Für immatrikulierte Neonazis wird es an deutschen Universitäten langsam ungemütlich, denn in jüngster Zeit häufen sich Aktionen, in deren Verlauf Studierende und Dozenten darauf aufmerksam gemacht werden, wer mit ihnen gemeinsam die Hochschulbank drückt und wessen Geistes Kinder diese junge Männer sind. Seit Novemberbeginn widerfuhr dies sowohl Daniel F. (Universität Rostock) als auch Manuel T. (Uni Leipzig).
Der Startschuss für die neuerliche Transparenzoffensive an ostdeutschen Hochschulen wurde allerdings am 1. November in Greifswald abgegeben, als eine etwa zwanzigköpfige Gruppe die Einführungsvorlesung der Politikwissenschaft für knapp zwei Minuten unterbrach und die Anwesenden darüber informierte, dass unter ihnen ein aktiver Neonazi säße.
Die Gruppe bewarf Marcus G., der sich in Sekundenbruchteilen vermummte, mit Konfetti, verteilte flugs die mitgebrachten Flyer und verließ den Hörsaal ebenso schnell, wie sie ihn betreten hat. Der Dozent setzte seine Vorlesung anschließend fort.
STELLUNGNAHME VON G. UND DER VERZICHT AUF EINE KRITISCHE EINORDNUNG
Wenig später beglückwünschte man sich für das gelungene Outing, das obendrein auch gefilmt wurde. Dieses Video verbreite sich wie ein Lauffeuer durch die sozialen Netzwerke und erntete Wohlwollen und Zustimmung. Doch neben allem Zuspruch wurde auch Kritik an der Aktion laut.
Damit ist nicht nur die tumbe Pressemitteilung des RCDS gemeint, in der die gewaltfreie Aktionsform als „Anstiftung zu Gewalttaten“ stilisiert wird, man sich großzügig der undurchdachten Links-Rechts-Gleichsetzung bedient und schon mal die Extremismuskeule aus dem Nachtschrank holt, sondern auch der webMoritz, dessen Redaktion sich 73 Jahre nach der Reichspogromnacht kein passenderes Datum als den 9. November für die Veröffentlichung einer Stellungnahme des Neonazis aussuchen konnte.
Das Portal publizierte damit den nunmehr zweiten Artikel zum Thema, in dem der Autor die negative Kritik an der Aktion zusammenfasst — die Welle positiver Resonanzen blendet er jedoch vornehm aus.
Es ehrt zwar den journalistischen Ethos der Redaktion, dem Geouteten — der auf die Publikation des ersten webMoritz-Artikels umgehend mit juristischen Drohungen antwortete — eine Gegendarstellung einzuräumen. Doch ohne eine kritische Einordnung nützt das wenig und am Ende geriert sich ein mutmaßlicher Täter als Opfer. Alles vertauscht?
SICH SELBST INS AUS MANÖVRIERT
Dabei zieht sich ein grundlegender Denkfehler durch die in Greifswald geführte Debatte um das Outing von Marcus G., denn dieser Begriff wird vorschnell als diffamierender und verleumderischer Akt übersetzt, mit dem der Neonazi gesellschaftlich sanktioniert und ausgeschlossen werden soll.
Dabei wird ausgeblendet, dass es G. selbst war, der sich zielsicher ins Abseits jener demokratischen Gesellschaft manövrierte, die er in dieser Form gerne überwunden sähe. Denn auch nachdem er seine Heimatstadt Berlin und damit die 2005 verbotene, rechtsextreme Kameradschaft Tor hinter sich gelassen hat, nutzte er die Chance nicht, Leben und Denken neu zu sortieren und das Nazi-Kapitel zu beenden — im Gegenteil.
In Greifswald knüpfte er Kontakte zur rechten Szene Mecklenburg-Vorpommerns und trieb den Aufbau rechtsextremer Strukturen vor Ort voran. Diese Entwicklung ist vielfach belegt und straft die Stellungnahme von Marcus G. Lügen.
Der geoutete Neonazis weist in seinem Text zwar „jegliche Extremismusvorwürfe“ zurück, doch das ändert nichts daran, dass sein neonazistisches Wirken und Vernetzen dokumentiert ist.
Sei es als Fotograf bei NPD-Demonstrationen wie in Teterow, beim Plausch mit dem Rechtsextremisten Frank Klawitter (NPD-Demo Anklam 2010, siehe Foto), beim Konzertbesuch im KLEX mit dem rechtsextremen Kampfsportler Siegfried H. aus Rostock und dem Nazi-Aktivisten Reik P. aus Teterow oder beim gescheiterten Infiltrierungsversuch des städtischen Bündnisses Greifswald ist bunt – kein Ort für Neonazis.
UNI GREIFSWALD: KEIN ORT FÜR NEONAZIS!
Die Transparenzoffensive an der Greifswalder Universität ist in erster Linie als deutliches Signal an den früheren Jurastudenten Marcus G. zu verstehen, dem vielleicht schon jetzt einleuchtet, dass sich ein ungestörtes Studium nur schwer mit seiner antidemokratischen Ideologie in Einklang bringen lässt.
Seine Kommilitoninnen sind vor ihm gewarnt und wissen nun, dass neben ihnen im Seminar ein Neonazi Platz nimmt, der sich nicht nur mit Outings auskennt, sondern vielleicht auch etwas über Othering erzählen kann.
Ob man die Aktion uneingeschränkt befürwortet oder in allen Punkten kritisiert, ändert erstmal nichts an der Tatsache, dass mit Marcus G. gewiss nicht der Falsche um seine Anonymität gebracht wurde.
Ein warmes Wort des Dankes an die Aktivistinnen wäre da vielleicht angebrachter gewesen als die doch relativ einseitig ausgefallene Berichterstattung im zweiten webMoritz-Artikel zum Vorfall. Eine deutliche Positionierung in dieser Sache leistet sich das gerade umstrukturierte studentische Portal leider nicht.
Im zweiten webMoritz-Artikel wurde eine Manöverkritik des Fleischervorstadt-Blogs, die sich an der pommernprinzenhaften Pöbelei und der Lust an der eigenen Überlegenheit reibt, leider unvollständig und missverständlich zitiert; sie ist beim Kombinat-Fortschritt als Kommentar in ungekürzter Fassung sichtbar.