdies seit wenigen Wochen auch neuer Präsident des Studierendenparlaments, eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Vorstellungsrunde und sollte auch im weiteren Verlauf der Diskussion souverän wie eloquent auftreten.

#TWITTERWALL #FUNKDISZIPLIN #JOURNALISTENMANGEL

Hinter der durchweg männlich besetzten Riege wurde via Twitterwall eine unmittelbare Feedbackmöglichkeit geschaffen. Eine gute Idee, denn wer mit seinem Smartphone angereist war, konnte unter der Verwendung des Hashtags #journalismus seine Tweets an exponierter Position projiziert sehen und sich so in die Diskussion einbringen. Dieses Angebot wurde lebhaft angenommen, wobei leider viele Tweets die nötige Ernsthaftigkeit vermissen ließen. Ob diese post-pupertären Einträge allerdings als Ausdruck mangelnder Reife oder überbordender  Langeweile zu verstehen sind, sei an dieser Stelle dahingestellt. Eine moderne Konzeptionierung war es allemal!

Im Verlauf des gut neunzig Minuten andauernden Gepräches machte sich schmerzlich das Fehlen aktiver Journalisten im klassischen Sinn bemerkbar. Von der Ostsee-Zeitung war leider niemand anwesend und auf eine Ankündigung der Veranstaltung wurde ebenso verzichtet, dafür gab es wichtigere Themen. Es wird kolportiert, dass man vermeiden wollte, dem OZ-Watchblogger Meyke eine Bühne zu schaffen.

oz hgw was wichtig ist

#BLOGGER #PROFESSOR #COMMUNITYMANAGER

Meyke, einst selbst bei der Ostsee-Zeitung aktiv, fokussierte sich sehr auf die Kritik an der OZ. Er bezeichnet sich selbst als Außenseiterleser, dessen Anspruch an journalistische Arbeit nicht von vielen geteilt wird, und komplettierte die neumediale Fraktion um den Blogger daburna und den Podcaster Tim Pritlove, die beide einräumten, zwar in ihrer Selbstverortung viele Berührungspunkte mit journalistischer Arbeit zu haben, sich aber gegen eine zu enge Zuschreibung mit diesem Berufsbild wehrten.

Für den Kommunikationswissenschaftler Professor Donges blieb dann angesichts dieser Konstellation nur allzu häufig die Rolle eines Gegenpols übrig. Die Ostsee-Zeitung stellt für ihn kein Angebot dar, das sich an die hiesigen Akademikerinnen richtet. Er betonte allerdings, dass mit diesem Angebot die Verdrossenen erreicht werden (könnten) – jene, die nicht im Echtzeitnachrichtenstrom schwimmen, und die, die es kaum interessiert.

Donges teilt die Ansicht, dass sich Qualitäts- und Bürgerjournalismus nicht ausschließen müssten. Er ist leider weder bei Facebook noch Twitter aktiv und beantwortete die Frage Sebastian Jabbuschs, wie unter diesen Voraussetzungen eine realitätsnahe Ausbildung zukünftiger Kommunikationswissenschaftlerinnen möglich sei, mit dem Hinweis auf die Medienkompetenz seiner Studierenden.

Netzaktivist Sebastian Jabbusch zeichnete das Bild einer neugierigen Leserschaft, die sich nicht nur über die Zeitung informiert und mit ihrer Anfrage nach anderen Medien und mehr Informationen zunehmend Blogs rezipiert. Dies wird seiner Meinung nach dazu führen, dass die medial verbreiteten Positionen zukünftig stärker polarisieren. Jabbusch unterstrich die Bedeutung der Community, die sich um ein Medium gruppiert und die gepflegt werden müsse.

podiumsdiskussion journalismus greifswaldFoto: AStA Greifswald

#FRAUENQUOTE #FAHRPLÄNE #LINKS

Zusammenfassend darf festgehalten werden, dass die Veranstaltung sehr gut besucht war und interessante Gäste für das Podium gewonnen werden konnten. Die Kritik, ausschließlich Männer eingeladen zu haben, wird sich der Fachschaftsrat zu Herzen nehmen – auch wenn diese männliche Dominanz mehr Spiegel der realen Zustände ist, als böse Absicht. Ein deutliches Zeichen hätte an dieser Stelle trotzdem gesetzt werden können!

Als problematisch erwies sich außerdem das Fehlen eines klaren Fahrplans, was letztlich durch das sehr weitgefasste Thema determiniert wurde. Zu viele Aspekte mit zu vielen Diskutanten in zu kurzer Zeit – da konnte kaum inhaltlicher Mehrwert zustandekommen, zumindest nicht für Leute, die sich schon damit beschäftigt haben. Ein engerer Rahmen und eine konkretere Fragestellung wäre da beim nächsten Mal sicher hilfreich.

Bei aller Kritik wurde aber eine erfolgreiche Auftaktveranstaltung über die Bühne gekriegt. Beim nächsten Mal mehr Funkdisziplin am Twitteromaten und ein streitlustigeres und heterogeneres Podium, aber bitte den gleichen Moderator!

Abschließend noch die Links zum mehrfach von Sebastian Jabbusch zitierten Jeff Jarvis und den ins Gespräch gebrachten Medienprodukten Rheinzeitung, politico und Huffington Post.

Podiumsdiskussion: Bürgerjournalisten, sterbende Redaktionen und andere Zankäpfel

Der Fachschaftsrat am Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft (IPK) kündigt für das laufende Sommersemester eine Auseinandersetzung mit dem Großthema Netzpolitik an, dem sich mit unterschiedlichen Veranstaltungen genähert werden soll.

ipk fsr

Netzpolitik, das ist ein vielschichtiger Kosmos, der sich in kurzer Zeit und mit unregelmäßiger Beschäftigung kaum erschließen lässt. Aber: Netzpolitik geht uns alle an und ist ein Feld, auf dem sich viel tut! Daher ist es umso begrüßenswerter, dass sich mit dem FSR IPK endlich jemand aus der Deckung gewagt hat und die Ambition an den Tag legt, sich an diesem Komplex abzuarbeiten.

GLÄNZT, ABER SCHMECKT NICHT ALLEN: ZANKAPFEL BÜRGERJOURNALISMUS

Als Auftakt wird morgen um 16 Uhr im Konferenzsaal der Universität Greifswald eine Podiumsdiskussion beginnen. Das Thema der auf nur neunzig Minuten begrenzten Auseinandersetzung lautet Bürgerjournalismus contra Qualitätsjournalismus und greift damit einen der populärsten Zankäpfel auf, die regelmäßig zwischen Bloggern und etablierten Zeitungsjournalisten umhergeworfen werden.

journalismus krise neue medienEs wird um den gewachsenen wirtschaftlichen Druck gehen, mit dem etablierte Zeitungen im Online-Zeitalter konfrontiert werden, um schrumpfende Redaktionen und um vermeintliche Rationalisierungsnotwendigkeiten. Man könnte die Auflösung eines langgedienten journalistischen Modells besprechen und hoffentlich auch die Möglichkeiten, die sich durch eine vernetzte Gemeinschaft und einen neuen Meinungspluralismus ergeben – nicht zuletzt als partizipatorisches Moment in einer Demokratie, die ihr etabliertes Mediensystem als vierte Gewalt definiert.

VIELSEITIGES PODIUM: LOKALBLOGGER, PODCAST-LEGENDE UND KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFTLER

Für die Veranstaltung konnten die Organisatorinnen eine interessante Diskussionsrunde zusammenstellen – neben dem Greifswalder Blogger daburna konnte auch Ulrich Meyke eine Zusage abgerungen werden. Letzterer betreibt seit mehreren Jahren von Usedom aus eine Art Watchblog, in dem mit strengem Maß die Arbeit der Ostsee-Zeitung unter die Lupe genommen wird.

Weiterhin wurde Sebastian Jabbusch eingeladen. Der Pirat machte sich in Greifswald als maßgeblicher Geburtshelfer des webMoritz einen Namen, sorgte als Teil der Kampagne gegen den umstrittenen Namenspatron der Uni Greifswald, Ernst Moritz Arndt, für Furore und schreibt derzeit von Berlin aus an seiner Magisterarbeit Liquid democracy in der Piratenpartei. Passend zum Thema wird das Entstehen der Arbeit in einem Blog dokumentiert und reflektiert. Auf der letzten re:publica hielt Jabbusch auch einen Vortrag über liquid democracy.

dongges-jabbusch-pritloveProfessoraler Beistand kommt morgen von Prof. Dr. Patrick Donges, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft. Donges hat zwar in den neunziger Jahren Journalistik studiert, publiziert und arbeitet aber eher in Sachen politischer Kommunikation und ergänzt damit den Diskussionszirkel um einen weiteren Blickwinkel. Donges‘ Publikationsliste ist hier einsehbar.

Der wohl prominenteste Gast des Nachmittags kommt aus den Reihen des Chaos Computer Clubs, ist anerkannter Podcaster (Chaosradio Express), religionsparodistischer Diskordiant und hört auf den Namen Tim Pritlove. Auf den britischen Staatsbürger machte ich schon einmal aufmerksam, als es um Flattr ging und der Podcaster selbst als Gast im Medienradio auftrat.

Exkurs: Pritlove war federführend in die beeindruckende Lichtinstallation Blinkenlights involviert, die zuerst im Berliner Haus des Lehrers (2001) und später in Paris (2002) sowie in Toronto (2008) aufgebaut wurde. Dieser BBC-Bericht zeigt den wohl beeindruckendsten Riesenmonitor in der französischen Hauptstadt.

Der podcastende Ehrengast freut sich auf Greifswald und die Online-Community freut sich auf ihn. Es ist überraschend, wie vielen dieser Name ein Begriff ist und wie viele Leute seiner Einladung zum Hörerinnentreffen antworteten, die der Podcaster erst kürzlich auf seinem Blog veröffentlichte. Denn nach der Podiumsveranstaltung soll es ab 19 Uhr in kleinerer Runde im Café Caspar weitergehen.

WO SIND DIE BETROFFENEN DER OSTSEE-ZEITUNG?

So gut gelungen die Zusammenstellung des Podiums auch sein mag, man kommt nicht umhin, das Fehlen der hiesigen Lokaljournalistinnen der Ostsee-Zeitung zu monieren. Denn gerade an diesem Printprodukt dürften viele Aspekte, die in der Diskussion aufkommen könnten, greifbar werden: seien es die regelmäßig von Ulrich Meyke dokumentierten, sinkenden Verkaufszahlen des Lokalblatts oder der zunehmende Trend zum Multiredakteur, der nicht nur die dpa-Meldungen umschreibt, sondern bald auch noch für die Akquise von Anzeigenkunden verantwortlich ist.

mediacrisisSchon jetzt kursiert das Gerücht, dass auf den Zeitungsfotografen Peter Binder, der jahrzehntelang für die OZ arbeitete und sich nun in Richtung des wohlverdienten Ruhestands knipst, keine neue Fotografin nachfolgen wird. In Zukunft wird also die Bebilderung von den schreibenden Journalisten übernommen – eine Entwicklung, die bei der OZ bereits beobachtbar ist.

Mit Netzpolitik hat sich der Fachschaftsrat ein nahezu unerschöpfliches Themenfeld gewählt, dessen Vielschichtigkeit es erlaubt, auch noch die nächsten Jahre mit einem kontinuierlich laufenden Veranstaltungsprogramm dieser Art zu füllen. Ein Anfang ist gemacht, jetzt bedarf es nur noch Durchhaltevermögens und Kreativität bei den Organisatorinnen. Bitte weiter so!

Fakten: 24.05. | 16 Uhr | Konferenzsaal der Uni (Domstr. 11)

(Illustration: Mark Stivers)

GTV veröffentlicht Rückblick auf die Arndt-Debatte

Der Lokalsender Greifswald TV blickt in einer zwölfminütigen Sendung auf die Debatte über den umstrittenen Namenspatron der Universität Greifswald, Ernst Moritz Arndt, zurück. Dabei gelingt etwas, das die Ostsee-Zeitung nicht zu schaffen vermochte: eine ausgewogene Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Umbenennungsgegnern und -Befürwortern.

Der Rückblick wird – fast schon ein wenig knoppistisch angehaucht — vom webMoritz-Chefredakteur Carsten Schönebeck klug kommentiert, beginnt mit der öffentlichen Lesung von Arndt-Texten vor der Mensa und endet mit der Senatsentscheidung am 17. März. Man sollte sich den Beitrag unbedingt ansehen.

Die Bedeutung von Ausgewogenheit

Wieso Ausgewogenheit bei diesem erstaunlich emotional behandelten Thema notwendig ist, konnte man dieser Tage in der Greifswalder Ostsee-Zeitung lernen. Dort wurde über einen Kommentar von Geographie-Professor Klüter zum Abstimmungsergebnis berichtet. Dieser OZ-Artikel wurde mit der Überschrift Arndt-Debatte: Klüter vergleicht Entscheidung mit Nazi-Beschluss versehen.

Die ersten Reaktionen erfolgten prompt und stehen exemplarisch für den Umgang mit Arndt-Kritikern in Greifswald:

  • Er beschimpft ganze Berufsrichtungen (in gewisser Hinsicht als nicht mehr zurechnungsfähig)“ (Lothar Brandt aus Neuenkirchen)
  • Die Aktivisten von „Uni ohne Arndt“ (UoA) geben sich mit der demokratischen Entscheidung nicht zufrieden und versuchen
    weiter, Menschen zu manipulieren.
    “ (Simone Paluske aus Greifswald)
  • Bei diesen Äußerungen kann man Herrn Prof. Klüter nur nahelegen, dringend ein Seminar für Demokratie und Toleranz zu besuchen […] Es ist nicht möglich, einen solchen Menschen als ein moralisches Vorbild unserer Gesellschaft zu akzeptieren“ (Axel Hochschild, CDU)

Vielleicht wäre das Echo weniger volkszornig ausgefallen, hätte man für den Artikel eine sachlichere Überschrift entwickelt oder ihn am Ende gar abgedruckt. Eigentlich ist es fast schon verwunderlich, dass die Ostsee-Zeitung noch keine ihrer berüchtigten Online-Umfragen mit der Abstimmung über eine Entlassung Klüters durchgeführt hat.

Greifswald erobert DIE ZEIT #2

Deutschland, entblättert lautet der markige Titel eines aktuellen und unbedingt lesenswerten Artikels der ZEIT. Seit Montag ist der Beitrag auch in der Online-Ausgabe einsehbar.

die-zeitDie mit dem Erich-Klabunde-Preis für sozial engagierten Journalismus ausgezeichnete Redakteurin Anita Blasberg und der Wirtschaftsjournalist Götz Hamann beschäftigen sich sehr ausführlich mit der deutschen Medienkrise – so es sich um eine Krise handelt – und beschreiben die problematische Melange aus fehlenden Anzeigenkunden, Sparmaßnahmen, sinkender Qualität und schlussendlich einer daraus resultierenden Bedrohung des demokratischen Systems.

Neben der Süddeutschen Zeitung geht es unter anderem um die Ostsee-Zeitung und den Nordkurier, um das seit vier Jahren geschlossene OZ-Büro in Anklam und den Wandel von Journalisten zu Content-Managern. „Erst spart man an der Qualität, dann verliert man Leser, dann spart man noch mehr, um die Verluste aufzufangen, und am Ende hat man die Zeitschrift kaputtgespart.“

Fehlende journalistische Qualität weist der Ostee-Zeitung-Blog der titelspendenden Zeitung mehrmals täglich nach. In Kombination mit den dort erscheinenden Artikeln rezipiert man gewissermaßen die kommentierte Ausgabe des Regionalblattes.

Die Ostsee-Zeitung druckt Artikel von Pressesprechern

Die Greifswalder Lokalredaktion der Ostsee-Zeitung schaffte es ebenfalls in den ZEIT-Artikel, wird dort gerügt und man schämte sich fast ein wenig, im Erscheinungsgebiet zu leben, wüsste man nicht bereits um die Problematik: „Die traditionsreiche Ostseezeitung druckt Artikel von Pressesprechern wie Dirk Lenz. Unter seinem Kürzel D.L. hat der Autor über die erfolgreiche Ausbildung an der Berufsfachschule Greifswald geschrieben – ohne die Erwähnung, dass er für deren Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist.“

Sebastian JabbuschEinen ausführlichen und erkenntnisreichen Kommentar über die Arbeit der Greifswalder Lokalredaktion hat auch der webMoritz-Vater Sebastian Jabbusch 2008 veröffentlicht.

Darin geht es um tendenziöse Berichterstattung vor der Oberbürgermeisterwahl 2008, um den WVG-Verkauf, den BiG-Skandal, den Umgang mit Pressemitteilungen und nicht zuletzt um das anfängliche Schweigen der Redaktion zur Schelsky-Affäre, die das hiesige CDU-Netzwerk in keinem guten Licht erscheinen ließ.

Aussitzen, abwarten, ausschweigen

Das Ausschweigen und Aussitzen hat sich in den vergangenen Jahren als mehr oder weniger erfolgreiche Handlungsstrategie der Redaktion erwiesen, sieht man von den schwindenden Leserzahlen und dem demolierten Image der Lokalzeitung ab. Zuletzt verzichteten die Medienmacher aus der Bachstraße darauf, ihre Greifswalder Leser und Leserinnen darüber zu informieren, dass Mitglieder der rechten Burschenschaft Rugia nachts das IKUWO angegriffen haben. Stattdessen gelang es, auch noch den sechsten Artikel zum tragischen Schicksal der Hündin Ira zu veröffentlichen.

„Die OZ ist eher das Verteidigungsorgan der herrschenden politischen Kräfte“ wusste ein Stadtpolitiker für Jabbuschs Kommentar zu berichten und Dr. Ulrich Rose von den kommunalen Grünen ergänzte: „Das große Problem am Greifswalder politischen Diskurs ist, dass dieser nicht existiert. Daran trägt die völlig recherchefreie Berichterstattung der Ostsee-Zeitung ein gerüttelt Maß Mitschuld. Die Lokalzeitung gehört zum schwarzen Block dazu.“

Bis zur Publikation seiner Fundamentalkritik im webMoritz und dem Greifswalder Stadtblatt war Jabbusch übrigens noch freier Mitarbeiter bei der Ostsee Zeitung. Danach musste er dort sicher nicht mehr nach einem Auftrag fragen. Übrigens hat sich inzwischen auch Bloggerkollege daburna mit dem Dossier beschäftigt.

(Foto: Marco Herzog)