Im Gespräch mit Sophie Hirschelmann (Anti-Atom-Bündnis NordOst)

In zwei Tagen wird ein Castor-Transport aus dem badischen Karlsruhe durch Greifswald ins ZwischenLager nach Lubmin fahren. Wie schon beim letzten Transport im Dezember 2010 mobilisiert das Anti-Atom-Bündnis NordOst zum Protest gegen diesen Transport. Eine der beiden Pressesprecherinnen dieser Gruppe ist Sophie Hirschelmann, die im folgenden Gespräch über die Arbeit und Struktur des Bündnisses, Mahnwachen und Sitzblockaden, abgehörte Telefone und Polizeikontrollen, das Verkehrschaos beim letzten Mal und über die neue Dezentralität Auskunft gibt.

Sie lebt seit 2007 in Greifswald, studiert Landschaftsökologie und Naturschutz und engagiert sich unter anderem bei GrIStuF.

„Man muss sich zusammentun, um strukturiert etwas zu bewegen“

FLV: Seit wann bist du im Anti-Atom-Bündnis NordOst aktiv

SH: Zu Beginn des letzten Wintersemesters und mit Hinblick auf den Castortransport ins Wendland und dann hierher nach Lubmin habe ich mich entschlossen, mich dagegen zu engagieren und dazu beizutragen, dass das hier ein Thema wird und der Protest auch hierher kommt.

FLV: Das Bündnis wirkt sehr vielschichtig. Wie ist es strukturiert?

SH: Im Bündnis wirken sehr viele mit, nicht nur Studierende, auch ältere Menschen, die hier herkommen oder schon lange hier leben und arbeiten. Diese Menschen kommen nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus kleineren Dörfern der Umgebung.

Am Anfang haben wir uns relativ strukturlos zusammengefunden, weil wir dachten, man müsse sich zusammentun, um strukturiert etwas zu bewegen. Seitdem treffen wir uns in Plena und haben eigentlich eine relativ unhierarchische Struktur, auch weil wir Konsensentscheidungen anstreben. Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen, zum Beispiel eine Aktions-, eine Infrastruktur-, eine Infonetz- und eine Pressegruppe.

FLV: Du bist in der Pressegruppe, was machst du da?

SH: Ich schreibe Pressemitteilungen, behalte im Auge, was in den Medien erscheint und versuche nach außen zu tragen, was unser Anliegen ist, was wir fordern und wie wir versuchen, das umzusetzen.

FLV: Im KLEX gibt es eine eigene Presselounge?

SH: Ja, die ist auch schon offen. Sie ist als Raum für die Pressevertretenden gedacht, wo sie ein WLAN nutzen können und Raum haben, sich mit uns oder mit anderen Interviewpartnern zu treffen.

„Die Presseleute wissen genau, was für Bilder sie wollen“

FLV: Bei der Auftaktdemo waren sehr viele Pressearbeiter. Wie gut funktionierte die Zusammenarbeit mit denen?

SH: Wir als Pressesprecher — wir sind zu zweit — mussten den Medienvertretern schon einigermaßen hinterherrennen, um an sie heranzukommen, unsere Pressemitteilungen zu übergeben und ihre Telefonnummern zu erfragen. Wir machen eine Presseakkreditierung und haben einen SMS-Verteiler, um die Journalisten im Falle von Aktionen sofort benachrichtigen zu können. Grundsätzlich wissen sie aber schon ganz genau, was für Bilder sie wollen und wen sie interviewen möchten, zum Beispiel Claudia Roth bei der Auftaktdemo.

FLV: Auf die nächsten Tage habt ihr seit Wochen hingearbeitet. Was wird hier so laufen?

SH: Wir arbeiten, seitdem der letzte Castor in Lubmin angekommen ist und wir die Ereignisse aufgearbeitet haben. Zuerst haben wir versucht herauszufinden, wann der nächste Transport stattfinden wird. Jetzt läuft die Vorbereitung auf den sogenannten Tag X, wenn der Castor schließlich fährt. Wir tun viel für die Mahnwachen auf der Strecke Greifswald-Lubmin, bauen sie mit auf, statten sie mit aus.

Organisierter Widerstand: Mahnwachen, Bettenbörse & Aktionstrainings

FLV: Wie sieht so eine Mahnwache denn konkret aus? „Im Gespräch mit Sophie Hirschelmann (Anti-Atom-Bündnis NordOst)“ weiterlesen

Die Alte Chemie: Ein Nachruf

Ein Gastbeitrag von Vincent Stoa

Als ich Ende November letzten Jahres die Berichte über die polizeiliche Ermittlung zum Großbrand in der Alten Chemie las, fühlte ich mich seltsam beklommen – als wären Fremde für eine Hausdurchsuchung in meine Wohnung eingedrungen, als hätten sie meine Habseligkeiten durchgekramt, zerwühlt, besudelt. Nachdem das Institut über ein Jahr lang schon fast ein Zuhause für mich war, fühlte ich mich plötzlich obdachlos.

Kontaminierte Traumfetzen

Wir lernten uns vor ziemlich genau zwei Jahren an einem verlotterten Tag in den Semesterferien kennen. Sie war seit drei Jahren, als sie von der kleinen Glasbläserei im Erdgeschoss verlassen wurde, Single. Vom Alleinsein gekennzeichnet: Verwahrlost, staubig, und ziemlich übel riechend.

Zusammen mit einem Freund nahm ich mich ihrer an: Mit Taschenlampe und Klemmbrett bewaffnet, streiften wir durch die gut zweihundert Zimmer (vorwiegend Labore und Büroräume, zu großen Teilen immer noch möbliert), lüfteten, wo es nötig war, und kartografierten das riesige, labyrinthhafte Gebäude Flügel für Flügel, Etage für Etage. Mein kleiner toter Garten. Reagenzgläser, Lehrposter, eingelegte Tiere. Wir fuhren beim leisesten Knacken zusammen, erschreckten uns ständig vor dem Geräusch unserer eigenen Schritte. Noch heute spielt die Hälfte meiner Träume in den Gemäuern der alten Chemie.

Alte Chemie Greifswald

Für uns war es nicht nur einfach ein leerstehendes Unigebäude: Es war eine überdachte Geisterstadt, ein mehrstöckiges Kuriositätenkabinett, ein kafkaesker Albtraum. Hier hätten ohne Weiteres der eine oder andere David-Lynch-Film oder auch Fight Club gedreht werden können.

Anders als die Uni behauptete, war das Gebäude übrigens (zumindest anfangs) keineswegs vom Stromnetz genommen. Die Steckdosen funktionierten ausnahmslos, im Institutsfahrstuhl brannte gar rund um die Uhr das Licht. Sogar fließend Wasser gab es, in dem Villenflügel des Gebäudes gar ein komplett eingerichtetes Schlafzimmer: Das Institut wäre als Wohnung durchaus geeignet gewesen – vorausgesetzt, man hätte sich mit der bedrückenden, morbiden Atmosphäre arrangieren können.

Picknick im Zenit der Postmoderne

Viele Monate lang war das Institut unser Ein und Alles. Wir nahmen nichts mit, wir beschädigten nichts, aber wir gestalteten unser neues Zuhause nach Herzenslust. Aus den vielen herrenlosen Schrankwänden bauten wir ein Labyrinth. Wir richteten ein gemütliches Wohnzimmer ein, bastelten absurde Skulpturen aus altem Laborzubehör, stöberten in den immensen Beständen an Büchern, biologischen Modellen und eingelegten Tieren. Wir machten Fotos und gaben Freunden Führungen. Zu Ostern nutzten wir die riesigen Laborräume als Versteck für Osternester.

Im Dezember 2009, fast ein Jahr vor dem Brand, luden wir zu einem vorweihnachtlichen Picknick in das inzwischen bitterkalte Institut ein. Forellenfriedhof überlaut nannten wir den Abend, in Anlehnung an ein dadaistisches Gedicht. Ein vornehm gekleideter Herr mit Zylinder fragte die Gäste nach dem Passwort – Fidelio – und geleitete sie sodann in den festlich geschmückten Salon. Ein mitgebrachter Backgrill sorgte für ein Minimum an Wärme. Man trank Wein, las sich gegenseitig Gedichte vor, spielte Gitarre, tanzte, aß, irrte durch das Labyrinth. „Die Alte Chemie: Ein Nachruf“ weiterlesen

Eindrücke von der Greifswalder Auftaktdemonstration zum Castor 2011

Die heutige Auftaktdemonstration erfreute sich einer Beteiligung, die manche in dieser Form sicher nicht erwartet hätten. Gegen 13.30 Uhr füllte sich der Marktplatz. Kurz vorher bemühte sich noch die Feuerwehr, ein am Gebäude des Ballhaus Goldfisch befestigtes Banner zu entfernen.

Nach zwei Redebeiträgen von Nadja Tegtmeyer und einem Vertreter der Nachttanzblockade aus Karlsruhe setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung und bewegte sich lautstark, gut gelaunt und kämpferisch zum Busbahnhof, wo eine Zwischenkundgebung stattfand. Nach kurzem Aufenthalt ging es über die Brinkstraße, die Europakreuzung und den Hansering zurück zum Ausgangspunkt in der Innenstadt, wo schließlich Renate Backhaus (BUND) sprach.

1600 Menschen beteiligten sich an der Demonstration gegen den Castor

Nach Angaben der Polizei soll die Demonstration 1600 Menschen stark gewesen sein. Diese Informationen entspricht auch den zwischenzeitlich unternommenen Zählungen. Die Organisatorinnen zeigen sich zufrieden und bedankten sich bei allen, die heute mit dabei waren.

Für die kommende Woche des Atom-Widerstands wird eine entsprechende Infrastruktur des Protests eingerichtet, inklusive Volksküchen, Infopoint, Bettenbörse und Aktionstraining. Detaillierte Informationen sind auf der Internetseite des Anti-Atom-Bündnis NordOst abrufbar.

Inzwischen sind auch die ersten Videos online, exemplarisch sei dieses verlinkt:

Der Widerstand gegen den Castor geht auf die Straße

Wie bereits Anfang Januar angekündigt, wird in der nächsten Woche wieder Atommüll ins sogenannte Zwischenlager bei Lubmin transportiert werden. Hierbei sollen fünf Castorbehälter aus Karlsruhe überführt werden, die insgesamt 140 Glaskokillen enthalten.

Zweite Großdemonstration binnen dreier Monate

Lokale Anti-Atom-Aktivistinnen mobilisieren seit Wochen zu Protest und Widerstand gegen diesen Transport und rufen dazu auf, sich an der morgigen Demonstration zu beteiligen. Es ist der zweite große Anti-Atom-Protest in Greifswald binnen drei Monaten, denn schon im Dezember 2010 gingen über 2000 Menschen auf die Straße.

Atom Widerstand Greifswald

(Foto: Feldweg)

Am Sonnabend beginnt um 14 Uhr auf dem Markt die Auftaktdemo, die über die Lange Straße, den Karl-Marx-Platz und die Bahnhofstraße durch die Goethestraße, die Anklamer- und Brinkstraße schließlich über den Hansering und die Bachstraße zurück zum Ausgangspunkt führen wird.

Redebeiträge sind von Nadja Tegtmeyer (Anti-Atom-Bündnis NordOst), Holger (Nachttanzblockade Karlsruhe), Simone Leuning (AG Schacht Konrad), Pfarrer Matthias Gürtler (Ev. Kirchengemeinde) und Renate Backhaus (BUND) angekündigt, für einen musikalischen Beitrag sollen die Stormbirds sorgen. Es wurde auch eine Google Map eingerichtet, auf der neben der Route auch Parkplätze und die Orte der Zwischenkundgebung und des Abendprogramms vermerkt sind.

Aktionstag als Warm-up für den Castor

Die ganze Veranstaltung wird mit Sicherheit wie beim letzten Mal von einem Großaufgebot der Polizei begleitet und es ist nicht auszuschließen, dass von Seiten der Polizei der Protest gegen Atomkraft wieder gefilmt wird. Außerdem ist zu erwarten, dass Presse und Fernsehen bildreich berichten und viele Menschen zusätzlich private Aufnahmen machen werden. Wer darauf keine Lust hat, sei an dieser Stelle nochmal daran erinnert, an diesem Tag die für solche Bedenken anzuratende Kollektion aufzutragen. „Der Widerstand gegen den Castor geht auf die Straße“ weiterlesen

Rückblick: Polenmarkt im Splitscreen

Theda Schillmoeller lässt den knapp drei Monate zurückliegenden Polenmarkt Revue passieren und präsentiert eine filmische Zusammenfassung des Spektakels, dass prägend war für den Greifswalder November – zumindest aus (sub)kultureller Sicht.

In Splitscreen-Ästhetik, die Freundinnen der amerikanischen Fernsehserie 24 einen wohligen Schauer verpassen dürfte, geht es nochmal Abend für Abend durch das Programm. Den Soundtrack zu dieser Erinnerungsreise liefert die Band Małe Instrumenty mit der Interpretation eines Stückes von Julian Józef Antonisz. Die virtuosen Kleininstrumentalisten waren damals auch vor Ort und wussten im IKUWO zu begeistern.

Polenmarkt 2009

Der Film unterscheidet sich deutlich vom Beitrag des NDR, hat fast alle Veranstaltungen festgehalten und offeriert eine weitere Präsentationsform. Prädikat: gelungen!

Bildergalerien existieren vom Abend mit den drei Punkbands Narkolepsja, Dead Yuppies und Tesla Cessna, sowie von der energetischen Indian-Ambient-Dancehall-Show mit Masala.

Die Greifswalder Einkaufstour des Immobilienmagnaten Douglas Fernando

„Vernunft, Verantwortung und Verwaltung sind die Basis allen Zusammenlebens.“
(Douglas Fernando, 2/2010)

Beinahe vier Jahre sind vergangen, seitdem unzählige Vereine und Inititativen die Straze – das Wohn- und Gesellschaftshaus in der Stralunder Straße 10 – verlassen mussten und mit dem Petruswerk ein neuer Investor in Greifswald von sich reden machte. Vier Jahre, nach denen konstatiert werden darf, dass so gut wie nichts unternommen wurde, um die Bausubstanz dieses Gebäudes zu schützen. Davon derer drei, die exemplarisch vorführten, wie das Business mit Immobilien funktionieren kann.

Ein Blick auf die zurückliegenden Aktivitäten in der Stralsunder Straße, auf Fernandos Immobilienbesitz und eine vom Bürgermeister Arthur König (CDU) gezeichnete Empfehlung, die der Investor zur Beruhigung in Graz vorlegte.

DAS „KATHOLISCHE“ PETRUSWERK BETRITT DIE GREIFSWALDER BÜHNE

Erinnern wir uns: Im Oktober 2007 schrieb die Universität, der bis dahin das Haus gehörte, die Immobilie zum Verkauf aus. Den Zuschlag erhielt im Januar 2008 das Petruswerk, ein bis 2003 zum Berliner Erzbistum gehörendes Unternehmen, das sich mit unverkäuflichen Luxusimmobilien verspekulierte und schließlich von der AVILA-Gruppe, deren Geschäftsführer und Teileigener  (60%) Douglas Fernando ist, geschluckt wurde.

petruswerk unternehme avila gruppe

Die Angaben über den Kaufpreis sind widersprüchlich, die Bürgerinitiative zur Rettung der Stralsunder Str. 10 spricht von einem ausgeschrieben Verkaufspreis in Höhe von 196.000 Euro, während sich die Angaben der Greifswalder Ostsee-Zeitung andauernd änderten: mal wird von 160.000 Euro, dann von 250.000 Euro und zuletzt im vergangenen Oktober von „etwa 300.000 Euro“ berichtet.

Der Investor stellte wenige Wochen nach dem Erwerb der Immobilie fest, dass eine Sanierung und vor allem der Betrieb des denkmalgeschützten Objektes zu teuer seien, und präsentierte umgehend Neubaupläne, die in so kurzer Zeit vorlagen, dass die Vermutung im Raum stand, Fernando hätte schon beim Kauf des Hauses auf Abriss und Neubau gesetzt. Erfolglos bemühte sich die Bürgerinitiative, Douglas Fernando an den Verhandlungstisch zu kriegen, um über einen eventuellen Weiterverkauf der Straze zu beratschlagen.

INVESTOR FERNANDO WIRD WEGEN GEMEINSCHAFTLICHER SACHBESCHÄDIGUNG ANGEZEIGT

Am 1. Juli 2009 meldete die Ostsee-Zeitung, dass Fernando das Gebäude definitiv nicht an die Bürgerinitiative verkaufen würde. Ihm und dem Aufsichtsrat des Petruswerks sei „der Geduldsfaden gerissen“. Zwei Wochen später begannen nicht genehmigte Abrissarbeiten an einem zweistöckigen Fachwerkhaus auf dem Hof des Grundstücks, die daraufhin von Michael Steiger (Grüne) zur Anzeige wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung gebracht wurden.

Damit dürfte das Porzellan zwischen dem Investor und der Initiative, die das Haus retten will, endgültig zerschlagen worden sein. Diesem Ende einer ungleichen Verhandlungspartnerschaft, die nie richtig begann, ging ein mehrmonatiges Hickhack voraus, in dessen Verlauf das Petruswerk von der Bürgerinitiative erst ein Sanierungskonzept forderte, aber gleichzeitig eine Erlaubnis, das Gebäude zu betreten, verweigerte. Die BI wiederum sorgte dafür, dass der Fall Straze nicht aus der Öffentlichkeit verschwand, und ließ dabei kein gutes Haar an Fernando.

PETRUSWERK SPEKULIERT: VERKAUFSPREIS JETZT SCHON DREIMAL SO HOCH

Das Petruswerk legte am 1. Juli 2010 einen Abrissantrag für den gesamten denkmalgeschützten Gebäudekomplex vor. Da aber mit der BI Straze ein anderer Interessent denkmalgerecht sanieren will, wurde dieser vorerst abgelehnt. Zwischenzeitlich, im Juni 2009,  habe man sich nach Angaben der BI mit dem Petruswerk auf einen Verkaufspreis von 450.000 Euro geeinigt, die AVILA-Tochter zog dieses Angebot angeblich aber schnell wieder zurück.

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