In diesen Wochen kreuzen sich einige subkulturelle Zeitlinien dieser Stadt: In fünf Tagen jährt sich die Räumung des AJZ/Café Quarks zum elften Mal, das WBS 70 ist seit Mitte Januar endgültig abgerissen. GrIStuF musste nach nicht einmal vier Jahren das Büro in der inzwischen liebgewonnenen Wollweberstraße wieder verlassen und am Dienstag ist das IKUWO zehn Jahre alt geworden.
Dieses beifallswürdige Jubiläum verlief einigermaßen unbemerkt im Hintergrund und darf nun schließlich am Wochenende ekstatisch gefeiert werden. Zur Geburtstagssause wurde die achtköpfige NuJazz-Funk’n’House-BigBand Feindrehstar aus Jena eingeladen, deren Bläsersatz von Schlagzeug, Percussions, Keyboards und einem DJ gestützt wird.
(Foto: Feindrehstar)
Nachdem die Band aus Jena schon vor einigen Jahren beim jazzanovaschen Sonarkollektiv veröffentlichte, ist im Sommer 2010 ihr aktuelles Album Vulgarian Knights bei Musik Krause, dem Schwesterbetrieb von Freude am Tanzen, erschienen. Eine genremäßige Selbstverortung wird mit der Schöpfung Krautclub vollzogen, die eigene Musik als Session-Vehikel beschrieben, das im geschwisterlichen Verbund mit den drei „Gebrothern NuJazz/Broken-Beat, Techno, House“ daherkommt.
„Feindrehstar steht tänzelnd für live gespielte Clubsounds jenseits der Genre-Schubladifizierungen auf den Bühnen der Welt und hat bis dato wohl (fast) jeden verschwitzt wie verwundert in die Rest-Nacht entlassen. Die sessionartigen Klang-Trance-Eskapaden des Oktetts verwirbeln druckvollen Funk-Bass und elegante NuJazz-Bläser mit treibendem House, Broken Beats oder fett shakendem Hip Hop zu einer Art organischem Neo-Kraut-Groove-Bastard mit historischem Bewusstsein und ultimativem Bewegungsimperativ.“
Anschließend geht es mit Funk und House in die Nacht, dirigiert von DJ Légères (Jena).
Das raumungebundene Veranstaltungskollektiv just idiots lädt zum tosenden Hardcore-Punk-Abend ins Klex. Mit dabei ist – langgedient und tourerfahren – das Quartett Tackleberry aus Kiel. Die stellen das Skateboard in die Ecke und galoppieren zügig-zornig durch die Nacht. Bereits zum zweiten Mal im Klex wird außerdem die Berliner HC-Formation Ape Attack spielen, davor die Screaming Monkeys von der Insel Usedom.
Der Abend wird um 19 Uhr mit einem Vortrag eingeleitet, in dem die gegenwärtige Situation der russischen Antifa-Bewegung aufbereitet werden soll. Die ist dort mit einer erstarkenden, militanten Neonaziszene konfrontiert – die Nachrichten über Opfer rechter Gewalt in Russland sind nicht neu und mit Volker Beck gibt es auch hierzulande einen prominenten Betroffenen, dessen Schicksal deutsche Medien über die russischen Zustände berichten macht. Der Grünen-Politiker wurde 2006 in Moskau während einer nicht genehmigten Schwulen-Lesben-Demo von Neonazis angegriffen.
Zwischen dem Vortrag und den Konzerten wird eine stärkende VoKü angeboten. Wer dann noch weiterfeiern will, ist schon in der richtigen Gegend und sollte auf Umgebungsgeräusche Acht geben.
Die Kabutze verwandelt sich morgen ein weiteres Mal von der DIY-Manufaktur zum Veranstaltungsort und wagt sich mit dem Thema Essstörungen an einen tabuisierten Stoff, der nur indirekt Bezug zum textilen Kontext der offenen Nähwerkstatt aufweist.
„Mit dem Themenabend möchte die gastierende Projektgruppe Tabus brechen und auf künstlerische, gesellschaftskritische Weise eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit Magersucht, Bulimie und Esssucht fördern.„
Neben einem Vortrag zu Essstörungen sind zwei DIY-Filme zum Thema und ein interaktives Spiel mit den Gästen angekündigt.
Am vergangenen Wochenende hat GrIStuf den angeordneten Auszug aus den bis dato genutzten Räumen in der Wollweberstr. 4 in die alte Kinderklinik so gut wie vollzogen.
„Seit des Bestehens des 2001 gegründeten Vereins ist dieser stets in einer ungewissen Raumsituation. […] Die bisher genutzten Räume machten stets den Eindruck, nur eine Notlösung zu sein. […]
Zunächst sollte Gristuf zusammen mit den Moritz-Medien in die Alte Augenklinik ziehen. Nachdem klar wurde das der Platz nicht für beide Initiativen ausreicht, wurden uns Räumlichkeiten im Institut für Alertumswissenschaften nach dessen Renovierung angeboten. Diese verzögert sich allerdings immer noch und so sind wir in die aktuelle Situation mit der Übergangslösung in der alten Kinderklinik gekommen.
Die Universität vertröstet meist mit der Aussage, dass nach dem Mensa Neubau die alte Mensa ein Zentrum für Vereine und Initiativen werden soll. Wie oft wir bis dahin noch umziehen müssen ist allerdings genauso ungewiss wie die Realisierung des Projekts selbst.“
Da während der Umzugsarbeiten die verschollen geglaubten Ausstellungstafeln über Greifswalder Hausbesetzungen, die vor Jahren schon beim Wachsmannfest gezeigt wurden, wieder zu Tage traten, wurde die Gelegenheit eines vergleichsweise spontanen Rückblicks auf vielfältige Raumnutzung in Greifswald am Schopfe gepackt.
Rückblick ins lokale Subkulturarchiv
Das Timing stimmt, denn am 4. Februar wird sich die Räumung des AJZ/Café Quarks zum elften Mal jähren. Inzwischen ist es in Greifswald ruhiger und gemächlicher geworden, zumindest aus subkultureller Perspektive. Die einstige Ausgehmeile mit drei selbstverwalteten Jugendzentren ist zum mehr oder weniger leblosen deadend verkümmert. Wo früher die kurzen Wege und ein breiteres Angebot an Stätten des alternativen Amüsierbetriebs zu emsiger Mobilität einluden, ergibt sich derlei Gelegenheit heutzutage nur noch sehr selten. Zuletzt, genauer vor einer Woche, wurde das WBS 70 / Elektro Pröger abgerissen.
In der Ausstellung wird neben den schon erwähnten Tafeln über Hausbesetzungen in Greifswald auch Material über die Straze, Teile der Rückschau Remember Café Quarks!, Bilder vom WBS70 und natürlich aus den Archiven der Geschichtsschreiberinnen von GrIStuF zu sehen sein. Da die Heizung im alten Büro bereits abgestellt ist, wird auf die Vorzüge warmer Kleidung hingewiesen.
Das Bild des imaginierten Mobs, der zornig und zugleich hilflos Fackeln und Forken in die Höhe streckt, wurde jetzt schon mehrfach verwendet, um eine Atmosphäre, einen Gefühlscocktail, zu beschreiben, der in der jüngeren Greifswalder Vergangenheit immer dann angerührt wurde, wenn identitäre Stellungskriege geführt werden, wie zum Beispiel bei der Debatte um den Namenspatron der örtlichen Universität, Ernst-Moritz-Arndt, oder bei der Kontroverse um das atomare Endlager Lubmin.
Scheiterhaufen statt Schmelztigel
Bislang fanden die aus der verklärenden Besinnung auf tragende Eckpfeiler der eigenen Biographie resultierenden, agressiven Verlautbarungen und entsprechenden Ressentiments in den Leserbriefspalten der Ostsee-Zeitung und in den Pressemitteilungen der CDU Greifswald ihr Zuhause. Jjetzt positioniert sich mit Land & Leute ein weiteres publizistisches Organ und gießt Öl ins Feuer der Anti-Atom-Diskussion. Scheiterhaufen statt Schmelztiegel!
Im editorialen Vorweg! des in Vorpommern erscheinenden Anzeigenblättchens wendet sich Herausgeber Claus Schwarz auch in der aktuellen Ausgabe wie gewohnt an seine Leserinnenschaft und schwadroniert diesmal über den Anti-AKW-Widerstand, der sich jetzt für den kommenden Castor-Transport Mitte Februar warmlaufe.
Die papiergewordene Diffamierung der sich gegen die Atommülltransporte engagierenden, sozial-ökologischen Bewegung zielt dabei wie gewohnt distinktiv auf das Misstrauen gegenüber dem Fremden, auf das Unterscheiden von Innen und Außen, von Ihr und Wir. Wann ist man Greifswalder genug, um sich für hiesige Belange einsetzen zu dürfen und aus dem prekären Status des wahlweise „ideologisch vorbelasteten Wichtigtuer-Studenten“ (Hans-Jürgen Schumacher), des „Westprofessors“ oder der Demonstrantin, die man in anderen Ländern „nackt übers Feld gejagt hätte“ (Leonhard Bienert), entlassen zu werden?
Desinformation und Diffamierung — liegt Rostock jetzt im Wendland?
Claus Schwarz glaubt, dass das Castor-Thema „von ‚AktivistInnen‘ aus dem Wendland und aus Berlin gesteuert“ würde, die „als treibende Kraft hinter den Aktionen“ stünden, und stützt diese Vermutung auf die falsche Behauptung, dass die tatsächlich auf das Rostocker Anti- Atom-Netzwerk (RAN) registrierte Webadresse LubminNixda.de Eigentümer im Wendland hätte. Auch das bundesweite Anti-AKW-Portal ContrAtom sei nicht von hier. Nebenbei bemerkt: Greenpeace und Robin Wood sind es auch nicht.
Die Tatsache, dass zur Auftaktdemonstration des letzten Castor-Widerstands auswärtige Demonstranten gereist sind, verführt Schwarz, der belegfrei auf „regelrechtes Berufsdemonstrantentum“ hinweist, zu der Annahme, „dass die Bürger der Region offensichtlich eine andere Einstellung zum Thema haben“. Weiter verweist auf die vergangene Rolle des Kernkraftwerks als dominierender Arbeitgeber. Wer dort angestellt gewesen sei, könne eine „realistischere Einschätzung der Lage“ vornehmen „als diejenigen, die ihre Aufgabe darin sehen, Katastrophenszenarien zu kultivieren und Ängste zu schüren“.
Er unterstellt den AKW-Gegnern, „wohlfeilen Profit für eigene Interessen zu erhoffen“, allen voran dem Ministerpräsidenten Erwin Sellering, dem es zwar frei stünde, zu demonstrieren, in „diesem speziellen Fall aber vielleicht doch eher ohne Bodyguard und Dienstwagen und ausnahmsweise in der zweiten Reihe“.
Fundierte Diskussion statt politischem Aktivismus
Wer selbst bei der Auftaktveranstaltung zugegen war, hat vielleicht vom Ministerpräsidenten, der sich zu Fuß inmitten des Demonstrationszuges bewegte, Notiz genommen und womöglich auch die hiesigen Sprecher und Rednerinnen der Kundgebung, wie zum Beispiel Nadja Tegtmeier (Anti-Atom-Bündnis), Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Bischof der Pommerschen Ev. Kirche), Oskar Gulla (BI Kein-Steinkohlekraftwerk-in-Lubmin) oder Konrad Ott (Professor für Umweltethik/Uni Greifswald), gehört. Abschließend fordert der Schwadroneur, dass „der durchschaubaren Zielen dienende, populistische Aktivismus einer sachlichen, fundierten Diskussion Platz“ machen müsse, die „vor allem von der Bürgern der Region geprägt werden sollte„.
Wo genau diese sachlich fundierte Diskussion stattfinden soll, verrät Schwarz nicht. Am Ende sieht er gar sein eigenes Blatt, bei dem sich übrigens genauso wie bei LubminNixda.de der Ort der presserechtlichen Verantwortung von der Adresse der Domain-Registrierung unterscheidet, als Debattenarena.
Land & Leute: Parteipolitisches Podium und „redaktionelle“ Schmeicheleien für die Anzeigenkunden
Dass diese Wunschvorstellung albtraumhaft wäre, steht außer Frage. Ein kritischer Blick in das Anzeigenblättchen offenbart, wie Land & Leute zwischen parteipolitischem Populismus und anzeigehungrigen Schmeicheleien privatwirtschaftlicher Unternehmen laviert.
In der Jahreswechselausgabe darf zum Beispiel der Greifswalder Oberbürgermeister Arthur König (CDU) in einem Grußwort die eigene Arbeit verklären und behaupten, dass die Stadt „in den vergangenen Jahren solide gewirtschaftet“ hätte. Kein Wort vom Millionengrab Technisches Rathaus – stattdessen ist er voll des Lobes für die wirtschaftlich höchst diskutable Stadthalle und das 60.000 Euro teure Leitbild, das die Prognos AG für die Stadt schrieb.
Die Verzahnung von „redaktionellen“ Anbiederungen an regionale Unternehmen und nebenstehenden, nicht als Werbung gekennzeichneten Anzeigen ebendieser Firmen, macht das Wirtschaftskonzept dieser Publikation noch deutlicher. Exemplarisch seien hier einige Beispiele aus der erwähnten Jahreswechselausgabe angeführt, die aufzeigen sollen, wie kritisch der dort praktizierte Hochleistungsjournalismus aussieht.
Ewig reproduzierter Ausschluss: Ihr vs. wir
Angesichts der Tiefe, mit der das frühere Kernkraftwerk in die Biographien und Identitäten vieler Ansässigen eingeschrieben ist, darf eine sachliche Diskussion über das Thema Atomkraft und radioaktiver Müll ohnehin nicht erwartet werden. Die ewig reproduzierten Ihr-Wir-Grenzziehungen generieren immer wieder Auschlüsse aus den geführten Diskursen und erzeugen eine Atmosphäre mentaler Verschlossenheit und paralysierter Abwehrhaltung, die alles andere als einladend und weltoffen daherkommt.
Der nächste Castor-Transport wird Mitte Februar stattfinden, eine große Demonstration auf dem Greifswalder Marktplatz, für die auch via Facebook mobilisiert wird, ist bereits für den 12. Februar angemeldet worden. Selbstverständlich sind Aktivistinnen von außerhalb gern gesehene Gäste, denen über die eingerichtete Bettenbörse von LubminNixda auch ein Schlafplatz vermittelt werden kann. Wer ortsansässig ist und den Protest mit der Bereitstellung seines Sofas unterstützen möchte, kann sich dort registrieren und auf diese Weise helfen.
*Update* 25.01.2011
Der Herausgeber von Land & Leute hat heute bereits drei E-Mails geschrieben und darin die Verwendung des inzwischen entfernten Redaktionsfotos untersagt und ein durch Vollzitation des Editorials 07/2010 verletztes Urheberrecht moniert. Achtet bitte in euren Kommentaren darauf, was ihr schreibt und ob ihr gegebenenfalls dadurch Rechte Dritter verletzt.
Ich selbst lese die emsigen Versuche von Klaus Schwarz, diese Kritik an seinem Anzeigenblättchen zu stören, als Bestätigung und empfehle, diese aufgebrachte Mühe in die Erstellung redaktioneller Inhalte zu stecken.
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